Hierzu ist es wichtig, Skoliosen durch engmaschige Kontrollen leitliniengerecht zu identifizieren. Korsetttechnisch kann die Spiegelung der verschobenen Körpervolumina mit Zweckformen genau in die entgegengesetzte Richtung der Symmetrieachse einen günstigen Einfluss auf die Wachstumsdynamik des Rumpfes haben. Klassische bildgebende Maßnahmen wie das Röntgen werden zunehmend durch Körperoberflächenvermessung und die instrumentierte Bewegungsanalyse ergänzt und verbessern das Verständnis der dynamischen Prozesse.
Einleitung
Dieser Beitrag fasst auf der Basis der heterogenen Studienlage und auf der empirischen Grundlage der Erfahrung einer großen Skolioseambulanz den Wissensstand zur konservativen Behandlung der Skoliose zusammen. Trotz immer wieder berichteter Erfolge in der modernen konservativen Skoliosetherapie drückt sich in der weltweiten medizinischen Literatur ein Ruf nach klinischer Evidenz im Rahmen gut definierter Studien aus 1. Nach Ansicht des Autors können unter Berücksichtigung der skoliotischen Archetypen 2 Effekte der konservativen Therapie definiert werden, die sich jenseits des Cobb-Winkels darstellen lassen. Die Rolle der konservativen Behandlung ist genauer zu definieren; evidenzbasierte Studien ermöglichen dies in den aktuellen Veröffentlichungen von Weinstein et al. 3 und Katz et al. 4. Das als interdisziplinär zu bezeichnende Konzept der vielfältigen Behandlungsoptionen leidet unter vielen nur wenig kontrollierbaren Einflüssen, beispielsweise unter der ungenauen Beschreibung der initialen Verkrümmung der Wirbelsäule, nicht flächendeckend standardisierten Korsettbauweisen, fehlenden Standards der begleitenden Physiotherapie und mangelnder Compliance des Patienten. Dies hat Einfluss auf den Therapieerfolg, weshalb in Nachuntersuchungen meist nicht Gleiches mit Gleichem verglichen werden kann – mit dem Ergebnis der Verwässerung guter Behandlungsresultate mit solchen, die von Beginn an eine ungünstige Prognose erwarten ließen.
Definition und Einteilung
Die idiopathische Skoliose stellt pathologisch-anatomisch eine seitliche Drehverbiegung der Wirbelsäule dar, die je nach Lokalisation als Rotationslordose imponiert 5 (Abb. 1). Bei angenommen gleicher Abweichung in der Frontalebene ist die Wirbelkörperrotation lumbal stets größer als thorakal.
Funktionelle Skoliose
Als funktionelle Skoliose wird eine frontale Wirbelsäulenverkrümmung bezeichnet, bei der im Röntgenbild keinerlei Struktur- oder Formveränderungen nachweisbar sind. Darunter fallen z. B. ischiadische Schmerzskoliosen sowie statische Haltungsskoliosen durch Beckenasymmetrie und ‑schiefstand. Charakteristisch für die funktionelle Skoliose ist die einfache Seitverbiegung der Wirbelsäule ohne Rotationskomponente der Wirbel im Vorneigetest. Die Medianlinie wird hierbei im Gegensatz zur strukturellen Skoliose niemals mehrfach gekreuzt. Die funktionelle Skoliose ist reversibel, soweit die zugrunde liegende Störung der Haltungsasymmetrie zu beseitigen ist.
Eine Sonderform der funktionellen Skoliose ist die Säuglingsskoliose. Diese Form tritt im Alter von wenigen Monaten auf und ist durch einen langgestreckten, meist linkskonvexen thorakolumbalen C‑förmigen Bogen gekennzeichnet. Eine Korrelation mit dem habituellen Lage-Schiefhals und dem Plagiocephalus des Säuglings ist häufig. Die Prognose dieser Skolioseform ist gut, eine Spontanheilung kann in fast allen Fällen erwartet werden 6.
Strukturelle Skoliosen
Sie sind fixiert, nicht reversibel und können weder aktiv noch passiv ausreichend korrigiert werden. Die komplette Fixation kann sich bei diesem Skoliosetyp erst in späteren progressiven Verschlimmerungsphasen entwickeln.
Idiopathische, ätiologisch nicht definierbare Skoliose
Sie ist der am häufigsten vorkommende Erkrankungstypus 7 8. Nach den Lebenskapiteln wird sie weiterhin unterteilt in infantile Skoliosen (0–3 Jahre), juvenile Skoliosen (4–10 Jahre) sowie die dominierenden Adoleszentenskoliosen (ab dem 11. Lebensjahr). Als prognostisch valider haben sich die Kategorien „früher Beginn“ („early onset“, < 7 Jahre) und „später Beginn“ („late onset“, > 7 Jahre) durchgesetzt 6.
Andere Skolioseformen wie osteopathische oder osteogene, neuropathische, myopathische, fibropathische und degenerative Skoliosen werden nicht gesondert besprochen, auch wenn sich die Behandlungsprinzipien zuweilen überschneiden können.
Vorkommen
Idiopathische Skoliosen machen 90 % aller Skoliosen im Wachstumsalter aus, wobei innerhalb dieser Gruppe die Adoleszentenskoliosen mit ca. 90 % am häufigsten vorkommen. 9 % entfallen auf die juvenilen und 1 % auf die infantilen idiopathischen Skoliosen.
Infantile Skoliose
Die infantile Skoliose ist ein seltener Skoliosetyp, der in 98 % der Fälle thorakal lokalisiert ist. Die Prognose der infantilen Skoliose ist wegen der starken Progredienz trotz Korsettbehandlung sehr schlecht.
Juvenile Skoliose
Je früher die Skoliose auftritt, desto größer ist die Wachstumsreserve und desto schlechter ist die Prognose. Neben der thorakalen Lokalisation kommen auch lumbale und S‑förmige Krümmungen bei dieser Form der Skoliose vor. Jungen und Mädchen sind bei der juvenilen und infantilen Form der Skoliose gleich häufig betroffen.
Adoleszentenskoliose
Bei der adoleszenten Form der Skoliose sind hauptsächlich Mädchen betroffen. Typischerweise sind diese Skoliosen in der Frontalebene häufig rechtskonvex thorakal und/oder linkskonvex lumbal mit stets ausgeprägten Lordosen kombiniert (Rotationslordose). Bei 16-jährigen Mädchen beträgt die Inzidenz 3 bis 4 % für Cobb-Winkel > 10° und 0,5 % für Cobb-Winkel > 20°. Das Verhältnis weiblich zu männlich variiert: Für kleine Kurven beträgt es 1:1, bei Kurven > 20° hingegen 4:1 und bei behandlungsbedürftigen Kurven sogar 7:1.
Diagnostischer Ablauf
Anamnese
Das zu erwartende Wachstum ist zusammen mit dem Knochenalter ein wichtiger Parameter für die Entscheidung über die Therapie. Der Zeitpunkt der Menarche beim Mädchen weist darauf hin, dass das Wachstum sich etwas verlangsamt und etwa 2 bis 2,5 Jahre nach der ersten Regelblutung sistieren wird.
Klinische Untersuchung
Zur Untersuchung der idiopathischen Skoliose gehört die Lotbestimmung der Wirbelsäule und die Beurteilung der Symmetrie der Schultern und des Beckens sowie der Vorneigetest nach Adams (Abb. 2a u. 2b.) mit Beurteilung des Rippenwulstes oder des Lendenwulstes. Die Höhenveränderung dieser Vorwölbung im Vorneigetest kann mit einem Höhenmessgerät, einem sog. Skoliometer nach Götze oder einem Winkelmesser nach Pedriolle im Langzeitverlauf zur Progredienzbestimmung gemessen werden und bietet eine hinreichende Korrelation zwischen Wirbelrotation und Cobb-Winkel. Mit dem Messgerät wird bei maximaler Inklination der Wirbelsäule der am stärksten ausgebildete Rippenwulst und/oder Lendenwulst ausgemessen.
Bildgebende Verfahren
Optische Darstellung der Rückenoberfläche
Die optische Darstellung und Vermessung der Rückenoberfläche zur Verlaufsdokumentation bei Skoliosen kann durch neuere Geräte wie das Videorasterstereometrie-Formetric-System 9 durchgeführt werden, wobei Lichtstreifen auf die Rückenoberfläche projiziert werden (Abb. 1). Die Korrelation des hierdurch errechneten Skoliosewinkels mit dem im Röntgenbild gemessenen Cobb-Winkel hat einen Fehler von 5 bis 7 % 9. Die für die Prognose relevante Oberflächenrotation im Scheitelwirbelbereich zeigt eine gute Korrelation zwischen Wirbelkörperrotation und Körperoberfläche mit einem Messfehler von 3 % 9. Primär eignet sich dieses Verfahren zur Registrierung von Veränderungen der Form der Wirbelsäule im Verlauf einer Behandlung beim selben Patienten.
Radiologische Diagnostik (Leitlinien DGOU 10)
Röntgenuntersuchung und Vergleichsaufnahmen sind einerseits zur Beurteilung der Progredienz, andererseits zur Planung sowie zur Beurteilung des Erfolgs konservativer Behandlungsmaßnahmen unerlässlich. Zur genauesten Beurteilung der Gesamthaltung der Wirbelsäule ist Folgendes erforderlich: Die Darmbeinkämme müssen initial am unteren Rand der Aufnahme miteinbezogen werden, um dort die Skelettreife beurteilen zu können 11. Je nach Ossifikationszustand der Darmbeinkammapophyse, die von lateral nach medial fortschreitet, werden 5 Stadien unterschieden.
Bending-Aufnahmen
Bei Ausgangskrümmungswerten im Graub ereich der Korsettindikation (40°– 50° Cobb-Winkel) sollen A.-p.-Aufnahmen in maximaler Lateralflexion nach links und rechts im Liegen durchgeführt werden. Während die kompensatorische Gegenkrümmung bei Lateralflexion ausgeglichen wird, bleibt die Primärkrümmung bestehen. Sollten im konventionellen Röntgenbild Fragen ungeklärt bleiben, können spezielle Darstellungen mit CT oder MRT angeschlossen werden.
Bei der Skoliosemessung nach Cobb wird im Röntgenbild p. a. eine Linie durch die am stärksten gegeneinander verkippten Deck- und Grundplatten gezogen. Diese beiden Wirbelkörper werden als Neutralwirbel bezeichnet (Abb. 2c). Der sich daraus ergebende Komplementärwinkel an den Schnittpunkten beider Verlängerungslinien von Deck- und Grundplatten wird vermessen. Der Scheitelwirbel zeigt möglicherweise die stärkste Keilform und transversale Rotation im Scheitelpunkt der Krümmung.
Radiologische Klassifikationen
Wenngleich die Lenke-Klassifikation insbesondere zur Beurteilung der Ausdehnung von Korrektur-Spondylodesen weit verbreitet ist 12 (Abb. 3 oben), ist die Sichtweise aus orthopädietechnischer Perspektive für den Korsettbau vereinfacht. Hier finden die vereinfachten Schroth- und Rigo-Chêneau-Klassifikationen 2 13 14 15 (Abb. 3 unten) auf der Grundlage der ursprünglichen 5 King-Typen 16 Anwendung.
Formale Archetypen skoliotischer Verbiegungen nach Rigo-Chêneau
A. Zwei 3‑bogige Typen mit mehr oder weniger ausgedehnten rechtskonvex thorakalen Schwüngen (Abb. 4, 5). Diese entsprechen korsetttechnisch den Typen King III (V) und King IV bzw. den Lenke-Typen I a–c (Abb. 3).
B. Zwei sogenannte 4‑bogige Typen (Abb. 4, 5), deren Hauptcharakteristika in der linkskonvexen lumbalen Krümmung mit jeweils weniger (King I) oder mehr (King II) ausgeprägten thorakal rechtskonvexen Gegenschwüngen bestehen (Abb. 5).
C. Im Gegensatz dazu finden sich die sogenannten Non-3-/4‑bogigen Skoliosen (Abb. 3 C1/C2), bei denen sich das Becken weitgehend neutral verhält.
Die sogenannten 4‑bogigen Skoliosen unterteilen sich nach Rigo-Chêneau in die echten (Abb. 3, Typ B1) und die „lumbalen“ 4‑bogigen Skoliosen (Abb. 3, Typ E1/E2). Beide Formen ähneln sich bezüglich der Beckenausrichtung, wobei das Becken zur Konkavität des linkslumbalen Schwunges auslenkt, dabei rechts nach vorne kippt („lordosiert“) und gleichzeitig höher steht als der linke Beckenkamm. Das Hüftgelenk führt hierbei eine typische Innenrotationsbewegung mit Veränderungen des Gangbildes rechts nach innenrotiert aus. Im Gegensatz dazu finden sich die sogenannten Non-3-/4‑bogigen Skoliosen (Abb. 3, Typ C1/C2), bei denen sich das Becken weitgehend neutral verhält. Skoliosen mit weder 3- noch 4‑bogigem Charakter werden am Becken neutral gefasst (Abb. 6).
Die sogenannten rechtsthorakalen 3‑bogigen Skoliosen schwingen im Beckenbereich genau gegensinnig zu den 4‑bogigen Skoliosen: Das Becken bewegt sich zur Konkavität der thorakalen Verkrümmung, in diesem Falle nach links, und lordosiert mit dem linken Beckenkamm, welcher nach cranial wandert (Abb. 3, Typ A1–A3, und Abb. 5).
Insgesamt ist bei dieser Rigo-Chêneau-Klassifikation die Lage des Neutralwirbels (TP = „turning point“) im Verhältnis zur Lotlinie vom Os sacrum (CSL= „central sacral line“) zu definieren:
- Bei den echten 4‑bogigen und den lumbalen 4‑bogigen Skoliosen ist der TP im A.-p.-Röntgenbild auf der Seite der CSL der linkslumbalen Verkrümmung positioniert, während er bei den 3‑bogigen auf der Seite der CSL der rechtsthorakalen Verkrümmung steht (Abb. 3, Typ A1–C2).
- Bei den „undefinierten“ Non-3-/4‑bogigen Skoliosen wiederum steht der TP-Wirbel auf der Lotlinie/CSL. Unterschiedlich sind diese Gruppen bezüglich der Fassung des Beckens im Korsett und der Gestaltung des thorakalen 3‑Punkt-Drucksystems mit seinen Expansionsräumen (Abb. 7).
Die Berücksichtigung der sagittalen Balance im Korsett findet sich im seitlich-stehenden Röntgenbild wieder: Die Klassifikation nach Lenke (Abb. 3) trägt der spinopelvinen und der thorakalen sagittalen Ausrichtung Rechnung. Sie muss in einem kyphosierenden Impuls thorakal und in einem aufrichtenden entlordosierenden Effekt lumbal beim Korsettbau berücksichtigt werden.
Wirkprinzipien der nach Chêneau modifizierten Korsette
Thorax
Skoliotische Krümmungen betreffen alle drei Raumebenen und können nach dem 3‑Punkt-Prinzip durch Extension, Derotation und Umkrümmung zunächst passiv korrigiert werden 17. Kotwicki und Chêneau 13 14 sowie Rigo und Weiss 2 schlugen ein System des Korsettaufbaus vor, in dem eine geschickte Druckflächenanordnung mehrere 3‑Punkte-Systeme auf die verschiedenen Krümmungsebenen einwirken lässt (Abb. 7). Expansionsräume im Korsett sorgen dafür, dass die zu verschiebenden asymmetrischen Körpervolumina des Skoliose-Rumpfes ebendorthin ausweichen können und Platz finden. Die aktive Korrektur findet durch die Stimulation der Propriozeption statt: Die rhythmischen Expansionsbewegungen des Thorax, der Rippen und des Abdomens während des Atmens gegen die Pelottierungen bewirken die aktive Aufrichtung. Hierbei atmet sich der Patient über die Thoraxexpansion in vorgegebene Korsettfreiräume (Abb. 7). Eine Korsett-Pelotte sowie der korrespondierende Freiraum können je nach Platzierung gegenüber der Krümmung isolierte oder kombinierte derotierende, extendierende oder auch umkrümmende Effekte haben. Die Evolution des Chêneau-Korsettes („Rigo System Chêneau“, „RSC“ 2, Weiß’ „Cheneau light“, Regniers „CCtec CanFit CAD-System-Cheneau“ u. a.) strebt heute die komplette „Spiegelung“ der skoliotischen Körpervolumina im Raum an 18, um in den korsettfreien Zeiten schrittweise ein Zurückschwingen des Rumpfes in eine ideale Symmetrie zu ermöglichen.
Becken und LWS
Im Beckenbereich wird bei den linkslumbalen und 4‑bogigen Skoliosen (Abb. 5) die Verschiebung des Beckens von rechts nach links unterhalb der derotierten LWS angestrebt. Das Becken muss dementsprechend gleichzeitig rechts kaudalisiert (oder die Konkavseite rechts lumbal extendiert) werden, um parallel dazu aus der rechtsseitigen Kippung nach ventral wieder entlordosiert zu werden. Diese komplexe Derotation soll besonders beim Gehen der Patientin zum Tragen kommen (Abb. 5): Im Beckenkorb des Korsetts wird die rechtsseitige Beckenhälfte wie in einer Zwinge gefasst und entlordosiert sowie nach links gedrängt. Die linke Hälfte des Beckenkorbes kann entweder ganz fehlen oder hat genügend Expansionsraum, sodass in der linksseitigen Schwungbeinphase das Becken frei gegensinnig zur linkslumbalen Krümmung schwingen kann. Während der rechtsseitigen Schwungbeinphase hingegen kann die pathologische Auslenkung des Beckens gemäß der lumbalen Verkrümmung nun nicht stattfinden. Eine gegensinnige exzentrische Pendelbewegung verhindert die weitere Ausprägung der Verkrümmung (Abb. 5, Korsett-Typen 1 u. 2).
Hilfreich bei dieser Vorstellung ist, sich das Becken als untersten „Wirbel“ der lumbalen Verkrümmung zu denken: Das Becken kippt nach ventral auf der Konkavseite, was der Rotation der Wirbelkörperquerfortsätze nach ventral entspricht.
Bei den 3‑bogigen Skoliosen verhält sich das Becken genau gegensinnig im Vergleich mit den 4‑bogigen bzw. den lumbalen 4‑bogigen Skoliosen. Die Mechanismen der Korsettkorrektur müssen nun genau spiegelbildlich angewendet werden (Abb. 5, Korsett-Typen 3 u. 4).
Leitlinien der Therapie 19
- Korsettpflichtigkeit: Cobb-Winkel von lumbal 15– 30° und von thorakal 20–50° Cobb. Reine Nachtkorsette sind für rasch progrediente, geringgradige, flexible Verkrümmungen (< 20° Cobb) bei juvenilen und adoleszenten Skoliosen im Rahmen eines engmaschigen Screenings sinnvoll.
- Korrekter Therapieverlauf: Primärkorrektur des Skoliosewinkels im Korsett von > 40 %, noch ausreichendes Körperwachstums bei Beginn der Korsett-Therapie, gute Tragecompliance des Korsetts (mindestens 16– 18 Std. Tragezeit/24 Std.) 20.
Bei den infantilen Skoliosen haben sich Lagerungsschalen und Teilzeitkorsette bis zur Abschätzung der Kurvenprogression bewährt. Ein wachstumslenkendes sinnvolles operatives Eingreifen beendet hier frühzeitig konservative Bemühungen.
Bei Verkrümmungen > 50° thorakaler und > 30° lumbaler Cobb-Winkel bleibt ein nachhaltiger Erfolg der konservativen Therapie fraglich. Eine Korsettversorgung junger Patienten kann hier eine Progredienz verhindern helfen, bis zu einer endgültigen Entscheidung zur Operation nach Wachstumsabschluss.
Ziele konservativer Therapie
Ziele der Therapie sind die Verhinderung oder Verringerung der Progression, die Korrektur der bestehenden Krümmung sowie das Halten der erreichten Korrektur 21. Der Therapieerfolg hängt allerdings von vielen Faktoren ab und bedarf eines interdisziplinären Ansatzes. Die nicht in allen Fällen standardisierte Korsettbauweise kann durch den Einsatz eines computergestützten CAD-Systems (z. B. CanFit, Fa. Regnier) verbessert werden.
Die spezifische physiotherapeutische Behandlung unter Anleitung (z. B. Schroth-Therapie u. a. 1- bis 2‑mal/-Woche) und insbesondere die eigenständige Übungsausführung (täglich) kommen der Behandlungs-Compliance des Patienten und seiner Familie zugute. Der positive Effekt stationärer Intensiv-Rehabilitationsmaßnahmen (SIR) (1 × 3 Wochen/Jahr) wird ebenfalls beschrieben 22 23.
Diskussion
Für die meist jungen Patientinnen steht nicht der von den Ärzten gemessene Cobb-Winkel im Vordergrund, sondern die Beckensymmetrie („Hüfte steht heraus“) und kosmetische Aspekte des Rückens („Der Buckel muss weg“) (Abb. 2). Ein kosmetisch gutes Ergebnis (Abb. 8) entschädigt für eine jahrelange Versorgung mit einem Korsett.
Kritiker der Korsettversorgung äußern, dass sich der meist primär gut korrigierende Effekt in Frontal- und Rotationsprofil Jahre nach der Abtrainierung aus dem Korsett verflüchtige. In einer Studie des Autorenteams Matussek, Oczipka, Dullien et al. 18 wurde die Oberflächenoptometrie (Formetric-System) des Rückens als bildgebendes Verfahren neben der 3‑D-Ganganalyse und den konventionellen bildgebenden Verfahren zur Untersuchung der aktiven Wirbelsäulenkorrektur im Rahmen der Korsett-Therapie angewendet. Siebzehn adoleszente Patientinnen mit typischen rechtsthorakalen 3‑bogigen Skoliosen (Lenke 1 a–c) und 28 Patientinnen mit typischen linkslumbalen „4‑bogigen“ Skoliosen konnten über einen Zeitraum von mindestens 24 Monaten eingeschlossen werden.
Die Ganganalyse führt in den kontrollierten 9 Fällen zu spezifischen zusätzlichen Erkenntnissen zu spinopelvinen Bewegungsstörungen in Bezug zu Beckenstellung und Beindrehung im Gangbild 24. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Haltungs- und Rotationskorrektur nicht sofort mit den radiologischen Werten im Korsett korrelierte, sondern einen Nachlauf von ca. 6 Monaten hatte. So waren 12 Monate konsequente Korsett- und Physiotherapie nach Schroth notwendig, um eine aktive Derotationskorrektur von > 50 % zu erreichen. Zwei Jahre nach Abtrainierung aus der Orthese hatten sich diese Korrekturwerte nicht signifikant verschlechtert 18. Dies korreliert mit den Studien von Weinstein 3 und Katz 4.
Der Autor:
Dr. med. Jan Matussek
Sektionsleitung Kinderorthopädie und Wirbelsäulenchirurgie
Orthopädische Klinik für die Universität Regensburg
Asklepios Klinikum Bad Abbach
Kaiser-Karl‑V.-Allee 3
93077 Bad Abbach
j.matussek@asklepios.com
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
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