Einleitung
Der Alptraum eines jeden Sportlers: eine Verletzung an Knie, Meniskus oder Kreuzband 1. Darauf folgen meist eine Operation, monatelange Reha, Krankheitszeiten und Trainingsausfall; nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob und wann ein „Comeback“ im Sport gelingt. Moderne Operationstechniken können Kreuzbänder ersetzen und Menisken nähen. Jedoch kann eine schwere Knieverletzung aufgrund von Begleitverletzungen oder persistierenden Instabilitäten des Kniegelenkes eine sportliche Einschränkung oder sogar das Karriereende bedeuten.
Eine Analyse des Unfallgeschehens in den beiden jeweils höchsten deutschen Profi-Ligen der Männer in den Sportarten Basketball, Eishockey, Fußball und Handball bringt erstaunliche Zahlen zum Vorschein: Rund 3.500 Spieler werden in den genannten Sportarten bei Club-Pflichtspielen eingesetzt. Wie zu erwarten, gibt es dabei die größte Spieler population im Fußball 38,9 %), gefolgt von Eishockey (23,3 %) und Handball (20,1 %). Die Basketball-Ligen (14,7 %) stellen die kleinste Spielergruppe dar 2.
Zählt man alle Ausfallzeiten der Saison 2014/2015 der Spieler in ihren jeweiligen Clubs zusammen, so fehlten diese verletzungsbedingt insgesamt mehr als 75.000 Tage. Somit ergeben sich pro Spieler 21,4 Ausfalltage. Zum Vergleich: Bei Arbeitnehmern lag die durchschnittliche Zahl der krankheitsbedingten Fehltage im Jahr 2015 bei 10 Tagen. Fast 80 % aller eingesetzten Spieler verletzten sich dabei in dieser Saison mindestens einmal. Im Durchschnitt erlitten sie jedoch annähernd 2,5 Verletzungen, was eine Gesamtzahl von 8.500 Verletzungen ergibt. Diese führten entweder zu einer Heilbehandlung und/oder zu einer Arbeitsunfähigkeit.
Dabei kommen rund 60 % aller Verletzungen im Training vor. Nur im Eishockey liegt der Anteil der Trainingsverletzungen mit etwa 30 % deutlich unterhalb der Werte von Basketball, Fußball und Handball 3. Es muss davon ausgegangen werden, dass im Eishockey aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit von Zeiten auf dem Eis ein geringerer Anteil an sportspezifischem Training „on ice“ praktiziert werden kann. Zusätzlich ist durch die wesentlich höhere Spielhäufigkeit (über 80 Pflichtspiele in einer Saison) eine Verschiebung des Trainings-Wettkampf-Verhältnisses festzustellen. Auch scheint das Verletzungsrisiko im Eishockey im Wettkampf im Vergleich zu den anderen Sportarten deutlich erhöht zu sein. Auffallend ist dabei, dass fast ein Drittel aller Trainingsverletzungen auf den Vorbereitungsmonat August (30,7 %) entfällt 4. In diesem Monat sind Trainingshäufigkeit und ‑intensität am höchsten. In diesem Zusammenhang sollte diskutiert werden, wie der körperliche Zustand der Athleten nach der Sommerpause mittels einer gezielten Trainingssteuerung verbessert werden kann. Außerdem sollten Trainingsintensität und Regenerationszeiten nicht außer Acht gelassen werden.
Die Wettkampfinzidenzen waren 2014/2015 im Fußball am geringsten. Es muss jedoch festgestellt werden, dass es sich nur im Fußball um eine ausschließliche Bruttospielzeit handelt, da üblicherweise in den anderen Sport arten bei Spielunterbrechungen die Zeit angehalten wird.
Bei den verletzten Körperregionen unterscheiden sich die Sportarten durchaus: Während beim Basketball Knie- und Sprunggelenksverletzungen bestimmend sind, sind es beim Eishockey Schulter‑, Knie- und Kopfverletzungen, die die drei Hauptprobleme charakterisieren. Beim Fußball betrifft fast jede zweite Verletzung das Kniegelenk, und im Handball häufen sich neben Kniegelenk- auch die Schulterverletzungen 5.
Als allgemeine Risikofaktoren für Verletzungen gelten schlecht ausgeheilte und unzureichend rehabilitierte frühere Verletzungen von Muskeln, Bändern und Sehnen, auch mit knöcherner Beteiligung, aber auch Ermüdung, Infektionskrankheiten, Überlastung oder auch ein allgemein schlechter Trainingszustand 6. Als externe Faktoren kommen bei Outdoor-Sportarten extreme Wettereinflüsse sowie unterschiedliche Bodenbeläge in Betracht. Somit kommt einer optimierten Verletzungsprophylaxe im Sport eine wachsende Bedeutung zu 7. Dies gilt sowohl für den Breiten- als auch für den Spitzensport. Auch die OrthopädieTechnik beschäftigt sich im Rahmen der sportorthopädischen Versorgungen zum großen Teil mit der Akutversorgung, jedoch in den letzten Jahren zunehmend auch mit Protektions- und Präventionsmaßnahmen durch individuell gefertigte Produkte.
Technische Versorgungen
Bei der Beurteilung einer Sportverletzung und deren technischer Versorgung hängt viel vom Zusammenspiel zwischen Arzt, Therapeut und Techniker ab. Bei Rasanztraumen und komplexen Sportverletzungen sind eine korrekt gestellte Diagnose, ein therapeutisches Konzept und eine indikationsabhängige technische Versorgung von großem Nutzen, sofern sie sinnvoll aufeinander abgestimmt sind. Dabei ist eine umfangreiche Erfahrung zur Lösung technischer Probleme hilfreich und gefragt. Die funktionelle Ausarbeitung der Produkte in Verbindung mit neuen Materialien und modernen Fertigungstechniken lässt heute Versorgungen zu, die noch vor einiger Zeit nicht denkbar waren.
Dabei gilt es insbesondere ein Verrutschen von Orthesen und Protektoren auch bei Aktivität und in Verbindung mit der Sportkleidung zu vermeiden. Zusätzlich muss häufig das Regelwerk der jeweiligen Sportart beachtet werden, damit bei Wettkämpfen der Einsatz von Hilfsmitteln nicht zu einer Disqualifikation führt. Im Folgenden werden die wesentlichen Versorgungen in diesem Zusammenhang genauer vorgestellt.
Gesichtsmasken
Gesichtsmasken (Abb. 1) können bei Nasenbein- und Jochbeinfrakturen, aber auch bei Verletzungen des Orbitabodens oder des Kiefers sowie sonstiger knöcherner Anteile des Schädels eingesetzt werden. Besonders wichtig ist die rutschfreie Adaption am Kopf des Aktiven mit einer entsprechenden Überbrückung bzw. Entlastung der betroffenen Gesichtsregion. Dazu müssen Auflagepunkte im Dreipunktprinzip aus biomechanischer Sicht definiert werden, um bei einem Kontakt mit dem Gegner oder dem Ball die jeweilige Region möglichst optimal zu schützen. Funktionell wichtig ist dabei auch, die ortsständige Verankerung am Kopf ohne Druckstellen im Bereich der Weichteile (Ohren) zu erzeugen, das Verrutschen der Maske bei einem Körper- oder Ballkontakt nach unten zu vermeiden sowie ein gutes Sichtfeld beim Wechselspiel von Sonne und Schatten bzw. Flutlicht zu garantieren. Trotz eines möglichst großen Sichtfelds dürfen Schutzwirkung und Funktion nicht beeinträchtigt sein. Solche Masken werden in aller Regel individuell nach Gipsabdruck gefertigt; im Einzelfall können aber auch standardisierte Masken zum Einsatz kommen. Dies geschieht oft am Ende der Saison, wenn Spiele über Auf- oder Abstieg entscheiden und eine noch schnellere Versorgung notwendig ist.
Nackenschutzsysteme
Im Moto-Cross und im Mountainbike-Downhillsport spielt die Versorgung der Halswirbelsäule bzw. der Clavicula eine wichtige Rolle. Dabei kommen mittlerweile sogenannte Neckbraces (Abb. 2) zum Einsatz. Diese sollen im Falle eines Sturzes ein Überstrecken der Halswirbelsäule bzw. eine Verletzung der Clavicula durch die eigene Helmunterkante vermeiden. Leider kommt es bei diesen Rasanzsportarten bei Stürzen immer wieder zu einem Hyperextensions- oder Flexionstrauma, das die Halswirbelsäule massiv schädigen kann. Im schlimmsten Fall kann es dabei sogar zu einer Querschnittlähmung kommen. Aus diesem Grund wurde das Nackenschutzsystem „Ortema Neck Brace“ (ONB) entwickelt, das aus einem speziellen Kunststoff gefertigt ist. Wie ein Kragen umfasst es die Halswirbelsäule und hat eine tellerähnliche Ausarbeitung im Dorsalbereich, um die übermäßige Hyperextension des Kopfes zu vermeiden. Bei einem Sturz oder Schlag trifft die Helmhinterkante dosiert auf das Neck Brace, wird abgebremst und vermeidet dadurch wirkungsvoll eine Überstreckung der Halswirbelsäule. Die Impact energie wird durch Verformung des Nackenschutzes in Spannungsenergie umgewandelt. Somit lässt sich der Restimpact, der auf den Körper wirkt, deutlich vermindern und die Auslenkung der Halswirbelsäule limitieren. Das Neck Brace wird vorne geöffnet und verfügt über ein Filmscharnier, sodass Front- und Rückteil gelenkig miteinander verbunden sind. Die Kraftableitung erfolgt nach biomechanischen riterien im Rückenbereich über ein Hufeisensystem auf die Schulterblätter. Das flächenmäßig große knöcherne Schulterblatt mit den darunter liegenden Muskeln und den Rippen bietet ein eigenes Dämpfungssystem und ist für einen Abbau der Impactenergie wie geschaffen. Mittels klettbarer Pads ist das Nackenschutzsystem einfach zu justieren und an die Anatomie des Sportlers anpassbar. Harte, rigide Konstruktionen können zu knöchernen Verletzungen führen, vor allem, wenn die Kraft direkt auf die Wirbelsäule abgeleitet wird. Das gilt es natürlich zu vermeiden.
Schulterversorgung
Eine besondere Herausforderung stellt die orthetische Versorgung der Schulter (Abb. 3) dar. Diese muss mit dem Behandler im Vorfeld genau abgestimmt werden, denn es gilt festzulegen, welche Stabilisierung bzw. welche Gelenkbewegungen zulässig und sinnvoll sind. Bewegungslimitierungen bei Rotatorenmanschetten-Ruptur, AC-Gelenksprengung, Bankart-Läsion, SLAP-Läsion oder einer posterioren Labrumverletzung wirken sich auf Art und Weise bzw. Einstellung des Hilfsmittels aus. Dazu wird in aller Regel ein Gipsabdruck gefertigt, bei dem alle markanten knöchernen Strukturen (Abb. 4) angezeichnet werden. Eine speziell gefertigte Kohlefaserschale muss spangenförmig an Brust, Schulter und Schulterblatt anliegen und wird über ein Multiaxialgelenk mit einer Oberarmschale verbunden. Über elastische oder straffe Zügel wird das Bewegungsausmaß im Sinne der Außen- und Innenrotation sowie der Abduktion statisch oder dynamisch limitiert. Zweckdienlicherweise wird die Orthese über einen Y‑Zügel auf der Oberkörper-Gegenseite effektiv und rutschfrei befestigt. Ein zusätzlicher Haltegurt unter der Axilla der betroffenen Seite fixiert die Orthese auch bei sportlicher Bewegung.
Ellbogenversorgung
Akute Verletzungen am Ellbogen in Form von Frakturen oder Luxationen können mit ossären und/oder ligamentären Instabilitäten verbunden sein 8. Beim direkten Sturz auf den ausgestreckten Arm können sich auch Radiuskopf-Frakturen ergeben. Eine Olecranonfraktur ist typisch für ein direktes Anpralltrauma. Bei der orthetischen Versorgung (Abb. 5) wird zwischen einer einseitigen Gelenkführung und einer bilateralen Ausführung unterschieden. Natürlich sollte die Konstruktion wenig auftragen, eng am Körper anliegen und in Flexion und Extension einstellbar sein. Dabei sollte sie auch die Beugung des Ellbogens nicht beeinträchtigen.
Das Bewegungsausmaß muss gemeinsam mit dem Arzt festgelegt werden. Für den Leistungssport werden die Orthesen nach Gipsabdruck in Kohlefasertechnik hergestellt.
Hand- und Fingerversorgung
Hand- und Fingerversorgungen (Abb. 6) sind individuell und sportartspezifisch zu betrachten. Dabei müssen der Grad der Stabilisierung und das Bewegungsausmaß vor einem Gipsabdruck oder einer Maßnahme festgelegt werden, um später ein funktionell gutes Ergebnis zu erzielen. Bei Frakturen ist die Ruhigstellung der benachbarten Gelenke entscheidend. Bei Mannschaftssportarten sind die Hilfsmittel mit einem Polsterüberzug zu versehen, um die Gefahr einer Verletzung des Gegners zu vermeiden.
Rippenversorgung
Bei Sportarten wie American Football kommt es immer wieder zu Rippenfrakturen. Dabei kann protektiv in Verbindung mit Kompressions-Sportbekleidung und eingearbeiteten Taschen mit individuell angepassten Rippen-Protektorenpads (Abb. 7) die Verletzungsgefahr minimiert bzw. die Gefahr einer Zweitverletzung vermieden werden.
Rückenprotektoren
Der Schutz der Wirbelsäule im Ski- oder Motorradsport hat mittlerweile eine lange Tradition. Hier werden vorwiegend Rückenprotektoren (Abb. 8) aus modernen viskoelastischen Materialien mit Memory-Effekt eingesetzt 9. Diese gibt es in unterschiedlichen Breiten- und Längenausführungen; sie werden immer nach dem jeweiligen Einsatzzweck ausgewählt und der Sportart angepasst.
Durch die Entwicklung innovativer Hightech-Materialien zur Herstellung der Sportgeräte werden die Beschleunigungen und Belastungen der Gelenke weiter nach oben getrieben. So ist es heute keine Seltenheit mehr, dass Rückenprotektoren im alpinen Rennlauf auch im Slalom zum Schutz der Wirbelsäule eingesetzt werden. Diese werden unter dem Rennanzug getragen und müssen vom Reglement zugelassen sein. Das gilt auch für Protektoren für Schulter und Ellbogen/ Unterarm (Abb. 9). Durch den häufigen Kontakt mit den Torstangen in allen Disziplinen des Alpinbereichs treten beträchtliche Verletzungen an der oberen Extremität auf, die zu entzündlichen Prozessen und im schlimmsten Fall sogar zu offenen Wunden sowie Exostosen führen können. Auch hier ist ein rutschfreier anatomischer Sitz entscheidend und eine entsprechend große Protektionsfläche erforderlich, um die verschiedenen Aufschlagwinkel gut abzudecken. Seit einigen Jahren werden Unterarmprotektoren (Abb. 10) über dem Rennanzug getragen, die das Abgleiten der Torstangen fördern und so eine noch aggressivere Fahrweise zulassen.
Compression-Shorts
Regelmäßig entsteht bei Leistungssportlern die Problematik einer Überlastung, Zerrung und Überdehnung im Hüft‑, Leisten- und Adduktorenbereich. Dazu wurden eigens sogenannte Compression-Shorts mit integriertem Stabilisierungssystem entwickelt (Abb. 11). Ein solches dreidimensional wirkendes, „gebondetes“ Textil (dabei handelt es sich um die dauerhafte Verschmelzung unterschiedlicher Textilien und elastischer Gurte) unterstützt die Wirkweise gelenkübergreifender komplexer Muskelketten. Dies ermöglicht zum einen eine Entlastung der Sehnenansätze in der Leiste, zum anderen eine Stabilisierung der Hüfte. Dies führt zu einer Schmerzlinderung und Entlastung in Training und Wettkampf, vor allem bei intensiven und explosiven Bewegungen. Durch die dünne, leichte Konstruktion kann die Kompressionshose auch bei ISG- Blockaden und Schmerzen im unteren Rücken ohne Einschränkung der Performance des Athleten eingesetzt werden.
Knieversorgung
Nach wie vor ist gerade bei der beliebtesten Wintersportart in Deutschland, dem Skifahren, die Verletzungsrate im Kniebereich dramatisch hoch: Mit fast 40 % aller Skiverletzungen ist das Knie die am häufigsten betroffene Region am Körper 10. In diesem Zusammenhang sollten mehrere verschiedene Mechanismen wirken, um die Verletzungszahlen zu minimieren (Abb. 12). Dies gilt ebenso für viele andere Sportarten. Als größtes Gelenk im menschlichen Körper weist das Kniegelenk einen komplexen anatomischen Bau auf. So besteht es nicht nur aus drei Teilgelenken, sondern wird vor allem auch durch den Zentralpfeiler, bestehend aus vorderem und hinterem Kreuzband, primär stabilisiert. Dieser ist vor allem bei zunehmender Beugung verletzungsanfällig. Das Knie ist im Sport großen Kräften, aber auch einem degenerativen Prozess ausgesetzt. Durch die wachsende Risikobereitschaft der Sportler sowie die entsprechende Verbesserung der Sportgeräte, die zunehmende Belastungen und Geschwindigkeiten zulassen, steigt das Risiko signifikant.
Zusätzlich wird durch die zunehmende Alterung der Bevölkerung bei gleichzeitig höheren Aktivitätsansprüchen die Gefahr degenerativer Gelenkschäden steigen. So kommt der konservativen Orthesenversorgung zur Gelenkerhaltung, Stabilisierung und Prävention ein immer höherer Stellenwert zu 11. Nach jahrelanger Erfahrung in der Versorgung unterschiedlicher Patientenklientelen mit individuell gefertigten Knieorthesen muss eine Veränderung in den Patientengruppen festgestellt werden 12. Dabei fällt auf, dass mittlerweile auch Kinder und Jugendliche nach Knietraumata orthetisch versorgt werden müssen. In diesem Zusammenhang besteht der Verdacht, dass vor Jahren Kreuzbandverletzungen bei Kindern und Jugendlichen oft bagatellisiert oder übersehen wurden und erst durch die heutige bessere Erkennung einer Versorgung zugeführt Zusätzlich wird durch die zunehmende Alterung der Bevölkerung bei gleichzeitig höheren Aktivitätsansprüchen die Gefahr degenerativer Gelenkschäden steigen. So kommt der konservativen Orthesenversorgung zur Gelenkerhaltung, Stabilisierung und Prävention ein immer höherer Stellenwert zu 11. Nach jahrelanger Erfahrung in der Versorgung unterschiedlicher Patientenklientelen mit individuell gefertigten Knieorthesen muss eine Veränderung in den Patientengruppen festgestellt werden 12. Dabei fällt auf, dass mittlerweile auch Kinder und Jugendliche nach Knietraumata orthetisch versorgt werden müssen. In diesem Zusammenhang besteht der Verdacht, dass vor Jahren Kreuzbandverletzungen bei Kindern und Jugendlichen oft bagatellisiert oder übersehen wurden und erst durch die heutige bessere Erkennung einer Versorgung zugeführt werden. Mit innovativen Materialien und Fertigungstechniken sowie neueren biomechanischen Erkenntnissen ist eine verbesserte Knieorthesentechnik darstellbar. Zusätzlich gibt es heute deutlich mehr Kombinationsverletzungen, Restinstabilitäten bei ausgeprägten Gonarthrosen mit und ohne Achsabweichungen sowie auch Versorgungen nach Umstellungsosteotomien oder Knieendoprothesen. Dies stand vor einigen Jahren noch nicht so häufig zur orthetischen Versorgung an. Dabei ist die Technik funktioneller, das Gewicht geringer und auch die Konstruktion kosmetisch ansprechender geworden. Eine überarbeitete Berechnung der mechanischen Kompromissdrehachse der polyzentrischen Zahnsegmentgelenke optimiert den Sitz und die Passform der Kohlefaserorthesen.
Optimierung der Versorgungen
Die permanente Überprüfung von Versorgungsergebnissen, die Optimierung der biomechanischen und funktionellen Wirkweise und die jahrelange Erfassung anthropometrischer Daten zur effektiven Realisierung und Bestimmung der Verhältnismäßigkeiten von Aktivitätsgrad, Volumina und Achsabweichungen ergaben eine Verbesserung der Versorgungsleistung. Dies führte auch zu einer verbesserten Compliance der unterschied lichen Patientengruppen, die vor allem bei Sportlern und Aktiven sehr wichtig ist. Hier dienen auch weitere Entwicklungen in Bereichen wie Rahmenkonstruktionen, Positionieren der Gelenke, Ausarbeitung von rigiden zu semirigiden Regionen und die dadurch gegebene Vermeidung von Rotationsinstabilitäten durch bessere Führung der Gelenke einem optimierten Stabilisierungs- und einem verbesserten Sicherheitsgefühl. Dies kann auch zu einer signifikanten Schmerzreduktion führen. Damit wird dem Wunsch vieler Patienten entsprochen, die trotz Degeneration aufgrund von Überlastungen und alten Verletzungen weiterhin ihre körperliche Aktivität erhalten oder wiedererlangen wollen. Es ist wichtig, mit dem behandelnden Arzt ein genaues Versorgungsmanagement festzulegen sowie Art und Zeitpunkt der orthetischen Versorgung zu besprechen. Bei der Versorgung von Sportlerinnen ist insbesondere auf die Beschaffenheit des Bindegewebes und des Unterhautfettgewebes zu achten. Typische Achsabweichungen bei Sportlern bedingen einen zusätzlichen technischen Anspruch. Hier muss großflächig angestützt und mit einer suffizienten Lastumverteilung eine Achskorrektur erreicht werden.
Schlussfolgerungen
Angesichts der jahrelangen Versorgung von Sportlern, Profiathleten und anderen Aktiven mit unterschiedlichen Verletzungen in allen Regionen des menschlichen Körpers kann festgestellt werden, dass oftmals eine individuell gefertigte Orthese das Mittel der Wahl ist. Obwohl offizielle Zahlen und Statistiken nur schwer zu ermitteln sind, besteht die Vermutung, dass neben konservativen und postoperativen Versorgungen vor allem präventive Maßnahmen ein neues Betätigungsfeld für die Orthopädie-Technik darstellen. Die Aspekte „Protektion“ und „Prävention“ haben Einzug bei den Sportlern gehalten und werden auch von Politik und Kostenträgerseite unterstützt und gefördert. In Verbindung mit neuen Gelenkkonstruktionen, optimierten Zuschnitten, modifizierten Fertigungstechniken und ortsständigeren Adaptierungen an die verschiedenen Körperregionen gelingt es immer besser, die Compliance der Aktiven zu erreichen, das Aktivitätsniveau zu erhöhen und Schmerzen zu reduzieren.
Mit den Erfahrungen aus der Orthopädie-Technik können aber auch präventiv wirkende Produkte wie Protektoren für Rücken und Gelenke entwickelt werden. Das anatomische Verständnis für den Körper, die biomechanische und funktionelle Sichtweise bei Maßnahme oder Gipsabdruck sowie die Minimierung von Gewicht und Optimierung der Ortsständigkeit – gerade bei ausgeprägter Muskulatur, extrem schlanken Extremitäten oder voluminösen Körpergeometrien – sind wichtige Faktoren, die über das Gelingen einer Versorgung entscheiden. Dabei ist es wichtig, die Ergebnisse empirisch zu sammeln und zu verarbeiten, aber auch objektiv zu messen und zu bewerten, damit es dauerhaft zu einer besseren Prophylaxe bei der immer stärker werdenden Belastung des Körpers kommt. Die Versorgungen dürfen sich einerseits nicht negativ auf die Performance oder den Muskelaufbau auswirken, andererseits müssen die Produkte für den Wettkampf zugelassen werden.
Der Begriff „Return to Sport“ wird im medizinischen Fachbereich immer häufiger diskutiert. Praktische Erfahrungen zeigen, dass Präventionsmaßnahmen die Zahl z. B. von Knieverletzungen effektiv senken können. Allerdings sollte auch weiterhin an neuen Konzepten und Technologien gearbeitet werden, da in der Praxis des Sports der körperlichen Prävention eine immer noch zu geringe Rolle zukommt. Das Beispiel Helm zeigt, dass auch für das Knie gelenk Schutzmaßnahmen entwickelt werden sollten, die die gefürchteten Knieverletzungen reduzieren und die Auswirkungen von Stürzen minimieren.
Abschließend bleibt zu bemerken, dass trotz der hohen Unfallzahlen vieles dagegenspricht, Sport generell als gefährlich zu bezeichnen: Einerseits ist der mit Abstand größte Teil aller Sportverletzungen eher harmloser Natur, andererseits spricht auch vieles dafür, Maßnahmen und Wirksamkeiten in Studien zu verfolgen. Dabei sollten auch in Risikosportarten wie Moto-Cross oder Eishockey über längere Zeiträume Daten erfasst werden, um die Wirkweise protektiv und präventiv eingesetzter Orthesen objektiv bewerten zu können. Erste Gespräche mit dem Motorradweltverband (Fédération Internationale de Motocyclisme, FIM), der obersten internationalen Motorradsportorganisation, wurden diesbezüglich bereits geführt.
Der Autor:
Hartmut Semsch, OTM
Ortema GmbH
Kurt-Lindemann-Weg 10
71706 Markgröningen
hartmut.semsch@ortema.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
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