Es geschieht fast automatisch: Man geht auf einen Fußgängerüberweg zu, der mit einer Ampelanlage geregelt wird. Die Ampel für Fußgänger zeigt „Rot“ und im Falle einer sicheren Straßenüberquerung hebt man die Hand und drückt auf das vorgesehene Knöpfchen, um der Anlage mitzuteilen, dass ein Fußgänger auf die andere Straßenseite möchte. Diejenigen, die diese Bewegung täglich mehrmals ausführen, machen sich keine Gedanken darüber. Erst wenn diese simple Handlung nicht mehr möglich ist, wird einem bewusst, wo im Alltag Hürden lauern. Doch Hakan Akgün, Produktspezialist für Elektrorollstühle und Sondersteuerungen, Außendienstmitarbeiter im Bereich Rollstuhlsondersteuerung und Umfeldsteuerung bei der Talktools GmbH in Mülheim an der Ruhr, ist so etwas wie ein „Möglichmacher“. Mit einem Roboterarm kann er den Menschen, die sich im Rollstuhl fortbewegen, zu mehr Mobilität und Lebensqualität verhelfen. Im Gespräch mit der OT-Redaktion berichtet Hakan Akgün von seinen Erfahrungen.
OT: Wo haben Sie das erste Mal von dem Roboterarm gehört?
Hakan Akgün: Das erste Mal habe ich den Jaco von Kinova auf der Rehacare in Düsseldorf gesehen.
OT: Haben Sie zu diesem Zeitpunkt schon konkret nach Lösungen für eine Versorgung eines Patienten/einer Patientin gesucht oder hat Sie die Information erst im Nachgang dazu animiert, diese Möglichkeit auszuprobieren?
Akgün: Als ich den Roboterarm auf der Messe gesehen habe, hat er mich zwar fasziniert, eine konkrete Versorgung damit stand damals aber nicht an. Die kam erst nachher.
OT: Wie viele Versorgungen mit dem Roboterarm haben Sie bereits vorgenommen?
Akgün: Bisher haben wir etwa 17 Versorgungen mit dem Jaco vorgenommen.
OT: Was hat Sie davon überzeugt, einen Roboterarm zu verwenden?
Akgün: Unser Anspruch ist es immer, Menschen mit motorischen Einschränkungen möglichst optimal zu mehr Mobilität und Lebensqualität zu verhelfen. Gerade wenn die Arme und die Hände betroffen sind, ist ein Roboterarm das ideale technische Hilfsmittel dafür.
OT: Wie haben die Patient:innen reagiert, als Sie ihnen von der Möglichkeit der Versorgung erzählt haben?
Akgün: Viele Patienten haben vorher noch nichts von einem Roboterarm und seinen Möglichkeiten gehört oder diese Lösung einfach nicht für sich in Betracht gezogen. Sie reagieren neugierig und oft auch emotional auf die Information, dass diese Versorgung für sie geeignet sein und ihnen neue Mobilität ermöglichen könnte. Insbesondere bei fortschreitenden Erkrankungen ist der Roboterarm ein echter Lichtblick, weil er den Betroffenen ein Stück ihres alten Lebens zurückgibt.
OT: Was waren für Sie die größten Schwierigkeiten bezüglich der Versorgung?
Akgün: Patienten, die ihre Arme und Hände nicht mehr oder nur eingeschränkt bewegen können, nutzen meistens ohnehin schon zahlreiche und oft auch recht umfangreiche technische Hilfsmittel. Die Herausforderung ist dann, in diese bereits optimierte Umgebung auch noch den Roboterarm zu integrieren. Das betrifft sowohl die Mechanik als auch die Elektronik, also die Integration in die Rollstuhlelektronik. Der Roboterarm soll den Rollstuhl im Idealfall nicht breiter machen, damit der Patient weiterhin durch alle Türen kommt. Andererseits soll der Roboterarm natürlich seine volle Funktionalität entfalten und vom Patienten gut und einfach bedient werden können. Das ist manchmal eine komplexe Aufgabe, die sich aber eigentlich immer lösen lässt.
OT: Wie sah es mit der Kostenübernahme durch die Krankenkassen aus?
Akgün: Leider zeigt die Erfahrung, dass die Bereitschaft zur Kostenübernahme bei den Krankenkassen mit der Höhe der Kosten des Hilfsmittels abnimmt. Bei den von uns durchgeführten Versorgungen mit dem Jaco mussten einige Patienten erst ins Widerspruchsverfahren gehen, bevor die Genehmigung erteilt wurde. Wir als Fachhändler versuchen das Verfahren durch eine gründliche und umfangreiche Dokumentation, in der Regel auch mit Videos, bestmöglich zu unterstützen. Bisher ist das gut gelungen.
OT: Können Sie die Grenzen der Versorgung beschreiben? Bei welchem Krankheitsbild ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll zu versorgen und an welcher Stelle sollte man die Versorgung vielleicht doch nicht in Betracht ziehen?
Akgün: Der Roboterarm ist ein gut geeignetes Hilfsmittel für Menschen mit fehlender oder sehr eingeschränkter Arm- und Handfunktion. Als solches kann er bei vielen täglichen Verrichtungen sehr hilfreich sein. Man kann damit zum Beispiel selbstständig aus einem Glas oder einer Tasse trinken, Lichtschalter oder den Taster an der Ampel drücken, das Smartphone bedienen oder sich schminken. Dennoch ist der Roboterarm kein vollwertiger Ersatz für die menschlichen Gliedmaßen. Die Nutzerin beziehungsweise der Nutzer sollte kognitiv in der Lage sein, den Roboterarm zu bedienen. Man braucht für die Bedienung auch ein wenig Übung und manchmal etwas Geduld. Seine Grenzen hat der Roboterarm besonders bei sehr fein- und sehr grobmotorischen Tätigkeiten. Schwere Gegenstände kann man damit zum Beispiel nicht vom Boden aufheben. Wichtig ist, dass die Nutzerin bzw. der Nutzer den Roboterarm als Hilfsmittel ansieht und einsetzt und nicht nur als Spielzeug.
OT: Können Sie sich vorstellen, dass Sie Patient:innen mit dem Hilfsroboterarm noch häufiger versorgen werden?
Akgün: Ja, unbedingt. Wir haben bisher in jeder Hinsicht nur gute Erfahrungen damit gemacht. In erster Linie sind die Patienten, die wir damit versorgt haben, sehr glücklich mit dem Jaco. Der Roboterarm macht sie einfach unabhängiger. Wir haben aber auch gute Erfahrungen mit der Haltbarkeit des Produkts und der Unterstützung durch den Hersteller gemacht. Die von uns angebauten Roboterarme funktionieren bisher ohne größere Störungen. Wenn doch mal irgendwo etwas hakt, stehen uns die Techniker von Kinova sofort mit Rat und Tat zur Seite, um das Problem schnellstmöglich zu beheben.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
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