Einleitung
Greitemann stellte im Jahr 2019 unter der Überschrift „Defizitäre Rehabilitation nach Amputation der unteren Extremität“ 1 fest, dass die Rehabilitationsstrukturen und die Rehabilitationsdauer für Menschen mit Amputation nach wie vor ungenügend seien. Für die aufwendig zu behandelnden, teilweise multimorbiden Patienten finden sich nicht genügend qualifizierte Kliniken mit zertifiziertem Wundmanagement, fachärztlich-orthopädietechnischer Betreuung und fachlich qualifizierten Physio- und Ergotherapeuten. Die gesetzlichen Krankenkassen begrenzen den rehabilitativen Aufenthalt (die sogenannte Verweildauer) von Menschen mit Amputation in den Rehabilitationskliniken zeitlich streng, sodass die fachärztlich ausgebildeten Rehabilitationsmediziner mit Zusatzausbildung in Technischer Orthopädie die Verweildauer nicht dem individuellen Krankheitsbild und dem medizinisch notwendigen Krankheitsverlauf des Patienten anpassen können.
Ziel der Studie
Ziel der hier vorgestellten Studie ist es, die Pflegebedürftigkeit, den Pflegebedarf, den Mehraufwand für die Pflege und einen eventuellen Verbandwechsel sowie die Mehrkosten für das Verbandmaterial von Menschen mit Oberschenkel- und Unterschenkelamputation in der Rehabilitation an einem Rehazentrum zu ermitteln. Eine differenzierte Erhebung dieser Parameter der Pflege von Menschen mit Amputationen ist weder im deutschsprachigen Raum noch im europäischen oder internationalen Ausland vorhanden.
Der Begriff „Pflegebedürftigkeit“ ist in § 14 SGB XI definiert, der Begriff „Pflegebedarf“ dagegen nirgendwo. Nach Fischer 2 ist der Pflegebedarf der erwartete Aufwand für die Pflege eines Menschen. Der „Pflegeaufwand“ ist definiert als die Gesamtheit der tatsächlich erbrachten Pflegetätigkeiten 3. Der in der Baumrainklinik tatsächlich erbrachte Pflegeaufwand wurde nach diesen Definitionen erhoben und auf zusätzlichen Folien in den Krankenblättern dokumentiert. Dabei wurde nach Pflegetätigkeitseinheiten und Verbandwechseleinheiten differenziert. Grundlage der Rehabilitation von Amputierten an den unteren Extremitäten ist die S2k-Leitlinie „Rehabilitation nach Majoramputation“ 4.
Studiendesign
Die hier vorgestellte retrospektive Fallkontrollstudie der Baumrainklinik, Klinik für konservative Orthopädie, Traumatologie und technische Orthopädie, Helios Rehazentrum Bad Berleburg ermittelt den tatsächlich geleisteten Pflegeaufwand bei Patienten nach Amputation an der unteren Extremität – differenziert nach Oberschenkel- und Unterschenkelamputationen. Anhand der Krankenakten aller rehabilitierten Patienten mit Amputation der Jahre 2007, 2009 und 2011 wurden mittels spezieller Erfassungsbögen folgende Parameter statistisch erhoben und ausgewertet:
- der zeitliche Mehraufwand für die Pflege,
- der zeitliche Mehraufwand für den Verbandwechsel sowie
- der zusätzliche Verbandmittelaufwand.
Die Zeit für die Pflege und die Zeit für einen Verbandwechsel wurden statistisch differenziert erhoben, um Vergleichbarkeit innerhalb der Gruppen der Patienten mit Amputation sowie gegenüber anderen Patientengruppen ohne Beinamputation in der Rehabilitation herzustellen. Darüber hinaus benötigten nicht alle Betroffenen einen Verbandwechsel.
Die Autoren entschieden sich zu drei Teilstudien mit einem Intervall von jeweils einem Jahr, weil sie davon ausgingen, dass sich über einen solchen Zeitraum sowohl das Pflegepersonal als auch die Ärzte und Therapeuten bezüglich der Pflege, der Wundbehandlung und der Therapie der Patienten mit Amputation verbessern. Sie vertiefen, so die Vermutung der Autoren in dieser Zeit ihr Wissen und erzielen dadurch bessere Ergebnisse in der Wiederherstellung der Selbsthilfefähigkeit und Selbstständigkeit der Menschen mit Amputation.
In der dargestellten Studie wurde die vollständige Gruppe aller Menschen mit Beinamputation in der Rehabilitation der Baumrainklinik aus folgenden Jahren untersucht:
- 2007 (51 Patienten mit Amputation),
- 2009 (71 Patienten mit Amputation) sowie
- 2011 (103 Patienten mit Amputation).
Die Zahlen wurden nach folgenden Aspekten unterteilt und statistisch ausgewertet:
- Oberschenkelamputationen (OS),
- Unterschenkelamputationen (US) sowie
- beidseitige Amputationen.
Methode
Als Methode wurde eine retrospektive Fallkontrollstudie gewählt. Es wurde eine Auswertung der Erfassungsbögen aller zur Rehabilitation aufgenommener Patienten mit Amputation der unteren Extremität aus den Jahren 2007, 2009 und 2011 vorgenommen. Die Krankenblätter wurden systematisch nach dem vom Pflegepersonal jeweils dokumentierten Aufwand – bezogen auf die Pflegetätigkeiten und auf den Verbandwechsel – ausgewertet 3 5. Als Basis der Zeitberechnungen dienen die „Orientierungswerte zur Pflegezeitbemessung“ der Richtlinien des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit 6, der „Leistungsbeschreibung und Berechnungsgrundlage“ nach SGB V 7 und der „Übersicht der Leistungskomplexe des SGB XI“ 8.
Ergebnisse
Im Folgenden werden jeweils zunächst die Ergebnisse für die OS-Amputationen, sodann die für die US-Amputationen innerhalb der drei Untersuchungsjahre (2007, 2009 und 2011) angegeben. Ein Überblick über die wichtigsten Ergebnisse ist Tabelle 1 zu entnehmen.
Teilergebnisse 2007
Im Jahr 2007 wurden in der Baumrainklinik insgesamt 51 Patienten, die an der unteren Extremität amputiert wurden, mit 56 Amputationen (darunter 30 Oberschenkelamputationen, 18 Unterschenkelamputationen) rehabilitiert. Das Durchschnittsalter betrug 69,25 Jahre; 45 Patienten (88,23 %) waren berentet; die durchschnittliche Verweildauer betrug 25,27 Tage.
30 Oberschenkelamputationen (58,82 %). Epidemiologie: Das Durchschnittsalter betrug 69,55 Jahre; 27 Patienten (90,0 %) waren berentet; die durchschnittliche Verweildauer betrug 25,63 Tage.
Bei den Diagnosen der Patienten mit Oberschenkelamputation stand die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) mit 74,51 % an 1. Stelle, gefolgt vom Diabetes mellitus mit 27,45 %; 21,56 % der Patienten mit Amputation wiesen sowohl eine pAVK als auch einen Diabetes mellitus auf. Bei 58,82 % lag eine arterielle Hypertonie, bei 50,98 % eine koronare Herzkrankheit (KHK), bei 15,69 % eine chronische obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und bei 17,64 % ein Vorhofflimmern (VHF) vor. Bei 10 Patienten wurde aufgrund einer Infektion mit MRSA eine Oberschenkelamputation vorgenommen, davon 2 Patienten nach Infektion einer Knie-TEP-Implantation. Bei den Patienten mit einer OS-Amputation (30 Patienten) ergaben sich folgende Zeitaufwände:
- durchschnittlicher Zeitaufwand für die Pflege pro Patient: 656,31 Minuten,
- durchschnittlicher Zeitaufwand für den Verbandwechsel pro Patient: 130,26 Minuten,
- zusammengefasst ein Mehraufwand von 786,57 Minuten bzw. 13,1 Stunden.
Bei 23 Patienten (45,1 %) lag ein Wundproblem vor, sodass regelmäßig Verbandstoffe verbraucht wurden; der Kostenaufwand dafür belief sich auf 77,96 € pro Patient.
18 Unterschenkelamputationen (35,29 %). Epidemiologie: Durchschnittsalter 68,59 Jahre; 15 Patienten (83,33 %) waren berentet; die durchschnittliche Verweildauer betrug 25,05 Tage.
Bei den Diagnosen der Patienten mit Unterschenkelamputation stand die pAVK mit 61,11 % an erster Stelle, gefolgt vom Diabetes mellitus mit 50,00 %. 9,80 % der Patienten mit Amputation wiesen sowohl eine pAVK als auch einen Diabetes mellitus auf. Bei 38,88 % lag eine arterielle Hypertonie, bei 50,00 % eine KHK, bei 16,66 % eine COPD und bei 11,10 % ein VHF vor. 4 Patienten wurden aufgrund einer Infektion mit MRSA amputiert. Resultate:
- durchschnittlicher Zeitaufwand für die Pflege pro Patient: 540,94 Minuten,
- durchschnittlicher Zeitaufwand für den Verbandwechsel pro Patient: 144,38 Minuten,
- insgesamt ein Mehraufwand von 685,32 Minuten (11,42 Stunden) pro Patient.
Bei allen Patienten (100,00 %) lag ein Wundproblem am Stumpf vor, sodass regelmäßig Verbandstoffe verbraucht wurden; der Kostenaufwand dafür betrug durchschnittlich 84,94 € pro Patient.
Teilergebnisse 2009
Im Jahr 2009 wurden 71 Patienten mit Amputation an der unteren Extremität rehabilitiert (darunter 48 Oberschenkelamputationen und 23 Unterschenkelamputationen). Epidemiologie: Das Durchschnittsalter betrug 68,34 Jahre; 59 Patienten (83,1 %) waren berentet; die durchschnittliche Verweildauer betrug 21,81 Tage.
48 Oberschenkelamputationen (67,60 %). Epidemiologie: Durchschnittsalter 68,63 Jahre; 39 Patienten (81,25 %) waren berentet; die durchschnittliche Verweildauer betrug 22,60 Tage.
Bei den Diagnosen der Patienten mit Oberschenkelamputation stand die pAVK mit 88,72% an 1. Stelle, gefolgt vom Diabetes mellitus mit 39,43 %. 33,8 % der Amputierten wiesen sowohl eine pAVK als auch einen Diabetes mellitus auf. Bei 54,92 % lag eine arterielle Hypertonie, bei 40,84 % eine KHK, bei 15,49 % eine COPD und bei 14,08 % ein VHF vor.
8 Patienten wurden wegen einer Infektion mit MRSA amputiert; 2 Patienten wurde der Oberschenkel aufgrund einer nicht beherrschbaren Infektion mit MRSA nach Knie-TEP-Implantation amputiert. Bei den Patienten mit einer OS-Amputation ergaben sich folgende Zeitaufwände:
- durchschnittlicher Zeitaufwand für die Pflege pro Patient: 753,07 Minuten,
- durchschnittlicher Zeitaufwand für den Verbandwechsel pro Patient: 179,66 Minuten,
- zusammengefasst ein Pflegemehraufwand von 932,73 Minuten (15,4 Stunden).
Bei 40 Patienten (83,33 %) lag ein Wundproblem vor, sodass regelmäßig Verbandstoffe verbraucht wurden; der Kostenaufwand dafür belief sich auf 81,22 € pro Patient.
23 Unterschenkelamputationen (30,98 %) bei 22 Patienten (bei einem Patienten wurden beide US amputiert). Epidemiologie: Durchschnittsalter 67,78 Jahre; 17 Patienten (77,27 %) waren berentet; die durchschnittliche Verweildauer betrug 19,95 Tage.
Bei den Diagnosen der Patienten mit Unterschenkelamputation stand die pAVK mit 90,91 % an 1. Stelle, gefolgt vom Diabetes mellitus mit 50,00 %. 45,45 % der Patienten mit Amputation wiesen sowohl eine pAVK als auch einen Diabetes mellitus auf. Bei 68,18 % lag eine arterielle Hypertonie, bei 45,45 % eine KHK und bei 9,09 % ein VHF vor. Wegen einer Infektion mit MRSA wurden 3 Patienten amputiert. Resultate:
- durchschnittlicher Zeitaufwand für die Pflege pro Patient: 678,41 Minuten,
- durchschnittlicher Zeitaufwand für den Verbandwechsel pro Patient: 210,64 Minuten,
- zusammengefasst ein Pflegemehraufwand von 889,05 Minuten (14,82 Stunden) pro Patient.
Bei allen Patienten (100 %) lag ein Wundproblem vor. Der Verbandstoffverbrauch bei den Patienten mit Unterschenkelamputationen verursachte einen Kostenaufwand von 96,60 € pro Patient.
Teilergebnisse 2011
Im Jahr 2011 wurden 103 Patienten mit Amputation an der unteren Extremität (darunter 57 Oberschenkelamputationen und 53 Unterschenkelamputationen) rehabilitiert; das Durchschnittsalter betrug 70,09 Jahre; 85 Patienten (82,52 %) waren berentet; die durchschnittliche Verweildauer betrug 22,90 Tage.
57 Oberschenkelamputationen (55,34 %). Epidemiologie: Durchschnittsalter 64,73 Jahre; 42 Patienten (73,68 %) waren berentet; die durchschnittliche Verweildauer betrug 21,45 Tage. Bei zwei Patienten musste der Oberschenkel wegen einer MRSA-Infektion nach Knie-TEP-Implantation amputiert werden.
Bei den Diagnosen der Patienten mit Oberschenkelamputation stand die pAVK mit 71,92 % an 1. Stelle, gefolgt vom Diabetes mellitus mit 38,59 %. Bei 22,80 % der Menschen mit Amputation lagen sowohl eine pAVK als auch ein Diabetes mellitus vor. 75,43 % wiesen eine arterielle Hypertonie, 63,16 % eine KHK, 14,03 % eine COPD und 14,03 % ein VHF auf. Bei zwei Patienten musste der Oberschenkel wegen einer nicht beherrschbaren MRSA-Infektion nach Knie-TEP-Implantation amputiert werden (Abb. 1a u. b). Resultate:
- durchschnittlicher Zeitaufwand für die Pflege pro Patient: 1079,58 Minuten,
- durchschnittlicher Zeitaufwand für den Verbandwechsel pro Patient: 219,79 Minuten,
- zusammengefasst ein Pflegemehraufwand pro Patient von 1299,37 Minuten (21,66 Stunden).
Bei 42 Patienten (73,68 %) lag ein Wundproblem vor, sodass regelmäßig Verbandstoffe verbraucht wurden; der Kostenaufwand dafür belief sich auf 108,60 € pro Patient.
53 Unterschenkelamputationen (51,45 %); bei 48 Patienten (bei 5 Patienten wurde eine doppelseitige Unterschenkelamputation vorgenommen). Epidemiologie: Das Durchschnittsalter betrug 70,06 Jahre; 41 Patienten (85,42 %) waren berentet; die durchschnittliche Verweildauer betrug 21,54 Tage.
Bei den Diagnosen der Patienten mit Unterschenkelamputation stand die pAVK mit 81,25 % an 1. Stelle, gefolgt vom Diabetes mellitus mit 66,66 %. Bei 52,08 % der Patienten mit Amputation lagen sowohl eine pAVK als auch ein Diabetes mellitus vor. 79,17 % wiesen eine arterielle Hypertonie, 43,75 % eine KHK, 18,75 % eine COPD und 14,58 % ein VHF auf. Wegen einer MRSA-Infektion musste bei 12 Patienten (25,0 %) der Unterschenkel amputiert werden (Abb. 2a–c). Resultate:
- durchschnittlicher Zeitaufwand für die Pflege pro Patient: 1.173,69 Minuten,
- durchschnittlicher Zeitaufwand für den Verbandwechsel pro Patient: 291,46 Minuten,
- zusammengefasst ein Pflegemehraufwand pro Patient von 1.465,15 Minuten (24,42 Stunden).
Bei 40 Patienten (83,33 %) lag ein Wundproblem am Stumpf vor. Der durchschnittliche Verbandstoffverbrauch bei Patienten mit Unterschenkelamputation belief sich auf einen Kostenaufwand von 118,64 € pro Patient.
Allgemeine Ergebnisse
Die mittlere Verweildauer der Patienten in der Rehabilitation der Baumrainklinik betrug über die drei untersuchten Jahre für die Patienten mit Oberschenkelamputation 23,22 Tage und für die Patienten mit Unterschenkelamputation 22,18 Tage. Die Therapietage wurden von der Baumrainklinik nach medizinisch intensiv begründeten schriftlichen Verlängerungsanträgen, in denen der auf den jeweiligen Patienten mit Amputation bezogene individuelle rehabilitative Verlauf beurteilt wurde, bei der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse beantragt. Nur nach einem patientenbezogenen schriftlichen Einverständnis der Krankenkasse kann eine Rehabilitation verlängert werden. Tabelle 2 zeigt den Pflegeaufwand und den Verbandwechselaufwand in Minuten auf.
Von der auf Orthopädietechnik spezialisierten Rehabilitationsklinik wurde demnach ein erheblicher Mehraufwand sowohl in der Pflege als auch beim Verbandwechsel bei Oberschenkel- und Unterschenkelamputierten erbracht. Die Statistik zeigt, dass die von den gesetzlichen Krankenkassen bewilligten Rehabilitationstage für Mitmenschen mit Amputation im Vergleich der Jahre 2007, 2009 und 2011 gesunken ist. Bei der stationären rehabilitativen Aufnahme von Patienten mit Amputation zeigt sich im Vergleich der Jahre eine zunehmende Pflegebedürftigkeit.
Die auf Orthopädietechnik und zusätzlich auf komplizierte Wunden spezialisierte Baumrainklinik war bereit, Menschen mit Amputation mit offenen Wunden am Amputationsstumpf aus den Akutkliniken aufzunehmen und zu rehabilitieren. Dies zeigt ein Vergleich der bei den Patienten jeweils erhobenen Barthel-Indizes der Jahre 2007 und 2011 (Tab. 3). Der Barthel-Index ist ein Verfahren zur Bewertung der alltäglichen Fähigkeiten eines Patienten. Er dient der systematischen Erfassung von Selbstständigkeit bzw. Pflegebedürftigkeit. Für das Jahr 2009 wurde der Barthel-Index nicht in die Statistik aufgenommen bzw. nicht erhoben.
Aufgrund der verbesserten Ausbildung des Pflegepersonals und der zunehmenden Wundkompetenz in der Baumrainklinik wurden demnach im Jahr 2011 Patienten mit Amputation mit einem höheren Grad an Pflegebedürftigkeit (Barthel-Index im Durchschnitt 59 Punkte OS resp. 56 Punkte US) aufgenommen und mit einer besseren Selbsthilfefähigkeit (66 Punkte OS resp. 67 Punkte US) ins häusliche Umfeld entlassen. Insofern zeigt die Rehabilitation eines Menschen mit Amputation eine deutliche Verbesserung der ADL und der QoL, was eine Rückführung ins häusliche Umfeld erlaubt, um ein selbstbestimmtes Leben im Kreis der Familie zu führen.
Der hier statistisch belegte pflegerische Mehraufwand ist in den Pauschalabgeltungen der Kostenträger für die Rehabilitationsleistungen für Menschen mit Amputationen nicht berücksichtigt.
Diskussion
Die Ergebnisse der Studie aus den Jahren 2007, 2009 und 2011 zeigen, dass bei Menschen mit Amputation in der Behandlung der Rehabilitationskliniken zur Wiederherstellung der Selbsthilfefähigkeit, der Selbstständigkeit, der Prothesengangschulung und des selbstständigen Prothesenhandlings sowie der Verbesserung der ADL nach einer Amputation im Bereich der unteren Extremitäten ein außergewöhnlicher zeitlicher Mehraufwand in der Pflege und ein nicht berücksichtigter Verbrauch an Verbandmaterialien entsteht.
Bei Menschen mit einer Oberschenkelamputation (Abb. 3) zeigt sich in der Studie folgender außergewöhnlicher pflegerischer Mehraufwand (Pflegeaufwand und Verbandwechselaufwand):
- im Jahr 2007 von 786,58 Minuten (13,10 Stunden) pro Patient,
- im Jahr 2009 von 932,73 Minuten (15,40 Stunden) pro Patient,
- im Jahr 2011 von 1.299,37 Minuten (21,65 Stunden) pro Patient.
Hinzu kommt folgender Mehraufwand an Kosten für Verbandmaterial:
- im Jahr 2007 von 77,96 € pro Patient,
- im Jahr 2009 von 81,22 € pro Patient,
- im Jahr 2011 von 108,60 € pro Patient.
Dieser Aufwand wurde von der Baumrainklinik unentgeltlich geleistet. Bei Patienten mit einer Unterschenkelamputation (Abb. 4) wurde folgender zeitlicher pflegerischer Mehraufwand von der Rehaklinik ohne Berücksichtigung in den Fallpauschalen erbracht:
- im Jahr 2007 von 685,33 Minuten (11,42 Stunden) pro Patient,
- im Jahr 2009 von 889,05 Minuten (14,82 Stunden) pro Patient,
- im Jahr 2011 von 1.465,15 Minuten (24,42 Stunden) pro Patient.
Hinzu kommt folgender Mehraufwand an Kosten für Verbandmaterial:
- im Jahr 2007 von 84,94 € pro Patient,
- im Jahr 2009 von 96,60 € pro Patient,
- im Jahr 2011 von 118,64 € pro Patient.
Die dargestellte Summe des tatsächlich erbrachten Pflegemehraufwandes pro Patient mit einer Oberschenkelamputation und pro Patient mit einer Unterschenkelamputation bedeutet einen zeitlich beachtlichen Mehraufwand für das Pflegepersonal auf der Pflegestation einer Rehabilitationsklinik und fordert von spezialisierten Kliniken eine qualitativ und quantitativ bessere Ausstattung an gut ausgebildeten Pflegekräften.
Die Summe des Mehraufwands an Kosten für Verbandmaterial von 108,60 € (Jahr 2011) pro Patient mit mit
Oberschenkelamputation und von 118,64 € (Jahr 2011) pro Patient mit Unterschenkelamputation erfordert ein spezifisches Wundmanagement mit zertifizierten Wundtherapeuten, einen erhöhten Personalstand von auf Patienten mit Amputationen spezialisierten und in Technischer Orthopädie ausgebildeten Physiotherapeuten sowie von in Technischer Orthopädie kundigen, auf die verschiedenen Exo-Prothesentypen geschulten Ergotherapeuten und engagierten Sozialarbeitern. Bei dieser Kostenbetrachtung wird die psychische Behandlung der an ihrer körperlichen Integrität verletzten überwiegend älteren Mitmenschen mit einem Durchschnittsalter von 69,22 Jahren und einer Berentung zu 80,47 % nicht berücksichtigt.
Fazit
Im Rahmen der Studie wurden neben den aufgeführten Zeitaufwänden auch die jeweilige Mobilitätsklasse und der Barthel-Index bei allen Patienten mit Amputation erhoben – sowohl bei der Aufnahme als auch bei der Entlassung. Die oben dargestellten Statistiken belegen eine deutliche Verbesserung der Selbsthilfefähigkeit und der wiedererlangten Selbstständigkeit, was nach der Entlassung eines Menschen mit Amputation ins häusliche Milieu zu einem niedrigeren Pflegegrad und damit zu einer monetären Entlastung des Gesundheitssystems führt.
Der ermittelte Mehraufwand in der Pflege und die aufgezeigten hohen Kosten für Verbandmittel sind in den Pauschalbeträgen für die Vergütung einer Rehabilitation durch die gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 1.850,00 bis 1.950,00 Euro für durchschnittlich 21 Therapietage nicht berücksichtigt und treiben die Rehabilitationskliniken auf Dauer in den wirtschaftlichen Ruin. Die Rehabilitation von Menschen mit Oberschenkel- und Unterschenkelamputation ist in einem Rehabilitationsintervall von 21 Tagen physisch und psychisch nicht möglich. Die Autoren stimmen insofern der Feststellung von Greitemann 1 vollumfänglich zu: „Es gibt erhebliches Verbesserungspotential, um dem ethischen Anspruch für Patienten mit Amputation gerecht zu werden.“ Nach dem dargestellten Pflegemehraufwand und dem Verbandmittelaufwand wird die seit über 10 Jahren erhobene Forderung der DGOU unterstützt, auch die orthopädisch-unfallchirurgische Rehabilitation entsprechend der Neurologie in Rehabilitationsphasen darzustellen 9. Die Rehabilitation der Mitmenschen mit Amputation ist demnach der Phase C zuzuordnen.
Für die Autoren:
Dr. med. Ralf-Achim Grünther
Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie,
Technische Orthopädie
Oberarzt der Klinik für Unfall‑, Hand- und
Wiederherstellungschirurgie
Diakonie Klinikum Jung-Stilling-Krankenhaus Siegen
Wichernstraße 40
57074 Siegen
acci.gruenther@t‑online.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Grünther R‑A, Knebel B. Pflegemehraufwand in der Rehabilitation von Menschen mit Amputation an den unteren Extremitäten. Orthopädie Technik, 2021; 72 (2): 52–58
- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
- Belastungsprofile von knochenverankerten Oberschenkelimplantaten verbunden mit modernen Prothesenpassteilen — 5. November 2024
- Greitemann B. Qualität und Versorgung stimmen nicht immer. Defizitäre Rehabilitation nach Amputationen der unteren Extremität. Orthopädie und Unfallchirurgie, 2019; 9 (2): 10–12
- Fischer W. Die Bedeutung von Pflegediagnosen in Gesundheitsökonomie und Gesundheitsstatistik. 2., erw. Aufl. Wolfertswill: ZIM, 1999
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- König P, Steinle-Feser B. Pflegeaufwand messen. Analyse und Beurteilung von Messinstrumenten. Saarbrücken: VDM, 2010
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- Sozialgesetzbuch (SGB V), Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung, Stand: zuletzt geändert durch Art. 311 Vv. 19.6.2020. § 2 SGB V, Leistungen. https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/2.html (Zugriff am 12.01.2021)
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