Steh- und Geh­hil­fen in Kin­der­ver­sor­gung und Kin­der­re­ha aus ergo­the­ra­peu­ti­scher Sicht

A. Espei
Der Artikel beschäftigt sich mit der Vertikalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Hilfsmittel zum Stehen und Gehen im Rahmen der ergotherapeutischen Behandlung. Die Bedeutung der aufrechten Position wird dabei sowohl aus dem biomedizinischen als auch aus dem psychosozialen Blickwinkel erläutert. Die Zielrichtung einer Hilfsmittelversorgung für das Stehen wird detailliert diskutiert und dabei ein Bezug zu produktspezifischen Merkmalen hergestellt. Zudem wird die Biomechanik des Gehens im Zusammenhang mit den gängigen Gehhilfen dargestellt und die versorgungstechnisch relevanten Aspekte in den Rahmen des biopsychosozialen Modells der ICF eingeordnet.

Ein­lei­tung

Der auf­rech­te Gang ist ein Allein­stel­lungs­merk­mal des Men­schen. In der Evo­lu­ti­ons­ge­schich­te wur­den Arme und Hän­de durch die Fort­be­we­gung auf zwei Bei­nen frei­er. Dadurch wur­de der Weg zur Ent­wick­lung der fei­ne­ren Hand­mo­to­rik eröff­net, was die rasan­te kogni­ti­ve Ent­wick­lung des Men­schen för­der­te. Der Aus­druck „etwas begrei­fen“ besagt, etwas mit den Hän­den zu erfas­sen und dadurch zu ver­ste­hen. Auch die Beschrei­bung einer gelun­ge­nen Zusam­men­ar­beit „auf Augen­hö­he“ steht damit in Zusam­men­hang: Zwei auf­ge­rich­te­te Wesen kom­men in Kon­takt und kön­nen gleich­be­rech­tigt etwas schaf­fen 1.

Die­ser kur­ze Aus­flug in die Evo­lu­ti­ons­ge­schich­te des Men­schen deu­tet dar­auf hin, wie sehr Ste­hen und Gehen mit der Mensch­wer­dung ver­bun­den sind. Viel­leicht ist es vor die­sem Hin­ter­grund ein­fa­cher zu ver­ste­hen, war­um die Ver­sor­gung mit Steh- und Geh­hil­fen so weit oben auf der Prio­ri­tä­ten­lis­te von Men­schen mit Bewe­gungs­stö­run­gen steht. Dies gilt umso mehr für Kin­der und Jugend­li­che, die beson­ders schwach und pas­siv sind und die zur Auf­rich­tung sehr viel Unter­stüt­zung benötigen.

Im Fol­gen­den wird die Ver­ti­ka­li­sie­rung von Kin­dern unter Ein­satz von Hilfs­mit­teln dis­ku­tiert – zunächst im Ste­hen und anschlie­ßend im Gehen. Vor­ab wer­den die Aus­wir­kun­gen der Auf­rich­tung im All­ge­mei­nen beschrieben.

Ste­hen – Grundlagen

Kör­per­funk­tio­nen und ‑struk­tu­ren

Brust­korb und Bauch­raum sind eng mit Ver­dau­ungs­or­ga­nen, Lun­ge und Herz gefüllt. Sie müs­sen sich aus­deh­nen und zusam­men­zie­hen kön­nen, um ihre Funk­ti­on zu erfül­len. Wenn es zu eng wird, z. B. beim Sit­zen, wer­den die­se Funk­tio­nen ein­ge­schränkt und der Kör­per mit all den Stof­fen, die er für einen rei­bungs­lo­sen Betrieb benö­tigt, nur unzu­rei­chend ver­sorgt. Unter­stützt wer­den die­se Pro­zes­se durch eine akti­ve Mus­ku­la­tur (z. B. das Herz durch die Mus­kel­pum­pen in den Bei­nen, um den venö­sen Rück­trans­port des Blu­tes zu gewähr­leis­ten). Die Mus­ku­la­tur ist an die Stand­po­si­ti­on adap­tiert und arbei­tet am effek­tivs­ten in einer auf­rech­ten Posi­ti­on. Auch Kno­chen und Gelen­ke funk­tio­nie­ren am bes­ten, wenn der Kör­per auf­ge­rich­tet ist, und benö­ti­gen Belas­tung für eine aus­rei­chen­de Ent­wick­lung. Ist das Ske­lett pas­siv und bewe­gungs­arm, kommt es zu Blo­cka­den – Ver­span­nun­gen und Schmer­zen sind die Fol­gen. Die lang­sam ablau­fen­den Adap­ti­ons­pro­zes­se füh­ren zu ver­min­der­ter Leistungsfähigkeit.

Die von der WHO erar­bei­te­te Inter­na­tio­nal Clas­si­fi­ca­ti­on of Func­tio­ning, Disa­bi­li­ty and Health (ICF) zur Klas­si­fi­ka­ti­on von Gesund­heits­stö­run­gen bie­tet mit dem ihr zugrun­de lie­gen­den bio­psy­cho­so­zia­len Modell die Mög­lich­keit, alle für die Gesund­heit rele­van­ten Aspek­te dar­zu­stel­len und mit­ein­an­der in Bezie­hung zu set­zen. Das Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis ver­wen­det zur Beschrei­bung des Bedarfs an man­chen Stel­len expli­zit das ICF-Modell, an ande­ren wird das Voka­bu­lar der ICF ver­wen­det. Des­halb wird die ICF auch hier zur Dar­stel­lung wesent­li­cher Aspek­te ver­wandt 2 3  (Abb. 1).

In der Spra­che der ICF geht es um „Kör­per­funk­tio­nen und ‑struk­tu­ren“ (hier die kar­dio­vas­ku­lä­ren, häma­to­lo­gi­schen und Atmungs­funk­tio­nen sowie die mus­ku­los­ke­letta­len Struk­tu­ren). Für die phy­sio­lo­gi­sche Ent­wick­lung der Kör­per­struk­tu­ren ist eine auf­rech­te Posi­ti­on unab­ding­bar. Kno­chen benö­ti­gen Belas­tung durch Kör­per­ge­wicht, Schwer­kraft und Mus­kel­zug als Wachs­tums­im­puls. Die Rich­tung der ein­wir­ken­den Kräf­te beein­flusst dabei die Rich­tung des Wachs­tums. Um also die Gelen­ke die rich­ti­ge Form anneh­men zu las­sen, sind phy­sio­lo­gisch kor­rek­te Belas­tun­gen not­wen­dig. Ein beson­de­res Augen­merk ver­dient dabei das Hüft­ge­lenk: Durch eine kor­rek­te Belas­tung in der auf­ge­rich­te­ten Posi­ti­on erhält es Impul­se zur Aus­bil­dung sei­ner phy­sio­lo­gi­schen Form, unter ande­rem des Hüft­kopf­win­kels. Ste­hen, und zwar so früh wie mög­lich, ist somit ein wich­ti­ger Teil der Dysplasieprophylaxe.

Akti­vi­tä­ten

Ste­hen zu kön­nen hat vie­le Vor­tei­le: Die Anre­gung bzw. der mög­lichst rei­bungs­lo­se Ablauf der Stoff­wech­sel­funk­tio­nen, der ver­än­der­te Tonus, mög­li­che Lage­ver­än­de­run­gen sowie der ver­än­der­te Blick­win­kel – all das spielt im Stand zusam­men und sorgt für mehr Auf­merk­sam­keit bei den klei­nen Pati­en­ten. Eine Ver­län­ge­rung der Kon­zen­tra­ti­ons­span­ne und eine bes­se­re kogni­ti­ve Leis­tungs­fä­hig­keit durch Ste­hen konn­ten nach­ge­wie­sen wer­den 4. Die Benut­zer von Steh­ge­rä­ten bemer­ken dies teil­wei­se selbst; so ver­langt z. B. ein Schü­ler mit einer spas­ti­schen Zere­bral­pa­re­se der Stu­fe GMFCS 3 in einer inklu­si­ven Schu­le in Cel­le für den Mathe­ma­tik­un­ter­richt nach sei­nem Steh­trai­ner, weil er sich dann bes­ser kon­zen­trie­ren kann. Auch die fein­mo­to­ri­schen Fähig­kei­ten von Kin­dern wer­den durch die ste­hen­de Posi­ti­on in vie­len Fäl­len gestei­gert, eben­so die Koor­di­na­ti­on von Auge und Hand bzw. von Hand und Mund (Abb. 2). In einer Schu­le in Lever­ku­sen wird die­se Unter­stüt­zung für das Mit­tag­essen genutzt: Schü­ler, denen die Koor­di­na­ti­on von Hand und Mund im Ste­hen leich­ter fällt, neh­men ihre Mit­tags­mahl­zeit im Steh­trai­ner ein 5.

Aber es gibt noch wei­te­re Vor­tei­le: Dass sich die Wahr­neh­mung des eige­nen Kör­pers sowie die Raum­wahr­neh­mung in der Ver­ti­ka­len ver­än­dern, ist leicht nach­zu­voll­zie­hen. Zudem ist die Kopf­kon­trol­le im Ste­hen oft bes­ser als im Sit­zen. Dies kann zur För­de­rung von Akti­vi­tä­ten wie Kau­en und Schlu­cken genutzt wer­den, eben­so zur Sprach­för­de­rung und zum Kom­mu­ni­ka­ti­ons­trai­ning. Das Steh­trai­ning ist also ein wich­ti­ger Bau­stein aller Therapiemaßnahmen.

Ver­bes­ser­te Teil­ha­be durch Stehen

Die part­ner­schaft­li­che Begeg­nung auf Augen­hö­he, das Ernst­neh­men des Gegen­übers, der gleich­be­rech­tig­te Kon­takt – all dies fällt im Ste­hen leich­ter. Auch in Pau­sen­zei­ten, Spiel­si­tua­tio­nen oder bei Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten ist es eine Berei­che­rung, wenn der Kon­takt im Ste­hen statt­fin­det. Um dies zu ermög­li­chen, muss das ein­ge­setz­te Steh­ge­rät (s. unten) zur jewei­li­gen Situa­ti­on pas­sen – sowohl von sei­nen Aus­ma­ßen als auch von der Bedie­ner­freund­lich­keit her. Die Anwen­der der Hilfs­mit­tel, d. h. die­je­ni­gen, die den Trans­fer bei den Benut­zern beglei­ten, sind nicht unbe­dingt tech­nik­af­fin, müs­sen aber bei den klei­nen Pati­en­ten für eine exak­te Posi­tio­nie­rung sor­gen. Daher soll­te die Kon­struk­ti­on der Mecha­nik über­sicht­lich und unkom­pli­ziert sein. Für die Benut­ze­rin­nen und Benut­zer selbst ist es in der jewei­li­gen Teil­ha­be­si­tua­ti­on wich­tig, so viel Unter­stüt­zung zu erfah­ren, dass noch Kraft und Ener­gie für das­je­ni­ge übrig­bleibt, was in der jewei­li­gen Situa­ti­on als sol­cher geschieht.

Als Zwi­schen­re­sü­mee lässt sich dem­nach fest­hal­ten, dass alle Men­schen und ins­be­son­de­re Kin­der und Jugend­li­che, die nicht von sich aus eine auf­rech­te Posi­ti­on ein­neh­men kön­nen – unab­hän­gig von ihrer Erkran­kung oder Behin­de­rung sowie deren Schwe­re­grad und unab­hän­gig von ihrem Alter –, ver­ti­ka­li­siert wer­den soll­ten, um die posi­ti­ven Effek­te die­ser typisch mensch­li­chen Posi­ti­on auf Kör­per­funk­tio­nen, Kör­per­struk­tu­ren, Akti­vi­tä­ten und Teil­ha­be zu nut­zen. Dabei ist es unab­ding­bar, dass die Posi­tio­nie­rung so erfolgt, dass es zu kei­nen nega­ti­ven Ein­flüs­sen oder Gefähr­dun­gen der Kin­der und Jugend­li­chen kommt. Das phy­sio­lo­gi­sche Ali­gnment muss durch geeig­ne­te Hilfs­mit­tel gewähr­leis­tet wer­den, soweit es mög­lich ist. Eine Ver­schlim­me­rung von Fehl­stel­lun­gen durch Belas­tung im Ste­hen soll ver­mie­den oder zumin­dest gegen­über den Vor­tei­len, die die Ver­ti­ka­li­sie­rung mit sich bringt, abge­wo­gen werden.

Ste­hen – Behandlungskonzepte

Im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis ist die Pro­dukt­grup­pe 28 „Steh­hil­fen“ in die Unter­grup­pen „Steh­stän­der“ und „Schrä­g­lie­ge­bret­ter“ unter­teilt. Steh­stän­der wer­den dort defi­niert als „Gerä­te zur Sta­bi­li­sie­rung der Fuß‑, Knie- und even­tu­ell der Hüft­ge­len­ke zur Durch­füh­rung von Steh- und Bewe­gungs­übun­gen des Rump­fes und der obe­ren Extre­mi­tä­ten“ 6. Schrä­g­lie­ge­bret­ter „die­nen eben­falls der Sta­bi­li­sie­rung von Rumpf und Bei­nen. Schrä­g­lie­ge­bret­ter erleich­tern u. a. die Kopf­kon­trol­le und Arm­funk­ti­on und hel­fen durch die auf­ge­rich­te­te Kör­per­po­si­ti­on, dass das Blick­feld und die Raum­wahr­neh­mung erwei­tert wer­den. Sie sind win­kel­ver­stell­bar […] und las­sen sich auch zu the­ra­peu­ti­schen Zwe­cken und bei der Nah­rungs­auf­nah­me (Nah­rung geben) ver­wen­den“ 6.

Beu­ge­kon­trak­tu­ren entgegenwirken

Ziel des Steh­trai­nings ist die mög­lichst ach­sen­ge­rech­te Auf­rich­tung des Kör­pers. Beu­ge­kon­trak­tu­ren in Hüf­ten und Knien, wie sie bei vie­len Pati­en­ten, die Steh­trai­ner benö­ti­gen, fest­zu­stel­len sind, sol­len mög­lichst ganz ver­mie­den oder zumin­dest gestoppt wer­den. Die meis­ten Benut­zer von Steh­trai­nern gelan­gen aus einer sit­zen­den Hal­tung in den Steh­trai­ner. Ihre Mus­ku­la­tur erscheint dabei aller­dings oft stär­ker ver­kürzt, als sie es eigent­lich ist. Des­halb soll­te die Stre­ckung wäh­rend des Steh­trai­nings (wenn der Tonus sich durch die Belas­tung regu­liert) opti­miert wer­den. Der ent­spre­chen­de Mecha­nis­mus des Gerä­tes muss also wäh­rend der Nut­zung gut erreich­bar und zu bedie­nen sein, und die Stre­ckung soll­te sanft und ohne Schmer­zen erfol­gen kön­nen. Eine sol­che Mecha­nik ist aller­dings auf­wen­dig und steht dem Wunsch nach einem kla­ren Design oder einer Optik, die eher einem Spiel­ge­rät ähneln soll, ent­ge­gen. Hier muss klar abge­wo­gen wer­den, ob ein tech­nisch auf­wen­di­ges und exakt füh­ren­des Hilfs­mit­tel ein­ge­setzt wird oder ob einem Gerät, das aus­sieht wie ein Spiel­ge­rät, aber das phy­sio­lo­gi­sche Ali­gnment nicht gewähr­leis­ten kann, der Vor­zug gege­ben wird. Ein Steh­trai­ner mit der Optik eines Spiel­ge­räts ist emo­tio­nal leich­ter zu akzep­tie­ren und muss gegen­über der vor­lie­gen­den Dia­gno­se, der Pro­gno­se und natür­lich dem Alter des Kin­des abge­wo­gen werden.

Um tat­säch­lich einen Effekt auf die Ver­län­ge­rung der Mus­ku­la­tur zu errei­chen oder zumin­dest der Ver­kür­zung ent­ge­gen­zu­wir­ken, ist eine lang­an­hal­ten­de Deh­nung von ca. 60 bis 90 Minu­ten pro Tag not­wen­dig 7. Dabei soll­te die Gewichts­ver­tei­lung vari­iert wer­den. Das gelingt z. B. mit einer Win­kel­ver­stel­lung des Rah­mens. Damit kön­nen fol­gen­de Wir­kun­gen erzielt werden:

  • Durch die Nei­gung nach vorn oder hin­ten wer­den Gewichts­ver­tei­lung, Belas­tung der Füße und Kopf­kon­trol­le variiert.
  • Durch late­ra­le Gewichts­ver­la­ge­run­gen kön­nen Geh­be­we­gun­gen vor­be­rei­tet werden.
  • Ein vibrie­ren­der Unter­grund regt die Mus­kel­spin­deln an.

Abduk­ti­on

Die Stel­lung des Femur­kop­fes im Ace­tabu­lum beein­flusst die Aus­for­mung des Gelen­kes. Des­halb wird ein Ste­hen in Abduk­ti­on ärzt­lich immer dann ver­ord­net, wenn es Über­da­chungs­de­fi­zi­te gibt und/oder wenn eine Hüft­lu­xa­ti­on droht. Der Abstand des Fußes zur Hüf­te in der Fron­tal­ebe­ne (Spreiz­brei­te) beein­flusst den Win­kel des Femur­kop­fes in der Gelenk­pfan­ne. Daher sind bei jedem Steh­ge­rät getrennt ein­stell­ba­re Fuß­bret­ter nötig. Die­se kom­pen­sie­ren gleich­zei­tig die häu­fig vor­kom­men­den (meist funk­tio­na­len) Bein­län­gen­dif­fe­ren­zen. Fuß­scha­len hal­ten den Fuß mit sei­ner Orthe­sen­ver­sor­gung im rich­ti­gen Tor­si­ons­win­kel. Sie soll­ten daher die Mög­lich­keit bie­ten, eine genü­gen­de Außen­ro­ta­ti­on ein­zu­stel­len. Dazu ist es erfor­der­lich, dass sie genü­gend Flä­che bie­ten, um raum­for­dern­de Orthe­sen und Schuh­ver­sor­gun­gen auf­neh­men zu können.

Auf­rich­tung

Die Tho­rax­mus­ku­la­tur soll in der auf­ge­rich­te­ten Posi­ti­on so aktiv wie mög­lich blei­ben. Es gilt, das rich­ti­ge Maß an Unter­stüt­zung und eine geeig­ne­te Balan­ce zwi­schen Ent­las­tung und Akti­vie­rung zu ermit­teln. Gewicht kann ent­we­der durch Anla­ge­punk­te am Becken, an der Brust­wir­bel­säu­le oder am Ster­num oder aber flä­chig von hin­ten (Rücken­schrä­g­lie­ge­brett, RSLB) abge­nom­men wer­den. Damit kann auch einer Kypho­sie­rung und/oder einer (Hyper-)Lordose ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den. Seit­nei­gungs­ten­den­zen wer­den durch late­ra­le Pelot­ten begrenzt. Auch einer Rota­ti­ons­fehl­stel­lung des Beckens oder der Wir­bel­säu­le wirkt ein RSLB mit sei­ner flä­chi­gen Anla­ge bes­ser ent­ge­gen als ein Steh­trai­ner (sie­he unten), des­sen Anla­ge­flä­chen klei­ner sind und punk­tu­el­ler von vorn anset­zen. Ist die Nei­gung und/oder Tor­si­on der Wir­bel­säu­le zu stark oder die Mus­ku­la­tur zu schwach, reicht die Stütz­funk­ti­on der Pelot­ten der Steh­ge­rä­te manch­mal nicht aus oder kann nicht exakt genug ein­ge­stellt wer­den. Dann kann eine Kom­bi­na­ti­on aus Kor­sett und Steh­ge­rät eine sinn­vol­le Lösung sein.

Ste­hen – Ver­sor­gungs­kon­zep­te (Steh­trai­ner und Liegebretter)

Steh­trai­ner­kon­zep­te

Das Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis unter­schei­det inner­halb der Pro­dukt­ar­ten zwi­schen fest­ste­hen­den, fahr­ba­ren, an der Wand mon­tier­ten und zur selbst­stän­di­gen Fort­be­we­gung die­nen­den Steh­trai­nern 3. Die­ser Arti­kel kon­zen­triert sich unter dem Aspekt der Teil­ha­be auf die fahr­ba­ren und die zur Fort­be­we­gung die­nen­den Modelle.

  • Klas­si­sche Steh­trai­ner: Der klas­si­sche Steh­trai­ner (Abb. 3) bie­tet Füh­rung sowie eine Stüt­ze von vorn und setzt an den drei gro­ßen Gelen­ken der unte­ren Extre­mi­tät sowie am Tho­rax an. Die Haupt­an­la­ge­flä­chen vorn wer­den durch den Gegen­halt von dor­sal ergänzt. Die Posi­tio­nie­rung des Beckens ist im Stand der zen­tra­le Aspekt. Beu­gung, Rota­ti­on und Abduk­ti­on sind wich­ti­ge Fak­to­ren bezüg­lich der Qua­li­tät des Ste­hens. Der Steh­trai­ner muss die Kör­per­struk­tu­ren in die gewünsch­te, mög­lichst phy­sio­lo­gi­sche Posi­ti­on brin­gen und dort hal­ten. Ziel ist ein sym­me­trisch auf­ge­rich­te­tes Becken. Ein wei­te­rer Anspruch besteht einer­seits bezüg­lich der Anpas­sung des Steh­trai­ners an das Kör­per­wachs­tum und an den Ent­wick­lungs­fort­schritt des klei­nen Benut­zers, ande­rer­seits an das mög­li­che Vor­an­schrei­ten der jewei­li­gen Erkran­kung (z. B. Zere­bral­pa­re­se, neu­ro­de­ge­nera­ti­ve Erkran­kun­gen oder Mus­kel­schwä­che). Daher müs­sen die Posi­tio­nie­rungs­ele­men­te für Becken und Hüf­te anpass­bar sein, ohne dass dadurch Belast­bar­keit und Sta­bi­li­tät des Steh­trai­ners lei­den dür­fen. Das Füh­ren der Knie sowie Kraft und Deh­nun­gen, um Kon­trak­tu­ren auf­zu­hal­ten oder sogar zu mil­dern, sind von größ­ter Bedeu­tung. Daher wir­ken klas­si­sche Steh­trai­ner in der Regel von vorn auf Ober­schen­kel und Schien­bein ein, um eine Stre­ckung zu errei­chen. Dies ist bei Kon­trak­tu­ren bis zu ca. 25° mög­lich; dar­über hin­aus ist eine Ver­sor­gung mit einem Rücken­schrä­g­lie­ge­brett (RSLB; sie­he unten) meist sinn­vol­ler. Je grö­ßer die Kon­trak­tur, des­to stär­ker die beu­gen­den Kräf­te, die vom Steh­stän­der kom­pen­siert wer­den müs­sen, und des­to grö­ßer die erfor­der­li­chen Hal­te- bzw. Kor­rek­tur­ele­men­te. Daher müs­sen die ent­spre­chen­den Pelot­ten so ein­ge­stellt wer­den kön­nen, dass sie den knö­cher­nen Struk­tu­ren Halt bie­ten, ohne dass es zu Schmer­zen oder Druck­stel­len kommt. Die Füße sind bei den Benut­zern von Steh­ge­rä­ten in der Regel orthopädie(schuh)technisch ver­sorgt. Des­halb ist es erfor­der­lich, dass das Steh­ge­rät eine Schuh- bzw. Orthe­sen­ver­sor­gung auf­neh­men und hal­ten kann. Für Benut­zer ohne ent­spre­chen­de Ver­sor­gung muss das Fuß­brett an die indi­vi­du­el­le Fuß­po­si­ti­on (z. B. bei einer Spitz­fuß­stel­lung) anpass­bar sein.
  • Mobi­le Steh­trai­ner: Unter mobi­len Steh­trai­nern (Abb. 4) wer­den Model­le mit Greif­rei­fen ver­stan­den, die den Nut­zern eine selbst­stän­di­ge Fort­be­we­gung ermög­li­chen. Dabei gel­ten die glei­chen Ansprü­che an die Posi­tio­nie­rung wie bei einem klas­si­schen Steh­trai­ner. Durch die gro­ßen Antriebs­rä­der ist zusätz­lich eine eigen­stän­di­ge Fort­be­we­gung mög­lich. Wich­ti­ge Aspek­te wie Unab­hän­gig­keit, Frei­heit und Selbst­stän­dig­keit wer­den durch einen mobi­len Steh­trai­ner in weit­aus höhe­rem Maße ver­wirk­licht als durch ein klas­si­sches Modell. Durch die Akti­vi­tät der Arme, der Schul­tern und der Hän­de sowie durch das Steu­ern und die Anfor­de­run­gen an die Koor­di­na­ti­on wer­den einer­seits höhe­re Anfor­de­run­gen an den Nut­zer gestellt, ande­rer­seits aber auch zusätz­li­che Trai­nings­mög­lich­kei­ten gebo­ten. Vor­aus­set­zun­gen für eine eigen­stän­di­ge Nut­zung sind Schul­ter­kon­trol­le, Greif­funk­ti­on und aus­rei­chen­de Kraft, hin­zu kom­men Koor­di­na­ti­on, Raum­wahr­neh­mung und Visus.

Der Ein­satz von Steh­ge­rä­ten soll­te kei­nes­falls nur auf die The­ra­pie beschränkt wer­den. Viel­mehr soll­ten Steh­ge­rä­te auch im Unter­richt, auf dem Spiel­platz, evtl. beim Essen, also in mög­lichst vie­len All­tags­si­tua­tio­nen genutzt wer­den. So wird dazu bei­getra­gen, die rela­tiv lan­gen Steh­zei­ten zu errei­chen, die nötig sind, um Effek­te auf Mus­ku­la­tur und Kno­chen auszulösen.

Schrä­g­lie­ge­bret­ter

Wäh­rend sich Steh­trai­ner eher an Men­schen mit GMFCS-Level 3 oder 4 wen­den, sind Rücken­schrä­g­lie­ge­bret­ter (RSLB; Abb. 5) ins­be­son­de­re dazu geeig­net, Men­schen mit schwa­cher Kopf­kon­trol­le bei der Auf­rich­tung zu stüt­zen. Sie sind dazu vor­ge­se­hen, Men­schen mit GMFCS-Level 4 oder 5 in die Ver­ti­ka­le zu bewe­gen und dort zu hal­ten. RSLB ver­mit­teln Unter­stüt­zung von hin­ten und bie­ten gro­ße Anla­ge­flä­chen, auch für den Kopf. Die Auf­rich­tung erfolgt aus der lie­gen­den Posi­ti­on und kann dosiert wer­den. Die gro­ße Unter­stüt­zungs­flä­che kann bei eini­gen Gerä­ten kon­tu­riert wer­den, sodass Knie- oder Hüft­beu­ge­kon­trak­tu­ren abge­stützt wer­den kön­nen. Dabei geht es nicht vor­ran­gig um eine Kor­rek­tur, son­dern um die Auf­recht­erhal­tung der jewei­li­gen Situa­ti­on bzw. die Ver­mei­dung einer Ver­schlim­me­rung. So kön­nen auch Kin­der mit kom­ple­xen Anfor­de­run­gen (star­ke Kon­trak­tu­ren, deut­li­che Sko­lio­se) ver­ti­ka­li­siert wer­den. Auch für Kin­der mit einer Zere­bral­pa­re­se der dys­ki­ne­ti­schen Form sind Rücken­schrä­g­lie­ge­bret­ter meist von Vor­teil, da die­se so sta­bil und sicher sind, dass sie auch durch die unkon­trol­lier­ten Bewe­gungs­aus­schlä­ge der Extre­mi­tä­ten nicht ins Wan­ken gera­ten. Da Benut­ze­rin­nen und Benut­zer von RSLB in der Regel wenig Eigen­ak­ti­vi­tät zei­gen, sind der Trans­fer und die Art und Wei­se der Auf­rich­tung wich­ti­ge Kri­te­ri­en bei der Ent­schei­dung für oder gegen ein Gerät.

Die Posi­tio­nie­rung beginnt im RSLB in der Hori­zon­ta­len. Der Trans­fer aus dem (Roll-)Stuhl oder dem Bett ist, zumal wenn ein Lif­ter ein­ge­setzt wird, rela­tiv ein­fach und für die Hilfs­per­son rücken­scho­nend zu leis­ten. Somit ist es von Vor­teil, wenn das Gerät von einem Lif­ter unter­fah­ren wer­den kann. Die Rücken­la­ge wird von den meis­ten der klei­nen Pati­en­ten als ange­nehm und ent­spannt emp­fun­den. Dies begüns­tigt die Tonus­ver­hält­nis­se und erleich­tert die Posi­tio­nie­rung und Auf­rich­tung. Die meis­ten Benut­zer von Rücken­schrä­g­lie­ge­bret­tern haben eine ein­ge­schränk­te Kopf­kon­trol­le, sind im Rücken­schrä­g­lie­ge­brett aber gut auf­ge­ho­ben, weil deren Kopf­stüt­ze eine gute Unter­stüt­zung bie­tet. Trotz der flä­chi­gen Anla­ge kommt es jedoch häu­fig dazu, dass der Kopf immer noch nach vorn fällt. Meist wird die­ser Effekt durch eine fal­sche Posi­tio­nie­rung des Beckens ein­ge­lei­tet. Die­ser Zusam­men­hang soll im Fol­gen­den genau­er ver­deut­licht wer­den, weil er für die Auf­rich­tung des Tho­rax, der Brust­wir­bel­säu­le und des Kop­fes zen­tra­le Bedeu­tung hat.

Bei der Posi­tio­nie­rung in der Rücken­la­ge bie­ten Rücken­schrä­g­lie­ge­bret­ter die Mög­lich­keit, für das Gesäß eine Mul­de anzu­for­men, um so den Weich­tei­len genü­gend Platz zu bie­ten. Mit der Auf­rich­tung bleibt die­se Posi­ti­on erhal­ten, mit dem Effekt, dass das Becken sich nach hin­ten ver­la­gert. Im Gegen­satz dazu wird die Wir­bel­säu­le wie­der nach vorn gescho­ben, was zu einem Impuls zur Auf­rich­tung über die­se Lor­do­sie­rung füh­ren soll. Wegen der Rumpf­hy­po­to­nie ist aller­dings häu­fig zu beob­ach­ten, dass der Rumpf sich nicht auf­rich­tet, son­dern nach vorn kippt. Der schwe­re Kopf, der am obe­ren Ende die­ser groß­bo­gi­gen Kypho­se mit sei­nem Gewicht nach vor­ne unten zieht, ver­stärkt die­sen Effekt. Um dem ent­ge­gen­zu­wir­ken, wird in der Regel mit Brust­schul­ter­gur­ten, Pelot­ten und Kopf­stüt­zen gear­bei­tet, die aber der schwe­ren Mas­se von Ober­kör­per und Kopf nicht immer genü­gend Halt bie­ten kön­nen. In die­sem Fall wird über das Kip­pen der Anla­ge­flä­che nach hin­ten ver­sucht, die Hal­te­ar­beit des Rump­fes für den Kopf zu erleich­tern – aller­dings um den Preis, dass die Blick­rich­tung gegen die Decke schwenkt und der Kon­takt zur Umwelt auf die­se Wei­se erschwert wird. Da aber gera­de Inter­ak­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­on wich­ti­ge Zie­le eines Steh­trai­nings sind, ist ein sol­ches Vor­ge­hen nur in Aus­nah­me­fäl­len akzeptabel.

Eine häu­fig bes­se­re Mög­lich­keit der Posi­tio­nie­rung ist der soge­nann­te Tuber­stand (Abb. 6). Dabei wer­den die Füße vor dem Becken posi­tio­niert und die Anla­ge­flä­che so kon­tu­riert, dass die Tube­ra unter­stützt wer­den. Das Becken bleibt auf­recht, die Wir­bel­säu­le eben­so, und der Kopf bleibt lot­recht. Auf die­se Wei­se wird die Anleh­nung an die flä­chi­ge Kopf­stüt­ze erleich­tert; die Beweg­lich­keit des Kop­fes zu den Sei­ten bleibt erhal­ten, und die Blick­steue­rung wird unterstützt.

Kin­der mit kom­ple­xe­ren Rota­ti­ons­fehl­stel­lun­gen in der Wir­bel­säu­le (fixier­te Sko­lio­sen mit Gib­bus) und fixier­ten Kon­trak­tu­ren stel­len beson­ders hohe Ansprü­che an die Viel­falt der Ein­stel­lungs­mög­lich­kei­ten. Die Lie­ge­flä­che muss dann so klein­tei­lig anzu­pas­sen sein, dass die ein­zel­nen Kör­per­struk­tu­ren einen ange­mes­se­nen Halt fin­den. Auch hier bie­tet der Markt eine Viel­falt an Pro­duk­ten an, sodass sich auch in sol­chen Fäl­len mit hoher Wahr­schein­lich­keit das pas­sen­de Hilfs­mit­tel fin­den lässt.

Ste­hen – Fazit

Zusam­men­fas­send lässt sich fest­hal­ten, dass die Auf­rich­tung des Men­schen so vie­le wert­vol­le Aspek­te bezüg­lich der Ent­wick­lung der ana­to­mi­schen Struk­tu­ren, der Funk­tio­nen des Kör­pers und für die För­de­rung der Teil­ha­be umfasst, dass ins­be­son­de­re Kin­der, die dies nicht aus eige­ner Kraft leis­ten kön­nen, durch ein Steh­ge­rät bei der Auf­rich­tung unter­stützt wer­den soll­ten. Das stärks­te Argu­ment gegen eine Auf­rich­tung sind Schmer­zen, die z. B. durch star­ke Defor­mi­tä­ten (Sko­lio­se, Kon­trak­tur) ent­ste­hen. Dann kann es dazu kom­men, dass die posi­ti­ven Aspek­te des Ste­hens die nega­ti­ven nicht auf­wie­gen und dass Alter­na­ti­ven gefun­den wer­den müssen.

Gehen – Grundlagen

Im nor­ma­len Leben ist das Ste­hen mit sym­me­tri­scher Belas­tung der unte­ren Extre­mi­tä­ten nur ein Über­gang zum Gehen. Dazu wird die Ver­ti­ka­li­sie­rung aus der Balan­ce gebracht, Koor­di­na­ti­on und Ori­en­tie­rung im Raum kom­men hin­zu, und Gehen ent­steht. Um die Unter­stüt­zung des Gehens von Kin­dern mit Behin­de­rung durch geeig­ne­te Hilfs­mit­tel geht es im fol­gen­den Abschnitt.

„Wir möch­ten, dass sie ein­mal zur Schu­le geht“ – die­ser Wunsch einer Mut­ter mit dem lie­be­vol­len Blick auf ihre Toch­ter, die im Roll­stuhl sit­zend Schwie­rig­kei­ten hat, ihren Kopf zu kon­trol­lie­ren, ist eine Situa­ti­on, die in der ergo­the­ra­peu­ti­schen Bera­tung hin­sicht­lich einer Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung nicht sel­ten vor­kommt, so die Erfah­rung der Autorin.

Gehen ist, wie ein­gangs beschrie­ben, typisch mensch­lich. Es ist tief in uns ver­an­kert, dass das auf­rech­te Gehen wie das Ste­hen uns zum Teil der mensch­li­chen Gemein­schaft macht. Des­halb ist es ver­ständ­lich, dass die klei­nen Pati­en­ten in der Reha­bi­li­ta­ti­on das freie Gehen so oft als ihre höchs­te Prio­ri­tät for­mu­lie­ren, und auch, dass alle Eltern sich dies am meis­ten für ihre Kin­der mit Bewe­gungs­stö­run­gen wün­schen. Viel­leicht hilft es in die­sen Bera­tungs­si­tua­tio­nen zu wis­sen, dass es sich bei die­sem Wunsch um ein Urbe­dürf­nis han­delt. Eine ratio­na­le Erklä­rung, war­um die Errei­chung die­ses Ziels im jewei­li­gen Fall so schwie­rig ist und wes­halb so vie­les dage­gen­steht, erreicht die Men­schen in die­ser Pha­se häu­fig nicht. Des­halb kann es für Ergo­the­ra­peu­tin­nen und Ergo­the­ra­peu­ten not­wen­dig sein, zunächst den gewünsch­ten Weg mit­zu­ge­hen und auch das mög­li­che Schei­tern der Geh­ver­sor­gung zu beglei­ten. Erfah­run­gen müs­sen selbst erwor­ben wer­den; aus dem Miss­lin­gen kann ein neu­er Impuls her­vor­ge­hen. Auch ist es oft schwie­rig vor­her­zu­sa­gen, wel­che Rich­tung die Ent­wick­lung neh­men wird und ob für ein Kind mit Behin­de­rung nicht doch eini­ge weni­ge Schrit­te mög­lich sein werden.

Gehen – Behandlungskonzepte

Inter­dis­zi­pli­nä­re Analyse

Die Varia­bi­li­tät der Vor­aus­set­zun­gen, die jun­ge Pati­en­ten bei einer Ver­sor­gung mit Geh­hil­fen mit­brin­gen, ist rie­sig: Sie reicht vom Kind, das nur noch ein wenig Halt benö­tigt, um Schrit­te vor­ein­an­der set­zen zu kön­nen, bis zum Jugend­li­chen mit GMFCS-Level 4, der – solan­ge es irgend­wie mit sei­ner Mus­kel­dys­tro­phie des Typs Duchen­ne mög­lich ist – selbst­stän­dig zur Toi­let­te gehen möchte.

Daher ist eine enge Zusam­men­ar­beit der Exper­ten so wich­tig. Es gilt, genau den Punkt zu ermit­teln, an dem die Moto­rik des Kin­des adäquat unter­stützt wird. Im Ein­zel­nen bedeu­tet das, dass dabei die Gang­ana­ly­se aus­ge­wer­tet, das The­ra­pie­kon­zept fest­ge­legt, ggf. Ope­ra­tio­nen geplant und durch­ge­führt wer­den, dass eine pas­sen­de, d. h. för­dern­de Orthe­se aus­ge­sucht und gefer­tigt sowie eine pas­sen­de Geh­hil­fe aus­ge­wählt wird. Das inter­dis­zi­pli­nä­re Behand­ler­team betrach­tet die Aus­wahl des Hilfs­mit­tels als Teil des Behand­lungs­kon­zepts. Kei­ne Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung zum Gehen soll­te ohne Orthe­sen, The­ra­pie und All­tags­be­trach­tung durch­ge­führt werden.

ICF als geeig­ne­ter Rah­men zur Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung für Kinder

Eine adäqua­te Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung beginnt immer mit der Fra­ge nach dem Ziel: Was möch­te der Nut­zer (in die­sem Fall Kin­der mit Bewe­gungs­ein­schrän­kun­gen) mit dem Hilfs­mit­tel errei­chen? Liegt der Fokus auf dem Aspekt der Ver­bes­se­rung ein­zel­ner Gang­pa­ra­me­ter oder auf dem Aspekt des Mit­ein­an­ders auf dem Schulhof?

Das bio­psy­cho­so­zia­le Modell der ICF ist auch hier ein geeig­ne­ter Rah­men, um alle rele­van­ten Aspek­te in die­sem Zusam­men­hang berück­sich­ti­gen und abwä­gen zu kön­nen. Auf die­se Wei­se kann prio­ri­siert wer­den, wie das wich­tigs­te Ziel einer bestimm­ten Kin­der­ver­sor­gung lau­tet und wel­che Aspek­te sekun­där dabei sind. Die­se lapi­dar klin­gen­de For­de­rung ist im All­tag jedoch nicht immer leicht umzu­set­zen. Denn bei einer Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung, bei der unspe­zi­fisch ver­spro­chen wird, „Gehen“ zu ermög­li­chen, wird man am Ende mög­li­cher­wei­se mit der Erfah­rung kon­fron­tiert wer­den, dass ein „Gehen mit Hilfs­mit­tel“ nicht so viel­fäl­tig und ein­fach ist wie das Gehen bei gesun­den Men­schen, und des­halb ent­täuscht sein. Wird jedoch von vorn­her­ein detail­liert beschrie­ben, was genau mit einer bestimm­ten Ver­sor­gung erreicht wer­den soll, wird somit auch reflek­tiert, wor­auf dabei mög­li­cher­wei­se ver­zich­tet wer­den muss. Ein prä­zi­se for­mu­lier­tes Ziel, das für alle Betei­lig­ten ver­ständ­lich ist und hin­ter dem alle Betei­lig­ten ste­hen, bie­tet die bes­te Aus­gangs­po­si­ti­on, um eine „wirt­schaft­li­che, aus­rei­chen­de, zweck­mä­ßi­ge und not­wen­di­ge“ (Leis­tungs­ka­ta­log der GKV gemäß § 12 SGB V), also eine hilf­rei­che und damit erfolg­rei­che Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung zu errei­chen. Die­ses Ziel dient außer­dem spä­ter als Eva­lua­ti­ons­in­stru­ment, um zu über­prü­fen, ob das Geplan­te auch erreicht wer­den konn­te. Auf die­se Wei­se kann der Nach­weis einer erfolg­rei­chen Arbeit erbracht oder, falls not­wen­dig, eine genaue Ana­ly­se vor­ge­nom­men wer­den, was ver­än­dert wer­den muss, um das Ziel doch noch zu errei­chen. Ein sol­ches Vor­ge­hen ent­spricht nach Ansicht der Autorin einem moder­nen und trans­pa­ren­ten Pro­zess der Hilfsmittelversorgung.

Im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis wer­den in Pro­dukt­grup­pe 10 „Geh­hil­fen“ unter­schied­lichs­te Pro­duk­te auf­ge­lis­tet, darunter:

  • Geh­stö­cke,
  • Geh­stüt­zen,
  • Geh­ge­stel­le,
  • Geh­wa­gen und
  • fahr­ba­re Gehhilfen.

Eige­ne Beob­ach­tun­gen in Schu­len und Kin­der­gär­ten zei­gen, dass Geh­stö­cke und ‑stüt­zen bei jün­ge­ren Men­schen im All­tag nur noch sel­ten ein­ge­setzt wer­den. In der Reha­bi­li­ta­ti­on von Kin­dern und Jugend­li­chen wer­den dage­gen meist „vier­räd­ri­ge Geh­hil­fen“ (all­tags­sprach­lich „Rol­la­tor“ oder „Wal­ker“) und Geh­wa­gen („Geh­trai­ner“) ein­ge­setzt. Des­halb wer­den im Fol­gen­den ins­be­son­de­re die­se Geh­hil­fen-Kon­zep­te beschrie­ben und diskutiert.

Gehen – Ver­sor­gungs­kon­zep­te (Geh­hil­fen)

Im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis wer­den Geh­hil­fen wie folgt defi­niert: „Geh­hil­fen die­nen geh­be­hin­der­ten Men­schen zum Aus­gleich einer ver­min­der­ten Belast­bar­keit oder Leis­tungs­fä­hig­keit der unte­ren Extre­mi­tä­ten“ 6. Sie erfor­dern eine eige­ne Kraft­auf­wen­dung und ent­las­ten so laut HMV die „unte­ren Extre­mi­tä­ten bei gleich­zei­ti­ger Mehr­be­las­tung der obe­ren Extremität(en)“  6. Gleich­zei­tig bie­ten sie dem HMV zufol­ge eine „ver­grö­ßer­te Unter­stüt­zungs­flä­che, wodurch der Stand und der Gang der Ver­si­cher­ten oder des Ver­si­cher­ten sta­bi­li­siert wer­den“ 6. Im Fol­gen­den wer­den zunächst Rol­la­to­ren und Wal­ker, sodann Geh­wa­gen und ‑trai­ner vorgestellt.

Rol­la­tor und Walker

Ein Rol­la­tor (Abb. 7) ist ange­zeigt, wenn es bei den jun­gen Pati­en­ten eine vor­han­de­ne, aber nicht aus­rei­chen­de Geh­fä­hig­keit zu unter­stüt­zen gilt. Es gibt Model­le, die gescho­ben wer­den (Rol­la­tor, Ante­rior-Wal­ker), und Model­le, die gezo­gen wer­den (Pos­te­ri­or-Wal­ker). Bei­de ent­las­ten die unte­re Extre­mi­tät dadurch, dass die obe­re Extre­mi­tät Gewicht über­nimmt und stützt. Zur Fra­ge, ob die ante­rio­re oder die pos­te­rio­re Vari­an­te die bes­se­re ist, gibt es vie­le Mei­nun­gen, aber nur wenig Evi­denz. Die Stu­di­en­la­ge zu die­sem The­ma ist dünn; nur eine älte­re Arbeit von Eun Sook Park et al. aus dem Jahr 2001 ver­gleicht die Effek­te der bei­den ver­schie­de­nen Wal­ker-Typen auf die Gang­pa­ra­me­ter 8. Die Autoren stel­len fest, dass ein Pos­te­ri­or-Wal­ker bes­ser geeig­net ist, den Ober­kör­per auf­zu­rich­ten und eine grö­ße­re Schritt­län­ge zu erzie­len. Ein Unter­schied bezüg­lich der Geh­ge­schwin­dig­keit oder des Sau­er­stoff­ver­brauchs als Indi­ka­tor für die Anstren­gung konn­te jedoch nicht fest­ge­stellt werden.

Gleich­wohl ist inner­halb der Kin­der-Reha­bi­li­ta­ti­on in Deutsch­land eine deut­li­che Bevor­zu­gung von Pos­te­ri­or-Wal­kern fest­zu­stel­len. Der Grund für die­se Ent­schei­dung deckt sich mit den Ergeb­nis­sen der zitier­ten Stu­die: Im Pos­te­ri­or-Wal­ker befin­det der Kör­per sich mit­tig (Abb. 8); die Arme stüt­zen seit­lich des Kör­pers in der sagit­ta­len Mit­te auf einer Höhe zwi­schen Bauch­na­bel und Hüft­kopf. Auf die­se Wei­se wird der Ober­kör­per über die Posi­ti­on der Arme auf­ge­rich­tet. Das „Ali­gnment“ (die Aus­rich­tung der Kör­per­seg­men­te über­ein­an­der) ist auf die­se Wei­se phy­sio­lo­gi­scher. Denn die Mus­ku­la­tur der Kör­per­mit­te ist bei den meis­ten Benut­ze­rin­nen und Benut­zern schwach und neigt zu Ver­kür­zun­gen. Durch die Posi­tio­nie­rung der Hän­de seit­lich des Kör­pers und über die Höhen­ein­stel­lung der Hand­grif­fe kann das Gerät so ein­ge­stellt wer­den, dass die Hüf­te gestreckt wird. Die­se Auf­rich­tung gibt dem Hüft­ge­lenk Frei­heit und beein­flusst den Gang: Je auf­rech­ter der Kör­per und je gestreck­ter die Schrit­te, des­to schnel­ler (Kadenz) oder wei­ter (Schritt­län­ge) kann der Pati­ent gehen. Die­se Effek­te kön­nen in der Ver­sor­gungs­si­tua­ti­on gut beob­ach­tet wer­den. Auf­grund die­ser Ana­ly­se kann das Modell aus­ge­wählt wer­den, das für das ana­ly­sier­te Pro­blem die bes­te Lösung anbietet.

Die­sen posi­ti­ven Aspek­ten steht ent­ge­gen, dass das Zie­hen eines Pos­te­ri­or-Wal­kers mehr Kon­trol­le und Koor­di­na­ti­on als das Schie­ben eines Ante­rior-Wal­kers erfor­dert. Dies kann den Ein­satz in All­tags­si­tua­tio­nen (bei­spiels­wei­se der Weg zum Pau­sen­ki­osk in der Schu­le, das Gehen drau­ßen auf unebe­nem Grund) beein­flus­sen. Sind dann zu vie­le Aspek­te auf ein­mal zu ver­ar­bei­ten und ist nicht mehr genü­gend Kapa­zi­tät für die Kon­zen­tra­ti­on auf das Gehen vor­han­den, ist die All­tags­taug­lich­keit des Geräts ein­ge­schränkt. Die­se Über­le­gun­gen müs­sen in den Ent­schei­dungs­pro­zess mit einfließen.

Im Unter­schied zum bis­her beschrie­be­nen Hilfs­mit­tel wird der Rol­la­tor oder Ante­rior-Wal­ker gescho­ben, das heißt, der Benut­zer geht meist hin­ter dem Gerät. Der Effekt: Je grö­ßer der Abstand zum Rol­la­tor, des­to grö­ßer die Unter­stüt­zungs­flä­che am Boden und des­to grö­ßer das Gefühl der Sicher­heit. Die­ser Abstand zum Gerät wird aller­dings in der Regel durch eine Beu­gung der Hüf­te erkauft, was die Ent­wick­lung von Hüft­kon­trak­tu­ren begüns­tigt. Ande­rer­seits ver­mit­telt eine Geh­hil­fe, die sich vor der Per­son befin­det, ein Gefühl der Sicher­heit. Sie ist weit­hin sicht­bar und gut zu steu­ern und ver­mit­telt die Gewiss­heit, im Fal­le eines Stur­zes auf­ge­fan­gen zu wer­den. Dies ist ein psy­chi­scher Sicher­heits­aspekt, der auch die häu­fi­ge Aus­wahl eines Ante­rior-Wal­kers bei Senio­ren bestimmt. Daher soll­te man auch bei der Ver­sor­gung von Kin­dern und Jugend­li­chen kri­tisch hin­ter­fra­gen, ob es nicht sinn­voll sein kann, eine Unter­stüt­zung zu wäh­len zuguns­ten eines Kom­pe­tenz­zu­wach­ses im All­tag und grö­ße­rer Selbst­stän­dig­keit, auch wenn dabei qua­li­ta­ti­ve Ein­bu­ßen bei den bio­me­cha­ni­schen Para­me­tern in Kauf zu neh­men sind.

ICF-ori­en­tier­te Check­lis­te zur Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln zum Gehen

Das HMV ver­langt, dass bei der Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln zum Gehen die „indi­vi­du­el­len Kon­text­fak­to­ren in Bezug auf die Per­son und die Umwelt“ 3 berück­sich­tigt wer­den. Damit greift das HMV das Voka­bu­lar der ICF auf. Die fol­gen­de Check­lis­te greift die ent­spre­chen­den Domä­nen der ICF auf und ver­weist so dar­auf, dass eine Ver­sor­gungs­be­grün­dung Argu­men­te aus den drei Berei­chen Kör­per­funk­tio­nen/-struk­tu­ren, Akti­vi­tä­ten und Par­ti­zi­pa­ti­on (Teil­ha­be) ent­hal­ten sollte.

Kör­per­struk­tu­ren

  • Kön­nen die Grif­fe an Fehlstellungen/Deformitäten der Handgelenke/Unterarme ange­passt werden?
  • Ist die Höhe der Grif­fe so anpass­bar, dass die Stütz­funk­ti­on der Arme ange­passt wer­den kann?
  • Ist die Rah­men­form geeig­net, orthe­sen­ver­sorg­ten Füßen genü­gend Raum zu las­sen, ohne dass die Füße mit dem Rah­men kollidieren?
  • Gibt es eine Becken­füh­rung, die die Stre­ckung unterstützt?

Kör­per­funk­tio­nen

  • Ist das Gerät leicht genug, dass es auch mit gerin­ger Kraft bewegt wer­den kann?
  • Rei­chen Aus­dau­er und Kraft aus, um das Gerät zu nutzen?

Akti­vi­tät

  • Gibt es einen Sitz, der bei Ermü­dung genutzt wer­den kann?
  • Ist das Gerät in ver­schie­de­nen Lebens­be­rei­chen einsetzbar?

Teil­ha­be

  • Sind die Räder für den Ein­satz­ort geeignet?
  • Kann das Gerät im Pkw trans­por­tiert werden?
  • Kann etwas mit dem Wal­ker trans­por­tiert werden?

Die­se Check­lis­te kann dazu genutzt wer­den, den ICF- bzw. Kon­text­be­zug des Ver­sor­gungs­vor­schlags zu verdeutlichen.

Geh­wa­gen oder ‑trai­ner

Wenn die Arm­kraft nicht aus­reicht, um einen Rol­la­tor zu benut­zen, kann ein Geh­trai­ner ein­ge­setzt wer­den, der Teil­kör­per­ent­las­tung bie­tet (Abb. 9). Eine Sitz­ge­le­gen­heit ent­las­tet bei die­sen Gerä­ten die Bei­ne und erleich­tert so deren Bewe­gungs­steue­rung. Die Benut­zer von Geh­trai­nern sind meist dem GMFCS-Level 4 zuzu­ord­nen. Eine auto­no­me Bewe­gungs­mög­lich­keit ist für die­sen Per­so­nen­kreis ein gro­ßer Gewinn an Lebens­qua­li­tät. Dabei kann die Qua­li­tät des Gehens nach­ran­gig sein. Sosehr man auch danach stre­ben mag, über den „initi­al cont­act“ mit der Fer­se die Boden­re­ak­ti­ons­kraft mög­lichst gut aus­zu­nut­zen und so ein ener­gie­ef­fi­zi­en­tes Gehen zu ermög­li­chen, kann es für die­se Pati­en­ten­kli­en­tel bereits einen gro­ßen Gewinn an Lebens­qua­li­tät bedeu­ten, sich „irgend­wie“ auto­nom und ziel­ge­rich­tet zu bewe­gen. Hier müs­sen also zuguns­ten der selbst­stän­di­gen Fort­be­we­gung häu­fig Kom­pro­mis­se im Hin­blick auf die opti­ma­le Kor­rek­tur in Kauf genom­men wer­den. Die Bezeich­nung Geh-„Trainer“ besagt, dass sich mit fort­schrei­ten­der The­ra­pie die Kom­pro­mis­se mehr in Rich­tung einer Kor­rek­tur ver­schie­ben las­sen. So kann z. B. in der Phy­sio­the­ra­pie mit dem Geh­trai­ner gezielt an Kraft und Aus­dau­er der Glu­te­en gear­bei­tet wer­den, um die Schritt­län­ge zu ver­grö­ßern, oder an der Spann­kraft des Gas­tro­c­ne­mi­us, um die Nut­zung der Boden­re­ak­ti­ons­kraft für ein ener­gie­ef­fi­zi­en­te­res Gehen zu ver­bes­sern. Der Ein­satz eines Geh­trai­ners ermög­licht also nicht nur die Fort­be­we­gung, son­dern wird auch gezielt zur The­ra­pie eingesetzt.

Geh­trai­ner mit Schwung­funk­tio­nen in der Therapie

Die Ent­las­tung, die ein Geh­trai­ner bie­tet, ermög­licht die Kon­zen­tra­ti­on auf ein Detail des Gang­zy­klus und die geziel­te Arbeit dar­an. Gehen ist ein linea­rer Pro­zess, der in zwei Pha­sen abläuft: Schwung­pha­sen und Stand­bein­pha­sen wech­seln sich auf jedem Bein ab; die Bewe­gung alter­niert zwi­schen rech­ter und lin­ker unte­rer Extre­mi­tät. In der Schwung­pha­se muss die Balan­ce auf einem Fuß gehal­ten wer­den. Um das dyna­mi­sche Gleich­ge­wicht zu hal­ten, wer­den late­ra­le und ver­ti­ka­le Schwin­gun­gen genutzt. Die Anstren­gung, die nötig ist, um das Bein anzu­he­ben und die Fer­se in den Boden zu sto­ßen, um anschlie­ßend über die Fuß­soh­le abzu­rol­len, erzeugt beim phy­sio­lo­gi­schen Gehen die Boden­re­ak­ti­ons­kraft, die den Schwung nach vorn unter­stützt und dadurch Ener­gie einspart.

Die­se kom­ple­xen Abläu­fe (Balan­ce und ener­gie­ef­fi­zi­en­tes Gehen) wer­den durch Geh­trai­ner unter­stützt und gleich­zei­tig ein­ge­schränkt. So hilft zwar die Gewichts­ent­las­tung durch einen Sitz bei gerin­ger Bein­kraft und bei feh­len­der Gleich­ge­wichts­kon­trol­le, redu­ziert aber gleich­zei­tig die Boden­re­ak­ti­ons­kraft und schränkt Kom­pen­sa­ti­ons­be­we­gun­gen ein, die zum Gehen ver­wandt wer­den. Geh­trai­ner, die durch Federn (late­ral und hori­zon­tal) dyna­mi­sche Funk­tio­nen auf­wei­sen, unter­stüt­zen bzw. erlau­ben die ent­spre­chen­den Schwung­be­we­gun­gen und kön­nen so ein natür­li­che­res Gang­bild erzeugen.

Men­schen mit einer dys­ki­ne­tisch-athe­to­ti­schen Form der Zere­bral­pa­re­se z. B. benö­ti­gen Sta­bi­li­tät, um sich auf­recht hal­ten zu kön­nen. Gleich­zei­tig zei­gen sie unwill­kür­li­che Bewe­gun­gen, die sie nicht steu­ern kön­nen und die häu­fig zu Schmer­zen füh­ren, wenn sie durch das Gerät begrenzt wer­den. Dyna­mi­sche Funk­tio­nen bei Geh­trai­nern, die der Bewe­gung Raum las­sen, ihr bis zu einem gewis­sen Aus­maß fol­gen und sie wie­der in die Mit­te zurück­füh­ren, sind also sehr vorteilhaft.

Ana­log zu den Steh­trai­nern kön­nen die gän­gi­gen Fra­gen zur Modell­aus­wahl in einer an der ICF ori­en­tier­ten Check­lis­te zusam­men­ge­fasst werden:

Kör­per­funk­tio­nen

  • Ist der Geh­trai­ner so leicht, dass er auch bei gerin­ger Kraft manö­vriert wer­den kann?
  • Ver­mit­telt der Geh­trai­ner genü­gend Ent­las­tung, um ein Aus­dau­er- und/oder Kraft­trai­ning zu ermöglichen?

Kör­per­struk­tu­ren

  • Ist die Sat­tel­hö­he so auf die Bein­län­ge ein­stell­bar, dass die Fuß­be­las­tung vari­iert wer­den kann (Osteo­po­ro­se­pro­phy­la­xe)?
  • Sind die Gelen­ke der Bein­füh­rung so ein­stell­bar, dass sie kon­gru­ent zu den ana­to­mi­schen Gelen­ken sind?

Akti­vi­tä­ten

  • Ist die Gewichts­ent­las­tung durch die Sat­tel­hö­he so ein­stell­bar, dass die Schrit­te mit der vor­han­de­nen Kraft und Koor­di­na­ti­on ermög­licht werden?
  • Kön­nen die Unter­stüt­zungs­ele­men­te des Geh­trai­ners (Tho­rax, Hüf­te, Sat­tel) der moto­ri­schen Ent­wick­lung ent­spre­chend auf- und abge­baut werden?
  • Bie­tet der Geh­trai­ner je nach The­ra­pie­ziel die Mög­lich­keit, Kom­pen­sa­ti­ons­be­we­gun­gen (late­ra­le Bewe­gun­gen des Ober­kör­pers) zu erlau­ben oder einzuschränken?

Teil­ha­be

  • Sind die Räder des Geh­trai­ners so beschaf­fen und ein­stell­bar, dass sie auf dem Unter­grund, auf dem sie ein­ge­setzt wer­den sol­len (Innen­raum und/oder drau­ßen), gut greifen?
  • Ist der Geh­trai­ner mit sei­nen Aus­ma­ßen am Ein­satz­ort manövrierbar?

Die­ser aus der prak­ti­schen Arbeit ent­stan­de­ne Vor­schlag für eine Check­lis­te ver­deut­licht, inwie­fern das bio­psy­cho­so­zia­le Modell der ICF dazu geeig­net ist, eine mög­lichst ganz­heit­li­che Ver­sor­gung mit einem Geh­trai­ner für Kin­der mit Zere­bral­pa­re­se zu konzipieren.

Fazit

Die Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln zum Ste­hen und Gehen für Kin­der ist ein kom­ple­xer Vor­gang. Vie­le Aspek­te sind dabei auf­zu­neh­men, zu bewer­ten und zu einem schlüs­si­gen Kon­zept zusam­men­zu­fas­sen. Da Ver­ti­ka­li­sie­rung für alle Aspek­te des mensch­li­chen Seins bedeut­sam ist – vom Auf­bau von Kör­per­struk­tu­ren (bei Kin­dern und Jugend­li­chen beson­ders wich­tig) bis hin zur Unter­stüt­zung der sozia­len Inter­ak­ti­on –, ist es ein wich­ti­ges Ziel aller Betei­lig­ten, die Auf­rich­tung zu ermög­li­chen. Die Abwä­gung zwi­schen psy­cho­so­zia­len Vor­tei­len einer­seits und der Gefahr struk­tu­rel­ler, bio­me­di­zi­ni­scher Fol­gen einer Belas­tung des unrei­fen Ske­letts ande­rer­seits muss ver­ant­wor­tungs­voll gesche­hen und stellt hohe Ansprü­che sowohl an die gewähl­ten Hilfs­mit­tel (sei­en es Steh­trai­ner, Rücken­schrä­g­lie­ge­bret­ter oder Geh­hil­fen) als auch an die an der Ver­sor­gung betei­lig­ten Per­so­nen. Das bio­psy­cho­so­zia­le Modell der ICF stellt in die­sem Zusam­men­hang einen geeig­ne­ten Rah­men zur Ver­fü­gung, inner­halb des­sen die viel­fäl­ti­gen Aspek­te dar­ge­stellt und im inter­dis­zi­pli­nä­ren Team dis­ku­tiert wer­den kön­nen. Gelingt es, einem Kind mit Behin­de­rung zur Auf­rich­tung und damit zu einem bes­se­ren Kör­per­ge­fühl und zu einer adäqua­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­si­tua­ti­on zu ver­hel­fen, bedeu­tet dies eine Erwei­te­rung der Lebens­qua­li­tät, für die es Freu­de macht, sich einzusetzen.

Die Autorin:
Andrea Jagusch-Espei, B. Sc.
Ergo­the­ra­peu­tin
Schuch­mann GmbH & Co. KG
Rudolf-Run­ge-Stra­ße 3
49143 Bis­sen­dorf
a.espei@schuchmann.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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