Mehrere Ministerien im Blick
Für die Gesundheitsbranche relevant sind laut Patrick Grunau nicht nur die Ministerien Gesundheit und Arbeit und Soziales, die von den SPD-Politikern Karl Lauterbach und Hubertus Heil geführt werden, sondern auch das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter der Leitung des Bündnis90/Die Grünen-Politikers Robert Habeck und die Ministerien für Finanzen sowie Bildung und Forschung unter der Leitung der FDP-Politiker:innen Christian Lindner und Bettina Stark-Watzinger. Gestiegene Rohstoff- und Energiepreise etwa werden die Branche auf lange Sicht begleiten, so Grunau. Umso wichtiger sei es, Kontakte in das zuständige neu geschaffene Ministerium Wirtschaft und Klimaschutz zu knüpfen. Für die Umsetzung des im Koalitionsvertrag vorgesehenen und vom Bündnis WvD geforderten Bürokratieabbaus sei das Ministerium für Arbeit und Soziales entscheidend. Die Akademisierung von Berufen in der Hilfsmittelbranche oder die Veränderung der Ausbildungsberufe und der Ausbau der Forschung würden hingegen unter die Regie des Ministeriums für Bildung und Forschung fallen. Daher plant WvD, Kontakte in all diese Ministerien aufzubauen, wie Patrick Grunau ankündigte.
Erfahrene Gesundheitspolitiker am Zug
Im Fokus für die Gesundheitsbranche stehe aber dennoch das Bundesministerium für Gesundheit, so der Rehavital-Bereichsleiter. Neben dem Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach, gehören die Parlamentarischen Staatssekretär:innen Prof. Dr. Edgar Franke und Sabine Dittmar zur Führungsspitze des Ministeriums. Vor dem Hintergrund, dass Karl Lauterbach bisher den Schwerpunkt auf die Bekämpfung der aktuellen Corona-Pandemie lege, seien die beiden Parlamentarischen Staatsekretär:innen umso interessanter, meinte Patrick Grunau. Die Kinderpflegerin und Hausärztin Sabine Dittmar war in der vergangenen Legislaturperiode Mitglied des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages. Der Jurist Edgar Franke lehrt an der Hochschule der Gesetzlichen Unfallversicherung, Bad Hersfeld, und war seit April 2018 Beauftragter der Bundesregierung für die Anliegen von Opfern und Hinterbliebenen terroristischer Straftaten im Inland.
Von besonderer Bedeutung für die Hilfsmittelbranche sei zudem der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages mit insgesamt 42 Mitgliedern, der aktuell kommissarisch von Hubert Hüppe, Mitglied des Bundestages (MdB) für die CDU-Fraktion, geleitet wird. Zu den Mitgliedern des Ausschusses gehören bekannte MdBs wie Heike Baehrens, Dirk Heidenblut und Martina Stamm-Fibich von der SPD, Dr. Janosch Dahmen von Bündnis 90/Die Grünen oder Christine Ascheberg-Dugnus (FDP). Die ebenfalls wichtige Arbeitsgruppe Gesundheit des Deutschen Bundestages steht unter dem Vorsitz von Tino Sorge (CDU/CSU).
Besser auf künftige Krisen vorbereiten
„Wir sind nicht mehr krisensicher“ – das sei die Kernaussage zum Thema Gesundheit im Koalitionsvertrag der Ampel, erklärte Kirsten Abel. Alle Reformen der letzten Jahrzehnte haben laut der Sprecherin des Präsidiums des BIV-OT dafür gesorgt, dass wir nicht mehr auf ein funktionierendes Gesundheitswesen zurückgreifen können, wenn es irgendwo gestört wird. Daher stehe bereits in der Präambel des Vertrages unter anderem „Wir wollen staatliches Handeln schneller und effektiver machen und besser auf künftige Krisen vorbereiten…“ Dieses Ziel ziehe sich durch den gesamten Vertrag. Hierzu würden auch die Stärkung der High-Medizintechnik „Made in Germany“ oder die Fachkräftesicherung gehören, so Abel. Noch nie sei das Thema Gesundheit so oft in einem Koalitionsvertrag aufgenommen worden wie im Jahr 2021. Allein acht Seiten des Vertrages widmen sich dem Schwerpunkt „Pflege und Gesundheit“. Selbstverständlich spiele auch das Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen im Vertrag eine Rolle. Digitalisierung werde von den Koalitionspartnern als Hebel für Innovationen und Effizienz angesehen, wie Kirsten Abel betonte. Insbesondere den im Papier vorgesehenen Bürokratieabbau-Pakt begrüßte Patrick Grunau, denn der Bürokratieabbau sei eine Kernforderung des Bündnisses WvD. Allerdings zeige die Startverschiebung des E‑Rezeptes, dass die Koalitionspläne das eine und die Realität das andere seien, so der Rehavital-Bereichsleiter. Es liege auch an WvD sowie weiteren Akteur:innen der Branche, das Thema Bürokratieabbau weiter nach vorne zu bringen.
Medizinisches Personal oder nicht?
Mehrfach nennt der Koalitionsvertrag die Stärkung der Gesundheitsberufe als Ziel. Doch wer sind eigentlich die Gesundheitsberufe? Diese Frage dränge sich beim Lesen auf, meinte Kirsten Abel. Sanitätshaus sei ja kein geschützter Begriff. In der Branche selbst sei der Begriff Sanitätshaus vor der Pandemie umstritten gewesen, hätten sich Häuser in Vitalzentren oder Gesundheitshäuser umbenannt. Im Bewusstsein der Politik seien Sanitätshäuser nicht als relevanter Versorger hinterlegt gewesen. Es habe ein Jahr in der Pandemie gedauert, um die Politik für die Bedeutung der Sanitätshäuser bei der Versorgung in Deutschland zu sensibilisieren, so die Verbandssprecherin. Dies sei inzwischen bei den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses angekommen. Aber es sei bis heute nicht allen klar, wer genau zum medizinischen Personal zählt und wer nicht, so Abel. Das sei wichtig zum Beispiel bei der geplanten Verkürzung der Corona-Quarantäne für medizinisches Personal und werde alle Branchenmitglieder sicher noch länger beschäftigen. Immerhin würden durch die Pandemie Gesundheitsberufe jenseits von Ärzt:innen und Pflegekräften in den Blick der Politik rücken. Fluch und Segen zugleich sei, so Patrick Grunau, dass manche Themen wie die wohnortnahe Versorgung im Vertrag nur angerissen würden. Zwar kenne man dadurch nicht den Weg, den die Ampel-Koalition zur Erreichung des Ziels gehen wolle, könne aber gleichzeitig gerade durch die Leerstellen den Weg möglicherweise mitausgestalten.
Ein Bündnis – eine Stimme
Zusätzlich zu den Informationen über das Personal und die gesundheitspolitischen Inhalte des Koalitionspapiers nutzte das Bündnis den Live-Talk zur Vorstellung der eigenen Aktivitäten: Das Bündnis „Wir versorgen Deutschland“ wurde im Jahr 2021 gegründet, um die qualitätsgesicherte Versorgung von Patient:innen mit Hilfsmitteln mit einer starken Stimme ein öffentliches Profil zu geben und damit besser im Gesundheitswesen zu platzieren, wie Kirsten Abel im Live-Talk betonte. Ziel des Bündnisses ist es darüber hinaus, mit einer einheitlichen Stimme den politischen Entscheidungsprozess rund um die Hilfsmittelversorgung aktiv zu begleiten, getreu dem WvD-Motto „Wer mit einer Stimme spricht, wird besser gehört“. Mittels Positionspapieren und Stellungnahmen, Gesprächsrunden mit Vertreter:innen der Gesundheitspolitik off- wie online oder Aktionen der Mitgliedsbetriebe will das Bündnis auch zukünftig auf die besonderen Leistungen und Bedürfnisse der Hilfsmittelbranche aufmerksam machen. Gründungsmitglieder des Bündnisses „Wir versorgen Deutschland“ sind neben dem BIV-OT die Leistungserbringergemeinschaften EGROH, Rehavital und Sanitätshaus Aktuell.
Ruth Justen
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