Teil­ha­be im All­tag, Sport und Beruf

Auf die Frage „Wie viel Technik braucht der Mensch?“ gab es eine einhellige und klare Antwort: Das bestimmen die Patient:innen mit ihrem individuellen Bedarf, ihren Zielen, ihrer Motivation und ihrem Ehrgeiz.

Die­se Rei­se braucht Zeit, Empa­thie, ein gan­zes Reha­bi­li­ta­ti­ons-Team und den Arzt bzw. die Ärz­tin als Team­lea­der. So lau­te­te die Kern­bot­schaft des gemein­sa­men Pro­gramms der Bun­des­wehr, der BG Kli­ni­ken und des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des für Ortho­pä­die-Tech­nik (BIV-OT) am 16. Sep­tem­ber in der „Team Respect“-Area der Invic­tus Games in Düsseldorf.

„Der Fokus in der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung muss auf den ein­zel­nen Men­schen aus­ge­rich­tet wer­den, nicht auf ein­zel­ne Pro­duk­te“, sag­te Albin May­er, Vize­prä­si­dent des BIV-OT, im Rah­men der Podi­ums­dis­kus­si­on unter der Über­schrift „Teil­ha­be erle­ben – wie viel Tech­nik braucht der Mensch?“. „Nur so kann Teil­ha­be im All­tag, Sport und Beruf ermög­licht werden.“

Auch Prof. Dr. Dirk Sten­gel, MSc (Epi), Lei­ter For­schung im Res­sort Medi­zin der BG Kli­ni­ken, beton­te: „Unse­re Ver­si­cher­ten ste­hen nicht nur im Mit­tel­punkt, son­dern sind Co-The­ra­peu­ten.“ Oberst­arzt Dr. Andre­as Lison, Lei­ter des Zen­trums für Sport­me­di­zin der Bun­des­wehr, erklär­te, dass schon jetzt die Patient:innen, die zu ihnen ins Zen­trum kom­men, Mit­glie­der ihres „Team Respect“ wer­den. „Wir sind als Zen­trum eine Peer-Group. Das ist unser Vor­teil. Wir wer­den unse­ren Team­be­griff zukünf­tig erwei­tern und die Ange­hö­ri­gen stär­ker mit ein­bin­den.“ Auch sie müss­ten mit den Her­aus­for­de­run­gen kom­ple­xer Hilfs­mit­tel­ver­sor­gun­gen im All­tag umge­hen kön­nen und daher an den Ent­schei­dungs­pro­zes­sen teil­ha­ben und psy­cho­lo­gisch und sozi­al unter­stützt werden.

Wie Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung durch ein inter­dis­zi­pli­nä­res Team mit den Patient:innen – als Maß aller Din­ge – für Teil­ha­be sor­gen kann, zeig­ten drei Pati­ent-Pro­vi­der-Pairs im Rah­men des Pro­gramms. Ein Sprint zurück ins Leben mit Unter­schen­kel-Pro­the­sen gelang David Beh­re. Der 37-jäh­ri­ge ehe­ma­li­ge Leicht­ath­let wur­de 2015 Welt­meis­ter und 2016 Para­lym­pics-Sie­ger. Sei­ne Erfah­run­gen teilt er u. a. als Buch­au­tor und Moti­va­ti­ons­trai­ner. „Ich will leben und lau­fen“, sag­te Beh­re sei­nen Eltern nach sei­nem Unfall, bei dem er bei­de Füße ver­lor, und mein­te es auch so. Sein dama­li­ges Ziel: Bei den Para­lym­pics 2012 in Lon­don gegen Oscar Pis­to­ri­us anzu­tre­ten. Doch am Anfang hat­te er Angst, mit den Pro­the­sen zu ste­hen oder zu lau­fen. Die intrin­si­sche Moti­va­ti­on, die extrin­si­sche durch Peers, Inspi­ra­ti­on durch Vor­bil­der und Ver­trau­en in das betreu­en­de Team sei­en die wich­tigs­ten Erfolgs­fak­to­ren für eine Reha­bi­li­ta­ti­on. „Ohne den Men­schen funk­tio­niert auch die teu­ers­te Pro­the­se nicht. Unser End­ziel ist die sozia­le und beruf­li­che Teil­ha­be. Bei David Beh­re sehen wir das in Per­fek­ti­on“, so Dr. med. Chris­ti­an Schmitz, Chef­arzt BG Kli­ni­kum Duis­burg, der Beh­re seit vie­len Jah­ren begleitet.

Quer­schnitt­ge­lähmt zur Para-Kanu-Welt­spit­ze: Die­sen Weg beschritt Katha­ri­na Bau­ern­schmidt, die im Alter von 21 Jah­ren durch Kom­pli­ka­tio­nen bei einer OP eine Quer­schnitt­läh­mung erlitt. Die 33-Jäh­ri­ge konn­te sich bereits für die Para­lym­pics 2024 einen Quo­ten­platz für die Start­klas­se Vaa VL2 für das Team Deutsch­land sichern. Fol­gen muss nun noch eine fina­le Qua­li­fi­ka­ti­on im Früh­jahr 2024. In Düs­sel­dorf lief sie mit ihrem Exo­ske­lett aufs Podi­um. „Auf Augen­hö­he wie­der mit Freun­den und Fami­li­en spa­zie­ren zu gehen, oder für ein Fei­er­abend­bier­chen am Tre­sen zu ste­hen, wie­der Fuß­gän­ge­rin zu sein, all das stärkt mein Selbst­wert­ge­fühl unge­mein.“ Ganz neben­bei sorgt das Exo­ske­lett dafür, dass sie in ihrer Woh­nung im drit­ten Stock ohne Auf­zug woh­nen blei­ben kann. „Tech­nik macht viel mög­lich, aber ohne die Ener­gie und Resi­li­enz von Katha­ri­na wäre das alles nicht mög­lich“, sag­te Mai­ke Schr­a­der, Gesamt­lei­tung The­ra­pie des BG Kli­ni­kums Duisburg.

Brit­ta Meine­cke-Alle­kot­te erlitt 2017 einen Unfall bei ihrer Tätig­keit als OP-Schwes­ter. Seit 2019 kann sie ihren Beruf wie­der aus­üben und arbei­tet am BG Kli­ni­kum Duis­burg. Eine High­tech-Pro­the­se mit viel „Fin­ger­spit­zen­ge­fühl“ zusam­men mit ihrem star­ken Wil­len mach­te das mög­lich. „Teil­ha­be bedeu­tet auch, neue Wege zu gehen“, erklär­te Meine­cke-Alle­kot­te. Um ihrem gro­ßen Ziel näher­zu­kom­men, stell­te ihr ihr behan­deln­der Arzt, Prof. Dr. med. Heinz Her­bert Homann, Chef­arzt der Kli­nik für Hand­chir­ur­gie, Plas­ti­sche Chir­ur­gie und Zen­trum für Schwer­brand­ver­letz­te, eine heik­le Auf­ga­be. Als ers­te Etap­pe auf dem wei­ten Weg zurück in den OP soll­te sie ler­nen, einen ste­ri­len Hand­schuh über die Pro­the­se zie­hen zu kön­nen. Die ers­te Pro­the­se, die sie vor der Reha­bi­li­ta­ti­on aus­ge­wählt hat­te, brach­te nicht die gefor­der­te Leis­tung. Die zwei­te Pro­the­sen­hand war hoch­kom­plex. „Ich konn­te auf kei­ne Erfah­rungs­wer­te zurück­grei­fen, muss­te jeden Griff selbst erar­bei­ten.“ Den einen oder ande­ren Umweg in der Reha­bi­li­ta­ti­on hät­te sie sich spa­ren kön­nen, wenn sie frü­her pro­fes­sio­nel­le Peers getrof­fen und umfas­sen­des Gebrauchs­trai­ning erhal­ten hät­te, beton­te sie. Des­halb enga­gie­re sie sich auch seit Jah­ren als Peer und Gebrauchs­trai­ne­rin für Armprothesen.

Ruth Jus­ten

Tei­len Sie die­sen Inhalt