TMR-Metho­de ver­bes­sert die Nut­zung einer myo­elek­tri­schen Pro­the­se – Ers­te Erfah­run­gen mit einer TMR-Versorgung

Th. Münch, M. Räder
Ein oberarmamputierter Patient mit mehreren Neuromknoten wurde nach der TMR-Methode operiert, bei der Nervenhauptstämme mit Muskelnerven verbunden werden. Erhält der Patient danach eine TMR-Prothesensteuerung, kann damit die Neuinnervation von Nervenstämmen in bestimmten Muskeln erreicht werden. Bereits ein Jahr später waren die untersuchten Muskeln im Vergleich zum Vorbefund im Reinnervationsstadium weiter fortgeschritten, in diesem Zeitraum wurden fünf Testschäfte angepasst, um den veränderten Bedingungen Rechnung zu tragen. Nach anderthalb Jahren trägt der Patient einen Schaft mit sechs Elektroden, alle vier zusätzlichen Signale sind abrufbar, alle vier zusätzlichen Bewegungen sind ansteuerbar. Bisher funktionslose Nerven haben eine neue Aufgabe erhalten, eine Entstehung von weiteren Neuromknoten ist deshalb unwahrscheinlich. Im folgenden Bericht beschreiben die Autoren den Werdegang der Versorgung und die bisherigen Erfolge in einem Zeitrahmen von über zwei Jahren.

TMR („Tar­ge­ted Mus­cle Rein­ner­va­ti­on“) ist eine ziel­grup­pen­ge­führ­te Wie­der­her­stel­lung ner­va­ler Ver­sor­gung durch Ner­ven­re­ge­ne­ra­ti­on, die durch eine bestimm­te Ope­ra­ti­ons­tech­nik erreicht wird. In der OP wer­den Ner­ven­haupt­stäm­me mit Mus­kel­ner­ven ver­bun­den (Abb. 1).

Anzei­ge

Ers­te Erfol­ge in Chi­ca­go und Wien

Dr. Todd Kui­ken (Reha­bi­li­ta­ti­on Insti­tu­te of Chi­ca­go) hat bereits ca. 45 Pati­en­ten nach die­ser Metho­de ope­riert. In Zusam­men­ar­beit mit Prof. Dr. Oskar Aszmann (Abtei­lung plas­ti­sche Wie­der­her­stel­lungs­chir­ur­gie, Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Wien) sind bereits gute Erfol­ge mit die­ser Ope­ra­ti­ons­tech­nik erreicht wor­den. Der ers­te ope­rier­te Pati­ent war dop­pelt Schul­ter-exar­ti­ku­liert und konn­te eine Pro­the­se mit Hil­fe der TMR-Steue­rung in allen sechs Bewe­gungs­frei­hei­ten her­vor­ra­gend ansteuern.

Gedan­ken steuern

Bei der TMR-Pro­the­sen­steue­rung geht es um die soge­nann­te „gedan­ken­ge­steu­er­te Pro­the­sen­ver­sor­gung“. Durch die Neu­in­ner­va­ti­on von Ner­ven­stäm­men in bestimm­ten Mus­keln bekom­men die­se die Ansteue­rung der her­kömm­li­chen Gefühlseinheit.

Im März 2010 wur­de ein Pati­ent in Zusam­men­ar­beit mit der BG Unfall­ki­nik Duis­burg in Wien nach die­ser Metho­de ope­riert. Der Pati­ent ist seit dem 24. März 2001 links­sei­tig ober­arm­am­pu­tiert. Seit 2003 mit einem Dyna­mik-Arm ver­sorgt, konn­te der Pati­ent sein täg­li­ches Leben meis­tern. Er hat drei Kin­der, steht ganz­tags im Arbeits­pro­zess, angelt in sei­ner Frei­zeit und ist begeis­ter­ter Cam­per. 2007 wur­de eine Exzi­si­on von Neu­rom­kno­ten am lin­ken Ober­arm­stumpf durch­ge­führt. 2009 haben sich erneut Neu­rom­kno­ten gebil­det. Eine Ope­ra­ti­on war auf­grund der Schmerz­si­tua­ti­on unum­gäng­lich. Dies war der Anlass, über eine TMR-Ope­ra­ti­on nachzudenken.

Kos­ten­trä­ger lehn­te zunächst TMR ab

Der Pati­ent wur­de im Bei­sein von Chef­arzt Dr. Jos­t­klei­g­re­we, OA Dr. Räder (BG Unfall­kli­nik Duis­burg) sowie dem Autor auf einem Sym­po­si­um im Janu­ar 2010 in der Uni­ver­si­täts­kli­nik Wien vorgestellt.

Anschlie­ßend schick­te man dem zustän­di­gen Kos­ten­trä­ger einen Erst­be­richt und einen Kos­ten­vor­anschlag für die ent­spre­chen­de Ope­ra­ti­on. Im März 2010 wur­de die­se OP abge­lehnt, mit der Begrün­dung, dass sich die TMR noch in der expe­ri­men­tel­len Pha­se befinde.

In einer erneu­ten Vor­stel­lung des Pati­en­ten wur­de die­se Aus­sa­ge ein­ge­hend dis­ku­tiert und ent­spre­chend beantwortet:

  1. Die TMR-Ope­ra­ti­on ist aus dem Sta­di­um der expe­ri­men­tel­len Pha­se herausgetreten.
  2. Bei der TMR-Ope­ra­ti­on geht es nicht um eine Neu­ro­m­ent­fer­nung, son­dern um eine deut­li­che Ver­bes­se­rung der Ansteue­rung der myo­elek­tri­schen Ober­arm­pro­the­se mit simul­ta­ner Steue­rung meh­re­rer Gelenke.
  3. Die Neu­rom­kno­ten­ent­fer­nung erle­digt sich durch die OP-Technik.

Auf­grund der Dar­le­gung der bis­he­ri­gen Erfol­ge wur­de die Ope­ra­ti­on im Juli 2010 geneh­migt und zwei Mona­te spä­ter in Wien durch Prof. Dr. Aszmann unter Assis­tenz von OA Dr. Räder (BG Unfall­kli­nik Duis­burg) durchgeführt.

In die­ser OP wer­den Ner­ven­haupt­stäm­me mit ande­ren Mus­kel­ner­ven ver­bun­den. In einer sche­ma­ti­schen Dar­stel­lung wer­den die zu inner­vie­ren­den Mus­keln und Ner­ven zunächst auf­ge­zeich­net, um den Ope­ra­ti­ons­vor­gang zu pla­nen. In einer vier­stün­di­gen Ope­ra­ti­on wur­den vier Mus­kel­grup­pen am lin­ken Ober­arm­stumpf mit bis­her funk­ti­ons­lo­sen Ner­ven­stäm­men neu inner­viert (Abb. 2).

  1. Ner­vus ulnaris wur­de umge­lei­tet auf das Caput bre­ve des M. bizeps. Ziel: Mus­kel­kon­trak­ti­on bei dem Gedan­ken „Fin­ger­beu­gung“. Caput longum des M. bizeps ist wei­ter­hin durch N. mus­cu­lo­cu­ta­neus inner­viert zur Beu­gung des Ellenbogengelenkes.
  2. Ner­vus media­nus wur­de umge­lei­tet auf Res­te des M. bra­chia­lis. Ziel: Mus­kel­kon­trak­ti­on bei dem Gedan­ken „Unter­arm­pro­na­ti­on“.
  3. Ramus pro­fun­dus des N. radia­lis wur­de umge­lei­tet auf a) Caput late­ra­le tri­ceps, mit dem Ziel Mus­kel­kon­trak­ti­on bei dem Gedan­ken „Fin­ger­stre­ckung“.
  4. Ramus pro­fun­dus des N. radia­lis wur­de umge­lei­tet auf b) M. bra­chiora­dia­lis, mit dem Ziel Mus­kel­kon­trak­ti­on bei dem Gedan­ken „Unter­arm­su­pi­na­ti­on“.

Dyna­mik-Pro­the­se konn­te wei­ter getra­gen werden

Her­vor­zu­he­ben ist, dass der Pati­ent nach Wund­hei­lung sei­nen alten Dyna­mik-Arm wie gewohnt tra­gen und durch die Signa­le von Bizeps und Tri­zeps ohne Pro­ble­me ansteu­ern konn­te. Es gab nach die­ser Ope­ra­ti­on kei­ner­lei Beein­träch­ti­gung in der her­kömm­li­chen Nut­zung der Pro­the­se im täg­li­chen Bereich und der Pati­ent trägt die Pro­the­se ca. 14 Stun­den pro Tag.

Anfäng­lich wur­de dem Pati­en­ten Lyri­ka als Schmerz­mit­tel ver­ord­net. Nach zwölf Mona­ten benö­tig­te er kei­ne Schmerz­mit­tel mehr. Neu­rom­schmer­zen sind seit der TMR-Ope­ra­ti­on völ­lig verschwunden.

Nach der OP fan­den in regel­mä­ßi­gen Abstän­den Kon­trol­len in Wien und in Duis­burg statt. Bei den Kon­trol­len in Wien wur­den jeweils EMG-Nadel­mes­sun­gen durch­ge­führt, um das Rein­ner­va­ti­ons­sta­di­um zu mes­sen. Bereits in der Unter­su­chung vom 9. Febru­ar 2011 waren die neu gewon­ne­nen Signa­le teil­wei­se schon, wenn auch sehr schwach, ableit­bar (Abb.3). Der Pati­ent klag­te zu die­sem Zeit­punkt über Schmer­zen, die vor ca. sechs Wochen auf­ge­tre­ten waren. Die­se Art von Schmer­zen, plötz­li­che strom­schlag­ähn­li­che Sym­pto­me, sind typisch für die Rein­ner­va­ti­on und waren zu erwar­ten. Denn sie sind ein Zei­chen für das Wachs­tum des Nervs in den Muskel.

Drei Mona­te spä­ter waren in allen unter­such­ten Mus­keln Poten­zia­le im mitt­le­ren sowie frü­hen Rein­ner­va­ti­ons­sta­di­um mit jeweils guter iso­lier­ter Ansteue­rung nach­weis­bar. Bereits in der Unter­su­chung vom 13. Sep­tem­ber 2011 waren sämt­li­che unter­such­ten Mus­keln im Ver­gleich zum Vor­be­fund vom Mai 2011 im Rein­ner­va­ti­ons­sta­di­um wei­ter fort­ge­schrit­ten. In den letz­ten 12 Mona­ten sind fünf Test­schäf­te von Nöten gewe­sen, um den ver­än­der­ten Bedin­gun­gen Rech­nung zu tra­gen (Abb. 4).

Nach dem der­zei­ti­gen Stand der Ver­sor­gung trägt der Pati­ent seit Ende April 2012 einen Schaft mit sechs Elek­tro­den, alle vier zusätz­li­chen Signa­le sind abruf­bar, alle vier zusätz­li­chen Bewe­gun­gen sind ansteuerbar.

In der der­zei­ti­gen Pha­se wird die Tren­nung der Signa­le geübt, um die Pro­the­se syn­chron ansteu­ern zu kön­nen. Dies heißt z. B., dass der Pati­ent beim Beu­gen des Ellen­bo­gens gleich­zei­tig die Hand öff­nen und beim Stre­cken des Ellen­bo­gens die Hand schlie­ßen kann.

Ver­schie­bung des Muskelsignals

Die Pro- und Supi­na­ti­on wird seit Okto­ber 2012 zwi­schen­zeit­lich zu Übungs­zwe­cken zuge­schal­tet. Dabei hat sich her­aus­ge­stellt, dass sich das Signal für die Supi­na­ti­on, die nun von dem M. bra­chiora­dia­lis durch­ge­führt wird, ver­scho­ben hat (Abb. 5).

Eine Neu­po­si­tio­nie­rung ist somit not­wen­dig (Abb. 6). Das bedeu­tet, dass ein neu­er Schaft von Nöten ist.

Der­zeit sind in dem Pro­the­sen­schaft die sechs Elek­tro­den als Saug­elek­tro­den ein­ge­baut. Zu einem spä­te­ren Zeit­punkt ist even­tu­ell auch an einen HTV-Schaft zu den­ken, der aktu­ell noch nicht zum Tra­gen kommt.

Simul­ta­ne Bewe­gungs­mög­lich­kei­ten bie­ten mehr Lebensqualität

Das der­zei­ti­ge Ergeb­nis zeigt, dass die TMR-Ope­ra­ti­on ein pro­ba­tes Mit­tel ist, um ober­arm­am­pu­tier­ten Pati­en­ten auf­grund von simul­ta­nen Bewe­gungs­mög­lich­kei­ten ein Mehr an Lebens­qua­li­tät zu bie­ten. Wün­schens­wert sind bes­se­re und klei­ne­re Elek­tro­den, um den Platz im Schaft bes­ser nut­zen zu kön­nen. Auch ist es wün­schens­wert, in Zukunft den Dyna­mik-Arm mit einer Michel­an­ge­lo-Hand und den ent­spre­chen­den diver­sen Greif­mög­lich­kei­ten aus­stat­ten zu können.

Bis­her funk­ti­ons­lo­se Ner­ven haben neue Aufgaben

Auf­grund der Tat­sa­che, dass die bis­her funk­ti­ons­lo­sen Ner­ven eine neue Auf­ga­be erhal­ten haben, ist eine Ent­ste­hung von wei­te­ren Neu­rom­kno­ten unwahrscheinlich.

Unser Wunsch ist es gewe­sen, nach andert­halb Jah­ren eine ein­wand­freie Ansteue­rung der Pro­the­se doku­men­tie­ren zu kön­nen. Es hat sich aber her­aus­ge­stellt, dass neue Ent­wick­lun­gen Zeit benö­ti­gen und dass man auch dem Nerv die Zeit geben muss, in sei­nen neu­en Bereich hin­ein­zu­wach­sen, um Bewe­gun­gen und Akti­vi­tä­ten aus­füh­ren zu können.

Dyna­mik­arm unter­brach Lern­kur­ve des TMR

Im Okto­ber 2012 wur­den alle Posi­tio­nen der Elek­tro­den erneut kon­trol­liert und opti­miert. In der Schaft­an­pro­be hat sich gezeigt, dass der Stumpf kei­nen End­kon­takt im Schaft besitzt. Da die Elek­tro­den für Pro- und Supi­na­ti­on sehr weit distal lie­gen, ist ein End­kon­takt nicht nur gewünscht, son­dern zwin­gend not­wen­dig. Somit sind die Pro­be­schäf­te Num­mer 7 und 8 her­ge­stellt gewor­den. In die­ser Pha­se wer­den alle sechs Signa­le frei­ge­schal­tet und beübt. Dafür ist ein sepa­ra­ter TMR-Ellen­bo­gen mit Test­schaft und sepa­ra­ten Elek­tro­den not­wen­dig, damit der Pati­ent auf sei­ne der­zei­ti­ge TMR-Ober­arm­pro­the­se nicht ver­zich­ten muss. Wir haben fest­ge­stellt, dass der Gebrauch des „nor­ma­len“ Dyna­mik­arms die Lern­kur­ve der TMR durch die Ansteue­rung der Hand und des Ellen­bo­gens durch Bizeps und Tri­zeps der­art stark unter­bricht, dass die Nut­zung der TMR-Ein­heit einen zeit­li­chen Rück­schlag erfährt. Für die­sen Zeit­raum wird eine kom­plet­te TMR-Ein­heit zur Ver­fü­gung gestellt. Ein wei­ter Schritt wird die Aus­tes­tung eines HTV-Schaf­tes sein, nach­dem mit dem letz­ten Pro­be­schaft alle Signa­le ansteu­er­bar sind (Abb. 7a u. b).

Zusam­men­fas­sung

  1. Die TMR-Ope­ra­ti­on ist aus Sicht der Autoren über das Sta­di­um der expe­ri­men­tel­len Pha­se hinweg.
  2. Die TMR-Ope­ra­ti­on ermög­licht aus Sicht der Autoren einem Pati­en­ten eine deut­li­che Ver­bes­se­rung der Ansteue­rung einer myo­elek­tri­schen Pro­the­se, mit der Mög­lich­keit einer simul­ta­nen Ansteue­rung meh­re­rer Muskelgruppen.
  3. Das Tra­gen einer vor­he­ri­gen myo­elek­tri­schen Ver­sor­gung ist vor­aus­sicht­lich auch nach der OP durch­führ­bar, da die bereits inner­vier­ten Mus­keln nicht tan­giert werden.
  4. Man soll­te sich einen Zeit­rah­men von ca. 24 Mona­ten set­zen, bis ein sta­bi­les Ergeb­nis vor­zeig­bar ist.
  5. Der zu ope­rie­ren­de Pati­ent benö­tigt eine gründ­li­che Auf­klä­rung, Geduld und das Ver­ständ­nis für mit­tel­fris­ti­ge Erfolge.
  6. Es ist ein Weg von ca. 12 Mona­ten, bis das Schmerz­emp­fin­den nachlässt.

Für die Autoren:
Dipl. OTM Tho­mas Münch
Gro­ßen­bau­er Allee 250
47249 Duis­burg
th.muench@muench-hahn.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
Münch Th, Räder M. TMR-Metho­de ver­bes­sert die Nut­zung einer myo­elek­tri­schen Pro­the­se – Ers­te Erfah­run­gen mit einer TMR-Ver­sor­gung. Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (2): 22–25
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