Einleitung
Dank der Fortschritte der modernen Medizin liegt die 10-Jahres-Überlebensrate von Patientinnen mit Mammakarzinom bei 82 % 1. Daher gehören für viele Patientinnen nach der Akutphase der Therapie mit ggf. OP, Bestrahlung, Chemo-Antikörper- und Antihormontherapie chronische Beschwerden wie das Lymphödem zum Alltag. Um den Patientinnen des interdisziplinären Brustzentrums Böblingen (iBB) auch in dieser Phase auf dem neuesten Stand der Wissenschaft zur Seite stehen zu können, wurde im Jahr 2010 das „Lymphnetzwerk am iBB“ gegründet. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss verschiedener Kliniken des Klinikverbundes Südwest (Frauenklinik Böblingen, Urologische Klinik und Gefäßchirurgische Klinik Sindelfingen), des Therapiezentrums des Klinikverbundes, einiger niedergelassener Physiotherapiepraxen, von denen drei eine ambulante Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) Phase 1 anbieten, zwei Kooperationssanitätshäusern sowie dem Zentrum für Manuelle Lymphdrainage Waldkirch (Leiter: Hans Pritschow) und der Lymphologic GmbH (Leiter: Oliver Gültig). Aufgabe des Lymphnetzwerks ist die Information von Patientinnen, Lymphtherapeuten, Ärzten, Bandagisten und Krankenkassen durch Fortbildungskurse und Vorträge über die leitliniengerechte Diagnostik und Therapie des Lymphödems sowie die Entwicklung von Behandlungsstandards.
Brustsprechstunde
Der Weg der Patientin beginnt nach Überweisung durch den niedergelassenen Frauenarzt in der Brustsprechstunde der Frauenklinik, um suspekte Befunde abzuklären. Mittels Ultraschall und Mammographie beurteilen die Ärztinnen und Ärzte die Art des Tumors und entnehmen ggf. eine Stanzoder Vakuumsaugbiopsie. Dabei ist es wichtig, den Punktionsort günstig für eine evtl. bevorstehende Operation zu wählen, damit diese lymphabflussschonend geplant werden kann, denn der Stanzkanal muss komplett entfernt werden. Im oberen äußeren Quadranten ziehen die meisten Lymphkollektorgefäße zur Axilla. Die früher beliebten, da kosmetisch sehr gut heilenden bogenförmigen Schnitte durchtrennten gleich mehrere Kollektoren, sodass sich vermehrt ein Brustlymphödem entwickelte, das oft von der Patientin und dem nachsorgenden Arzt zunächst nicht beachtet wurde. Allerdings kann sich, wenn das Lymphödem nicht behandelt wird, auch noch nach Jahren daraus eine Fibrose bilden, die die Konsistenz der Brust allgemein verhärtet und zu kosmetisch unschönen Einziehungen führen kann.
Operation
Am iBB werden in der Regel bei der brusterhaltenden Operation (BET) radiäre Schnittführungen an der Brust mit ggf. Einschwenken der Narbe in die Axilla (Abb. 1 u. 2) oder onkoplastische OP-Verfahren wie die tumoradaptierte Reduktion mit Angleichung der gesunden Brust durchgeführt (Abb. 3a u. b), um ein langfristig gutes und kosmetisch ansprechendes Ergebnis zu erzielen. Muss jedoch ein größerer Anteil des Brustgewebes entfernt werden, benötigt man zum Ausgleich z. B. körpereigenes Gewebe vom Rücken (Abb. 4) oder Bauch, oder es werden an spezialisierten Zentren mittlerweile auch Muskeln der Oberschenkel- oder Gesäßregion verwendet, z. B. Latissimus-dorsi-Plastik (LAT) (Abb. 5a u. b), TRAM-Flap, DIEP-Flap, FCI-Flap oder Grazilis-Lappenplastik.
Wichtig ist dabei zu beachten, dass nicht alle Patientinnen für o. g. Verfahren geeignet sind. Neben dem Wundgebiet der eigentlichen OP kommt es zu teilweise großen Wundflächen und Narben an den Entnahmestellen. Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Rauchen, Adipositas, Immunsuppression 2, Bestrahlungen und quere Narben in der Vorgeschichte können ausschlaggebend für den Verlauf und das daraus resultierende kosmetische Ergebnis sein, vor allem bei Unterbauchlappenplastiken 3.
Komplikationen
Serome sind eine relativ häufige Komplikation nach onkoplastischen Operationen. Sie müssen ebenso wie Lymphödeme behandelt werden, da es ggf. noch nach Jahren zu Fistelbildungen und dadurch getriggerten Sekundärinfektionen kommen kann. Wenn möglich, sollten Serome durch konsequente Manuelle Lymphdrainage und adäquate Kompression, ggf. mit einem unruhigen Polster ergänzt, therapiert werden. Sehr große oder schmerzhafte Serome sollten steril punktiert werden, ebenso Serome, die die Durchführung einer Radiatio behindern. Nach einer Punktion ist die Kompressionstherapie besonders wichtig, um die Wände der Seromhöhle zu adaptieren und die Heilungschancen zu verbessern. Wiederholte Punktionen sollten aufgrund der zunehmenden Infektionsgefahr vermieden werden. Therapieresistente Serome sollten operativ angegangen und deren Seromkapsel entfernt werden. Die Einlage einer Redondrainage vermindert dann das Risiko der Neubildung.
Implantatgestützte onkoplastische Chirurgie
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen erlebt die implantatgestützte onkoplastische Chirurgie eine Renaissance. Sehr gute kosmetische Ergebnisse sowie oft kürzere OP- und Rekonvaleszenzzeiten bilden daher für viele Patientinnen gerade bei der Notwendigkeit der Entfernung der ganzen Brustdrüse z. B. mittels „skin/nipple sparing mastectomy“ plus Silikonprotheseneinlage mit stabilisierendem hauchdünnem Titannetz oder azellullärer dermaler Matrix eine adäquate Alternative. Kann der Hautmantel nicht in entsprechender Größe erhalten werden, ist zunächst die Einlage einer Expanderprothese notwendig, die über 3 bis 4 Monate aufgefüllt wird. Danach erfolgt die Einlage der endgültigen Prothese. Wurde bei entsprechender Tumorlokalisation die Entfernung der Brustwarze notwendig, ist nach weiteren 3 Monaten der Brustwarzenaufbau z. B. aus Leistenhaut oder Teilen der verbliebenen Mamille und die Angleichung der gesunden Brust möglich (Abb. 5a u. b). Die ausführliche Aufklärung der Patientin über die OP und den weiteren Verlauf sowie die frühe Einbeziehung der Bandagistin, sodass die passende Kompressionsversorgung direkt nach Beendigung der OP angelegt werden kann (z. B. ein Kompressionsbustier mit/ohne Stuttgarter Gürtel), sind unabdingbar, damit Compliance und Zufriedenheit der Patientin gewährleistet sind.
Prävention des sekundären Lymphödems
Ein Meilenstein in der Geschichte der Prävention des sekundären Lymphödems war die Entdeckung der Wächterlymphknoten. Präoperativ werden mit Technitium markierte Kolloide als Radiopharmaka und Patentblau als unterstützende Farbstoffmethode z. B. subareolär injiziert, sodass intraoperativ die für den Lymphabfluss des Tumorareals verantwortlichen Lymphknoten mittels Handsonde und visuell aufgespürt werden können 4. Dies sind meist 1 bis 3 Wächterlymphknoten, auch „Sentinels“ genannt. An ihnen werden noch während der OP von einem Pathologen Schnellschnitte durchgeführt, um zu untersuchen, ob sie befallen sind. Bisher hatte ein Befall der Sentinels zur Folge, dass mindestens 10 Lymphknoten der Axilla entfernt wurden, um das weitere Ausmaß einschätzen zu können. Inzwischen wird im Rahmen der INSEMA-Studie, an der auch die Patientinnen des iBB teilnehmen können, untersucht, ob die Hypothese zutrifft, dass BrustkrebsPatientinnen im Frühstadium mit eineschränkter Axilla-Chirurgie keinen Nachteil bezüglich des krankheitsfreien Überlebens im Vergleich zum Standard-Arm haben (Abb. 6) 5.
Während ein Armlymphödem 1972 noch in 37,6 % der Fälle auftrat, verringerte die Einführung der „sentinel node exstirpation“ (SNE) und schonender OP-Methoden den Anteil im Jahr 2007 auf 6,2 %. Die Häufigkeit eines Brustlymphödems lag bei den 1.000 untersuchten Patientinnen bei ca. 19 %, wobei die Radiatio ein Hauptfaktor bei der Entstehung zu sein scheint, sodass in der Gruppe der Patientinnen mit BET sogar fast 28 % betroffen waren. Das Thoraxwandödem fand sich nur bei 9,3 % 6.
Im iBB erhalten alle Patientinnen mit einer Sentinel- oder axillären Lymphknotenexstirpation (SNE/ALNE) postoperativ manuelle Lymphdrainage, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch keine Manifestation des sekundären Lymphödems zu erwarten ist. Allerdings geschieht dies unter dem Gesichtspunkt des posttraumatischen (Lymph-)Ödems, sodass dadurch, ähnlich der unfallchirurgischen und orthopädischen Behandlung, Schwellung und Schmerzen minimiert und der Heilungsprozess beschleunigt werden soll. Patientinnen mit ALNE erhalten nach der Entlassung noch eine Heilmittelverordnung über 10-mal MLD (ggf. mit Kompressionsbehandlung) plus 10-mal Übungsbehandlungen 2- bis 5‑mal pro Woche, sofern sie in die Brustsprechstunde überwiesen wurden (Abb. 7). Durch die Möglichkeit der Langfristverordnung bei onkologischen Diagnosen ist auch eine so intensive Behandlungsphase wie die KPE Phase 1 (ambulant meist 2 Wochen lang 5‑mal pro Woche) budgetneutral. Nur die Materialien für die Kompressionsverbände (Kurzzugbinden etc.) belasten die verordnenden Kollegen einmalig (Binden verbleiben bei der Patientin und werden bei der nächsten KPE wiederverwendet). Regelmäßig getragene Kompressionsware ist nach 6 Monaten „abgetragen“ und muss erneuert werden. Patientinnen, die ambulant nicht vorgestellt wurden, erhalten eine entsprechende Empfehlung für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen.
Ein großer Anteil der Niedergelassenen sieht allerdings keine Notwendigkeit für die Verordnung einer solchen Maßnahme, da die Schwellung im Laufe der Zeit meist auch ohne Intervention zurückgeht. Da das Augenmerk allerdings auf das immer seltener werdende Armlymphödem gelegt wird, wird das Brustlymphödem nicht weiter beachtet, sodass es dann bei fehlender Thera pie zu einer zunehmenden Fibrosierung von Teilen der Brust kommt, was zu kosmetisch inakzeptablen Einziehungen der betroffenen Areale führt, die die Lebensqualität der Patientinnen sehr beeinträchtigen 7. Alle Patientinnen mit onkoplastischen OPs oder Z. n. Ablatio erhalten in der Klinik das Angebot, von einer Bandagistin eines kooperierenden Sanitätshauses besucht zu werden, um eine Erstversorgung für zu Hause mit entsprechendem BH bereits vor der Entlassung zu erhalten. Natürlich können die Patientinnen auch Mitarbeiterinnen des wohnortnahen Sanitätshauses beauftragen.
Die Lymphtherapeuten schulen die Patientinnen in unterstützender Selbstbehandlung, der nunmehr 5. Säule der KPE (Abb. 8). Verhaltenstipps zur Vermeidung eines Lymphödems oder eines Erysipels sowie einen Flyer über das „Lymphnetzwerk am iBB“ erhalten die Patientinnen mit den Entlasspapieren.
In seltenen Fällen kommt es im Verlauf der Chemotherapie zu Ödembildungen an den Beinen oder/und des Armes der nicht erkrankten Seite („Infusionsarm“). Dabei handelt es sich meist um ein medikamenteninduziertes Ödem, das jedoch beachtliche Ausmaße annehmen und eine Stauungsdermatitis ausbilden kann. Es kann sich allerdings auch um ein Lymphödem handeln, das dann, genauso wie ein im Verlauf auftretendes sekundäres Lymphödem des OP-Gebietes, leitliniengerecht mit einer KPE Phase 1 mit Verordnung von Flachstrickkompressionsware versorgt werden muss (Abb. 9). Je nach seelischer Belastung der Patientin durch diese zusätzlichen chronischen Symptome, die durch das Mammakarzinom bzw. seine Behandlung hervorgerufen werden, sollte auch eine Psychoonkologin mit einbezogen werden.
Fazit
Die lymphologische Versorgungskette vereint Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Berufsgruppen und fördert die Compliance aller Beteiligten durch Informationsweitergabe und Kommunikation auf Augenhöhe – nicht nur zum Wohle der Patientin.
Danksagung
Die Abbildungen 1 bis 5 wurden freundlicherweise von PD Dr. med. Erich Weiss, Chefarzt der Frauenklinik und Leiter des interdisziplinären Brustzentrums Böblingen, zur Verfügung gestellt.
Die Autorin:
Monika Hörner
Fachärztin für Frauenheilkunde/ Ärztliches Qualitätsmanagement QMBiBB
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Böblingen
Bunsenstraße 120, 71032 Böblingen
m.hoerner@klinikverbund-suedwest.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
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- Robert Koch-Institut, Zentrum für Krebsregisterdaten. Art. „Brustkrebs (Mammakarzinom) ICD-10 C50“. http://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Brustkrebs/brustkrebs_node.html (Zugriff am 30.08.2016)
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