Roowalk (abgeleitet vom englischen Wort „Kangaroo“) ist eine elektrisch angetriebene Gehhilfe, die es Kindern mit neuromuskulären Erkrankungen ermöglichen soll, freihändig und aufrecht zu stehen sowie mit weniger Anstrengung und vor allem eigenständig zu gehen – und das in allen Lebenssituationen, drinnen und draußen, auf Teppich, Gras und Kopfsteinpflaster sowie trotz Bordsteinen und Türschwellen. Inspiration für diese Idee war Pardowitz‘ Nichte, die Cerebralparese hat. „Während meine anderen Nichten und Neffen über die Wiesen pesen, kann sie nur danebenstehen. Sie kommt mit ihrem Rollator nicht einmal über eine Türschwelle oder in einen Aufzug hinein“, berichtet er. In einem dieser Momente machte es Klick und die Idee für Roowalk war geboren.
„Kinder, die nicht die Fähigkeit haben, einen Rollator mit ihren Händen zu bedienen, sitzen häufiger im Rollstuhl als sie es müssten“, sagt Pardowitz. Das schränke nicht nur die Aktivitäten ein, sondern bringe oft körperliche Folgeschäden mit sich. Und selbst wer seine Hände nutzen kann, muss diese zur Fortbewegung mit dem Hilfsmittel nutzen. Durch Roowalk bleiben die Hände dagegen frei. Und auch der Raum vor dem Kind. Andere Gehhilfen bilden durch das Gestell rundherum eine Begrenzung. „Die Kinder, die damit laufen, schaffen es vielleicht bis zum Bücherregal, können aber kein Buch greifen“, so Enge. Wieder sind die Kinder also auf die Unterstützung ihrer Bezugspersonen angewiesen.
Die Technologie von Roowalk beruht auf dem Prinzip eines Segways, also über einen selbstbalancierenden Antrieb. Minimale Bewegungen im Stehen werden ausgependelt. Bewegen sich die Nutzer:innen dann z. B. nach vorn, deuten also eine Intentionsbewegung an, fährt das Gerät automatisch nach. Bei klassischen Gehhilfen muss dagegen mehr Kraft aufgewendet werden, um neben dem eigenen Körpergewicht auch noch das zusätzliche Gewicht der Gehhilfe fortzubewegen. Wird dem Kind durch dieses Prinzip zu viel Muskelaktivität abgenommen? „Wir möchten nur so viel wie nötig unterstützen, und so wenig wie möglich“, sagt Enge. Ziel es ist vielmehr, die Muskelaktivität langfristig sogar zu steigern. „Je öfter man bestimmte Bewegungsmuster wiederholt, desto besser festigen sich diese Muster im Gehirn und desto leichter fällt es, die Bewegungen auch unabhängig von der Gehhilfe zu machen“, erläutert Pardowitz das Prinzip der Neuroplastizität. „So werden die Muskeln trainiert und Masse aufgebaut.“
Dadurch dass Sattel und Hüftgurt anpassbar sind, wächst Roowalk über die Jahre mit, kann aktuell von Kindern im Alter zwischen drei und zwölf verwendet werden. Auch eine Version für jüngere Kinder ist in Planung. Für Pardowitz ein Beitrag zur Prävention, denn: „Je mehr und je früher sich die Kinder bewegen, desto besser.“ Künftig könnte zudem eine Variante für Erwachsene folgen.
Ziel ist, dass Roowalk ein Gerät für den Alltag wird. Bei den ersten Anwendungsbeobachtungen, die mit Kindern mit Cerebralparese gemacht wurden, hat sich laut Enge aber herausgestellt, dass zumindest der Start in einem Therapiesetting deutlich leichter fällt. Gemeinsam mit Physiotherapeut:innen können die ersten Schritte gemacht werden, das Kind kann sich an das Gerät gewöhnen – vor allem an das neue Gefühl, zu stehen und eigenständig zu gehen, und das ohne zu fallen. „Manche Kinder sind durch Rollatoren gewohnt, etwas in der Hand zu haben, und gewinnen dadurch Sicherheit. Jetzt haben sie plötzlich die Hände frei und laufen mit einer Gehilfe, die nicht starr ist“, sagt Enge. Das bedeutet auch, Vertrauen in das Gerät aufbauen zu müssen, sich zu trauen, verschiedene Bewegungen auszuprobieren und festzustellen, dass nichts passiert. Als hilfreich hat es sich bei den Testläufen erwiesen, wenn die Eltern und Therapeut:innen der Kinder dabei sind. Denn die können die Fähigkeiten ihres Kindes gut einschätzen, wissen, was machbar ist und was nicht. Denn: Der Grad der Unterstützung kann zwar individuell nach den Bedürfnissen und abhängig von der Tagesform des Kindes eingestellt werden, aber bislang nur manuell. Dass Roowalk automatisch spürt, wie viel es unterstützen muss, daran arbeitet das Team derzeit noch. Und ebenfalls daran, dass die Gehhilfe größere Hürden wie Treppenstufen überwinden kann. Aktuell sind bis zu sieben Zentimeter machbar. Während Roowalk auf harten und weichen Untergründen funktioniert, steht der Test auf feinem Sand oder einer matschigen Wiese noch aus. „Wir haben die Vision, dass Kinder damit am Strand oder auf dem Spielplatz laufen können“, blickt Pardowitz Richtung Zukunft. Und zwar, weil genau solche Orte auch Sehnsuchtsorte eines jeden Kindes sind und solche Untergründe ein ganz besonderes Gefühl unter den Füßen geben.
„Die Kinder zum ersten Mal in der Gehhilfe stehen zu sehen, bei ihren ersten Schritten dabei zu sein und das Strahlen in ihren Augen zu sehen – das sind unsere schönsten Momente“, betont Enge. Ein Junge testete das Gerät zunächst im Haus, anschließend draußen auf der Wiese und stellte fest: Der Untergrund macht keinen Unterschied. Es fühlt sich leicht an, zu laufen. Durch seine Testläufe deutet sich ein weiterer Vorteil an: Während der Junge während des Trainings mit seinem Physiotherapeuten normalerweise nur Gehstrecken zwischen 50 und 90 Metern bewältigen konnte, gelangen ihm beim dritten Training mit Roowalk 350 Meter. „Das war für uns die Bestätigung, dass das Gerät tatsächlich leichtgängiger ist und weniger Energie verbraucht wird“, berichtet Pardowitz. Nicht nur die Technik, auch das Design kam gut an. „Cool“ und „spacig“ lautete das Fazit der Kinder.
Ebenfalls das Feedback von Ärzt:innen sowie Ergo- und Physiotherapeut:innen ist positiv. Die Gehhilfe würde Freiraum und gleichzeitig Sicherheit ermöglichen, wodurch die Kinder lernen, ihr Gleichgewicht zu halten. Zudem betonten die Therapeut:innen die aufrechtere Haltung sowie die gesteigerte Gehgeschwindigkeit und Schrittlänge. Positiv bewerteten sie darüber hinaus, dass die Hände frei sind. Das Ballspielen motivierte die Kinder zusätzlich zu mehr Bewegung.
Die Anwendungsbeobachtungen diesen als Basis für die Erarbeitung eines Studiendesigns. In Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilian-Universität München (LMU) soll der medizinische Nutzen der Gehhilfe nachgewiesen werden. Der Fokus wird auf Kindern mit Cerebralparese, GMFCS-Level 3 und 4, mit einer Körpergröße zwischen 80 und 130 Zentimetern liegen. Ziel wird es dann sein, als Hilfsmittel gelistet zu werden.
Neben den technischen Herausforderungen, die Pardowitz und Enge noch bewältigen wollen, gilt es außerdem, finanzielle Hürden zu nehmen. Das Start-up freut sich über weitere Fördermittelgeber, die zum Beispiel Teile der Studie mitfinanzieren. Unterstützung erhoffen sich die beiden fachfremden Ingenieure auch direkt aus der Hilfsmittelbranche. Und zwar mit Blick auf die Markteinführung. Denn noch tut sich auf dem Weg dorthin immer wieder dichter Nebel auf – sei es mit Blick auf die Zertifizierung als Medizinprodukt nach der Europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR), mit Blick auf die Einsortierung ins Hilfsmittelverzeichnis oder auf Möglichkeiten der Kostenerstattung.
Pia Engelbrecht
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