Einleitung
Eine distale Radiusfraktur wird bei etwa einem Viertel aller Frakturen diagnostiziert 1. Dabei kommt es zu einer handgelenksnahen Fraktur, zum Bruch einzelner Handwurzelknochen oder zur Ruptur der Bandstrukturen. Durch Osteoporose sind ältere Menschen häufiger betroffen, vor allem wenn sie stolpern und sich beim Fallen abstützen. Kinder und Jugendliche dagegen sind vor allem durch ihren Bewegungsdrang gefährdet. Bestimmte Sportarten sind vermehrt betroffen, z. B. Snowboardfahren und Inlineskaten 2. Durch einen Sturz sind zwei typische Verletzungsmuster möglich: Am häufigsten zeigt sich die Colles-Fraktur, verursacht durch einen Sturz auf die überstreckte Hand. Die Smith-Fraktur kommt dagegen seltener vor; hierbei erfolgt der Sturz auf das gebeugte Handgelenk.
Klassifikation der Bruchtypen
Zur Unterteilung der verschiedenen Bruchtypen an der gelenknahen Speiche gibt es zahlreiche Klassifikationen. Im deutschsprachigen Raum hat sich die Klassifikation der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthese nach Müller durchgesetzt („AO-Klassifikation“). Diese unterteilt die Brüche wie folgt:
- A‑Fraktur: Radiusfraktur ohne Handgelenksbeteiligung
- B‑Fraktur: Radiusfraktur mit teilweiser Handgelenksbeteiligung
- C‑Fraktur: Radiusfraktur mit Handgelenksbeteiligung (artikulär)
Durch den komplexen Aufbau der Handwurzel 3 sind viele verschiedene Frakturen und Bandläsionen möglich. Im Allgemeinen können Frakturen, die keine Dislokation beinhalten, auch konservativ behandelt werden, d. h. nur durch Ruhigstellung mit einem Gips oder einer Handorthese. Sind allerdings die Gelenkflächen betroffen oder stehen diese nicht mehr kongruent, so ist eine operative Korrektur notwendig, um die Beweglichkeit zu erhalten und das Arthroserisiko zu begrenzen. In diesen Fällen sind Orthesen in der Nachsorge indiziert. In der Klinik sind die Ergotherapeuten für die erste Nachsorge und die begleitende Therapie zuständig. Die Orthesenversorgung wird in Abhängigkeit vom Tragezeitraum als Kurz- oder Langzeit-Versorgung definiert und entsprechend unterschiedlich angefertigt.
Begriffsbestimmung: Kurzzeit- und Langzeit-Orthesen
Hohmann und Uhlig 4 unterteilen Handorthesen in Kurzzeit-Orthesen mit einer Tragezeit von bis zu 4 Wochen (Abb. 1) und in Langzeit-Orthesen mit einer Tragezeit über 4 Wochen (Abb. 2). Hierbei spielen die Materialanforderung und das Einsatzgebiet eine wichtige Rolle: In der Klinik müssen postoperative Kurzzeit-Orthesen schnell für die Therapie zur Verfügung stehen. Daher werden hierbei Materialien eingesetzt, die schnell und direkt auf dem Körper zu verarbeiten sind, wie z. B. Niedrigtemperaturthermoplaste. Der Nachteil dieser Materialien ist aber ihre geringe Dauer- und Temperaturbeständigkeit. Langzeit-Orthesen werden dagegen nach individuellem Formabdruck gefertigt und sind durch spezifische Materialeigenschaften (wie Silikon, Carbon oder Polyethylen) und gründlichere Verarbeitung für eine dauerhafte Nutzung ausgelegt. Hinzu kommen eine höhere Passgenauigkeit und individuell angepasste Wirkungsmöglichkeiten.
Für die Versorgungspraxis ist darüber hinaus eine Einteilung nach der biomechanischen Wirkung relevant. Hohmann/Uhlig 4 und Maude Malick 5 6 unterscheiden demnach statisch und dynamisch wirkende Orthesen sowie Orthesen zum Funktionsersatz. Statisch wirkende Orthesen fixieren mindestens ein Gelenk und stellen es damit ruhig (Abb. 3) – mit dem Nachteil, dass Muskeln atrophieren oder Kapselanteile schrumpfen können. Deshalb müssen bei der Immobilisierung angrenzende Gelenke zur Therapie oder für eine eingeschränkte Funktion möglichst frei bleiben; zudem müssen eventuell Stellungen eingenommen werden, die Kontrakturen vermeiden (sogenannte Intrinsic-plus-Stellung zur Vermeidung einer Schrumpfung der Seitenbänder in den MCP-Gelenken).
Dynamische Orthesen (Abb. 4) dagegen lassen eine solche Beweglichkeit zu oder unterstützen diese sogar, z. B. nach Sehnennähten. Die Sehnen müssen zur Ernährung in der Sehnenscheide bewegt werden, dürfen aber nicht auf Zug belastet werden. Die Bewegung, bei der die Sehne belastet werden würde, übernimmt für einige Zeit ein Gummizug; somit ist Bewegung ohne Belastung möglich. In einer dritten Gruppe können die motorgetriebenen Orthesen subsumiert werden, die in Zukunft größere Bedeutung erlangen werden (Abb. 5), bei den Indikationen dieses Artikels aber keine Versorgungsrelevanz aufweisen.
Grundsätze der Anpassung von Handgelenkorthesen
Unter physiologischen Bedingungen („physiologische Synkinese“) ergibt die Beugung der Finger eine Dorsalextension im Handgelenk (Abb. 6). Dadurch wird zum einen eine Entspannung der Strecksehnen und eine Reduzierung ihres elastischen Widerstandes auf die flektierenden Fingergelenke erreicht; zum anderen werden so die Fingerbeuger gespannt, was zur direkten Flexionstätigkeit der Fingergelenke führt 1.
Bei Streckung der Finger entsteht eine leichte Flexion im Handgelenk (Abb. 7). Dadurch wird die Aktivität der Extensoren auf die Fingergelenke konzentriert und der elastische Widerstand der oberflächlichen und tiefen Fingerbeuger auf die zu streckenden Fingergelenke weitgehend beseitigt. Dieses physiologische Verhalten muss jeweils in einer Orthese Berücksichtigung finden, um unnötige Spannungen in den Handwurzelbandstrukturen oder Sehnen nach handgelenksnahen Frakturen zu vermeiden. Daher wird in den meisten Fällen eher eine Dorsalextension von 10° im Handgelenk bei der Frakturbehandlung eingenommen. Zur Entlastung des Nervus medianus können auch 0° oder eine leichte Flexionsstellung eingenommen werden 1.
Sturzenegger und Bohli haben aus ihrer klinischen Sicht allgemeingültige Leitlinien zur Anpassung von Orthesen zusammengestellt 7. Unter anderem fordern sie, dass jede Orthese individuell anzupassen sei. Angesichts der fortschreitenden Entwicklung in diesem Bereich stellt sich allerdings die Frage, inwieweit Fertigorthesen eingesetzt werden können. In der praktischen Anwendung gibt es in diesem Zusammenhang ein entscheidendes Kriterium: die Passform. Individuell angefertigte Orthesen passen deutlich besser und erzeugen – fachkompetent angefertigt – keine Druckstellen (Abb. 8). Daher gilt: Je besser sich Fertigorthesen anpassen oder nachpassen lassen, umso besser können sie effizient zum Einsatz kommen. Wenn die Funktion gegeben ist, sind Passformmängel wie größere Abstände der Gelenke zum Körper bei kurzzeitigem Tragen eher zu akzeptieren (Abb. 9).
Versorgungsbeispiele bei handgelenksnahen Frakturen
Für den Einsatz von Handorthesen gibt es zwei Bereiche: a) die konservative Therapie (als Primärtherapie) 1 sowie b) die postoperative Phase zum Schutz der Operationsergebnisse, zur Schmerzreduzierung und zur Ödemkontrolle.
Zu a): Eine Ruhigstellung ohne operative Korrektur ist nur bei stabilen A‑Radiusfrakturen sinnvoll. Hier werden klassisch stabilisierende Gipse in der Klinik angelegt. Aber auch Orthesen kommen vermehrt zum Einsatz. Konfektionierte Orthesen sind in verschiedenen Größen schnell einsetzbar (Abb. 10) und gewährleisten die Reinigung der Hand. Wichtig hierbei ist eine differenzierte Anpassbarkeit, um Druckstellen zu vermeiden und eine ausreichende Fixierung zu gewährleisten. Diese Orthesen können z. B. aus einem mit Stoff kaschierten Niedrig- bzw. Tieftemperatur-Thermoplast (NTT bzw. TTT) bestehen 8. Das TTT-Material kann auf 60 bis 80° C erwärmt werden und geht dabei in einen plastischen Zustand über, in dem die individuelle Anformung durchgeführt werden kann. Kleine Korrekturen, z. B. am Randverlauf, können durchgeführt werden. Dies wird notwendig, wenn z. B. die Finger in den MCP-Gelenken nicht genügend freiliegen. Partielle Druckstellen auf Knochenvorsprüngen wie dem Processus styloideus ulnae können auch mit einem Heißluftgebläse freigelegt werden. Alle Verschlussteile sind bereits angebracht; somit ist eine schnelle Einsetzbarkeit gewährleistet. Sollten ungewöhnliche Formen durch Schwellungen vorhanden sein, wird die individuelle Herstellung einer fixierenden Orthese notwendig sein (Abb. 11).
Zu b): Sind Gelenke beteiligt und disloziert, wird in der Regel eine operative Korrektur zum Funktionserhalt und zur Vermeidung einer späteren Arthrose durchgeführt. Hierbei werden Orthesen zur Schmerzreduzierung durch Ruhigstellung eingesetzt. Die Ulnar- oder Radialdeviation muss durch den Arzt bestimmt werden, um ungünstigen Zug auf Frakturbereiche zu vermeiden. Diese Orthesen können auch bei Alltagsbelastungen getragen werden.
Versorgungsbeispiele bei Arthrose
Das Handgelenk mit seinen vielen gelenkigen Verbindungen ist prädestiniert für Arthrosen, besonders nach Verletzungen durch Stürze oder Überlastungen durch einseitige Tätigkeiten mit der modernen Medienhardware; hierbei ist besonders das Daumensattelgelenk belastet (Rhizarthrose). Es gibt keine kausale Therapie der Arthrose. Somit liegt das Hauptgewicht auf dem Erhalt der Beweglichkeit und der Schmerzreduzierung, die zunächst durch Ruhigstellung erreicht wird.
Bei isolierter Arthrose im Daumensattelgelenk reichen die handelsüblichen Rhizarthrose-Orthesen meistens aus (Abb. 12). Je nach Schweregrad und Schmerzen werden leichte Spangen bis hin zu handwerklich hergestellten Orthesen aus Silikon (Abb. 13) eingesetzt 9, Letztere vor allem bei dynamischen Anforderungen, ausgeprägten Fällen bzw. ungewöhnlichen Dimensionen, z. B. bei kräftiger Thenarmuskulatur oder breiter Hand und sehr schlanken Daumengliedern. Die elastischen Eigenschaften des Werkstoffes kommen hierbei besonders zum Tragen, da die Trimlines der Orthese deutlich länger gehalten werden können und die Orthesen dennoch ein Mehr an Bewegung zulassen. Hier können vorgefertigte Orthesen an ihre Funktions- und Passformgrenzen gelangen.
Sind die Handwurzelgelenke mit betroffen, so muss die Orthese zur Stabilisierung des Handgelenkes auf den Daumen erweitert werden (Abb. 14). Diese Immobilisierung muss bis zur Konsolidierung bzw. Heilung der Knochen oder Bänder erfolgen. Zur Nachsorge, zur Abschulung von der Orthese, zum allgemeinen Schutz und zur weiteren Schmerzreduzierung können danach auch Handgelenksbandagen verschiedener Hersteller mit und ohne Stabilisierung eingesetzt werden. Die Fixierung ist in den Bandagen nicht so wirkungsvoll, hält die Ödeme unter Kontrolle und reduziert die Schmerzen.
Diskussion
Bei der Versorgung mit Orthesen im Allgemeinen und der oberen Extremität im Besonderen muss stets die medizinischtechnische Anforderung durch den Arzt spezifiziert werden. Die Indikationsliste für einen bestimmten Handorthesentyp erscheint recht lang. Ist aber die konstruktive Wirkung festgelegt, kann sowohl eine individuelle als auch eine industrielle Orthese angepasst und deren Wirkung klinisch geprüft werden. Um die Compliance der Betroffenen zu erhöhen, müssen zudem die Erfordernisse und Bedürfnisse der Patienten umgesetzt werden, soweit sie die Wirkung nicht einschränken.
Der Autor:
Detlef Kokegei, OTM
Bundesfachschule für Orthopädie-Technik
Schliepstraße 6–8
44135 Dortmund
D.Kokegei@bufa-ot.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Kokegei D. Handorthesen bei handgelenksnahen Frakturen und Arthrosen. Orthopädie Technik, 2016; 67 (1): 26–31
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- Merle M, Rehart S. Chirurgie der Hand. Rheuma – Arthrose – Nervenengpässe. Stuttgart: Thieme Verlag, 2009
- Lehner S, Huber N, Baumeister D, Michel F. Effektivität unterschiedlicher Stabilisierungssysteme des distalen Unterarmes in Dorsalextension. Orthopädie Technik, 2015; 66 (8): 18–23
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- Hohmann D, Uhlig R. Orthopädische Technik. 8. Auflage. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag, 1990
- Malick MH. Lagerungsschienen für die Hand. Eine Praxisanleitung. Stuttgart: Thieme Verlag, 1976
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