Einleitung
Um Gesundheit und Fitness zu steigern, setzen immer mehr Menschen auf „Wearable Technologies“ in Form von Armbanduhren, die Bewegungsmuster und Pulswerte aufzeichnen. Aber auch Textilien sind heute nicht nur reine Bekleidung, sondern können mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet werden, um zum Beispiel Druck auf den Körper oder Dehnungen zu messen. Entsprechende Sensorik in Textilien zu integrieren ist jedoch sehr viel aufwendiger und teurer, als sie in Accessoires zu verwenden. Oft muss dabei die Optik der Funktion untergeordnet werden. Neue Materialien könnten hier eine kostengünstige, optisch anpassbare Variante sein.
Flexible Elastomersensoren für Textilien
Das Center Smart Materials CeSMa – Teil des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung ISC – entwickelt intelligente und adaptive Materialien, die sensorische oder aktorische Funktionen erfüllen. Der Einsatz dieser „smarten“ Materialien eröffnet neue Anwendungen und innovative Designs, insbesondere für den Einsatz in Textilien. Das bevorzugte Ausgangsmaterial ist Silikon, da sich dessen Härte durch chemische Vernetzung sehr gut variieren lässt und somit eine hervorragende Anpassung an spezielle funktionelle Anforderungen ermöglicht. Um sensorische oder aktorische Fähigkeiten zu erhalten, wird in Teilkomponenten Ruß als leitfähiger Bestandteil eingebracht. Das Material wird dann zu Elastomerfolien oder ‑pads verarbeitet. Durch Kleben oder Nähen können die Folien und Pads in Textilien und Gewebe integriert werden. Sie sind preiswert herzustellen und halten durch ihre hohe Elastizität und Flexibilität Dehnungen von bis zu 100 Prozent stand. Denkbar ist der Einsatz dieser Elastomersensoren beispielsweise in der gesundheitlichen Prophylaxe.
Druckmessstrumpf für Diabetiker
Patienten mit Diabetes leiden an den Füßen oftmals an Nerven- und Durchblutungsstörungen; ihr Schmerzempfinden ist herabgesetzt. Sie spüren im wahrsten Sinne des Wortes nicht, wenn sie der Schuh drückt. Bei gesunden Menschen sorgt die Rückmeldung der Druckrezeptoren in den Füßen über die Nervenbahnen z. B. bei längerem Stehen dafür, dass sich das Gewicht automatisch von einem Fuß auf den anderen verlagert. Diabetiker merken hingegen nicht, dass ihre Zehen, Fersen oder Ballen zu stark belastet werden. Der Fuß wird nicht entlastet; unbemerkt können Druckgeschwüre entstehen. Schon kleine unebene Stellen oder der Druck des Schuhs auf den Fuß können zu offenen Wunden oder Schädigungen am Gewebe führen.
Sensoren im Strumpfmessen den Druck
Damit sich schlecht heilende Wunden gar nicht erst bilden, haben Forscher mit Unterstützung von Industriepartnern und Kollegen des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen einen Spezialstrumpf mit integrierten Sensoren entwickelt (Abb. 1). Insgesamt 40 sehr dünne dielektrische Elastomersensoren messen lokal die Druckbelastung und ‑verteilung an medizinisch relevanten Stellen am Fuß und übernehmen so die Funktion der Nerven. Bisherige Systeme sind als Einlegesohlen auf dem Markt und messen nur die Druckverteilung an der Unterseite des Fußes. Die neuartigen Sensoren hingegen sind an der Strumpfsohle, der Ferse, den Zehen, dem Fußspann und dem Knöchel angebracht und zeichnen die Signale daher am kompletten Fuß auf. Die Forscher haben den Druckmessstrumpf bereits zum Patent angemeldet.
Elektronik überträgt Daten aufs Smartphone
Die Sensoren bestehen aus einer stark dehnbaren, weichen Elastomerfolie, die beidseitig mit hochflexiblen Elektroden aus Graphit oder Ruß beschichtet ist. Verformt sich die Folie durch Druck oder Dehnung, verringert sich ihre Dicke. Gleichzeitig vergrößert sich dabei die Fläche. Das Resultat: Die elektrische Kapazität erhöht sich mit dem Druck. Steht der Patient beispielsweise längere Zeit auf einer Stelle, erhöht sich der Druck. Dies erkennen die Sensoren und schicken das kapazitive Messsignal über einen leitfähigen Faden an eine drahtlose Elektronik, die aus einem ASIC-Chip – kurz für Application Specific Integrated Circuit – und einem Controller besteht. Entwickelt wurde die Messelektronik von Forschern des IIS. Sie ist so gestaltet, dass bis zu 40 kapazitive Sensoren in einem sehr breiten Wertebereich mit hoher zeitlicher Auflösung von bis zu 50 Hz erfasst werden können. Der ASIC nimmt die Messdaten auf, und der Controller sendet diese per Funk an ein Smartphone oder Tablet. Die Software zeigt dann dem Diabetes-Patienten an, ob er seine Fußhaltung oder Belastung ändern soll. Die maximalen Druckwerte werden vorab durch Orthopäden individuell am Patienten durch Vergleichsmessungen ermittelt und im Softwareprogramm hinterlegt.
Weiterentwicklung des ersten Prototyps
Beim ersten Prototyp war die starre und große Elektronik noch fest am Strumpfende befestigt. Der zweite Prototyp hat eine Starr-Flex-Leiterplatine, in die die Elektronik integriert wurde. Diese flexible Leiterbahn kann nun am oberen Strumpfende wie eine Art Strumpfband in den Strumpf integriert werden. Zusätzlich ist diese neue Elektronik nun mit einem Bluetooth-Funkmodul ausgestattet, um die Daten kontinuierlich an mobile Empfängergeräte (z. B. Smartphone oder Tablet) zu senden und ausgewählte Messwerte während des Tragens darzustellen. Ein Smartphone-Akku sorgt für eine Betriebszeit von mindestens 30 Stunden.
Die Elektronik muss vor dem Waschen abgenommen werden. Die integrierte Sensorik hingegen muss beständig gegen Wasser und Waschmittel sein. Erste Waschbarkeitstests in einer Industriewaschmaschine wurden mit Waschmittel bei 60 °C und über 1000 U/min Schleuderdrehzahl an einem Prototypohne angeschlossene Elektronik zehnmal ohne irgendwelche Veränderungen in der Sensorik durchgeführt, was darauf hoffen lässt, dass nach weiteren zertifizierten Waschbarkeitstests deutlich mehr Waschvorgänge möglich sind. Die Sensoren und die elektrische Kontaktierung überstanden diese Waschvorgänge ohne Probleme. Die silikonbasierten Sensoren und die speziellen elastischen Zuleitungen zeigen hohe Beständigkeit gegenüber Medien aller Art, was einen deutlichen Vorteil gegenüber anderen Messsystemen bezüglich Tragekomfort und Beanspruchung beim Waschen darstellt.
Die Sensorik ist von zwei Lagen Stoff umgeben, was den An- und Ausziehkomfort des Strumpfs erhöht. Sie wird durch Nähen oder Kleben in das Textil eingebracht. Die Socke selbst besteht aus einem Mischgewebe aus Baumwolle und Kunstfaser. Das Material ist atmungsaktiv, feuchteregulierend und zeichnet sich durch einen hohen Tragekomfort aus. Die Passform der ersten Prototypen wird beim Übergang in die großserielle Strumpfherstellung noch optimiert.
Weitere Anwendungen in Schuhen und Einlagen
Eine weitere Anwendung der Sensoren ist die optimale Anpassung von Schuhen und Einlagen. Die Drucksensorik kann auch zur zweidimensionalen Druckmessung von bis zu 40 Messpunkten in orthopädische Schuheinlagen integriert werden. Eine weitere Miniaturisierung der Elektronik erlaubt deren Integration in die Schuhsohle. Damit der Druckmessstrumpf für Patienten erschwinglich wird, müssen noch im Detail Verbesserungen erarbeitet werden, sodass ein Systempreis um 500 € pro Sockenpaar inklusive Elektronik und Software in der Serie möglich wird.
Fazit
Indem funktionelle, sensorische Kleidung die Gesundheitsvorsorge und die Betreuung von Patienten unterstützt, könnte sie einen wesentlichen Beitrag zur Kostenentlastung des Gesundheitswesens leisten. Insbesondere Diabetespatienten oder Betroffenen von Fußfehlstellungen könnte mit den in Strümpfen oder Einlagen integrierten Sensoren geholfen werden.
Der Autor:
Dr. Bernhard Brunner
Projektleiter im Center Smart Materials CeSMa
Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC
Neunerplatz 2
90782 Würzburg
bernhard.brunner@isc.fraunhofer.de
Brunner B. „Wenn der Schuh drückt“ – Textilsensoren für orthopädische Anwendungen. Orthopädie Technik, 2016; 67 (11): 40–41
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