In den knapp 70 Folgen der Podcastserie „2 Frauen 2 Brüste“ sowie auf den Blogs paulinapaulette.com und kick-cancer-chick.com der beiden spielte bisher die Versorgung mit Prothesen, Epithesen, BHs und Bademode im Sanitätshaus keine Rolle. Im Gespräch mit der OT-Redaktion erklärt Paulina Ellerbrock, wie sie ihre eigene Versorgung erlebt und was sie sich von Krankenkassen und Sanitätshäusern darüber hinaus wünscht.
OT: Was erwarten Sie von einer Versorgung mit Brustprothetik und Wäsche?
Paulina Ellerbrock: Eine gut sitzende Prothetik und Wäsche sorgen dafür, dass ich mich im Alltag wie ein gesunder Mensch und nicht wie eine Patientin fühle. Das können die Produkte im Zusammenspiel mit einer Beratung leisten. Dafür bin ich sehr dankbar! Leider wissen das noch immer zu wenig Frauen. Sie geben sich zufrieden, wenn sie den BH schön finden, er aber nicht ganz sitzt. Oder sie akzeptieren die Prothetik und verzichten auf den ästhetischen Anspruch. Wir sind es uns aber wert, dass unsere Ansprüche an Passform und Mode erfüllt werden. Gehe ich in ein Sanitätshaus und scheitere bei meiner Suche, und meine Bedürfnisse werden nicht erfüllt, dann fühle ich mich wieder als Patientin, die fremdbestimmt wird. Schließlich habe ich mich nicht freiwillig für die Abnahme meiner Brüste entschieden: Die Ablation aufgrund von Brustkrebs ist nicht nur körperlich, sondern auch emotional eine riesige Wunde. Entsprechend sollte sich auch die Versorgung an Körper und Seele richten.
Erstversorgung aus dem Trolley
OT: Hatten Sie bereits ein Sanitätshaus Ihres Vertrauens, als Sie die Diagnose Brustkrebs bekommen haben?
Ellerbrock: Nein. Ich war zum Zeitpunkt meiner Erkrankung 30 Jahre alt und bis dato noch nie in einem Sanitätshaus. Mein erster Kontakt mit einem Sanitätshaus war eine nette Frau mit einem Trolley, die an meinem Krankenhausbett stand. Ich hatte im übertragenen Sinne gerade die Augen nach der OP aufgeschlagen und eine große Wundfläche am Körper. In dieser Phase der Erkrankung weißt du gar nicht, wie sich die Wunde im Laufe der Wochen verändert, was du für Knochen, Muskeln und Faszien hast, die sich alle auf den Sitz der Prothese und des BHs auswirken. Du hast keine Ahnung, wie sich die Brust verändert, wenn sie abschwillt oder durch ein mögliches Lymphödem sogar an Volumen zunehmen kann. Und du weißt auch noch gar nicht, wie du in Zukunft auftreten willst. Soll die Prothese den Originalzustand der Brust wiederherstellen oder kleiner oder größer wirken? Zu dem Zeitpunkt kannte ich meine Bedürfnisse gar nicht. Geschweige denn, dass ich sie hätte benennen können. Hinzu kommt: Was passt schon in so einen Trolley? So erhielt ich meine Erstversorgung bestehend aus einer 0–8‑15-Prothetik und zwei BHs. Ganz ehrlich, ich kenne keine Frau, die mit ihrer Erstversorgung glücklich war. Aber gerade am Anfang der Erkrankung ist die Unsicherheit ja am größten, wäre also eine Versorgung, die mehr Sicherheit bietet umso wichtiger. Im Rückblick hätte ich mir eine bessere Aufklärung vor der Operation über die Versorgung danach gewünscht. Vor allem sollte die nicht nur über Ärzt:innen erfolgen, denn die legen den Fokus auf die Wunde und ihre Behandlung.
Wichtig: Medizin und Mode
OT: Wie haben Sie Ihre weitere Versorgung im Sanitätshaus erlebt?
Ellerbrock: Bis heute, dreieinhalb Jahre nach der Erstversorgung, habe ich „mein“ Sanitätshaus noch nicht gefunden. Das fängt schon damit an, dass ich in der Regel an vier Rollatoren und mehreren Beinen vorbeigehen muss, um zu dem einen Ständer mit Wäsche in Schwarz, Weiß oder Haut zu gelangen. Da bin ich sofort wieder in der Rolle der Patientin. Die Versorgungssituation im Sanitätshaus müsste neu gedacht werden, damit es die Vielfalt der Möglichkeiten besser abbilden und stärker kommunizieren kann. Das heißt auch: weg vom reinen Rezeptgedanken. Ich würde mir mehr Boutique-Charakter wünschen. Ohnehin haben wir Frauen doch eine hohe Bereitschaft, mehr zuzuzahlen, wenn wir dadurch bessere oder unserem Stil entsprechendere Produkte erhalten können.
Zudem wünsche ich mir bei der Beratung ein Umdenken. Hier steht die Medizin zu sehr im Vordergrund und die Mode wird vernachlässigt. Die Verkäufer:innen sind medizinisch gut geschult und sehr nett. Wenn mir als jungen Frau dann aber beispielsweise ein Badeanzug mit floralen Applikationen als modisch letzter Schrei verkauft werden soll, verabschiede ich mich höflich. In diesen Momenten habe ich einfach nicht die Kraft zu sagen, dass das völlig an meinen Bedürfnissen vorbeigeht. Deshalb bitte ich die Sanitätshäuser oft, mir eine kleine Auswahl an Produkten zu bestellen. Das macht nicht jedes Haus. Insgesamt erlebe ich daher die Beschaffung einer Versorgung, die meinen Bedürfnissen und Wünschen entspricht, als kraftraubend. Das überlagert dann oft das Gefühl „Jetzt habe ich mir etwas Gutes getan“, das ich mit der Beschaffung neuer Wäsche eigentlich verbinde.
Mehr geht immer
OT: Wie beurteilen Sie die Kostenübernahme der Hilfsmittel durch Ihre Krankenkasse?
Ellerbrock: Grundsätzlich ist die Bereitstellung von Hilfsmitteln in Deutschland gut. Nach der OP haben wir Anspruch auf eine Prothetik nach Ablation sowie zwei BHs. Klar, es geht immer mehr. Es wäre großartig, wenn drei bis fünf Monate nach der Operation eine Neuvermessung und ‑versorgung auf Kosten der Krankenkassen möglich wären, weil sich in der Zeit so vieles verändert. Derzeit hat man ein Jahr nach dem Eingriff Anspruch auf zwei weitere BHs und nach zwei Jahren auf eine neue Prothetik. Je länger ich lebe, desto besser ist also meine Versorgungssituation. Zudem würde ich mir die Übernahme der Kosten für Schwimmprothesen durch die gesetzlichen Krankenkassen wünschen, die ja auch sonst sportliche Aktivitäten ihrer Versicherten unterstützen.
Kommunikation mit Betroffenen ausbauen
OT: Wie kommt es, dass das Thema Versorgung mit Prothetik und Wäsche bisher in Ihrer Podcastserie noch nicht aufgenommen wurde?
Ellerbrock: Die Krankheit ist ein Prozess, in dem man sich oft selbst verliert. Deshalb haben wir Themen aus der akuten Therapie an den Anfang gestellt. Dennoch ist es ein wichtiges Thema, das wir tatsächlich in diesem Herbst mit zwei Podcastfolgen aufgreifen. Insofern passt unser Gespräch hier sehr gut! In der ersten Folge geht es um die Bedürfnisse der Frauen mit und nach Brustkrebs sowie die vorhandenen Prothetikprodukte. In der zweiten Folge sprechen wir über Wäsche und das Einkaufsverhalten. Mit den Podcasts wollen wir unsere Zuhörer:innen über die Vielfalt der möglichen Versorgungen informieren und sie zugleich ermutigen, nicht ihre „Behinderung“, sondern ihre Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen. Bei der Vorbereitung mit Partner:innen aus der Industrie und dem Sanitätshandel haben wir viel gelernt, obwohl meine Kollegin Alexandra von Korff und ich bereits über ein paar Jahre Erfahrung mit der Versorgung verfügen. Das zeigt, dass die Kommunikation mit den Betroffenen noch ausbaufähig ist.
Die Fragen stellte Ruth Justen.
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