„Reha­The­se“ — Ganz­heit­li­ches Kon­zept zur Ent­wick­lung indi­vi­du­el­ler und adap­ti­ver Orthe­sen zur Gangrehabilitation

P. Czapka, F. Blab, U. Schneider
Aktiv gesteuerte Fußheberorthesen ermöglichen eine Therapie von Lähmungen nach einem Schlaganfall, die die Rehabilitation beschleunigt, sich in den Alltag des Betroffenen integrieren lässt und schnellstmöglich zu einem Leben in gewohntem Umfeld verhilft. Die Rehabilitationsorthese „RehaThese“ speichert mit Hilfe einer integrierten Federstruktur die Bewegungsenergie des Nutzers. Über ein Aktor-System kann die Federenergie in den entsprechenden Gangphasen sensorgesteuert wieder freigegeben und dadurch die Bewegung effektiv unterstützt werden. Die Sensorik dient dabei nicht nur zur Steuerung und Regelung der Aktorik – mit Hilfe der Sensoren lassen sich auch Veränderungen im Gangverhalten oder kritische Situationen identifizieren. Eine entsprechende Datenaufzeichnung ermöglicht die spätere Analyse des erfassten Zeitraums durch den Arzt oder Physiotherapeuten. Dadurch können die Effekte durchgeführter Therapiemaßnahmen evaluiert und die weitere Behandlung entsprechend optimal auf den Patienten abgestimmt werden.

Ein­lei­tung

Aktu­ell lei­den in Deutsch­land mehr als eine Mil­li­on Men­schen an den Fol­gen eines Schlag­an­falls 1. Ange­sichts des demo­gra­fi­schen Wan­dels ist in den kom­men­den Jah­ren mit einem Anstieg der Gesamt­zahl an Schlag­an­fäl­len zu rech­nen 2. Dabei wird bei vie­len Betrof­fe­nen die Selbst­stän­dig­keit im All­tag durch Fol­ge­schä­den ein­ge­schränkt. Ein Bei­spiel hier­für sind Bein­läh­mun­gen, die meist als Halb­sei­ten­läh­mung nach einem Schlag­an­fall auf­tre­ten. Abhän­gig von Ursa­chen und Schwe­re der Erkran­kung erfolgt bei schlag­an­fall­be­ding­ter Bein­läh­mung mög­lichst früh eine Bewe­gungs­the­ra­pie durch Phy­sio­the­ra­pie im Lie­gen, im Gehen (ggf. ent­las­tet auf dem Lauf­band) und zuneh­mend mit noch neu­ar­ti­gen motor­ge­stütz­ten Bewe­gungs­the­ra­pie­ver­fah­ren. Mit sol­chen Ver­fah­ren lässt sich die Trai­nings­in­ten­si­tät stei­gern und die Geh­fä­hig­keit mess­bar schnel­ler errei­chen 3. Die­se behand­lungs­in­ten­si­ven Ver­fah­ren sind aller­dings mit einem gro­ßen zeit­li­chen und mone­tä­ren Auf­wand ver­bun­den und stel­len daher eine gro­ße Belas­tung für den Pati­en­ten, sein per­sön­li­ches Umfeld sowie das Gesund­heits­sys­tem dar. Aus die­sem Grund ist ein Sys­tem anzu­stre­ben, das die Reha­bi­li­ta­ti­on beschleu­nigt und sich dabei in den All­tag inte­grie­ren lässt. Einen mög­li­chen Ansatz zur Lösung die­ser Pro­blem­ket­te stel­len motor­ge­stütz­te Orthe­sen dar, die mobi­le Übung und gleich­zei­tig gestütz­te Geh­fä­hig­keit gestat­ten. Aller­dings sind nach dem Stand der Tech­nik der­zeit auf dem Markt kei­ne prak­ti­ka­blen, d. h. leich­ten und all­tags­taug­li­chen Pro­duk­te erhält­lich, die dem Pati­en­ten hin­rei­chend Kom­fort und Sicher­heit ver­mit­teln und damit für eine geziel­te The­ra­pie­un­ter­stüt­zung geeig­net sind 4 5.

Pro­jekt RehaThese

Ziel des For­schungs­pro­jekts „Reha­The­se“ (2015–2018), das vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung (För­der­kenn­zei­chen 16SV7179) geför­dert wur­de, war die Ent­wick­lung eines ganz­heit­li­chen Kon­zepts zur Rea­li­sie­rung einer adap­ti­ven und indi­vi­dua­li­sier­ba­ren Orthe­se zur Gangre­ha­bi­li­ta­ti­on nach Schlag­an­fäl­len, die aktiv gesteu­ert wer­den kann. Beim Gehen spei­chert die Orthe­se Bewe­gungs­en­er­gie und kann die­se sen­sor­ge­steu­ert über die inte­grier­te Akto­rik wie­der frei­ge­ben, sodass sie in bestimm­ten Pha­sen den Gang unterstützt.

Hin­zu kam ein zwei­ter Aspekt: Die Telere­ha­bi­li­ta­ti­on ist ein wich­ti­ges Instru­ment, um bei gleich­zei­ti­gem Schwin­den von Infra­struk­tu­ren (Ärz­te, The­ra­peu­ten­dich­te) und Anwach­sen der Grup­pe der Betrof­fe­nen eine adäqua­te Betreu­ung sicher­zu­stel­len. Daher kann die inte­grier­te Sen­so­rik der „Reha­The­se“ zusätz­lich für ein soge­nann­tes Acti­vi­ty-Moni­to­ring von Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten genutzt wer­den, die die Orthe­se ver­wen­den, wobei aller­dings Aspek­te des Daten­schut­zes berück­sich­tigt wer­den müs­sen. Auf der Basis einer Ana­ly­se der wäh­rend der Nut­zung der Orthe­se ermit­tel­ten Bewe­gungs- und Belas­tungs­mus­ter las­sen sich auf die­se Wei­se The­ra­pien indi­vi­dua­li­sie­ren und die Daten dar­über hin­aus zur Sturz­er­ken­nung mit anschlie­ßen­der Alarm­aus­lö­sung nut­zen. Sen­sor­da­ten wie Last­wech­sel­zäh­lung, Zyklen­zahl pro Tag, Schritt­ge­schwin­dig­keit, Stol­per­in­zi­den­zen und ver­än­der­te Motor­last durch Mus­kel­to­nus­zu- oder ‑abnah­me kön­nen für das Acti­vi­ty-Moni­to­ring genutzt wer­den. Auf die­se Wei­se kann die Behand­lungs­in­ten­si­tät fall­ba­siert gesteu­ert und Sicher­heit und Lebens­qua­li­tät erheb­lich erhöht werden.

Metho­dik

Indi­vi­dua­li­sier­te Konstruktion

Die para­me­tri­sche Basis­kon­struk­ti­on der Orthe­se wird auf der Grund­la­ge indi­vi­du­el­ler, per­so­nen­spe­zi­fi­scher anthro­po­me­tri­scher sowie bio­me­cha­ni­scher Daten vor­ge­nom­men. Dazu wird sowohl die Kör­per­ober­flä­che der unte­ren Extre­mi­tä­ten zur Anpas­sung der Orthe­sen-Ober­flä­chen an den Kör­per her­an­ge­zo­gen (3D-Laser­mes­sung) als auch eine direk­te Bewe­gungs­er­fas­sung (Moti­on Cap­tu­re) mit Kraft­mes­sung (syn­chro­ne Kraft­mess­plat­ten­mes­sung) vor­ge­nom­men. Damit sind die Stand- und Gang­pha­sen inklu­si­ve des Abroll­vor­gangs des Fußes bis hin zum Absto­ßen der Zehen zuver­läs­sig iden­ti­fi­ziert. Aus die­sen Daten las­sen sich die pati­en­ten­in­di­vi­du­el­len Gelenk­punk­te inklu­si­ve der Kraft- und Momen­ten­vek­to­ren für unter­schied­li­che Bewe­gungs­zu­stän­de bestim­men. Zusam­men mit einem initia­len Design­vor­schlag wer­den die­se Daten zur Ent­wick­lung einer Platt­form zur wei­te­ren Her­stel­lung indi­vi­du­el­ler Orthe­sen genutzt.

Simu­la­ti­on zur indi­vi­dua­li­sier­ten Aus­le­gung des Gesamtsystems

Zur opti­ma­len Aus­le­gung der mit leich­ten Faser­ver­bund­ma­te­ria­li­en auf­zu­bau­en­den Orthe­se wer­den simu­la­ti­ons­ge­stütz­te Anpas­sun­gen durch­ge­führt. Die para­me­tri­sier­te CAD-Basis­kon­struk­ti­on der Orthe­se wird an die indi­vi­du­el­len anthro­po­me­tri­schen Daten des jewei­li­gen Nut­zers ange­passt und bil­det zusam­men mit einem initia­len Mate­ri­al­de­sign­vor­schlag die Grund­la­ge für ein pati­en­ten­spe­zi­fi­sches Simu­la­ti­ons­mo­dell der Orthe­se, das als vir­tu­el­ler Pro­to­typ dient. Mit Hil­fe einer dyna­mi­schen Fini­te-Ele­men­te-Simu­la­ti­on, getrie­ben durch im Bewe­gungs­la­bor erfass­te bio­me­cha­ni­sche Daten, wer­den die wäh­rend des Gehens mit der Orthe­se auf­tre­ten­den Ver­for­mun­gen und Belas­tun­gen berech­net. Dies ermög­licht es, ver­schie­de­ne Struk­tur- und Design­vor­schlä­ge bereits vor ihrer Rea­li­sie­rung zu simu­lie­ren und zu eva­lu­ie­ren und dadurch Ent­wick­lungs­zeit und ‑kos­ten deut­lich zu sen­ken. Auf die glei­che Wei­se wird die Aus­le­gung der Akto­rik durch Ein­bin­dung der Motor­funk­ti­on in das Simu­la­ti­ons­mo­dell sys­te­ma­tisch eingebunden.

Der Simu­la­ti­on folgt eine Vali­die­rung des model­lier­ten Orthe­sen­ver­hal­tens durch Ver­gleich von im Labor gemes­se­nen und mit der Simu­la­ti­on berech­ne­ten bio­me­cha­ni­schen Daten, dar­un­ter die Druck­ver­tei­lung zwi­schen Fuß und Orthe­se sowie die herr­schen­den Gelenk­kräf­te und ‑momen­te.

Gang­pha­sen-Iden­ti­fi­ka­ti­on und Aktivitätserfassung

Mit Hil­fe von Faser­ver­bund­ma­te­ria­li­en sol­len Feder­struk­tu­ren defi­nier­ter Stei­fig­keit bzw. Elas­ti­zi­tät ins Bau­teil inte­griert wer­den. Die Feder­struk­tu­ren der Orthe­se spei­chern die Bewe­gungs­en­er­gie in bestimm­ten Pha­sen des Gehens. Um die Bewe­gung ziel­ge­rich­tet zu unter­stüt­zen, wird eine Akto­rik ein­ge­setzt, wel­che die Feder­en­er­gie sen­sor­ge­steu­ert in den ent­spre­chen­den Gang­pha­sen genau zum rich­ti­gen Zeit­punkt defi­niert frei­gibt (Abb. 1). Dies wird mit einem inte­grier­ten Schließ­me­cha­nis­mus rea­li­siert, der die elas­tisch vor­ge­spann­ten Kom­po­sit­struk­tu­ren fest­hält und sie abhän­gig von der Gang­pha­se gezielt wie­der frei­gibt. Der Motor über­nimmt somit ledig­lich eine Arre­tie­rungs­funk­ti­on und kann des­halb kom­pakt und leicht aus­ge­führt sein, da er nicht das Gewicht des Pati­en­ten inklu­si­ve der resul­tie­ren­den Momen­te, son­dern nur die Feder­span­nung auf­neh­men muss. Auf die­se Wei­se lässt sich eine leich­te, minia­tu­ri­sier­te und ener­gie­ef­fi­zi­en­te Akto­rik mit ent­spre­chend klei­nem Ener­gie­spei­cher auf­bau­en. Es wer­den Druck­sen­so­ren in der Orthe­sen­soh­le und Dehn­mess­strei­fen an Feder­ele­men­ten in die Orthe­se inte­griert. Für Unter­su­chun­gen im Labor wird der Pro­to­typ zusätz­lich mit einem iner­tia­len Mess­sys­tem (IMU) aus­ge­stat­tet, das aus einer Kom­bi­na­ti­on aus einem 3‑achsigen Beschleu­ni­gungs­sen­sor und einem 3‑achsigen Gyro­skop besteht. Durch das Zusam­men­spiel ver­schie­de­ner Sen­sor­da­ten kann eine zuver­läs­si­ge Erken­nung der Gang­pha­sen im Pro­to­ty­pen-Sta­di­um erreicht werden.

Mecha­ni­sche Tes­tung der “Reha­The­se”

Für das Orthe­sen­sys­tem wer­den stüt­zen­de Struk­tu­ren zur Last­auf­nah­me mit ener­gie­spei­chern­den Feder­struk­tu­ren (einer „Dop­pel-C-Feder“) sowie hoch­fle­xi­blen Abschnit­ten zur Adap­ti­on an den mensch­li­chen Kör­per kom­bi­niert. Auf die­se Wei­se lässt sich durch eine sorg­fäl­tig gewähl­te Kom­bi­na­ti­on aus unter­schied­li­chem Faser­ma­te­ri­al und einem unter­schied­li­chen Lage­win­kel der Fasern einer­seits sowie der Art und dem Anteil der Harz­men­ge ande­rer­seits eine gro­ße Varia­ti­on der Elas­ti­zi­tät inner­halb eines Werk­stücks erzielen.

Auf­grund der vor­ge­se­he­nen Anwen­dung müs­sen Kon­zep­te ent­wi­ckelt wer­den, die eine hohe Zyklen­zahl, eine hin­rei­chen­de Dyna­mik und eine prä­zi­se Steue­rung sicher­stel­len. Der mecha­ni­sche Auf­bau inklu­si­ve Feder­sys­tem darf den Motor in kei­ner Betriebs­si­tua­ti­on über­las­ten. Dies muss in der gesam­ten Sys­tem­aus­le­gung inklu­si­ve der Faser­ver­bund­struk­tur berück­sich­tigt werden.

Mit Hil­fe einer modi­fi­zier­ten Pro­the­sen­prüf­ma­schi­ne (KS 2–07, Shore Wes­tern, Mon­ro­via, Kali­for­ni­en, USA), ange­lehnt an die Prüf­norm ISO 22675, wird das Ver­hal­ten ver­schie­de­ner Ent­wick­lungs­mus­ter eva­lu­iert (Abb. 2). Über ein künst­li­ches Fuß­mo­dell wird der Orthe­sen-Pro­to­typ auf­ge­nom­men. Anschlie­ßend wird der Prüf­ling über einen Hub­zy­lin­der in Kom­bi­na­ti­on mit einem schwenk­ba­ren Unter­grund mecha­nisch mit einer Spit­zen­last von 824 N und Win­keln zwi­schen ‑20° und +40° dyna­misch und sta­tisch belas­tet. Durch den Test­auf­bau kön­nen sowohl iso­lier­te Bewe­gun­gen (bei­spiels­wei­se initia­ler Fer­sen­kon­takt und Abstoß­be­we­gun­gen) als auch der voll­stän­di­ge Abroll­vor­gang der Stand­pha­se abge­bil­det wer­den. Die Stand­pha­sen­dau­er für den dyna­mi­schen Test beträgt 600 ms (Fre­quenz 1 Hz), was in etwa einer durch­schnitt­li­chen Stand­pha­sen­dau­er beim nor­ma­len, gesun­den Gehen entspricht.

Durch die mecha­ni­sche Tes­tung konn­te sowohl die Funk­ti­ons­wei­se von Sen­so­rik und Akto­rik basie­rend auf wie­der­hol­ba­ren Bewe­gun­gen getes­tet als auch eine Struk­tur­ana­ly­se­der Grenz- und Dau­er­lauf­fes­tig­keit durch­ge­führt wer­den. So konn­te das Ver­hal­ten der „Reha­The­se“ mit­tels Hoch­ge­schwin­dig­keits­ka­me­ra­auf­nah­men exakt ana­ly­siert und beur­teilt wer­den. Ziel des Ver­suchs war die Gene­rie­rung von Basis­da­ten zur Über­prü­fung der Gang­pha­sen­er­ken­nung durch DMS-Sen­so­ren der „Reha­The­se“. Durch den gleich­mä­ßi­gen Ablauf der simu­lier­ten Gang­be­we­gung an der Test­ma­schi­ne kann die Signal­qua­li­tät über einen län­ge­ren Zeit­raum über­prüft werden.

Ergeb­nis­se

Die Ergeb­nis­se des mecha­ni­schen Tests zeig­ten, dass beim Anhe­ben des Fußes (Ende der Stand­pha­se) die Fuß­he­ber­or­the­se den Test­fuß wie­der in die Neu­tral­stel­lung zurück­führt. Dadurch kann die Haupt­funk­tio­na­li­tät des Pro­to­typs veri­fi­ziert wer­den. Eine Ana­ly­se des Ver­fahr­we­ges zeig­te ein kon­stan­tes mecha­ni­sches Ver­hal­ten der Orthe­sen-Pro­to­ty­pen über den gesam­ten Mess­zeit­raum von rund 1.500 Zyklen.

Fer­ner zeig­ten die Ergeb­nis­se, dass die Signa­le der DMS-Sen­so­ren über den gesam­ten Test­zeit­raum eine hohe Repro­du­zier­bar­keit auf­wie­sen: Es war kei­ne Lang­zeit-Drift der Daten mit fort­lau­fen­der Mess­dau­er fest­zu­stel­len. Aus den Test­ergeb­nis­sen wur­den Vor­schlä­ge und Opti­mie­rungs­po­ten­zia­le abge­lei­tet, die beim Auf­bau der nächs­ten Pro­to­ty­pen mit­ein­be­zo­gen werden.

Bio­me­cha­ni­sche Tes­tung der “Reha­The­se”

Ein ers­ter Pro­ban­den­ver­such dien­te als Pilot­ver­such zur Funk­ti­ons­über­prü­fung der Sen­so­rik (Abb. 3). Die Erfas­sung der kine­ma­ti­schen Daten erfolg­te mit 14 IR-Kame­ras (Qua­li­sys QTM, Qua­li­sys AB, Göte­borg, Schwe­den) und einem Mar­ker­set­up mit pas­siv-reflek­tie­ren­den Mar­kern („LowerBody“-Marker-Set). Zusätz­lich wur­den die Bewe­gungs­da­ten der unte­ren Extre­mi­tä­ten mit dem Sys­tem „Xsens Awinda“ (Xsens Tech­no­lo­gies, Ensche­de, Nie­der­lan­de) auf­ge­zeich­net. Dies bie­tet die Mög­lich­keit, Roh­da­ten der IMU-Sen­so­ren mit den Sen­sor­da­ten des Orthe­sen-Pro­to­typs zur ver­glei­chen, was für die Algo­rith­men-Ent­wick­lung und zur Vali­die­rung der Sen­sor­da­ten genutzt wird. Die Boden­re­ak­ti­ons­kräf­te wur­den mit vier Kraft­mess­plat­ten erfasst (AMTI-Accu­Gait). Der Ver­such wur­de auf einer ebe­nen Gangstre­cke im Labor (maxi­ma­le Län­ge 12 m, Boden­be­lag Lino­dur) bei einem gesun­den Pro­ban­den mit nicht­pa­tho­lo­gi­schem Gang­bild durch­ge­führt. Der Pro­band trug dabei eine Unter­schen­kel­or­the­se und simu­lier­te ver­schie­de­ne Gang­mus­ter und Ein­schrän­kun­gen im Gang­bild (Geschwin­dig­keit, Hin­ken, Time­dup-and-go-Test). Die Daten wur­den mit der Bio­me­cha­nik-Soft­ware „Visual3D“ (C‑Motion, Ger­man­town, Mary­land, USA) zur Berech­nung der Gang­pha­sen-Para­me­ter, der Gelenk­win­kel und der Gelenk­mo­men­te der unte­ren Extre­mi­tä­ten ver­ar­bei­tet und exportiert.

Ergeb­nis­se

Durch die Ana­ly­se des DMS-Signals konn­ten ver­schie­de­ne Akti­vi­täts­zu­stän­de iden­ti­fi­ziert wer­den, bei­spiels­wei­se das Auf­ste­hen aus einer sit­zen­den Posi­ti­on (Abb. 4, roter Pfeil) sowie dar­auf­fol­gen­de Geh­schrit­te. Trotz der indi­vi­du­el­len Aus­prä­gung ist inner­halb jedes Test­durch­lau­fes ein wie­der­keh­ren­des Mus­ter mit ent­spre­chen­den Hoch- und Tief­punk­ten im Sen­sor­si­gnal der „Reha­The­se“ zu erken­nen. Zusam­men mit Infor­ma­tio­nen der Fuß­tas­ter an der Unter­sei­te der Orthe­se ist eine aus­rei­chen­de Daten­men­ge für die Ent­wick­lung von Algo­rith­men zur Mus­ter­er­ken­nung unter­schied­li­cher Bewe­gungs­zu­stän­de gege­ben. Zusätz­lich wur­den kli­ni­sche Daten von Pati­en­ten beim Pro­jekt­part­ner Schön Kli­nik Bad Aib­ling erho­ben. Dabei wur­de der Pro­to­typ im Sin­ne einer Funk­ti­ons- und Anwend­bar­keits­prü­fung an Pro­ban­den im Ein­zel­fall erprobt und die Ergeb­nis­se verglichen.

Fazit

Durch die hier vor­ge­stell­te For­schungs­ar­beit konn­te gezeigt wer­den, dass per­so­na­li­sier­te akti­ve Orthe­sen für die unte­re Extre­mi­tät sowohl zur indi­vi­du­el­len Gangre­ha­bi­li­ta­ti­on als auch für ein Pati­en­ten-Moni­to­ring genutzt wer­den kön­nen. Dabei wur­de ein ganz­heit­li­ches Orthe­sen­kon­zept für eine neu­ar­ti­ge Fuß­he­ber­or­the­se ent­wi­ckelt, das eine Steue­rung der Ener­gie­frei­ga­be pas­si­ver CFK-Struk­tu­ren im Gang­zy­klus und zugleich eine Daten­ana­ly­se für The­ra­peut und Pati­ent ermög­licht. Die Grund­la­gen­ent­wick­lung der „Reha­The­se“ ist inzwi­schen abge­schlos­sen. In Teil­be­rei­chen wie z. B. der Sen­so­rik und der Algo­rith­men zur Gang­pha­sen-Erken­nung konn­te die Funk­tio­na­li­tät bei einer grö­ße­ren Pro­ban­den­an­zahl noch nicht getes­tet wer­den. Hier sind bei einer Wei­ter­füh­rung des Pro­jek­tes noch Arbei­ten zu leis­ten, um Wirk­sam­keit und Sicher­heit der „Reha­The­se“ in einer grö­ße­ren kli­ni­schen Stu­die zu über­prü­fen. Unter ande­rem muss das Gewicht des Gesamt­sys­tems redu­ziert wer­den, um den Pro­to­ty­pen­sta­tus in ein markt­rei­fes Pro­dukt zu überführen.

Fer­ner kann der ganz­heit­li­che Kon­zept­an­satz einer per­so­na­li­sier­ba­ren Orthe­se und die erar­bei­te­ten Pro­zes­se als Basis für die wei­te­re For­schung und Ent­wick­lung am Kör­per getra­ge­ner Sys­te­me wie bei­spiels­wei­se Orthe­sen, Pro­the­sen und Exo­ske­let­te im wis­sen­schaft­li­chen Rah­men genutzt wer­den (Abb. 5). Basie­rend auf pati­en­ten­spe­zi­fi­schen bio­me­cha­ni­schen und anthro­po­mor­phen Daten wird dazu zunächst ein para­me­tri­sches Grund­mo­dell in CAD ent­wi­ckelt. Mit­tels FEM-Simu­la­ti­on kön­nen sodann ver­schie­de­ne Kon­zep­te vor der Fer­ti­gung von Pro­to­ty­pen eva­lu­iert wer­den. Anschlie­ßend wer­den Pro­to­ty­pen auf der Grund­la­ge expe­ri­men­tel­ler Unter­su­chun­gen (mecha­ni­sche und bio­me­cha­ni­sche Tes­tung) in ite­ra­ti­ven Schrit­ten opti­miert. Die simu­la­ti­ons­ge­stütz­te Eva­lua­ti­on kann Teil der per­so­na­li­sier­ten Pro­dukt­her­stel­lung sein; die maschi­nel­le Tes­tung jedoch wird nicht bei jedem ein­zel­nen Pro­dukt statt­fin­den. Vor­aus­set­zung dafür ist eine aus­rei­chen­de expe­ri­men­tel­le Daten­grund­la­ge aus mecha­ni­scher und bio­me­cha­ni­scher Tes­tung, sodass die Eva­lua­ti­on über digi­ta­le Pro­zes­se abge­bil­det wer­den kann. Für die fina­le Pro­duk­ti­ons­platt­form zur Her­stel­lung indi­vi­du­el­ler Orthe­sen muss ein simu­la­ti­ons­ge­stütz­ter Pro­zess eta­bliert werden.

Hin­weis

Das hier vor­ge­stell­te For­schungs- und Ent­wick­lungs­pro­jekt wur­de mit Mit­teln des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Bil­dung und For­schung (För­der­kenn­zei­chen 16SV7179) geför­dert und vom Pro­jekt­trä­ger VDI/VDE Inno­va­ti­on + Tech­nik GmbH betreut. Pro­jekt­part­ner waren die Schön Kli­nik Bad Aib­ling GmbH & Co. KG (Prien am Chiem­see), die TRINAMIC Moti­on Con­trol GmbH & Co. KG (Ham­burg), die Tel­lur Gesell­schaft für Tele­kom­mu­ni­ka­ti­on mbH (Stutt­gart) sowie die Car­bo­Fi­bre­tec GmbH (Fried­richs­ha­fen).

Für die Autoren:
Phil­ip Czap­ka M. Sc.
Wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter und Projektleiter
Fraun­ho­fer IPA, Abt. Bio­me­cha­tro­ni­sche Systeme
Nobel­str. 12
70569 Stutt­gart
philip.czapka@ipa.fraunhofer.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zitation 
Czap­ka P, Blab F, Schnei­der U. Ganz­heit­li­ches Kon­zept zur Ent­wick­lung indi­vi­du­el­ler und adap­ti­ver Orthe­sen zur Gangrehabilitation-„RehaThese“. Ortho­pä­die Tech­nik, 2020; 71 (4): S. 53 — 56 
  1. Robert Koch-Insti­tut (Hrsg.). Gesund­heit in Deutsch­land (Gesund­heits­be­richt­erstat­tung des Bun­des). Ber­lin: Robert Koch-Insti­tut, 2006. http://www.gbe-bund.de/pdf/GESBER2006.pdf (Zugriff am 12.03.2020)
  2. Robert Koch-Insti­tut (Hrsg.). Daten und Fak­ten: Ergeb­nis­se der Stu­die „Gesund­heit in Deutsch­land aktu­ell 2010“. Ber­lin: Robert Koch-Insti­tut, 2012. https://edoc.rki.de/handle/176904/3237 (Zugriff am 12.03.2020)
  3. Wer­ner C, Pohl M, Holz­grae­fe M, Kro­c­zek G, Mehr­holz J, Win­gen­dorf I, Hölig G, Koch R, Hes­se S. Loko­mo­ti­ons­the­ra­pie des aku­ten Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten: Ergeb­nis­se der mul­ti­zen­tri­schen Deut­schen Gang­trai­ner Stu­die (DEGAS). Neu­ro­lo­gie & Reha­bi­li­ta­ti­on, 2006; 12 (5): 262–269
  4. Blab F. Reha­The­se: For­schungs­an­satz für die Ent­wick­lung per­so­na­li­sier­ter und anpass­ba­rer Orthe­sen für die unte­ren Extre­mi­tä­ten. Kon­gress­vor­trag OTWorld, Leip­zig, 2018
  5. Blab F, Star­ker F, Czap­ka P, Rog­ge T. KMU-inno­va­tiv – Ver­bund­pro­jekt: „Reha­The­se“: Abschluss­be­richt 2018, FK: 16SV7179. https://doi.org/10.2314/KXP:1667308645 (Zugriff am 28.02.2020)
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