Das Gang­bild von Men­schen mit Ober­schen­kel­am­pu­ta­ti­on: eine Unter­su­chung zur Gang­ana­ly­se unter Ver­wen­dung Vir­tu­el­ler Realität

D.-C. Fischer, F. Feldhege, M. Matthis, F. Adler, C. Eißner, Th. Mittlmeier
Das interaktive Ganglabor GRAIL (Gait Real-time Analysis Interactive Lab; Motekforce Link, Amsterdam) besteht aus einem voll instrumentierten Laufband in Kombination mit immersiver Virtueller Realität („virtual reality“; VR). Es bietet vielfältige Optionen zur standardisierten Ganganalyse sowie zur Gangschulung und ist auch zur Untersuchung oberschenkelamputierter Menschen geeignet, da die Probanden mit einem Gurtsystem gegen Stürze gesichert sind. Die Autoren setzen GRAIL im Rahmen einer klinischen Studie ein, um neue Erkenntnisse über den Gang und die bipedale Fortbewegung dieser speziellen Probandengruppe zu gewinnen. Dieses Wissen ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Gehfähigkeiten der Probanden sowie die Leistungsfähigkeit der genutzten Beinprothese objektiv beurteilen zu können. Um die Auswirkungen mutmaßlicher Störfaktoren (z. B. Komorbiditäten, Alter oder Amputationshöhe) zu kontrollieren, muss eine möglichst große Zahl von Probanden untersucht werden. Der Beitrag stellt das Design und vorläufige Ergebnisse der Studie vor.

Ein­lei­tung

Eine Ober­schen­kel­am­pu­ta­ti­on betrifft über­pro­por­tio­nal häu­fig älte­re Men­schen und ist in 80 bis 90 % der Fäl­le Fol­ge einer peri­phe­ren arte­ri­el­len Ver­schluss­krank­heit (pAVK; häu­fig auf­grund eines Dia­be­tes mel­li­tus), einer ter­mi­na­len Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz, eines Hyper­to­nus und/oder einer Adi­po­si­tas. Sehr viel sel­te­ner füh­ren Trau­ma­ta, Tumo­ren oder auch Infek­tio­nen zum Ver­lust der unte­ren Extre­mi­tät 1 2 3 4. Je nach kör­per­li­cher Leis­tungs­fä­hig­keit und per­sön­li­chem Lebens­um­feld ist die Ver­sor­gung mit einer Pro­the­se Vor­aus­set­zung für den Erhalt der Selbst­stän­dig­keit und die Teil­ha­be am pri­va­ten, beruf­li­chen, sozia­len und kul­tu­rel­len Leben. Pro­the­sen in Leicht­bau­wei­se und/oder mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Gelen­ke mit Unter­stüt­zung in der Schwun­gund der Stand­pha­se zur Sta­bi­li­sie­rung bei unebe­nem Gelän­de oder bei der Benut­zung von Trep­pen kön­nen zu län­ge­ren Tra­ge­zei­ten und grö­ße­rer Selbst­stän­dig­keit füh­ren, sofern der Betrof­fe­ne moti­viert ist, den Umgang mit der Pro­the­se und sei­ne Geh­fä­hig­kei­ten aktiv zu trai­nie­ren und gleich­zei­tig Fehl­be­las­tun­gen auf der erhal­te­nen Sei­te zu ver­mei­den 5. Letz­te­re kön­nen zu Rücken­schmer­zen, Arthro­se und Osteo­po­ro­se füh­ren und erhö­hen das Risi­ko von Stür­zen 6 7 8 9 10.

Anzei­ge

Stan­dar­di­sier­te Gang­ana­ly­sen sind unab­ding­bar, um eine gewähl­te Ver­sor­gung objek­tiv zu bewer­ten und in der Fol­ge auch zwi­schen sub­jek­ti­ven („gefühl­ten“) und objek­ti­ven Ver­bes­se­run­gen zu dif­fe­ren­zie­ren. Letz­te­re kön­nen sowohl Fol­ge the­ra­peu­ti­scher (Physio‑, Sport- und Ergo­the­ra­pie, psy­cho­lo­gi­sche Beglei­tung) als auch ortho­pä­die­tech­ni­scher Inter­ven­tio­nen (Ver­än­de­rung und Opti­mie­rung von Schaft, Auf­bau und/oder Pro­the­sen­pass­tei­len) sein. Das impli­ziert zugleich die Unter­su­chung hin­rei­chend vie­ler Pro­ban­den, um mög­li­che Stör­grö­ßen (Kom­or­bi­di­tä­ten, Alter, Ampu­ta­ti­ons­hö­he und ‑grund, Ver­sor­gungs­form etc.) zu berück­sich­ti­gen und eine soli­de Daten­ba­sis für wei­ter­ge­hen­de Aus­sa­gen zu generieren.

Gang­schu­le und Gang­ana­ly­se – der Ein­satz Vir­tu­el­ler Realität

Die Ansprü­che an eine Gang­schu­le sind rela­tiv gut defi­niert; die Übun­gen wer­den mit und ohne Hilfs­mit­tel durch­ge­führt und adres­sie­ren Kraft, Gleich­ge­wicht, Stumpf­wahr­neh­mung und das Gehen mit der Pro­the­se (Sta­bi­li­tät, Pro­the­sen­kon­trol­le), wobei häu­fig Wert auf ein sym­me­tri­sches Gang­bild gelegt wird 11. Einer­seits kann ein deut­li­ches Hin­ken zu Stig­ma­ti­sie­rung und unge­woll­ter Auf­merk­sam­keit bei der Bewe­gung im öffent­li­chen Raum füh­ren, ande­rer­seits ist es aber gege­be­nen­falls funk­tio­nell rele­vant, da es die Sta­bi­li­tät in den Dop­pel­stand­pha­sen erhöht 12 13.

Je nach Fra­ge­stel­lung reicht der Auf­wand für die Beur­tei­lung der bipe­da­len Loko­mo­ti­on von „ein­fa­chen“ kli­ni­schen Tests (10-Meter-Geh­test, Timed-up-and-go-Test) und Fra­ge­bö­gen (Selbst- und Fremd­be­ur­tei­lung) über die Ermitt­lung spa­tio-tem­po­ra­ler (räum­lich-zeit­li­cher) Kenn­grö­ßen auf instru­men­tier­ten Lauf­stre­cken oder Lauf­bän­dern bis hin zur Ver­wen­dung hoch­auf­lö­sen­der 3D-Kame­ras und reflek­tie­ren­der Mar­ker, um die Posi­ti­on des gesam­ten Kör­pers bzw. inter­es­sie­ren­der Seg­men­te wäh­rend des Gang­zy­klus kon­ti­nu­ier­lich auf­zu­zeich­nen („moti­on track­ing“). Jedoch wird dem Pro­ban­den – unab­hän­gig davon, ob er ein Lauf­band oder eine instru­men­tier­te Test­stre­cke nutzt – immer bewusst sein, dass er sich in einer Test- und Unter­su­chungs­si­tua­ti­on befin­det; die­ses Wis­sen kann bereits zu Abwei­chun­gen vom „all­täg­li­chen“ Gang­bild füh­ren 14. Zudem gibt es Hin­wei­se, dass das Gehen auf dem Lauf­band nicht nur einer Gewöh­nung bedarf, son­dern auch deut­lich mehr Ener­gie als das Gehen auf dem Boden erfor­dert 15.

Im inter­ak­ti­ven Gang­la­bor GRAIL (Gait Real-time Ana­ly­sis Inter­ac­ti­ve Lab; Motek­force Link, Ams­ter­dam) sind immersi­ve Vir­tu­el­le Rea­li­tät und viel­fäl­ti­ge Optio­nen zur Gang­ana­ly­se kom­bi­niert: Zwei instru­men­tier­te und getrennt ansprech­ba­re Lauf­bän­der, ein 3D-Moti­on-Track­ing und optio­nal auch die Inte­gra­ti­on einer Ober­flä­chen-Elek­tro­m­yo­gra­phie erlau­ben eine umfas­sen­de Gang­ana­ly­se (Abb. 1). Zur Erzeu­gung der vir­tu­el­len Umge­bung wer­den Bil­der natür­li­cher (Wald, Stadt) oder arti­fi­zi­el­ler Umge­bun­gen mit einer mit der Lauf­band­ge­schwin­dig­keit syn­chro­ni­sier­ten Fre­quenz auf einen gro­ßen halb­zy­lin­dri­schen Bild­schirm pro­ji­ziert. Adäquat kon­fi­gu­rier­te Laut­spre­cher unter­stüt­zen die Sin­nes­täu­schung und das Ein­tau­chen („Immersi­on“) in die Vir­tu­el­le Rea­li­tät. Wäh­rend der Unter­su­chung am GRAIL ist der Pro­band mit einem Gurt­sys­tem gegen Stür­ze gesi­chert. Geschwin­dig­keit, Nei­gung sowie Seit­wärts­be­we­gung der Lauf­bän­der kön­nen unab­hän­gig und für den Pro­ban­den schein­bar zufäl­lig vari­iert wer­den, um all­täg­li­che Situa­tio­nen beim Gehen in öffent­li­chen Räu­men (unvor­her­ge­se­he­ne Hin­der­nis­se, Stol­pern etc.) ohne rea­le Sturz­ge­fahr zu simu­lie­ren. Ähn­lich wie das bereits seit Län­ge­rem am Markt ver­füg­ba­re Gang­ana­ly­se­sys­tem ­CAREN (Com­pu­ter Assis­ted Reha­bi­li­ta­ti­on Envi­ron­ment; Motek­force Link, Ams­ter­dam) wur­de auch GRAIL bis­her über­wie­gend bei Pati­en­ten mit neu­ro­lo­gi­schen bzw. neu­ro­mus­ku­lä­ren Erkran­kun­gen (z.  B. Schlag­an­fall, Mor­bus Par­kin­son, Mul­ti­ple Skle­ro­se, Zere­bral­pa­re­se) oder nach endo­pro­the­ti­schem Ersatz von Knie- oder Hüft­ge­lenk ein­ge­setzt, ist aber für Men­schen mit trans­fe­mo­ra­ler oder trans­ti­bia­ler Ampu­ta­ti­on eben­so geeig­net 16 17 18 19.

In einer kon­trol­lier­ten pro­spek­ti­ven Stu­die set­zen die Autoren das Gang­la­bor GRAIL ein, um bei Men­schen mit einer trans­fe­mo­ra­len Ampu­ta­ti­on, die seit min­des­tens einem hal­ben Jahr regel­mä­ßig eine Exo­pro­the­se nut­zen, eine stan­dar­di­sier­te Gang­ana­ly­se durch­zu­füh­ren. Par­al­lel wer­den auch Pro­ban­den ohne Ampu­ta­ti­on ein­ge­schlos­sen, um Kenn­grö­ßen für ein phy­sio­lo­gi­sches („nor­ma­les“) Gang­bild zu erarbeiten.

Stu­di­en­de­sign

Die Stu­die wur­de der Ethik­kom­mis­si­on ange­zeigt (Geschäfts­zei­chen A  2018–0065). Fly­er und Pla­ka­te dien­ten dazu, bei loka­len Sani­täts­häu­sern bzw. bei Ortho­pä­die­tech­ni­kern sowie den Kli­ni­ken der Umge­bung auf die Stu­die hin­zu­wei­sen. Wei­ter­hin wur­de die Stu­die wäh­rend des „3. Endo-Exo­Pa­ti­en­ten­tref­fens“ (13./14. Juni 2019 in Ber­lin) vor­ge­stellt. Pro­ban­den ohne Ampu­ta­ti­on und trans­fe­mo­ral ampu­tier­te Pro­ban­den kön­nen an der Stu­die teil­neh­men, wenn sie min­des­tens 18 Jah­re alt sind und nach aus­führ­li­cher Infor­ma­ti­on über die geplan­ten Unter­su­chun­gen schrift­lich in die Teil­nah­me ein­wil­li­gen. Die Teil­neh­mer sol­len seit min­des­tens 6 Mona­ten regel­mä­ßig eine Exo­pro­the­se nut­zen. Pro­ban­den mit ein­ge­schränk­ter geis­ti­ger oder kör­per­li­cher Leis­tungs­fä­hig­keit sind von der Teil­nah­me ausgeschlossen.

Die Unter­su­chun­gen im Rah­men der Stu­die umfas­sen eine aus­führ­li­che Ana­mne­se inklu­si­ve der Erfas­sung von Begleit­erkran­kun­gen und aktu­el­ler Medi­ka­ti­on sowie der kogni­ti­ven Fähig­kei­ten (Mini-Men­tal­Sta­tus-Test, PHQ‑9), die Ermitt­lung des Mobi­li­täts­gra­des 20 und die Ermitt­lung der Reak­ti­ons­ge­schwin­dig­keit auf visu­el­le Rei­ze. Wei­ter­hin erfolgt eine stan­dar­di­sier­te Erfas­sung der Leis­tungs­fä­hig­keit durch eta­blier­te Test­ver­fah­ren und Fra­ge­bö­gen (­Tinet­ti-Test, Ampu­tee Mobi­li­ty Pre­dic­tor Assess­ment Tool, bei21 22 23 24 zur Selbst- und Fremd­ein­schät­zung der aktu­el­len Situa­ti­on. Fra­ge­bö­gen und Tests wer­den so kom­bi­niert, dass Dop­pel­er­he­bun­gen bzw. Dop­pel­un­ter­su­chun­gen ver­mie­den werden.

Die Fami­lia­ri­sie­rung (1. Ter­min) und die anschlie­ßen­den Unter­su­chun­gen am GRAIL (2 Ter­mi­ne) erfol­gen nach indi­vi­du­el­ler Ver­ein­ba­rung an zwei ver­schie­de­nen Tagen. Zu den Unter­su­chungs­ter­mi­nen wer­den wie­der­ver­wend­ba­re reflek­tie­ren­de Mar­ker mit beid­sei­ti­gem Kle­be­band an ana­to­misch defi­nier­ten Land­mar­ken (Abb. 1b) fixiert. Die Gang­ana­ly­sen erfol­gen bei der indi­vi­du­el­len Kom­fort­ge­schwin­dig­keit wäh­rend des Gehens in der Ebe­ne, bei 5° auf- bzw. abwärts geneig­tem Lauf­band und abschlie­ßend erneut bei neu­tra­ler Ein­stel­lung des Lauf­ban­des. Bei allen Unter­su­chungs­be­din­gun­gen wer­den die Kom­fort­ge­schwin­dig­kei­ten vor Beginn der Daten­er­he­bung ermit­telt und regis­triert. In wei­te­ren Teil­un­ter­su­chun­gen wer­den Stö­run­gen durch die Pro­jek­ti­on von Hin­der­nis­sen auf das Lauf­band sowie durch plötz­li­che Aus­len­kun­gen (Nei­gung nach vor­ne, seit­li­che Ver­schie­bung der Lauf­bän­der) oder durch eine Ver­än­de­rung der Geschwin­dig­keit eines der bei­den Lauf­bän­der induziert.

Ers­te Ergebnisse

Seit Beginn der Rekru­tie­rung im Spät­som­mer 2018 konn­ten bis zum Sep­tem­ber 2019 ins­ge­samt 18 mit einer Schaft­pro­the­se ver­sorg­te Pro­ban­den (3 weiblich/15 männ­lich) und 17 Pro­ban­den ohne Ampu­ta­ti­on (Kon­troll­grup­pe; 6 weiblich/11 männ­lich) ein­ge­schlos­sen wer­den. Ursa­chen der jewei­li­gen Ampu­ta­ti­on waren Trau­ma (n = 8), pAVK (n = 6), Infek­tio­nen (n = 3) und eine Tumor­er­kran­kung (n = 1). Der media­ne Mobi­li­täts­grad lag bei 4 (min–max: 2–4); rele­van­te anthro­po­me­tri­sche Kenn­grö­ßen sind in Tabel­le 1 zusam­men­ge­fasst. In Abbil­dung 2 sind die spa­tio-tem­po­ra­len Befun­de für Pro­ban­den mit Ampu­ta­ti­on (a) und Kon­troll­grup­pe (b) in Abhän­gig­keit von den Ein­stel­lun­gen des Lauf­ban­des dar­ge­stellt. Ein voll­kom­men sym­me­tri­sches Gang­bild impli­ziert, dass die Wer­te aller in Abbil­dung 2 dar­ge­stell­ten Para­me­ter für bei­de Bei­ne iden­tisch sind und dass alle Wer­te­paa­re auf einer Ursprungs­ge­ra­den lie­gen. Abwei­chun­gen zwi­schen den Wer­ten für Abszis­se (lin­kes bzw. Pro­the­sen­bein) und Ordi­na­te (rech­tes bzw. gesun­des Bein) füh­ren zu Abwei­chun­gen von der Ursprungs­ge­ra­den. Bei den Pati­en­ten (Abb. 2a) sind sol­che Abwei­chun­gen beson­ders deut­lich bei auf­wärts gerich­te­tem Lauf­band (5 % Stei­gung) zu erken­nen. Auch die Schritt­län­ge der Pati­en­ten ist deut­lich unre­gel­mä­ßi­ger als bei der Kon­troll­grup­pe. Die Dar­stel­lung der dyna­mi­schen Kenn­grö­ßen (Gelenk­win­kel, Momen­te) ist Gegen­stand einer geplan­ten Publikation.

Dis­kus­si­on

Im Mit­tel­punkt die­ser Arbeit ste­hen spa­tio-tem­po­ra­le Para­me­ter, die bei bis­lang 35 Pro­ban­den (18 mit Ampu­ta­ti­on, 17 aus der Kon­troll­grup­pe) unter den Bedin­gun­gen „Gehen in der Ebe­ne“ sowie „Gehen auf einer um ± 5° geneig­ten Ober­flä­che“ bei selbst­ge­wähl­ter Kom­fort­ge­schwin­dig­keit zu zwei kon­se­ku­ti­ven Ter­mi­nen erho­ben wur­den. Es hat sich gezeigt, dass Schwung- und Dop­pel­stand­pha­sen eben­so wie die Schritt­län­ge bei trans­fe­mo­ral ampu­tier­ten Pro­ban­den deut­lich unre­gel­mä­ßi­ger sind als bei Pro­ban­den ohne Ampu­ta­ti­on und dass die­se Abwei­chun­gen durch die Nei­gung des Lauf­ban­des ten­den­zi­ell ver­stärkt wer­den. Auf­grund der rela­tiv klei­nen Daten­ba­sis las­sen sich zum jet­zi­gen Zeit­punkt jedoch noch kei­ne vali­den Rück­schlüs­se auf die Ursa­che für die deut­lich erkenn­ba­ren Abwei­chun­gen zwi­schen dem Schritt mit dem Pro­the­sen­bein und dem erhal­te­nen Bein ziehen.

Das Stu­di­en­pro­to­koll sieht neben einem Ter­min zur Fami­lia­ri­sie­rung (zwi­schen 20 und 30 Minu­ten) mit dem GRAIL zwei wei­te­re Ter­mi­ne für die Daten­er­he­bung vor. Ziel des ers­ten Ter­mins ist es, dass die Pro­ban­den sich mit dem GRAIL und der unbe­kann­ten Umge­bung bzw. Situa­ti­on ver­traut machen. Neben der Nut­zung als „High­tech-Lauf­band“ wer­den bei allen Ter­mi­nen die Mög­lich­kei­ten zum Trai­ning von Balan­ce und Koor­di­na­ti­on durch die Inte­gra­ti­on Vir­tu­el­ler Rea­li­tät demons­triert. Dabei reicht die Palet­te von einem vir­tu­el­len Boot, das durch Gewichts­ver­la­ge­rung durch eine vir­tu­el­le Sla­lom­stre­cke gesteu­ert wer­den muss, über das Aus­wei­chen vor her­an­flie­gen­den vir­tu­el­len Vögeln oder die Simu­la­ti­on von Hin­der­nis­sen bis hin zu rea­len Stö­run­gen durch exter­ne Mani­pu­la­ti­on des Lauf­ban­des. Die wäh­rend die­ser Übun­gen auf­ge­zeich­ne­ten Daten sind – eben­so wie die kine­ti­schen und kine­ma­ti­schen Daten – Gegen­stand ande­rer Publi­ka­tio­nen. Die Erfah­rungs­be­rich­te der bis­lang unter­such­ten Pro­ban­den deu­ten dar­auf hin, dass auch anfäng­lich unsi­che­re oder gar ängst­li­che Pro­ban­den von den Gleich­ge­wichts­übun­gen und der Anpas­sung der Schritt­län­ge vor vir­tu­el­len Hin­der­nis­sen im All­tag pro­fi­tie­ren – selbst wenn man bei drei Ter­mi­nen kaum von einem „Trai­ning“ spre­chen kann.

Obwohl die bipe­da­le Fort­be­we­gung eine zutiefst ana­lo­ge Bewe­gung fern­ab jed­we­der Digi­ta­li­sie­rung ist, kann die Ein­bin­dung Vir­tu­el­ler Rea­li­tät für Gang­schu­le und Gang­ana­ly­se glei­cher­ma­ßen hilf­reich sein: Die Effek­te rei­chen von der Bereit­stel­lung einer ange­neh­men und damit moti­vie­ren­den Umge­bung jen­seits der oft­mals ste­ri­len Turn­hal­len­at­mo­sphä­re bis hin zur direk­ten Rück­mel­dung über even­tu­el­le Fehl­be­las­tun­gen und Asym­me­trien (Bio­feed­back).

Die aktu­el­le AWMF-Leit­li­nie zur Reha­bi­li­ta­ti­on nach Majo­ram­pu­ta­ti­on an der unte­ren Extre­mi­tät 25 ent­hält Vor­ga­ben zur Reha­bi­li­ta­ti­on und macht deut­lich, dass eine stan­dar­di­sier­te Gang­ana­ly­se, wenn­gleich auf­wen­dig, für die objek­ti­ve Beur­tei­lung der Ver­sor­gungs­qua­li­tät not­wen­dig ist. Dies gilt ins­be­son­de­re dann, wenn zwi­schen gefühl­tem und rea­lem Mehr­wert tech­ni­scher Neue­run­gen dif­fe­ren­ziert wer­den muss. Dabei ist es uner­heb­lich, ob es um die Ankopp­lung der Pro­the­se an den Stumpf oder die Eigen­schaf­ten der Pro­the­sen­ge­len­ke geht. Mit Hil­fe des Gang­la­bors GRAIL kön­nen nicht nur indi­vi­du­el­le Fort­schrit­te und Erfol­ge im Umgang mit stan­dar­di­sier­ten Pro­blem­si­tua­tio­nen und die indi­vi­du­el­len Fähig­kei­ten zur Kom­pen­sa­ti­on bei unvor­her­ge­se­he­nen Stö­run­gen quan­ti­fi­ziert, son­dern auch das indi­vi­du­el­le Gang­mus­ter ana­ly­siert wer­den. Letzt­lich kann aus die­sen Daten auch eine Opti­mie­rung der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung resultieren.

Aus­blick

Die umfas­sen­de Gang­ana­ly­se mit der Erfas­sung spa­tio-tem­po­ra­ler (Kraft­mess­plat­te) und dyna­mi­scher (Moti­on Track­ing) Kom­po­nen­ten erfor­dert einen hohen finan­zi­el­len Auf­wand (Per­so­nal, Aus­rüs­tung) und soll­te daher spe­zi­el­len Fra­ge­stel­lun­gen (Ver­sor­gungs­qua­li­tät, objek­ti­ver Ver­gleich zwi­schen Pro­the­sen) vor­be­hal­ten blei­ben. Die Inte­gra­ti­on Vir­tu­el­ler Rea­li­tät ermög­licht es, den Pro­ban­den von der Test- bzw. Prü­fungs­si­tua­ti­on und der Kon­zen­tra­ti­on auf das Gehen abzu­len­ken. Dar­über hin­aus kann sie zur Stan­dar­di­sie­rung der Prü­fungs­si­tua­ti­on und damit zu einer bes­se­ren Ver­gleich­bar­keit der Ergeb­nis­se führen.

Dank­sa­gung

Die Anschaf­fung des GRAIL wur­de von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft geför­dert. Die Stu­die wird im Rah­men eines Ver­bund­pro­jek­tes vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung gefördert.

Für die Autoren:
Prof. Dr. rer. nat. Dagmar‑C. Fischer
Uni­ver­si­täts­me­di­zin Rostock
Kin­der- und Jugendklinik
Ernst-Heyde­mann-Str. 8
18057 Ros­tock
dagmar-christiane.fischer@med.uni-rostock.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Fischer D‑C, Feld­he­ge F, Mat­this M, Adler F, Eiß­ner C, Mittl­mei­er Th. Das Gang­bild von Men­schen mit Ober­schen­kel­am­pu­ta­ti­on: eine Unter­su­chung zur Gang­ana­ly­se unter Ver­wen­dung Vir­tu­el­ler Rea­li­tät. Ortho­pä­die Tech­nik, 2020; 71 (4): 42–47
Pro­ban­den mit Ampu­ta­ti­on (3 w/15 m)Kon­troll­grup­pe (6 w/11 m)
Alter [Jah­re]58,5 (23–78)31 (21–78)
Grö­ße [cm]177 (160–193)174 (161–198)
Gewicht [kg]82 (55–95)72 (50–110)
BMI [kg/m2]25,2 (19,8–34,4)24,1 (19,3–29,0)
Tab. 1 Anthro­po­me­tri­sche Kenn­grö­ßen (Medi­an und Ran­ge) der Studienteilnehmer.
  1. Krö­ger K, Berg C, San­to­sa F, Malyar N, Rei­ne­cke H. Lower Limb Ampu­ta­ti­on in Ger­ma­ny. Dtsch Arzt­ebl Int, 2017; 114 (7): 130–136
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  5. Deut­sche Gesell­schaft für Ortho­pä­die und Ortho­pä­di­sche Chir­ur­gie e. V. (DGOOC). S2k-Leit­li­nie „Reha­bi­li­ta­ti­on nach Majo­ram­pu­ta­ti­on an der unte­ren Extre­mi­tät (pro­xi­mal des Fußes)“ (AWMF-Leit­li­ni­en­re­gis­ter Nr. 033–044). Stand: 24.06.2019, gül­tig bis 23.06.2024. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/033–044l_S2k_Rehabilitation_Majoramputation-untere_Extremitaet_2019-09.pdf (Zugriff am 13.01.2020)
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