Ver­ant­wor­tung für Reha­bi­li­ta­ti­on bewusst werden

Kein Scheinwerfer, der die Mannschaft in Szene setzt und den Einzelnen fokussiert, sondern eine komplett erleuchtete Bühne: Wenn am 9. September die Invictus Games in Düsseldorf starten, will der Sanitätsdienst der deutschen Bundeswehr alle, und damit auch „die Mannschaft hinter der Mannschaft“ zeigen, deutlich machen, dass es viele Menschen gibt, die „invictus“, also unbesiegbar sind – auch wenn nicht auf den ersten Blick und nicht, weil sie verwundet aus einem Einsatz zurückkamen.

„Jeder hat ein Recht auf Reha­bi­li­ta­ti­on“, zitiert Oberst­arzt Dr. Andre­as Lison, Lei­ter des Zen­trums für Sport­me­di­zin der Bun­des­wehr, aus der UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­ti­on – und das unab­hän­gig von Ursa­che und Dia­gno­se, von Kriegs­ver­let­zung oder Unfall im pri­va­ten Umfeld. Ins­be­son­de­re mit der „Team Respect Area“ soll inner­halb der Invic­tus Games Raum für genau die­se The­men geschaf­fen wer­den. Es ist ein Ort der Begeg­nung, ein Ort, um Akzep­tanz und Ver­ständ­nis zu ent­wi­ckeln, Behin­de­rung zu ver­ste­hen und um den Inklu­si­ons- und Reha­bi­li­ta­ti­ons­ge­dan­ken in der Bun­des­wehr und dar­über hin­aus zu fördern.

Über­zeugt davon, dass Sport der bes­te Weg ist, um die Gene­sung zu unter­stüt­zen, rief Prinz Har­ry, geprägt von sei­nen Erfah­run­gen als Offi­zier der Bri­tish Army, 2014 die Invic­tus Games ins Leben. Auf Lon­don, Orlan­do, Toron­to, Syd­ney und Den Haag folgt vom 9. bis 16. Sep­tem­ber 2023 Düs­sel­dorf als Aus­tra­gungs­ort. Medail­len, Ruhm und Ehre ste­hen dabei nur an zwei­ter Stel­le. In ers­ter Linie geht es dar­um, Sport als Teil der Reha­bi­li­ta­ti­on zu begrei­fen, als Gemein­schafts­er­le­ben und als Mög­lich­keit, Teil­ha­be zu errei­chen. Bei den Wett­kämp­fen gehen rund 500 ver­wun­de­te und erkrank­te Mili­tär­an­ge­hö­ri­ge für mehr als 20 Natio­nen in ver­schie­de­nen Dis­zi­pli­nen an den Start – von Bogen­schie­ßen, Leicht­ath­le­tik, Tisch­ten­nis und Indoor-Rudern über Bank­drü­cken, Sitz­vol­ley­ball und Schwim­men bis hin zu Rad­fah­ren, Roll­stuhl-Bas­ket­ball und ‑Rug­by. Das Mot­to in die­sem Jahr: „A home for respect“.

Sport als Medikament

Ist Sport tat­säch­lich die Ant­wort? Der rich­ti­ge Weg, um nach Ver­let­zun­gen und Erkran­kun­gen den Weg zurück ins Leben zu fin­den? „Sport kann nicht nur zur Ver­bes­se­rung der Kör­per­funk­ti­on bei­tra­gen, son­dern arbei­tet auch auf der Ebe­ne der Emo­ti­on“, betont Lison. Sport för­de­re das sozia­le Mit­ein­an­der, schaf­fe Erfolgs­er­leb­nis­se, trai­nie­re eben­so, mit Miss­erfol­gen umzu­ge­hen und sich durch­zu­set­zen, und sei Aus­druck von Selbst­für­sor­ge. „Wir wol­len bei den Invic­tus Games am Bei­spiel des Sports zei­gen, dass jeder in der Gemein­schaft alles errei­chen kann.“ Sport sei wie ein Medi­ka­ment, kön­ne also auch Neben­wir­kun­gen haben – mit Hin­weis dar­auf will er die Kehr­sei­te eben­falls nicht außer Acht las­sen. Kör­per­li­che Über­be­las­tung, Sucht oder die Ver­nach­läs­si­gung ande­rer Lebens­be­rei­che kön­nen die Fol­ge sein. „Trau­ma­be­wäl­ti­gung kann viel anstren­gen­der sein“, begrün­det Lison den Ver­such, sich durch Sport der The­ra­pie zu ent­zie­hen, und rät des­we­gen dazu, Sport immer im Gesamt­kon­text zu betrachten.

Lison ist es ein gro­ßes Anlie­gen, das The­ma Reha­bi­li­ta­ti­on vor­an­zu­trei­ben und so die Dienst­fä­hig­keit ver­letz­ter und erkrank­ter Soldat:innen wie­der­her­zu­stel­len. Das kann auch bedeu­ten, die Gege­ben­hei­ten anzu­pas­sen. Denn: Wann wird aus einer Beein­träch­ti­gung eigent­lich eine Behin­de­rung? Nicht durch die Ver­let­zung selbst, son­dern dann, wenn Bar­rie­ren ent­ste­hen. Für Lison gilt es, die indi­vi­du­el­len Fähig­kei­ten der Soldat:innen zu nut­zen. „Ein Mann ist Droh­nen­füh­rer und nach einem schwe­ren pri­va­ten Unfall im Roll­stuhl mobi­li­siert. Dafür wur­de sein Dienst­wa­gen umge­baut“, berich­tet er. Kei­ne Mit­leids­num­mer, son­dern durch den Erhalt „einer der bes­ten Män­ner“ eine Win-win-Situa­ti­on für alle Beteiligten.

„Erle­ben, was uns bewegt“

Die „Team Respect Area“ bringt genau das auf die Agen­da. Auf einer Flä­che von 480 Qua­drat­me­tern und unter dem Titel „Erle­ben, was uns bewegt“ will der Sani­täts­dienst gemein­sam mit dem Hilfs­mit­tel­her­stel­ler Otto­bock, dem Bun­des­in­nungs­ver­band für Ortho­pä­die-Tech­nik (BIV-OT) und den Berufs­ge­nos­sen­schaft­li­chen Kli­ni­ken (BG) den Besucher:innen deut­lich machen, wie Ortho­pä­die-Tech­nik zur Teil­ha­be bei­tra­gen kann. Ein High­light für Lison ist die Gesprächs­run­de am 16. Sep­tem­ber unter dem Titel „Teil­ha­be erle­ben – Wie viel Tech­nik braucht und ver­trägt der Mensch?“. Neben dem Oberst­arzt sind Dr. Dirk Sten­gel, MSc (Epi), Lei­ter For­schung im Res­sort Medi­zin der BG Kli­ni­ken, und OTM Albin May­er, Vize­prä­si­dent des BIV-OT, sowie Patient:innen und ihre Peers dabei. Mög­lich­kei­ten und Gren­zen tech­ni­scher Inno­va­tio­nen zeigt zudem eine Aus­stel­lung auf. Für Schüler:innen gibt es beson­de­re Ange­bo­te, um Behin­de­rung und ihre Ent­ste­hung bes­ser zu ver­ste­hen. Ziel ist es, im Anschluss an die Invic­tus Games aus der tem­po­rä­ren „Team Respect Area“ ein dau­er­haf­tes Team Respect ent­ste­hen zu las­sen. Denn mit dem 16. Sep­tem­ber enden zwar die Spie­le, nicht aber der Auf­trag, Reha­bi­li­ta­ti­on und Inklu­si­on zu stär­ken. Bestehend aus Vertreter:innen aus Medi­zin, Tech­nik, The­ra­pie, Kli­ni­ken und Bun­des­wehr soll das Team Respect dafür den Rah­men bilden.

Abge­se­hen von der „Team Respect Area“ gibt es mit dem Invic­tus-Vil­la­ge eine wei­te­re Anlauf­stel­le für die Besucher:innen, sich zwi­schen den Wett­kämp­fen zu infor­mie­ren und unter­hal­ten zu las­sen. In dem Ver­an­stal­tungs­dorf prä­sen­tie­ren sich Part­ner, Spon­so­ren und Aus­stel­ler. Zudem gibt es u. a. Auf­trit­te von Künstler:innen, Sänger:innen und Tänzer:innen, eine Zeit­rei­se durch die His­to­rie der Invic­tus Games und die Mög­lich­keit, die Invic­tus-Sport­ar­ten aus­zu­pro­bie­ren. Der Ver­sor­gung ver­wun­de­ter und erkrank­ter Soldat:innen aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht wid­met sich die Fach­kon­fe­renz War­ri­or Care am 6. und 7. Sep­tem­ber 2023. Neben der Ein­satz­me­di­zin am Bei­spiel aktu­el­ler Kon­flik­te wer­den psych­ia­tri­sche Erkran­kun­gen, neue Erkennt­nis­se zur Reha­bi­li­ta­ti­on und die Rol­le von Sport sowie Fami­lie und sozia­lem Umfeld für die Ver­sor­gung von Men­schen mit Ein­schrän­kung (mili­tä­risch und zivil) im Vor­der­grund stehen.

Wis­sen ver­mit­teln und aufklären

Und was haben Orthopädietechniker:innen nun kon­kret von einem Besuch in Düs­sel­dorf? „Sie erle­ben bei den Invic­tus Games die Kraft der Reha­bi­li­ta­ti­on für die Über­win­dung von Behin­de­rung“, erklärt Lison und hofft, dass sich Techniker:innen hier ihrer beson­de­ren Rol­le, der beson­de­ren Belas­tung, die sich dar­aus ergibt, und eben­so der Ver­ant­wor­tung als unver­zicht­ba­rer Bestand­teil eines gesamt­re­ha­bi­li­ta­ti­ven Ansat­zes bewusst wer­den. Betriebsinhaber:innen möch­te er mit auf den Weg geben, wie wich­tig es ist, ihre Mitarbeiter:innen z. B. mit Blick auf Gesprächs­füh­rung und den Umgang mit emo­tio­na­ler Belas­tung zu schu­len – und das auch vor dem Hin­ter­grund wirt­schaft­li­cher Fra­gen. Denn wer ­Arbeits­kräf­te gewin­nen und hal­ten will, muss durch­hal­te­fä­hig blei­ben. „Dafür muss man Reha­bi­li­ta­ti­on ver­ste­hen“, ist Lison über­zeugt. Eige­ne Erfah­run­gen und der Aus­tausch mit Betrie­ben zeig­ten ihm immer wie­der, dass sich nur weni­ge Techniker:innen über die Trag­wei­te des gesamt­re­ha­bi­li­ta­ti­ven Gedan­kens im Kla­ren sind.

Drei Wün­sche hat Lison, wenn am 16. Sep­tem­ber die Lich­ter bei die­sem beson­de­ren Sport­fes­ti­val aus­ge­hen. In ers­ter Linie hofft er, dass die Invic­tus Games dazu bei­tra­gen, Wis­sen zu ver­mit­teln und auf­zu­klä­ren. Zudem geht es ihm dar­um, Betrof­fen­heit für ein The­ma zu erzeu­gen, das inner­halb der Bun­des­wehr und dar­über hin­aus von Bedeu­tung ist und von heu­te auf mor­gen einen Außen­ste­hen­den zum Betrof­fe­nen wer­den las­sen kann. Und er wünscht sich, Hal­tung zu erzeu­gen. „Wenn wir die ers­te Stu­fe errei­chen, wäre das toll. Wenn wir die zwei­te errei­chen, noch bes­ser. Und wenn wir die drit­te Stu­fe errei­chen, dann hat sich alles gelohnt.“

Pia Engel­brecht

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