Neben der Behandlung akuter und chronischer Rückenschmerzen nimmt die Behandlung der Osteoarthrose mit etwa 30 % aller Patientenbehandlungen den größten Anteil der Patientenversorgung in Orthopädie und Unfallchirurgie ein 1. Obwohl die Arthrose seit mehr als 5000 Jahren bekannt ist, ist es uns bisher nicht gelungen, sie nachhaltig zu behandeln und Konzepte zur Prävention bzw. zur Verlangsamung der Arthroseprogression zu entwickeln, wie sie für andere chronische Erkrankungen wie zum Beispiel KHK oder Diabetes längst existieren.
Konservatives Arthrosemanagement
Gemäß den aktuellen Therapieempfehlungen der internationalen Fachgesellschaften (z. B. ACR, OARSI, AAOS 2 3 4) und der vor der Veröffentlichung stehenden nationalen Gonarthrose-Leitlinie, deren voraussichtliche Inhalte im Rahmen des DKOU 2013 vorgestellt wurden, werden neben den orthopädisch-unfall-chirurgischen Therapiemaßnahmen weitere Leistungen wie zum Beispiel Patientenedukation – mit dem Ziel eines aktiveren, „arthrosegerechten” Lebenswandels – sowie eine Beratung zur Optimierung des Körpergewichtes empfohlen, die im Rahmen der Behandlung in der orthopädisch-unfall-chirurgischen Praxis bzw. Klinik allein nur schwer geleistet werden können.
Es bleibt also zu diskutieren, wie die im Folgenden auszugsweise dargestellten positiv beschiedenen gelenkerhaltenden Therapiemaßnahmen der internationalen Fachgesellschaften zur Behandlung der symptomatischen Gonarthrose in der Praxis umgesetzt werden können. Dabei handelt es sich um die folgenden Maßnahmen:
- Teilnahme an Patientenschulungsprogrammen, körperliches Training, Gewichtsreduktion (bei einem BMI > 25),
- Einlagenversorgung,
- Orthesenversorgung,
- Manual-Therapie,
- intraartikuläre Injektionen, Kortison,
- valgisierende Umstellungsosteotomie (eingeschränkte Empfehlung),
- intraartikuläre Hyaluronsäure bei Patienten mit unzureichender Schmerzlinderung der initialen Therapie.
Ein allgemeiner, aber unumgänglicher Schwachpunkt der Guidelines ist sicherlich die jeweils isolierte Betrachtung einzelner Therapiemaßnahmen und die damit verbundene Herauslösung aus einem Therapiekonzept. Dies ist momentan jedoch unumgänglich, da Studien zur Evaluation von Therapiekonzepten derzeit nicht oder nur unzureichend vorliegen.
Leitliniengerechte Arthrosetherapie
Im Rahmen der Arthrosetherapie ist es von enormer Bedeutung, die betroffenen Patienten darüber aufzuklären, dass die Arthrose eine chronische Erkrankung ist, die – nach heutigem Stand – nicht heilbar ist und somit nur symptomatisch behandelt werden kann. Nach Diagnosestellung, die idealerweise in einem möglichst frühen Arthrosestadium erfolgt, sollte der Patient über die Erkrankung und Möglichkeiten zur eigenständigen Beübung sowie Verhaltensmaßregeln informiert und darin geschult werden. Oftmals ist es dabei sinnvoll, unter Anleitung eines Physiotherapeuten arthrosespezifische Übungen zu trainieren, die der Patient später fortlaufend in häuslicher Umgebung durchführt. Auch die Optimierung des Körpergewichtes ist wichtig. Es hat sich gezeigt, dass eine Reduktion des Body-Mass-Index (BMI) zu einer deutlichen Reduktion der Arthrosebeschwerden führen kann.
Ein Problem hinsichtlich der eigenständigen Beübung ist der Arthroseschmerz, der die Patienten bei der Ausübung jeglicher körperlicher Aktivität meist deutlich behindert. Daher muss es das Ziel sein, die Patienten so zu behandeln, dass sie möglichst rasch möglichst so weit schmerzbefreit sind, dass sie Übungen bis hin zum arthrosegerechten Sport durchführen bzw. betreiben können. Hierzu stehen uns verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung (Abb. 1):
1. Medikamentöse Behandlung mit
- nichtsteroidalen Antirheumatika (z. B. Ibuprofen oder Diclofenac)
- Opioiden (z. B. Tramadol)
- Gelenkinjektionen mit Lokalanästhetika und/oder Kortisonpräparaten
2. Orthesen und Hilfsmittel
- Einlagenversorgung
- Schuhranderhöhung
- entlastende Orthesen
Im Detail gilt es bezüglich der medikamentösen, symptomatischen Therapie Folgendes zu beachten: Bei Patienten, die zum Beispiel auf eine alleinige orale Schmerzmedikation zunächst mit Paracetamol und bei ausbleibender Schmerzlinderung mit Wechsel auf Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) positiv ansprechen, beträgt in einem Patientenkollektiv von über 300 Coxarthrosepatienten die Response-Rate 52 % – bei dauerhafter Medikamenteneinnahme 5. Hierbei gilt es das Risiko etwaiger Nebenwirkungen im Auge zu behalten, da eine dauerhafte Einnahme das Risiko einer Nierenfunktionseinschränkung erhöht, gleichermaßen gilt es gastrointestinale Nebenwirkungen wie zum Beispiel Durchfall, Magenschmerzen oder gar Magenblutungen möglichst zu vermeiden. Dies ist zum Teil durch die zusätzliche Verschreibung von Protonenpumpeninhibitoren („Magenschutz”; reduzieren die Produktion von Magensäure) oder durch die Verschreibung selektiver Cox-2-Inhibitoren möglich. Trotz allem sind zahlreiche Patienten für die Behandlung mit NSAR aufgrund von Kontraindikationen nicht zugänglich, so dass letztlich weit weniger als die von Snijders (2012) beschriebenen 52 % mit diesen Substanzen erfolgreich behandelt werden können.
Auch die in den Leitlinien angeführte Behandlung mit Opioiden ist aufgrund möglicher Nebenwirkungen (z. B. Schwindel oder Obstipation), aber vor allem aufgrund der Vorbehalte von Patienten bzgl. dieser Medikamentengruppe häufig keine echte Alternative.
Es stellt sich also die Frage, wie die konservative Therapie der Gonarthrose optimiert werden kann. Eine der in den Leitlinien vieler Fachgesellschaften aufgeführten Behandlungsoptionen ist die Versorgung mit entsprechender Schuhzurichtung, die Einlagenversorgung oder die Versorgung mit entlastenden Orthesen.
Einlagenversorgung, Schuhaußenranderhöhung
Betrachtet man Arbeiten aus dem Julius Wolff Institut der Charité (Berlin) an Patienten, die mit einer instrumentierten Knie-Endoprothese versorgt wurden, so zeigt sich, dass bei einer Einlagenversorgung (5 mm Außenranderhöhung) die resultierende Kraft, die durch das mediale Gelenkkompartiment läuft, etwa um 3 % reduziert wird; eine Schuhaußenranderhöhung (5 bzw. 10 mm) zeigt hier eine Reduktion der resultierenden Kraft von 3 bzw. 4 %. Bei gleichzeitiger Versorgung mit einer stabilisierenden OSG-Orthese werden größere Entlastungen erzielt 6.
In der Analyse der AAOS Guidelines (2013, 4) wurden insgesamt 4 Arbeiten mit einer sehr guten bis akzeptablen Methodik identifiziert, die den Einfluss einer außenranderhöhten Einlage gegenüber einer neutralen Einlage vergleichen. Hier konnte kein signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen ermittelt werden: Sowohl bei der neutralen als auch bei der Einlage mit Außenranderhöhung wurden positive Effekte beschrieben.
Entlastende Orthesen
Die Betrachtung von Unloader-Orthesen, ebenfalls bei Patienten mit instrumentierter Knieendoprothese, ergibt je nach eingesetzter Orthese eine Reduktion der Kraft (die durch das adressierte mediale Gelenkkompartiment beim Gehen läuft) in einer Spanne von 8 bis 30 %. Die Ergebnisse sind dabei unter anderem abhängig vom Orthesentyp, von der valgisierenden Korrektur und von der Beinachse. Zu beachten ist dabei jedoch, dass Orthesen mit einer stark valgisierenden Komponente (8°) von den Patienten nicht auf längere Zeit toleriert werden und somit zur symptomatischen Therapie der Gonarthrose allenfalls bedingt geeignet sind 7. Es gilt daher einen „Kompromiss” zwischen der Entlastung durch eine Unloader-Orthese und der Patientencompliancezu finden – denn nur wenn die Orthese getragen wird, hilft sie dem Patienten. Befragt man Patienten nach den Kriterien, die zur Auswahl einer Unloader-Orthese relevant sind, so werden in erster Linie der Tragekomfort und das Handling angeführt. Nach einem „Testlauf” mit verschiedenen Orthesen wird als wichtigstes Kriterium eine unmittelbare Schmerzlinderung genannt, die zur Bevorzugung einer Orthese gegenüber einer anderen ausschlaggebend ist.
Klinische Studien zeigen bei der Versorgung von Gonarthrosepatienten mit entlastenden Orthesen eine signifikante Reduktion der Schmerzen im adressierten Gelenkkompartiment, die im Vergleich zu einer Einlagenversorgung oder einer Neoprenbandage signifikant stärker ausgeprägt waren 8 9. In einer weiteren Arbeit konnte beim Vergleich von Gonarthrosepatienten, die mit einer entlastenden Orthese versorgt wurden, kein signifikanter Unterschied der Schmerzen, der Gelenkfunktion und der Lebensqualität gegenüber solchen Gonarthrosepatienten nachgewiesen werden, die mit Arthroseschulung, Schmerzmitteln und physikalischer Therapie behandelt wurden. Bei der Betrachtung der Gehstrecke wurde jedoch ein signifikanter Unterschied zugunsten der Orthesengruppe über den Untersuchungszeitraum von 12 Monaten beobachtet 10.
Fazit
Bei gegebener Patientencompliance stellen die orthopädietechnischen Optionen Einlagenversorgung, Schuhaußenranderhöhung und Versorgung mit Unloader-Orthesen geeignete Möglichkeiten einer symptomatischen Gonarthosetherapie dar, sofern es sich um ein unikompartimentelles Geschehen handelt. Die Ergebnisse der verfügbaren Literatur beziehen sich dabei vor allem auf die mediale Gonarthrose. Biomechanische Untersuchungen an Patienten mit einer instrumentierten Knie-Endoprothese ergaben bei Einlagenversorgung und Schuhaußenranderhöhung eine Entlastung des adressierten Gelenkkompartimentes von 3 bis 5 %, die in vielen Fällen schon zu einer Beschwerdelinderung führt. Unloader-Orthesen bewirken eine zum Teil deutlich höhere Reduktion der Kraft, die durch das adressierte Gelenkkompartiment läuft, als Einlagen und Schuhaußenranderhöhungen.
Eine wesentliche Voraussetzung für den Behandlungserfolg ist die Compliance der Patienten, die wiederum vom Tragekomfort und der erfahrenen Schmerzreduktion abhängt. Sofern eine gute Patientencompliance besteht, kann durch den Einsatz von Unloader-Orthesen eine signifikante Schmerzreduktion sowie eine Verbesserung der Gelenkfunktion und der Lebensqualität erreicht werden 11. Eingebettet in ein Arthrosemanagementkonzept stellen die orthopädietechnischen Optionen somit eine valide Behandlungsoption dar, die zu einer klinisch relevanten Schmerzreduktion führen kann.
Interessenkonflikt: Dr. med. Axel Schulz arbeitet neben seiner Tätigkeit in der orthopädischen Praxis bei der Össur B. V.
Für die Autoren:
Dr. med. Axel Schulz
Facharzt für Orthopädie, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
Brenscheider Straße 71
58515 Lüdenscheid
orthoschulz@web.de
Begutachteter Beitrag/Reviewed paper
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- Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2013, Heft 54
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