Einleitung
Akute Hirnschäden durch ein Schädel-Hirn-Trauma nach äußerer Gewalteinwirkung oder durch einen Schlaganfall sowie andere raumfordernde Prozesse innerhalb der Schädel-kalotte (z. B. bei Hirnblutung, Tumoren oder Entzündungen des Gehirns) können intrakranielle Druckerhöhungen verursachen. Durch eine vermehrte Wassereinlagerung im Nerven- gewebe kommt es zu einem Hirnödem (Hirnschwellung). Aufgrund der festen Schädelkalotte kann kein Druckausgleich erfolgen; dadurch steigt der intrakranielle Druck, der wiederum negative Folgen für die Blutversorgung des Gehirns und für die Liquorzirkulation hat. Dies führt zu einer weiteren Schwellung. Der rasche Anstieg des intrakraniellen Drucks („Hirndruck“) kann zu lebensbedrohlichen Zuständen führen.
Wenn der Druck mittels konservativer (nichtoperativer) Maßnahmen nicht ausreichend gesenkt werden kann, wird zumeist als letztes Mittel eine operative Dekompression des Gehirns durch eine Kraniektomie (partielle Eröffnung der Schädelkalotte) durchgeführt 1. Die Notwendigkeit der Eröffnung wird dabei fallabhängig vom Facharzt entschieden 2. Ein adäquater Schutz des offenen Gehirns nach der Operation ist durch dessen extreme Druckempfindlichkeit gepaart mit Gefühllosigkeit (es besitzt keine Schmerzrezeptoren) außerordentlich wichtig. Letztere bewirkt, dass der Patient eine möglicherweise entstehende Schädigung ohne Schutz gar nicht wahrnimmt. Durch das Tragen eines Schutzhelms wird ein etwaiger Druck von außen auf das Gehirn ausgeschlossen. Der Prozess der Abschwellung nach der Operation dauert unterschiedlich lange (von einigen Wochen bis zu vielen Monaten). Frührehabilitative Maßnahmen werden aber in diesem Zeitraum in der Regel bereits durchgeführt, sodass in dieser Zeit ein adäquater Schutz besonders notwendig ist.
Anforderungen an die Versorgung einer Kraniektomie
Nach einer operativen Dekompression fehlt im Bereich des Areals der Kraniektomie die schützende Funktion der Schädelkalotte für die empfindlichen Strukturen des Gehirns; die freiliegenden Hirnareale sind nur von der Kopfhaut bedeckt. Dies stellt eine besondere Gefährdung der Patienten insbesondere im Rahmen frührehabilitativer Maßnahmen dar. Unfälle durch stumpfe oder spitze Gewalteinwirkung auf das Gehirn müssen zwingend vermieden werden. Schon das Schlafen mit dauerhaftem Liegen erhört den Druck und kann zu einer Schädigung des offenen Gehirns führen.
Der Schutz der vulnerablen Hirnareale ist bei der Rehabilitation von höchster Priorität und erfordert die Verwendung eines Kopfschutzhelms. Dabei muss ein solcher Helm kritische Weichteilverhältnisse berücksichtigen, Volumenschwankungen erlauben und einen hohen Tragekomfort für den Patienten bieten. Zur Wundversorgung muss eine einfache Reinigung und Desinfizierbarkeit gewährleistet sein.
Nach Abschwellung werden die Knochenlücken in der Schädeldecke in der Regel durch die Replantation des entnommenen Knochens plastisch gedeckt 3. Ist dies nicht möglich (z. B. bei Infekten), erfolgt die plastische Deckung durch patientenindividuell angefertigte Implantate, die heute bereits zum Teil im 3D-Druckverfahren gefertigt werden. Nach der plastischen Deckung sind der Schutz des Implantats bis zur knöchernen Konsolidierung und der Schutz der Weichteile vor Verletzungen insbesondere bei mobilen Patienten weiterhin erforderlich.
Vergleich der Fertigungsverfahren für Kopfschutzhelme
Für die Anfertigung von Kopfschutzhelmen nach Kraniektomie haben sich drei verschiedene Verfahren am Markt etabliert: — Bei der konventionellen, handwerklichen Fertigung wird das Kopfmodell nach einem Gipsabdruck erstellt und darüber ein thermoplastisches Material tiefgezogen.
- Die zweite Möglichkeit besteht darin, anstelle des Gipsabdrucks einen berührungslosen Scan des Schädels durchzuführen, die Daten am Bildschirm zu bearbeiten und danach ein gefrästes Kopfmodell zu erstellen, über das dann wiederum thermoplastisches Material gezogen wird.
- Als dritte Variante steht die komplett digitalisierte Fertigung zur Verfügung. Nach Scan und Bildschirmmodellierung wird der Helm dabei mittels additiver Fertigung erstellt.
Diese drei Verfahren werden im Folgenden detaillierter beschrieben und insbesondere unter dem Aspekt der Belastung für den Patienten miteinander verglichen.
Anfertigung eines Helms in Tiefziehtechnik nach patientenindividuellem Gipsabdruck
Nach der Operation richten zwei Orthopädietechniker den Patienten im Bett auf. Das ungeschützte Kraniektomie-Areal und die Wunden müssen mit Folien abgedeckt werden. Anschließend wird ein Gipsabdruck des Schädels erstellt. Dieser muss sodann vorsichtig abgezogen werden (Abb. 1a u. 1b). Das Verfahren weist allerdings mehrere Risiken auf:
- möglicher Keimeintrag (durch Wasser oder Gips) bei ungenügender Wundkonsolidierung;
- Aufweichen der Wunde durch Flüssigkeit in den Gipsbinden;
- psychische Belastung für den Patienten, weil sich dieser zu diesem Zeitpunkt meist in einem „Dämmerzustand“ befindet und nicht beurteilen kann, was gerade passiert.
Nachdem das Gipsnegativ des Kopfes abgenommen wurde, wird es mit Gips ausgegossen und härtet anschließend aus. Über das so erstellte Gipspositiv wird nun – unter Verwendung thermoplastisch verformbarer Kunststoffe – in Handarbeit ein Helm mit innenliegender Polsterung erstellt. Um das Klima bzw. die Belüftung im Helm für den Patienten optimal zu halten, werden im Nachgang Löcher in den Helm gebohrt. Durch am Helm angenietete Gurte wird das Hilfsmittel nun zusätzlich für den Patienten individualisiert.
Helm auf Scandatenbasis mit nachgelagertem Fräsen eines Kopfmodells für Tiefziehverfahren
Anders als in Variante 1 werden bei diesem Verfahren nach der Operation nur ein Orthopädietechniker sowie eine Stationspflegekraft benötigt, die den Patienten im Bett aufrichten. Im Gegensatz zu Variante 1 wird keine weitere orthopädietechnisch ausgebildete Fachkraft benötigt, weil ein Umgang mit Flüssigkeiten, Gips und weiteren Materialien, die in Version 1 verwendet werden, hier nicht gefordert ist. Beim Scannen benötigt man jedoch den Helfer, um eventuell den Kopf des Patienten von unten etwas zu stützen bzw. um auf freien Kabelverlauf des Scanners zu achten. Der Kopf des Patienten kann, falls noch Haare vorhanden sind, mit einem leichten Trikotschlauchverband abgedeckt werden. Dies bewirkt das Niederdrücken der Haare und lässt zu, dass die Kopfform – ohne Haare – digital erfasst werden kann. Im Anschluss wird der Patient berührungslos gescannt. Dabei wird empfohlen, seine Augen zum Schutz vor dem Blitzlicht des Scanners abzudecken (das Blitzlicht kann einen epileptischen Anfall auslösen). Der Patient spürt von diesen berührungslosen Prozessen nichts. Im Rahmen der präoperativen Planung werden die Patienten darüber informiert, wie ihre Daten ermittelt wurden und wie mit diesen umgegangen wird. Vorteile des Verfahrens:
- Aufnahme des gesamten Kopfes einschließlich der Ohren;
- geringe psychische Belastung für den Patienten;
- keine Gefahr der Verunreinigung der Wunde.
Die Scandatei des Kopfes wird sodann an einen Fachbetrieb übermittelt. Um Datenschutz zu gewährleisten, wird das Gesicht des Patienten dazu vorab unkenntlich gemacht. Im Fachbetrieb wird ein 1:1‑Abbild des Patientenkopfes erstellt. Ein Fräsroboter fräst sodann aus einem Hartschaumrohling eine Vorlage für das Tiefziehen eines Helms. Dieser wird dann ähnlich wie bei Version 1 vom Orthopädietechniker finalisiert.
Helm auf Scandatenbasis mit nachgelagerter CAD-Konstruktion und 3D-Druck
Wie bei Variante 2 richten ein Orthopädietechniker sowie eine Stationspflegekraft den Patienten im Bett auf. Auch hier kann der Kopf des Patienten, falls noch Haare vorhanden sind, mit einem leichten Trikotschlauchverband abgedeckt werden. Dies bewirkt das Niederdrücken der Haare und lässt zu, dass der Schnittkantenverlauf für die spätere Konstruktion mittels kleiner Punkte auf dem Verband gekennzeichnet werden kann. Dieses Kennzeichnen kann in Version 2 ebenfalls angewendet werden, wobei aber die Informationen im Fräsprozess verlorengehen, wenn die Information in der Bildschirmbearbeitung nicht berücksichtigt wurde. Im Laufe der 3D-Konstruktion des druckbaren Helms wird die Information jedoch während der Helmentstehung komplett verarbeitet. Nur hierbei entsteht ein Endprodukt, bei dem freie Hirnpartitionen komplett „überdacht“ erstellt werden. Im Anschluss wird ebenso wie bei Variante 2 der Patient berührungslos gescannt. Das Abdecken der Augen des Patienten zum Schutz vor dem Blitzlicht des Scanners sollte dabei ebenfalls Standard sein. Vorteile des Verfahrens:
- Aufnahme des gesamten Kopfes einschließlich der Ohren;
- kompletter Übertrag der Markierungen des Schnittverlaufs durch alle Phasen der Helmentstehung;
- geringe Belastung für den Patienten;
- keine Gefahr einer Verunreinigung der Wunde;
- der Scan ist nach erfolgter präoperativer Planung bereits vor dem Eingriff möglich.
Der Scan durch den Orthopädietechniker wird, wenn seine Werkstatt über keine eigene Fachabteilung zur digitalen Fertigung verfügt, zu einer spezialisierten Fachabteilung für CAD-Konstruktion gesendet. Mit Hilfe spezieller Software, die ein Modellieren von Freiformflächen ermöglicht, wird ein digitales, mehrschichtiges Helmkonstrukt erstellt (Abb. 2a u. 2b). Ein wichtiger Vorteil des digitalen Modellierens: Ein „Rückblick“ auf das Ursprungsmodell ist jederzeit möglich. Auf diese Weise kann man den jeweils erzielten Modellierungsfortschritt beurteilen. Durch die Vorabkennzeichnung zeigt der Scan ebenso wie beim Gipsabdruck dem Konstrukteur auf, wo die Hirnschale endet und wo sich die zu schützenden Bereiche befinden.
Der Helm wird so konstruiert, dass er sich später unter Zuhilfenahme sehr dünner Auflagepads wie eine zweite Haut an den Kopf schmiegt. Diese Pads sind austauschbar und bieten insbesondere bei keimbelasteten Wunden gegenüber den Varianten 1 und 2 eine bessere Hygiene. Selbst schwierigste Schnittverläufe an der Schädeldecke stellen keinerlei Probleme bei der Erstellung des digitalen Helmkonstrukts dar (Abb. 3).
Sobald der Helm am Bildschirm fertig konstruiert ist, sendet der Konstrukteur – wenn er nicht selbst Mitarbeiter der beauftragten orthopädietechnischen Werkstatt ist – eine finale CAD-Ansicht des Helms an den Orthopädietechniker, der den Patientenscan durchgeführt hat. Das dient der Kontrolle.
Nach Freigabe der digitalen CAD-Konstruktion durch den Auftraggeber – in diesem Fall also den Orthopädietechniker – wird der Helm im sogenannten Pulverbettverfahren mittels 3D-Drucker gedruckt. Homogene Kraftverläufe im Druckgut gepaart mit flächiger Verschmelzung sorgen dabei für stabile hochperforierte Strukturen; dies ist insbesondere unter hygienischen Aspekten wichtig (Abb. 4).
Mittels eines solchen Druckverfahrens entsteht ein hochindividualisierter, biokompatibler Helm, der in jedem handelsüblichen Geschirrspüler gereinigt werden kann. Im Klinikbetrieb hält das Material den dort verwendeten Desinfektionsmitteln leicht stand. Das Anlegen des Helms ist sowohl für den Patienten als auch für die Pfleger einfach durchzuführen. Beim 3D-Druck des Helms werden Einschuböffnungen für handelsübliche Kinnriemensysteme ausgespart; der gewählte Kinnriemen kann also einfach eingehakt werden (Abb. 5).
Ein mittels dieses Verfahrens gedruckter Helm ist mehrschichtig und extrem leicht. Durch das verarbeitete Material ist ein angenehmes Klima bzw. eine Belüftung unter dem Helm für den Patienten gewährleistet. Ein solcher Helm ist zwar stoßabsorbierend, er kann aber nicht als Schutzhelm im Sinne eines Aufprallschutzes – etwa bei Epilepsie – fungieren.
Fazit
Wie gezeigt wurde, weist der Einsatz digitaler Technik bei der Herstellung von Kopfschutzhelmen nach Kraniektomie viele Vorteile auf. Die berührungslosen Scans sind insbesondere für die Psyche des Patienten vorteilhaft. Darüber hinaus sprechen die Passgenauigkeit und die Schnelligkeit bei der Fertigung der gedruckten Helme für eine digitale Herstellung.
Im Unternehmen des Autors wurden in enger Zusammenarbeit mit den versorgenden Orthopädietechnikern bislang fast 100 Kopfschutzhelme in digitaler Technik gefertigt, bei denen es bislang keine Reklamationen gab.
Inwieweit es sich für orthopädietechnische Werkstätten lohnt, in spezialisierte Mitarbeiter, entsprechende Software und kostspielige 3D-Drucker zu investieren oder die Umsetzung solcher Versorgungen in die Hände externer Fachbetriebe zu legen, obliegt dabei der Kalkulation des jeweiligen Unternehmens; auf die Überlegenheit, die die digitale Fertigung aus Sicht des Autors in diesem speziellen Versorgungsbereich gegenüber der handwerklichen Fertigung aufweist, hat dies keinen Einfluss. Anhand von Patientenbefragungen sowie entsprechender Studien müssen die in der Praxis bereits erprobten Vorteile digital gefertigter Kopfschutzhelme zwar noch belegt werden, aber das beschriebene digitale Verfahren scheint gerade bei diesem speziellen Hilfsmittel zukunftsweisend zu sein.
Der Autor:
Andreas Flamm
Geschäftsführer
OT4 Orthopädietechnik GmbH
St.-Martin-Straße 2
81541 München
a.flamm@ot4-orthopaedietechnik.com
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Flamm A. Versorgung mit Kopfschutzhelmen im 3D-Druck nach Kraniektomie. Orthopädie Technik, 2020; 71 (2): 30–33
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- Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) (Hrsg.). S1-Leitlinie „Intrakranieller Druck“ (ICP) (AWMF-Leitlinienregister Nr. 030–105). Stand: 30.09.2017, gültig bis 31.12.2020. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030–105l_S1_Intrakranieller-Druck-ICP_2018-04_01.pdf (Zugriff am 17.12.2019)
- Kretschmer T. Aktueller Stand der Kraniektomie nach Schlaganfall. https://oegpb.at/2018/04/04/aktueller-stand-der-kraniektomie-nach-schlaganfall/ (Zugriff am 17.12.2019)
- Stosberg P. Kranioplastie und Komplikationen nach dekompressiver Kraniektomie. Dissertation, Medizinische Fakultät Charité – Universitätsmedizin Berlin, 2019. https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/25463/diss_p.stosberg.pdf?sequence=1&isAllowed=y (Zugriff am 17.12.2019)