Der Ein­fluss des Tra­ge­zeit­mo­ni­to­rings auf The­ra­pie­pla­nung und Com­pli­ance in der Kor­sett­ver­sor­gung bei idio­pa­thi­scher Skoliose

C. Grasl, T. Serth, R. Pospischill, K. Riedl, S. Farr, M. Knahr
Die Korsettversorgung von Kindern und Jugendlichen mit idiopathischer Skoliose stellt für die Orthopädie-Technik immer wieder eine große Herausforderung dar, gilt es doch einen möglichst guten Kompromiss zwischen Primärkorrektur und Patientencompliance zu erzielen.

Wur­de in den letz­ten Jah­ren der pri­mä­re Fokus auf die größt­mög­li­che Reduk­ti­on des Cobb-Win­kels gelegt, zeigt der Ver­sor­gungs­all­tag, dass nicht nur die Pri­mär­kor­rek­tur im Rönt­gen­bild, son­dern vor allem der dero­tie­ren­de Ein­fluss auf die Wir­bel­säu­le durch das Kor­sett­de­sign 1 in Kom­bi­na­ti­on mit einer kon­se­quen­ten und kon­stan­ten Tra­ge­zeit den The­ra­pie­er­folg maß­geb­lich posi­tiv beein­flusst. Die Beur­tei­lung der essen­ti­ell wich­ti­gen Tra­ge­zeit war bis­her – abhän­gig von den Aus­sa­gen von Pati­en­ten und deren Eltern – jedoch schwie­rig. Die Opti­on eines Tra­ge­zeit­mo­ni­to­rings durch die Adap­tie­rung eines soge­nann­ten Orthot­imers® 2 ermög­licht es nun erst­mals, die exak­te Tra­ge­zeit zu ermit­teln und somit indi­vi­du­el­le The­ra­pie­plä­ne zu erstel­len, bei schwie­ri­gen Ent­schei­dun­gen wie z. B. einer OP-Indi­ka­ti­on Sicher­heit zu ver­mit­teln und bei adäqua­tem Ein­satz die Com­pli­ance deut­lich zu steigern.

Ein­lei­tung

Bei der idio­pa­thi­schen Sko­lio­se han­delt es sich um eine drei­di­men­sio­na­le Ver­dre­hung und Ver­krüm­mung der Wir­bel­säu­le, wobei die Ver­krüm­mung in Grad nach Cobb ange­ge­ben wird. Bis­lang galt als Indi­ka­ti­ons­vor­ga­be, dass ab 25° nach Cobb und ent­spre­chen­dem Rest­wachs­tum eine Kor­sett­ver­sor­gung mit einer täg­li­chen Tra­ge­zeit von 23 Stun­den indi­ziert ist 3, wobei Phy­sio­the­ra­pie und Sport als Tra­ge­zeit gewer­tet wur­den. Spe­zi­ell in den letz­ten Jah­ren sind Exper­ten jedoch von die­sem star­ren Ver­sor­gungs­zy­klus abge­wi­chen: Im Wis­sen, dass der The­ra­pie­er­folg nicht allein von der Pri­mär­kor­rek­tur im Kor­sett, son­dern auch von der dau­er­haf­ten Dero­ta­ti­on der Wir­bel­säu­le ohne Kor­sett, für wel­che eine kon­se­quen­te Tra­ge­zeit ent­schei­dend ist, abhängt wird – abhän­gig von Pro­gres­si­ons­ri­si­ko und Rota­ti­ons­kom­po­nen­te – heu­te schon bei 15° bis 16° nach Cobb die Ver­sor­gung mit einem Dero­ta­ti­ons-Inspi­ra­ti­ons-Kor­sett ein­ge­lei­tet, das zu Beginn meist nur in der Nacht 4 getra­gen wer­den muss. Das bedeu­tet für die Pati­en­ten und deren Umfeld deut­lich weni­ger Stress als eine 23-Stun­den-Ver­sor­gung und erhöht somit die Com­pli­ance deut­lich. Durch die stan­dard­mä­ßi­ge Imple­men­tie­rung eines Tra­ge­zeit­mo­ni­to­rings in den Ver­sor­gungs­all­tag durch einen soge­nann­ten Orthot­imer® in Ver­bin­dung mit einem engen Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwi­schen Arzt, The­ra­peut und Ortho­pä­die-Tech­ni­ker ist eine opti­ma­le The­ra­pie- und Tra­ge­zeit­pla­nung mög­lich. Ein sol­cher Aus­tausch lässt sich mit­tels „Her­mes“, einer inter­net­ba­sier­ten und alle DSGVO-Richt­li­ni­en erfül­len­den Online­platt­form zur inter­dis­zi­pli­nä­ren Kom­mu­ni­ka­ti­on, bewerk­stel­li­gen. Dadurch wird dem Pati­en­ten ein opti­ma­les Ver­sor­gungs­netz­werk gebo­ten und somit das Ver­trau­en ins Behand­lungs­team gestärkt – was eben­falls zur Com­pli­ance-Stei­ge­rung beiträgt.

Der Orthot­imer®

Der Orthot­imer ist ein auf der Tech­no­lo­gie der Iden­ti­fi­ka­ti­on mit­tels elek­tro­ma­gne­ti­scher Wel­len („Radio Fre­quen­cy-Iden­tifi­ca­ti­on Tech­no­lo­gy“, RFID) basie­ren­der Chip, der in einem frei zu defi­nie­ren­den Zeit­raum (opti­mal ist ein Abstand von 15 bis 20 Minu­ten) über die Umge­bungs­tem­pe­ra­tur erfasst, ob ein Hilfs­mit­tel am Kör­per getra­gen wird oder nicht. Über ein codier­tes Aus­le­se­ge­rät und mit­tels spe­zi­el­ler Soft­ware kann die­ser Chip mit einer Spei­cher­ka­pa­zi­tät von bis zu 6 Mona­ten im Rah­men regel­mä­ßi­ger Ver­laufs­kon­trol­len aus­ge­le­sen und so die Tra­ge­zeit ermit­telt wer­den. Zum Ein­bau eines Orthot­imers® in ein Hilfs­mit­tel wird der mit­ge­lie­fer­te Dum­my auf dem Posi­tiv­mo­dell – am bes­ten am Über­gang zwi­schen Abdo­mi­nal­druck und ven­tra­ler Spi­ne – posi­tio­niert, was wäh­rend des Tief­zieh­vor­gan­ges den nöti­gen Platz für den spä­te­ren Ein­bau des akti­vier­ten Chips schafft (Abb. 1).

Jeder Chip wird dabei codiert einem Pati­en­ten zuge­wie­sen und kann, um den Daten­schutz zu gewähr­leis­ten, nur von jenem Lizenz­in­ha­ber aus­ge­le­sen wer­den, der den Orthot­imer® akti­viert hat. Über die Soft­ware kön­nen die vor­ge­ge­be­ne Tra­ge­zeit sowie unter­schied­li­che Spe­zi­al­an­for­de­run­gen, z. B „24 Stun­den am Stück zu tra­gen“ indi­vi­du­ell defi­niert wer­den. Das Aus­le­se­er­geb­nis wird als über­sicht­li­che Gra­fik ange­zeigt und kann als PDF-Datei gespei­chert und wei­ter­ge­lei­tet wer­den (Abb. 2).

Die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­form „Her­mes®“

„Her­mes®“ ist eine web­ba­sier­te Platt­form, die eine schnel­le, ein­fa­che und DSGVO-kon­for­me inter­dis­zi­pli­nä­re Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Ortho­pä­die-Tech­ni­ker, The­ra­peut und Fach­arzt ermög­licht (Abb. 3). Die Platt­form ist in zwei Ebe­nen geglie­dert – ein Infor­ma­ti­ons- und ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­werk­zeug („Tools“). Nur der Ortho­pä­die-Tech­ni­ker als Admi­nis­tra­tor kann im Infor­ma­ti­ons­tool neue Pati­en­ten­fäl­le, soge­nann­te Cases, z. B. eine Kor­sett­ver­sor­gung, anle­gen. Inner­halb der ent­spre­chen­den Pati­en­ten­ver­sor­gung kön­nen – eben­falls nur durch den Admi­nis­tra­tor – Grund­in­for­ma­tio­nen wie Sko­lio­se­klas­si­fi­zie­rung, Alter, eine Foto- und Tra­ge­zeit­do­ku­men­ta­ti­on, 3D-Scans oder Rönt­gen­bil­der ent­spre­chend den DSGVO-Richt­li­ni­en auf eine siche­ren Ser­ver hoch­ge­la­den wer­den. Per Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tool kann der Ortho­pä­die-Tech­ni­ker wei­te­re Exper­ten, also den behan­deln­den The­ra­peu­ten bzw. Arzt, fall­be­zo­gen „ein­la­den“. Die Exper­ten kön­nen sich dann in jene Cases, für die sie frei­ge­schal­tet wur­den, ein­log­gen, im Infor­ma­ti­ons­be­reich die hoch­ge­la­de­nen Daten wie Rönt­gen­bil­der, Foto­do­ku­men­ta­tio­nen, Tra­ge­zeit­aus­wer­tun­gen, 3D-Scans, Vide­os etc. kon­sul­tie­ren und sich im Kom­mu­ni­ka­ti­ons­feld schrift­lich mit den rest­li­chen Part­nern des Behand­lungs­teams aus­tau­schen. Wer­den Besu­che beim Ortho­pä­die-Tech­ni­ker regel­mä­ßig doku­men­tiert, kann der betreu­en­de Arzt z. B. fest­stel­len, wann der Pelot­ten­druck zum letz­ten Mal ver­stärkt wur­de, wel­chen Input der Schroth-The­ra­peut bei­getra­gen hat, oder er kann sei­ne Wün­sche wie „Ver­stär­ken des Dru­ckes“ o. Ä. ein­fach mit­tei­len. Das Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tool ver­mit­telt also allen Mit­glie­dern des Behand­lungs­teams einen ein­heit­li­chen Infor­ma­ti­ons­stand zum jewei­li­gen Pati­en­ten, was wie­der­um des­sen Ver­trau­en ins Team stärkt und somit eben­falls zur Com­pli­ance-Stei­ge­rung beiträgt.

Stu­die: Maxi­mal­kor­rek­tur vs. Dero­ta­ti­on, Tra­ge­zeit und Compliance

Bei nahe­zu allen Exper­ten­tref­fen zum The­ma Sko­lio­se steht die Fra­ge im Raum, was vor­ran­gig zu beur­tei­len sei – die Ver­bes­se­rung der Cobb’schen Win­kel im Rönt­gen­bild oder eine mög­lichst hohe Tra­ge­zeit zur Dero­tie­rung der Wir­bel­säu­le, auch ohne Kor­sett, in Kom­bi­na­ti­on mit einer dar­aus resul­tie­ren­den hohen Pati­en­ten­Com­pli­ance. Die­se Fra­ge konn­te bis­lang auch nur bedingt beant­wor­tet wer­den, war man in Bezug auf die Tra­ge­zeit bis­her doch immer auf die sub­jek­ti­ven Anga­ben der Pati­en­ten ange­wie­sen. Das hat­te zur Fol­ge, dass sich die Ver­bes­se­rung der Cobb-Win­kel als Maß­stab für eine adäqua­te Kor­sett­ver­sor­gung eta­bliert hat.

Gemein­sam mit der Abtei­lung für Kin­der­or­tho­pä­die und Fuß­chir­ur­gie des Ortho­pä­di­schen Spi­tals Spei­sing in Wien sowie drei hoch­spe­zia­li­sier­ten nie­der­ge­las­se­nen Fach­ärz­ten für Ortho­pä­die hat das Team der Ortho­ma­nu­fak­tur Grasl den Ver­sor­gungs­ver­lauf von bis­lang 144 Pati­en­ten aus­ge­wer­tet, um die­se Fra­ge zumin­dest teil­wei­se beant­wor­ten zu kön­nen. Dabei hat sich gezeigt, dass ver­mut­lich kein kau­sa­ler Zusam­men­hang zwi­schen Tra­ge­zeit und Ver­bes­se­rung des Cobb’schen Win­kels (jedoch ein direk­ter Zusam­men­hang zwi­schen Tra­ge­zeit und Rota­ti­ons­ver­bes­se­rung ohne Kor­sett) besteht. Alle Pati­en­ten wur­den mit einem RSC®-Korsett der Fir­ma Ortho­lu­ti­ons ver­sorgt; Klas­si­fi­ka­ti­on und Modell­aus­wahl erfolg­ten nach Rigo 5; alle RSC®-Braces (Abb. 4) wur­den mit einem Orthot­imer® ausgestattet.

In allen Fäl­len erfolg­te die Form­er­fas­sung mit­tels 3D-Scan; eine Woche nach der Kor­sett­ab­ga­be erfolg­te die ers­te Nach­kon­trol­le, wei­te­re zwei Wochen spä­ter eine wei­te­re Fol­ge­kon­trol­le. Sechs Wochen nach der Kor­sett­ab­ga­be erfolg­te das Kon­troll­rönt­gen. Die Pati­en­ten waren zwi­schen 4 und 17 Jah­re alt und wur­den in unter­schied­li­che Kon­troll­grup­pen ein­ge­teilt, abhän­gig von Alter und Krüm­mungs­mus­ter nach Rigo (Abb. 5). Der durch­schnitt­li­che Cobb-Win­kel betrug tho­ra­kal 27,4° (+/- 46°), lum­bal 23,8° (+/- 37°). Im Fol­gen­den wird auf die Ergeb­nis­se bezüg­lich der Aspek­te Pri­mär­kor­rek­tur, Dero­ta­ti­on, Tra­ge­zeit und Com­pli­ance eingegangen.

Pri­mär­kor­rek­tur

Grup­pen­über­grei­fend hat sich eine durch­schnitt­li­che­Pri­mär­kor­rek­tur­von tho­ra­kal 49,8 % und lum­bal 51,2 % gezeigt (Abb. 6). Inner­halb der ein­zel­nen Alters­grup­pen vari­ier­te die Pri­mär­kor­rek­tur tho­ra­kal im Durch­schnitt zwi­schen 62 % und 46,1 %, lum­bal zwi­schen 65,4 % und 46,5 % (Abb. 7). Die tho­ra­ka­le Maxi­mal­kor­rek­tur lag bei 104,3 %, die lum­ba­le bei 113,3 % – bei­des Über­kor­rek­tu­ren, die redu­ziert wur­den. Bezo­gen auf die unter­schied­li­chen Krüm­mungs­ty­pen nach Rigo zeig­te sich, dass – Typ E aus­ge­nom­men – Sko­lio­sen vom Typ B am bes­ten auf die Pri­mär­kor­rek­tur anspra­chen, gefolgt von den Typen C und A. Ange­sichts die­ser gro­ßen Schwan­kungs­brei­te muss fest­ge­stellt wer­den, dass die gene­ra­li­sie­ren­de Aus­sa­ge „Ein Kor­sett ist dann gut, wenn es 50  % Pri­mär­kor­rek­tur erreicht“ sehr kri­tisch zu betrach­ten ist, da durch ein Nicht­er­rei­chen die­ses Wer­tes Moti­va­ti­on und Com­pli­ance deut­lich nega­tiv beein­flusst wer­den können.

Betrach­tet man die ein­zel­nen Pati­en­ten in Bezug auf die erziel­te Pri­mär­kor­rek­tur in Bezug zur Tra­ge­zeit, zeigt sich, dass kei­ne direk­te Ver­bin­dung zwi­schen Tra­ge­zeit und Pri­mär­kor­rek­tur her­ge­stellt wer­den konn­te. Jene Pati­en­ten mit der bes­ten Pri­mär­kor­rek­tur tru­gen das Kor­sett zum Zeit­punkt des Kon­troll­rönt­gen­bil­des nur durch­schnitt­lich 3,27 Stun­den pro Tag; die Pati­en­tin mit der gerings­ten Kor­rek­tur erreich­te im sel­ben Zeit­raum im Schnitt 16,32 Stun­den pro Tag. Somit muss fest­ge­stellt wer­den, dass das Kon­troll­rönt­gen zwar unent­behr­lich für die Über­prü­fung der Pelot­ten­plat­zie­rung ist, jedoch nicht als Grund­la­ge einer guten Ver­laufs­pro­gno­se die­nen kann, da es sich ledig­lich um eine Moment­auf­nah­me han­delt. mär­kor­rek­tur erreicht“ sehr kri­tisch zu betrach­ten ist, da durch ein Nicht­er­rei­chen die­ses Wer­tes Moti­va­ti­on und Com­pli­ance deut­lich nega­tiv beein­flusst wer­den können.

Betrach­tet man die ein­zel­nen Pati­en­ten in Bezug auf die erziel­te Pri­mär­kor­rek­tur in Bezug zur Tra­ge­zeit, zeigt sich, dass kei­ne direk­te Ver­bin­dung zwi­schen Tra­ge­zeit und Pri­mär­kor­rek­tur her­ge­stellt wer­den konn­te. Jene Pati­en­ten mit der bes­ten Pri­mär­kor­rek­tur tru­gen das Kor­sett zum Zeit­punkt des Kon­troll­rönt­gen­bil­des nur durch­schnitt­lich 3,27 Stun­den pro Tag; die Pati­en­tin mit der gerings­ten Kor­rek­tur erreich­te im sel­ben Zeit­raum im Schnitt 16,32 Stun­den pro Tag. Somit muss fest­ge­stellt wer­den, dass das Kon­troll­rönt­gen zwar unent­behr­lich für die Über­prü­fung der Pelot­ten­plat­zie­rung ist, jedoch nicht als Grund­la­ge einer guten Ver­laufs­pro­gno­se die­nen kann, da es sich ledig­lich um eine Moment­auf­nah­me handelt.

Dero­ta­ti­on

Bei allen 144 Pati­en­ten wur­de im Rah­men der Ver­laufs­kon­trol­len ein best­mög­lich stan­dar­di­sier­ter Vor­beu­ge­test („Adam’s Test“) durch­ge­führt, um die Beein­flus­sung der Rota­ti­ons­kom­po­nen­te zu beur­tei­len. Dabei muss­ten die Pati­en­ten nach vor­ne gebeugt mit lose hän­gen­den Armen und gestreck­ten Bei­nen ste­hen; mit­tels eines Sco­lio­me­ters wur­de die Rota­ti­on hoch­tho­ra­kal, tho­ra­kal, tho­ra­ko­lum­bal und lum­bal gemes­sen. Die ange­führ­ten Wer­te stel­len jeweils das Mit­tel aus drei Mes­sun­gen dar. Da die Rota­ti­on der Wir­bel­säu­le maß­geb­lich für Tail­len­asym­me­trie, Len­den­wulst, Tho­rax­pa­ket und Schul­ter­hoch­stand ver­ant­wort­lich ist, stellt eine Reduk­ti­on – spe­zi­ell bei den weib­li­chen Sko­lio­se­pa­ti­en­ten – einen enor­men Moti­va­ti­ons­fak­tor für die Kor­sett­the­ra­pie dar, da auf die­se Wei­se-Optik und Kör­per­sil­hou­et­te deut­lich ver­bes­sert wer­den kön­nen. Es hat sich gezeigt, dass in Bezug auf die Dero­ta­ti­on die Tra­ge­zeit eine ele­men­ta­re Kom­po­nen­te dar­stellt (Abb. 8) – je höher die Kor­sett­tra­ge­zeit, des­to bes­ser die Dero­tie­rung der Wir­bel­säu­le ohne Kor­sett. Zu Beginn lag die Rota­ti­on im tho­ra­ka­len Seg­ment über alle Grup­pen hin­weg im Durch­schnitt bei 7,28°, im lum­ba­len Seg­ment bei 3,87°. Nach drei­mo­na­ti­ger Tra­ge­zeit wur­den die Aus­gangs­wer­te mit den Ist­wer­ten ver­gli­chen: Bei einer Tra­ge­zeit von unter 8 Stun­den am Tag konn­ten die­se Wer­te nur um 2,9 % tho­ra­kal und um 25,5 % lum­bal ver­bes­sert wer­den. Bei einer Tra­ge­zeit von 12 Stun­den am Tag betrug die Ver­bes­se­rung bereits 26,5 % bzw. 29,8 %. Bei einer Tra­ge­zeit von über 16 Stun­den täg­lich betrug die Dero­ta­ti­on tho­ra­kal 39,8 % und lum­bal 33,7 %. Dies ist sta­tis­tisch (p = tho­ra­kal 1,185, lum­bal 1,043) als durch­aus signi­fi­kant zu wer­ten, aller­dings muss dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den, dass der phy­sisch durch­ge­führ­te Vor­beu­ge­test im Ver­gleich zu opto­elek­tro­ni­schen Mess­ge­rä­ten eine deut­lich höhe­re Schwan­kungs­brei­te auf­weist, wes­halb für künf­ti­ge Eva­lu­ie­run­gen das Ana­ly­se­ge­rät „Diers for­me­tric 4D“ ein­ge­setzt wer­den wird. Bei noch län­ge­ren Tra­ge­zei­ten flach­te die Ver­bes­se­rung deut­lich ab, was jedoch auf eine deut­lich höhe­re Aus­gangs­krüm­mung zurück­zu­füh­ren ist.

Tra­ge­zeit

Die Eltern von 46 Pati­en­ten unter­zeich­ne­ten bei der Erst­an­mel­dung das Auf­nah­me­for­mu­lar, ohne sich die­ses im Detail durch­zu­le­sen. So war es nach Rück­spra­che mit einem Juris­ten mög­lich, die­sen Pati­en­ten ohne ihr anfäng­li­ches Wis­sen im Rah­men einer Feld­stu­die einen Orthot­imer® ins RSC-Brace® ein­zu­set­zen. Alle Pati­en­ten hat­ten die Vor­ga­be, das Kor­sett 18 Stun­den pro Tag zu tra­gen. Drei Wochen nach der Kor­set­t­an­pas­sung wur­de der Chip dann erst­ma­lig aus­ge­le­sen und Pati­en­ten und Eltern über des­sen Funk­ti­on infor­miert – durch­weg mit sehr posi­ti­ver Reso­nanz, spe­zi­ell der Eltern. Es zeig­te sich, dass die durch­schnitt­li­che Tra­ge­zeit, aus­ge­nom­men in der Ein­ge­wöh­nungs­pha­se, bei 11,49 Stun­den pro Tag lag – nur 15 Kor­sett­trä­ger erreich­ten die vor­ge­ge­be­nen 18 Stun­den (Abb.  9). Nach wei­te­ren 6 Wochen erfolg­te eine neu­er­li­che Aus­le­sung; die Tra­ge­zeit erhöh­te sich im Schnitt um 4,72 Stun­den pro Tag auf 16,21 Stun­den, was in etwa den Zah­len von Mil­ler 6 ent­spricht – 31 Pati­en­ten erfüll­ten oder über­tra­fen die Vor­ga­be von 18 Stun­den. Nach wei­te­ren 3 Mona­ten (6 Pati­en­ten wur­den zwi­schen­zeit­lich abge­schult) wur­de mit 18,41 Stun­den durch­schnitt­li­cher Tra­ge­zeit die Vor­ga­be sogar leicht über­schrit­ten. Im Ver­gleich zur ers­ten Aus­le­sung bedeu­tet dies im Schnitt eine Stei­ge­rung der Tra­ge­zeit um 6,92 Stun­den pro Tag.

Com­pli­ance

Im Rah­men der Detail­aus­wer­tung wur­de zusätz­lich zu den bereits beschrie­be­nen Para­me­tern gefil­tert, von wem die Pati­en­ten zuge­wie­sen wur­den, in wel­chem the­ra­peu­ti­schen Set­ting sie sich befan­den und wie sich die Eltern mit der Dia­gno­se und der Gesamt­si­tua­ti­on aus­ein­an­der­set­zen. Hier­bei hat sich gezeigt, dass jene Pati­en­ten, die von einem Sko­lio­se-Exper­ten oder einer Spe­zi­al­am­bu­lanz zuge­wie­sen wur­den, eine deut­lich höhe­re Com­pli­ance auf­wie­sen, was auf den Inhalt und die Art der Erstauf­klä­rung zurück­ge­führt wer­den kann. Eben­falls höher war die Com­pli­ance bei jenen Pati­en­ten, deren Behand­lungs­team über die Platt­form „Her­mes®“ ver­netzt war, sich regel­mä­ßig über den Ver­sor­gungs­ver­lauf aus­tausch­te und somit den Pati­en­ten ein ein­heit­li­ches Bild über den Ist-Stand ver­mit­teln konnte.

Beloh­nung statt Druck

Eine wich­ti­ge Rol­le bei der Sko­lio­se­ver­sor­gung kommt den Eltern zu – sind sie es ja, die ihre Kin­der moti­vie­ren sol­len, das Kor­sett zu tra­gen, und sie durch die­se schwie­ri­ge Zeit beglei­ten müs­sen. An die­ser Stel­le erge­ben sich durch den Orthot­imer® völ­lig neue Optio­nen, die jun­gen Pati­en­ten zu moti­vie­ren; zugleich ent­spannt sich bei einem adäqua­ten Ein­satz des Tra­ge­zeit­mo­ni­to­rings die Bezie­hung zwi­schen den Eltern und dem „Sko­lio­se­kind“. In der Ortho­ma­nu­fak­tur Grasl wird den gro­ßen und klei­nen Pati­en­ten sowie den Eltern von Beginn an mit auf den Weg gege­ben, den Orthot­imer® als Unter­stüt­zung zu ver­ste­hen. Die Eltern wer­den in die­sem Zusam­men­hang ange­hal­ten, nicht stän­dig Druck auf­zu­bau­en, was zu zusätz­li­chen Span­nun­gen inner­halb der Fami­lie füh­ren kann, son­dern mit den Kin­dern ein Beloh­nungs­sys­tem zu ver­ein­ba­ren: Ergibt das Aus­le­sen der Tra­ge­zeit im Rah­men der Nach­kon­trol­le, dass die ver­ein­bar­te Tra­ge­zeit erreicht wur­de, gibt es eine Beloh­nung, wird sie nicht erreicht, gilt es zu ermit­teln, war­um nicht; even­tu­ell wer­den dann die Tra­ge­zeit­kri­te­ri­en ange­passt. So wird Span­nung aus der Eltern-Kind-Bezie­hung genom­men, da die Eltern ihre Kin­der nicht stän­dig auf die Tra­ge­zeit hin­wei­sen müs­sen – was wie­der­um deut­lich zur Com­pli­ance-Stei­ge­rung beiträgt.

Fazit

Eine Imple­men­tie­rung des Orthot­imers® zum Tra­ge­zeit­mo­ni­to­ring in die Kor­sett­ver­sor­gung bei idio­pa­thi­scher Sko­lio­se kann – bei sinn­vol­lem Ein­satz und kor­rek­ter Erläu­te­rung – deut­lich zur Erhö­hung der Tra­ge­zeit und somit zu einem bes­se­ren The­ra­pie­er­geb­nis bei­tra­gen. Er stellt aber nur einen von meh­re­ren wich­ti­gen Fak­to­ren dar – ein rich­tig funk­tio­nie­ren­des Kor­sett vor­aus­ge­setzt. Eben­so wich­tig ist die Schaf­fung eines gut ver­netz­ten Ver­sor­gungs­um­fel­des und einer engen inter­dis­zi­pli­nä­ren Kom­mu­ni­ka­ti­on. Allem vor­an darf jedoch nie ver­ges­sen wer­den, dass mit Kin­dern und Jugend­li­chen Pati­en­ten ver­sorgt wer­den, die häu­fig inmit­ten der Puber­tät sind, sich also in einer meist kom­pli­zier­ten Ent­wick­lungs- und Lebens­pha­se befin­den. Daher ist es unab­ding­bar, ihnen zu ver­deut­li­chen, war­um das Kor­sett und eine mit­un­ter lan­ge Tra­ge­zeit not­wen­dig sind. Gleich­zei­tig ist aber auch Ver­ständ­nis für die Situa­ti­on und even­tu­el­le Unzu­frie­den­heit not­wen­dig. Daher ist es in Ein­zel­fäl­len durch­aus sinn­voll, zu Beginn der Ver­sor­gung auf eine maxi­ma­le Kor­rek­tur zuguns­ten einer bes­se­ren Com­pli­ance und erhöh­ten Tra­ge­zeit zu ver­zich­ten, somit zunächst einen „Ver­sor­gungs­kom­pro­miss“ ein­zu­ge­hen und den Kor­rek­tur­druck lang­sam und ste­tig im Rah­men der Nach­kon­trol­len zu erhöhen.

Für die Autoren:
Chris­ti­an Grasl M.Sc
Ortho­pä­die­tech­nik-Meis­ter
Mas­ter f. Neu­ro­or­tho­pä­die & DM
Grau­mann­gas­se 7/ Stg. A/ EG
1150 Wien
grasl@orthomanufaktur.at

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Grasl C., Serth T., Pospi­schill R., Riedl K., Farr S., Knahr M. Der Ein­fluss des Tra­ge­zeit­mo­ni­to­rings auf The­ra­pie­pla­nung und Com­pli­ance in der Kor­sett­ver­sor­gung bei idio­pa­thi­scher Sko­lio­se. Ortho­pä­die Tech­nik. 2019; 70 (9): 32–37
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