Brust­krebs: Ver­sor­gung mit Pro­the­sen und Wäsche neu denken

Mit einer Serie von Podcasts widmen sich Paulina Ellerbrock und Alexandra von Korff bereits seit Mai 2019 der Information von Frauen und ihren Angehörigen rund um das Thema Brustkrebs.

In den knapp 70 Fol­gen der Pod­cast­se­rie „2 Frau­en 2 Brüs­te“ sowie auf den Blogs paulinapaulette.com und kick-cancer-chick.com der bei­den spiel­te bis­her die Ver­sor­gung mit Pro­the­sen, Epi­the­sen, BHs und Bade­mo­de im Sani­täts­haus kei­ne Rol­le. Im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on erklärt Pau­li­na Eller­b­rock, wie sie ihre eige­ne Ver­sor­gung erlebt und was sie sich von Kran­ken­kas­sen und Sani­täts­häu­sern dar­über hin­aus wünscht.

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OT: Was erwar­ten Sie von einer Ver­sor­gung mit Brust­pro­the­tik und Wäsche?

Pau­li­na Eller­b­rock: Eine gut sit­zen­de Pro­the­tik und Wäsche sor­gen dafür, dass ich mich im All­tag wie ein gesun­der Mensch und nicht wie eine Pati­en­tin füh­le. Das kön­nen die Pro­duk­te im Zusam­men­spiel mit einer Bera­tung leis­ten. Dafür bin ich sehr dank­bar! Lei­der wis­sen das noch immer zu wenig Frau­en. Sie geben sich zufrie­den, wenn sie den BH schön fin­den, er aber nicht ganz sitzt. Oder sie akzep­tie­ren die Pro­the­tik und ver­zich­ten auf den ästhe­ti­schen Anspruch. Wir sind es uns aber wert, dass unse­re Ansprü­che an Pass­form und Mode erfüllt wer­den. Gehe ich in ein Sani­täts­haus und schei­te­re bei mei­ner Suche, und mei­ne Bedürf­nis­se wer­den nicht erfüllt, dann füh­le ich mich wie­der als Pati­en­tin, die fremd­be­stimmt wird. Schließ­lich habe ich mich nicht frei­wil­lig für die Abnah­me mei­ner Brüs­te ent­schie­den: Die Abla­ti­on auf­grund von Brust­krebs ist nicht nur kör­per­lich, son­dern auch emo­tio­nal eine rie­si­ge Wun­de. Ent­spre­chend soll­te sich auch die Ver­sor­gung an Kör­per und See­le richten.

Erst­ver­sor­gung aus dem Trolley

OT: Hat­ten Sie bereits ein Sani­täts­haus Ihres Ver­trau­ens, als Sie die Dia­gno­se Brust­krebs bekom­men haben?

Eller­b­rock: Nein. Ich war zum Zeit­punkt mei­ner Erkran­kung 30 Jah­re alt und bis dato noch nie in einem Sani­täts­haus. Mein ers­ter Kon­takt mit einem Sani­täts­haus war eine net­te Frau mit einem Trol­ley, die an mei­nem Kran­ken­haus­bett stand. Ich hat­te im über­tra­ge­nen Sin­ne gera­de die Augen nach der OP auf­ge­schla­gen und eine gro­ße Wund­flä­che am Kör­per. In die­ser Pha­se der Erkran­kung weißt du gar nicht, wie sich die Wun­de im Lau­fe der Wochen ver­än­dert, was du für Kno­chen, Mus­keln und Fas­zi­en hast, die sich alle auf den Sitz der Pro­the­se und des BHs aus­wir­ken. Du hast kei­ne Ahnung, wie sich die Brust ver­än­dert, wenn sie abschwillt oder durch ein mög­li­ches Lymph­ödem sogar an Volu­men zuneh­men kann. Und du weißt auch noch gar nicht, wie du in Zukunft auf­tre­ten willst. Soll die Pro­the­se den Ori­gi­nal­zu­stand der Brust wie­der­her­stel­len oder klei­ner oder grö­ßer wir­ken? Zu dem Zeit­punkt kann­te ich mei­ne Bedürf­nis­se gar nicht. Geschwei­ge denn, dass ich sie hät­te benen­nen kön­nen. Hin­zu kommt: Was passt schon in so einen Trol­ley? So erhielt ich mei­ne Erst­ver­sor­gung bestehend aus einer 0–8‑15-Prothetik und zwei BHs. Ganz ehr­lich, ich ken­ne kei­ne Frau, die mit ihrer Erst­ver­sor­gung glück­lich war. Aber gera­de am Anfang der Erkran­kung ist die Unsi­cher­heit ja am größ­ten, wäre also eine Ver­sor­gung, die mehr Sicher­heit bie­tet umso wich­ti­ger. Im Rück­blick hät­te ich mir eine bes­se­re Auf­klä­rung vor der Ope­ra­ti­on über die Ver­sor­gung danach gewünscht. Vor allem soll­te die nicht nur über Ärzt:innen erfol­gen, denn die legen den Fokus auf die Wun­de und ihre Behandlung.

Wich­tig: Medi­zin und Mode

OT: Wie haben Sie Ihre wei­te­re Ver­sor­gung im Sani­täts­haus erlebt?

Eller­b­rock: Bis heu­te, drei­ein­halb Jah­re nach der Erst­ver­sor­gung, habe ich „mein“ Sani­täts­haus noch nicht gefun­den. Das fängt schon damit an, dass ich in der Regel an vier Rol­la­to­ren und meh­re­ren Bei­nen vor­bei­ge­hen muss, um zu dem einen Stän­der mit Wäsche in Schwarz, Weiß oder Haut zu gelan­gen. Da bin ich sofort wie­der in der Rol­le der Pati­en­tin. Die Ver­sor­gungs­si­tua­ti­on im Sani­täts­haus müss­te neu gedacht wer­den, damit es die Viel­falt der Mög­lich­kei­ten bes­ser abbil­den und stär­ker kom­mu­ni­zie­ren kann. Das heißt auch: weg vom rei­nen Rezept­ge­dan­ken. Ich wür­de mir mehr Bou­tique-Cha­rak­ter wün­schen. Ohne­hin haben wir Frau­en doch eine hohe Bereit­schaft, mehr zuzu­zah­len, wenn wir dadurch bes­se­re oder unse­rem Stil ent­spre­chen­de­re Pro­duk­te erhal­ten können.

Zudem wün­sche ich mir bei der Bera­tung ein Umden­ken. Hier steht die Medi­zin zu sehr im Vor­der­grund und die Mode wird ver­nach­läs­sigt. Die Verkäufer:innen sind medi­zi­nisch gut geschult und sehr nett. Wenn mir als jun­gen Frau dann aber bei­spiels­wei­se ein Bade­an­zug mit flo­ra­len Appli­ka­tio­nen als modisch letz­ter Schrei ver­kauft wer­den soll, ver­ab­schie­de ich mich höf­lich. In die­sen Momen­ten habe ich ein­fach nicht die Kraft zu sagen, dass das völ­lig an mei­nen Bedürf­nis­sen vor­bei­geht. Des­halb bit­te ich die Sani­täts­häu­ser oft, mir eine klei­ne Aus­wahl an Pro­duk­ten zu bestel­len. Das macht nicht jedes Haus. Ins­ge­samt erle­be ich daher die Beschaf­fung einer Ver­sor­gung, die mei­nen Bedürf­nis­sen und Wün­schen ent­spricht, als kraft­rau­bend. Das über­la­gert dann oft das Gefühl „Jetzt habe ich mir etwas Gutes getan“, das ich mit der Beschaf­fung neu­er Wäsche eigent­lich verbinde.

Mehr geht immer

OT: Wie beur­tei­len Sie die Kos­ten­über­nah­me der Hilfs­mit­tel durch Ihre Krankenkasse?

Eller­b­rock: Grund­sätz­lich ist die Bereit­stel­lung von Hilfs­mit­teln in Deutsch­land gut. Nach der OP haben wir Anspruch auf eine Pro­the­tik nach Abla­ti­on sowie zwei BHs. Klar, es geht immer mehr. Es wäre groß­ar­tig, wenn drei bis fünf Mona­te nach der Ope­ra­ti­on eine Neu­ver­mes­sung und ‑ver­sor­gung auf Kos­ten der Kran­ken­kas­sen mög­lich wären, weil sich in der Zeit so vie­les ver­än­dert. Der­zeit hat man ein Jahr nach dem Ein­griff Anspruch auf zwei wei­te­re BHs und nach zwei Jah­ren auf eine neue Pro­the­tik. Je län­ger ich lebe, des­to bes­ser ist also mei­ne Ver­sor­gungs­si­tua­ti­on. Zudem wür­de ich mir die Über­nah­me der Kos­ten für Schwimm­pro­the­sen durch die gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen wün­schen, die ja auch sonst sport­li­che Akti­vi­tä­ten ihrer Ver­si­cher­ten unterstützen.

Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Betrof­fe­nen ausbauen

OT: Wie kommt es, dass das The­ma Ver­sor­gung mit Pro­the­tik und Wäsche bis­her in Ihrer Pod­cast­se­rie noch nicht auf­ge­nom­men wurde?

Eller­b­rock: Die Krank­heit ist ein Pro­zess, in dem man sich oft selbst ver­liert. Des­halb haben wir The­men aus der aku­ten The­ra­pie an den Anfang gestellt. Den­noch ist es ein wich­ti­ges The­ma, das wir tat­säch­lich in die­sem Herbst mit zwei Pod­cast­fol­gen auf­grei­fen. Inso­fern passt unser Gespräch hier sehr gut! In der ers­ten Fol­ge geht es um die Bedürf­nis­se der Frau­en mit und nach Brust­krebs sowie die vor­han­de­nen Pro­the­tik­pro­duk­te. In der zwei­ten Fol­ge spre­chen wir über Wäsche und das Ein­kaufs­ver­hal­ten. Mit den Pod­casts wol­len wir unse­re Zuhörer:innen über die Viel­falt der mög­li­chen Ver­sor­gun­gen infor­mie­ren und sie zugleich ermu­ti­gen, nicht ihre „Behin­de­rung“, son­dern ihre Bedürf­nis­se in den Vor­der­grund zu stel­len. Bei der Vor­be­rei­tung mit Partner:innen aus der Indus­trie und dem Sani­täts­han­del haben wir viel gelernt, obwohl mei­ne Kol­le­gin Alex­an­dra von Korff und ich bereits über ein paar Jah­re Erfah­rung mit der Ver­sor­gung ver­fü­gen. Das zeigt, dass die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den Betrof­fe­nen noch aus­bau­fä­hig ist.

Die Fra­gen stell­te Ruth Justen.

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