Im Gespräch mit der OT-Redaktion erklärt der Medizinjurist und Arzt unter anderem, warum entsprechende Online-Versorgungsformen in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zulässig, in der privaten aber möglich sind.
Grenzen ausloten
OT: Herr Prof. Ehlers, in Ihrem Gutachten haben Sie festgestellt, dass ein rein digitaler Vertrieb orthopädischer Einlagen auf Rezept zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung über Online-Plattformen zum jetzigen Zeitpunkt und nach aktuellem Stand der Technik nicht möglich ist. Und zwar, weil dies gegen mehrere gesetzliche Vorschriften bzw. Vorgaben verstoße, sachlich und rechtlich unzulässig sei. Warum konnte eine solche Art der Versorgung den gesetzlich Versicherten für einige Zeit trotzdem angeboten werden?
Alexander Ehlers: Ein Gesetz ist immer interpretationsfähig. Daher ist es nicht ungewöhnlich, dass bestimmte Dinge mal ausprobiert, Grenzen ausgelotet werden. Nicht zuletzt, weil das Thema Digitalisierung im weiteren Sinne auf der Tagesordnung steht. Grundsätzlich ist die Marktpräsenz derartiger Produkte und Dienstleistungen nicht verwunderlich. Mein Gutachten bezieht sich zudem ausschließlich auf die Versorgung innerhalb der GKV.
OT: In der privaten Krankenversicherung sähe dies anders aus?
Ehlers: In der privaten Krankenversicherung sind solche Versorgungsformen grundsätzlich möglich. Das hängt von den jeweiligen Verträgen ab. Vorausgesetzt, die Produkte sind entsprechend rechtlicher Vorgaben marktfähig, dann kann die PKV selbst festlegen, welche Qualitätsstandards zur Anwendung gelangen, auch wenn sich die PKV oft an die GKV anhängt, was Wirtschaftlichkeit und Qualität betrifft. Doch generell sind die Spielräume in der PKV größer.
OT: Das heißt, hier hat eine gesetzliche Krankenkasse versucht, Spielräume auszuweiten?
Ehlers: Dass eine gesetzliche Krankenkasse auf diesen Zug aufspringt, hat vermutlich mit der digitalen Wende zu tun, die beflügelt wurde durch die Erfahrungen während der Corona-Pandemie. Eine Online-Versorgung stellt sich in vielen Bereichen effizienter und wirtschaftlicher dar – in der Orthopädie-Technik ist sie es noch nicht. Wenn hier bestimmte sachliche bzw. inhaltliche Änderungen vorgenommen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen angepasst werden, dann sähe das gegebenenfalls anders aus. So ist etwa vorstellbar, dass mithilfe eines solchen Versorgungsmodells Engpässe bei der orthopädieschuhtechnischen Versorgung verhindert werden sollen – der Fachkräftemangel ist ja auch dort angekommen.
OT: Das Bundesamt für Soziale Sicherung als Aufsichtsbehörde hat die in Ihrem Gutachten beschriebene E‑Versorgung auf GKV-Rezept aus dem Verkehr gezogen …
Ehlers: Das BAS hat diese Versorgung beanstandet, daraufhin wurde der Vertrag zwischen dem Leistungsanbieter und der Barmer ruhend gestellt.
OT: Ist es trotzdem noch gerechtfertigt, den Patient:innen derartige Online-Versorgungsformen mit Abrechnung über die GKV – also auf Rezept – nach wie vor anzubieten und sie zu bewerben?
Ehlers: Die Rechtsgrundlage für die Versorgung mit Hilfsmitteln innerhalb der GKV ist ein Versorgungsvertrag nach § 126 und 127 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch. Die Krankenkassen sind demzufolge verpflichtet, aktiv Vertragsverhandlungen mit den Leistungserbringern zu führen. Die Leistungserbringer müssen die in meinem Gutachten erwähnten persönlichen und sachlichen Voraussetzungen erfüllen. Sie dürfen nur Leistungen anbieten, die den Vorgaben des Hilfsmittelverzeichnisses und der Hilfsmittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses gerecht werden. Im Versorgungsnotfall sind Einzelvereinbarungen möglich, zum Beispiel wenn ein Spezialprodukt gebraucht wird oder bei Engpässen – laut § 127 (3) SGB V (Vereinbarung im Einzelfall, Anm. d. Red.).
OT: Das heißt?
Ehlers: Wenn mit der Erstattungsfähigkeit eines rein digitalen Vertriebs orthopädischer Einlagen in der GKV geworben wird, dann wäre das unter den derzeitigen Bedingungen nicht zulässig. Das lässt sich meinem Gutachten entnehmen. Eine solche Werbung könnte wettbewerbsrechtlich abgemahnt werden – als irreführende Werbung nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Denn derartige Leistungen dürften nicht zulasten der GKV abgerechnet werden. Sollte dies trotzdem erfolgen, dann könnte sich der verordnende Arzt bzw. die Ärztin Regressforderungen gegenübersehen. Schließlich sind sie zur Kontrolle verpflichtet, ob die Hilfsmittelversorgung von GKV-Versicherten auf Rezept bzw. ärztliche Verordnung den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Sollten Leistungserbringer abrechnen, ohne dass eine gültige ärztliche Verordnung vorliegt, sind wiederum diese gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse möglicherweise zu Rückzahlungen verpflichtet.
OT: Wäre eine solche Versorgung nach dem oben erwähnten § 127 (3) SGB V möglich, in dem es heißt: „Soweit für ein erforderliches Hilfsmittel keine Verträge der Krankenkasse (…) mit Leistungserbringern bestehen oder durch Vertragspartner eine Versorgung der Versicherten in einer für sie zumutbaren Weise nicht möglich ist, trifft die Krankenkasse eine Vereinbarung im Einzelfall mit einem Leistungserbringer; (…)“?
Ehlers: Es ist zweifelhaft, dass angesichts des hier diskutierten Sachverhalts – also der erwähnten Einlagenversorgungen – kein Versorgungsvertrag vorliegt. Auch eine unzumutbare Versorgung ist nicht wahrscheinlich. Sollte dies dennoch der Fall sein, schreibt § 127 (3) SGB V vor, dass Einzelvereinbarungen nur geschlossen werden dürfen, wenn die Qualität der Hilfsmittel und der Dienstleistungen den Anforderungen des HMV und der G‑BA-Hilfsmittelrichtlinie entsprechen.
GKV-Leistungen unterliegen Qualitätsstandards
OT: Es gibt keine Grauzone?
Ehlers: Die Kostenträger sind nicht berechtigt, in der GKV Kosten für Leistungen zu erstatten, welche die Anforderungen des SGB V nicht erfüllen. Eine rechtliche Grauzone liegt nicht vor, die Sachverhalte sind abschließend gesetzlich geregelt.
OT: Könnte eine Gesetzesanpassung den rein digitalen Vertrieb orthopädischer Einlagen auf GKV-Rezept legalisieren?
Ehlers: Die derzeitige Versorgung ist State of the Art. Auch bei einer Änderung gesetzlicher Bestimmungen muss die Qualität der Leistungserbringung weiterhin sichergestellt sein. Es darf keine Verschlechterung erfolgen.
OT: Wie kann der Gesetzgeber sichergehen, dass Versorgungsmodelle, die das BAS beanstandet, tatsächlich vom Markt verschwinden?
Ehlers: Hier muss man beachten, dass nicht diese Produkte bzw. Angebote an sich moniert wurden, sondern die Leistungserbringung zulasten der GKV. Bei der Versorgung der GKV-Versicherten gilt es, bestimmte Qualitätsstandards einzuhalten. Diesen wurde bei den untersuchten Gegebenheiten nicht entsprochen. Das bedeutet nicht, dass das Produkt generell unzulässig ist. Ein Produkt kann auf dem Markt bleiben, wenn beispielsweise die Vorgaben der einschlägigen Bestimmungen der EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) auf europäischer bzw. des Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetzes (MPDG) auf nationaler Ebene eingehalten werden.
OT: Wie stellt sich die Lage bei Hilfsmitteln dar, die privat bezahlt werden, folglich weder über GKV noch über PKV abgerechnet werden?
Ehlers: Die Selbstbeschaffung war ebenso nicht Gegenstand meines Gutachtens. Die Rechtslage ist in dem Fall viel liberaler. Sofern ein Produkt in Deutschland bzw. Europa marktfähig ist, kann es vertrieben und angewendet werden. Bei Medizinprodukten bemisst sich die Marktfähigkeit an den Grundsätzen der MDR. Ein Produkt, das diesen Regeln entspricht, kann unter anderem online vertrieben werden. Die Vertriebskanäle hängen noch davon ab, ob die Abgabe verschreibungs- oder apothekenpflichtig ist. Schlussendlich müsste man den Einzelfall prüfen, aber grundsätzlich sind die Voraussetzungen ebenfalls nicht so eng wie bei der Versorgung von GKV-Versicherten.
Mindeststandard nicht untergraben
OT: Wie kann die GKV-Versichertengemeinschaft sichergehen, dass Versorgungsformen, die von medizinischen Fachgesellschaften aufgrund möglicher Folgeschäden klar verneint werden, von der gesetzlichen Krankenversicherung weder unterstützt noch bezahlt werden?
Ehlers: Das Gesetz sieht mehrere Mechanismen vor, die sicherstellen, dass der Leistungskatalog der GKV auf einem qualitativ hohen Niveau ist und bleibt. So werden im HMV Anforderungen an die Qualität der dort gelisteten Hilfsmittel festgelegt. Beim Abschluss von Verträgen nach § 127 SGB V müssen die Vertragsparteien auf die im HMV geregelten Mindeststandards bzw. Qualitätsanforderungen Bezug nehmen. Und zu den Grundlagen der ärztlichen Verordnung gehört die Überprüfung, ob die Leistungserbringung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Leistungen, bei denen das nicht der Fall ist, dürfen nicht zulasten der GKV erbracht werden. Abschließend unterliegen die Krankenkassen der staatlichen Rechtsaufsicht.
OT: Nachdem das BAS die oben erwähnte E‑Versorgung stillgelegt hatte, postulierte eine gesetzliche Krankenkasse, eventuell könne das HMV geändert werden, um diese Art von Versorgungen in Zukunft den Versicherten auf GKV-Rezept gesetzessicher anzubieten. Wie kommentieren Sie das vor dem Hintergrund Ihres Gutachtens?
Ehlers: Um eine rechtssichere Versorgung mit solcherart Produkten zu gewährleisten, wäre eine Anpassung des HMV notwendig, aber nicht hinreichend. Zusätzlich müssten der § 127 SGB V und/oder die G‑BA-Hilfsmittelrichtlinie angepasst werden. Gleichzeitig gibt es ein Problem bezüglich des allgemein anerkannten Stands der Technik sowie der medizinischen Erkenntnis, die berücksichtigt werden müssen. Somit erscheint im vorliegenden Sachverhalt eine patientenindividuelle Anpassung dieses Hilfsmittels in der Online-Versorgung nicht möglich. Eine Leistung zulasten der GKV muss den im Sozialrecht verankerten Ansprüchen aber entsprechen. Bevor das HMV angepasst werden kann, muss klargestellt werden, dass alle technischen Voraussetzungen für eine qualitätssichere Versorgung der GKV-Versicherten vorliegen.
OT: Kürzlich hat der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) im Rahmen der Fortschreibung des HMV bei den Produktgruppen 05 (Bandagen) und 17 (Hilfsmittel zur Kompressionstherapie) die Anforderung der persönlichen Beratung gestrichen. Medizinische Fachgesellschaften haben dies kritisiert. Ist mit der Streichung ein erster Schritt getan, um diese Hilfsmittel auf rein digitalem Weg zu vertreiben?
Ehlers: Die persönliche Beratung ist nur ein Aspekt der Hilfsmittelversorgung, wenn auch ein wichtiger. Selbstverständlich erleichtert diese Änderung zukünftig den Umstieg auf eine vollständige Online-Versorgung. Hinreichend ist diese Änderung allerdings nicht. Zum aktuellen Zeitpunkt lässt sich daraus nur ablesen, dass der Aufwand bei der Versorgung mit Hilfsmitteln verringert werden soll, bei denen nach Ansicht des GKV-Spitzenverbands wohl keine persönliche Beratung erforderlich ist. Und diese Verringerung des Aufwands kann hier darin bestehen, dass eine digitale Alternative zur persönlichen Beratung angeboten wird. Jetzt muss man beobachten, wie das konkret umgesetzt wird. Das lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen.
OT: Wird damit die wohnortnahe Versorgung, die das deutsche Sozialrecht ins Zentrum stellt – genauso wie die in der Qualität gesicherte, ausreichende, zweckmäßige sowie wirtschaftliche Versorgung – demontiert?
Ehlers: Auf die wohnortnahe Versorgung hat diese Änderung im HMV keine Auswirkung. Diese wird in § 127 SGB V festgelegt. Sonstige Aspekte von Qualität und Wirtschaftlichkeit werden dadurch genauso wenig berührt. § 33, Absatz 1, SGB V sieht nämlich weiterhin vor, dass notwendige Leistungen wie beispielsweise die Ausbildung im Gebrauch des Hilfsmittels erbracht werden müssen. Können diese nicht ohne persönliche Beratung erfolgen, ist eine reine Online-Versorgung nicht zulässig.
OT: Das heißt, es wird kein Mindeststandard untergraben?
Ehlers: Korrekt.
Bedingte Transparenz
OT: Wie ließen sich die Hilfsmittelversorgung sowie das dahinterstehende Vertragswesen transparenter gestalten? Zum Beispiel, um zu garantieren, dass rechtliche Vorgaben und Qualitätsstandards eingehalten werden? Wäre die umfassende Veröffentlichung aller Vertragsinhalte ein Weg?
Ehlers: Transparenz ist seit Jahren ein großes Thema in der Hilfsmittelversorgung. Und § 127, Absatz 1, des SGB V schreibt ja vor, dass andere Leistungserbringer auf Nachfrage unverzüglich über die Inhalte abgeschlossener Verträge einschließlich der Vertragspartner zu informieren sind. Eine Informationspflicht zugunsten anderer Kostenträger oder der Versicherten ist nicht vorgesehen. Letztere genießen nach Absatz 6 das Recht, die wesentlichen Inhalte der Verträge zu erfahren – im direkten Austausch oder online. Einsicht in den gesamten Vertrag können sie nicht nehmen. Allerdings hat das BAS die Auffassung vertreten, dass eine Krankenkasse nicht berechtigt ist, einen Leistungserbringer zur Geheimhaltung bezüglich der abgeschlossenen Verträge zu verpflichten. Kostenträger und Versicherte können also über Umwege zu diesen Informationen gelangen. Denkbar wäre, ihnen einen eigenen Anspruch auf Einsicht zu gewähren. Inwiefern das dazu beitragen kann, die rechtlichen Vorgaben und Qualitätsstandards einzuhalten – da würde ich ein Fragezeichen setzen. Der Druck, der durch Wettbewerber entsteht, dürfte größer sein als der durch Patientinnen und Patienten oder Krankenkassen aufgebaute. Das Wettbewerbsrecht ist in dieser Hinsicht ein schärferes Schwert.
OT: Bisher sorgen über 1.000 Einzelverträge für eine Zersplitterung der GKV-Vertragslandschaft. Könnten verpflichtende Leitverträge zwischen den Krankenkassen und maßgeblichen Spitzenorganisationen der Leistungserbringer Abhilfe schaffen?
Ehlers: Rahmenvereinbarungen – wie wir sie im Sozialrecht ja regelmäßig sehen – sind ein effektives und sehr wohl verwendetes Mittel, um die Versorgung in bestimmten Bereichen auf einen gemeinsamen Mindeststandard zu heben sowie verschiedene Aspekte bei den Verhandlungen zwischen den einzelnen Parteien auszuklammern. Damit könnte sicherlich ein Beitrag zur Transparenz der Leistungsinhalte und der Anforderungen an die Leistungen verbunden sein. Man muss allerdings berücksichtigen, dass Detailregelungen, bei denen das Interesse an Transparenz besonders groß ist, in solchen Vereinbarungen keinen Platz finden. Deshalb gehen einige Vorschläge zur Realisierung von Leitverträgen davon aus, dass eher die verwaltungstechnischen Aspekte Gegenstand derartiger Rahmenvereinbarungen werden – und weniger die konkreten Inhalte zum Produkt.
OT: Verhilft das zu mehr Transparenz?
Ehlers: Ich glaube, dass dies der Transparenz nicht sonderlich zuträglich wäre. Gleichzeitig existiert ja bei Hilfsmitteln bereits das HMV, welches auf Bundesebene formuliert und weiterentwickelt wird sowie Stellungnahmen der Spitzenorganisationen der betroffenen Hersteller und der Leistungserbringer berücksichtigt. Im HMV sind die wesentlichen Inhalte zur Leistungserbringung schon geregelt. Und wie erwähnt, müssen die Inhalte der nach § 127 (1) SGB V abgeschlossenen Verträge anderen Leistungserbringern auf Nachfrage mitgeteilt werden. Diese können den Verträgen beitreten. Ein Rahmenvereinbarungssystem mit dem HMV als Qualitätsbasis besteht also im Prinzip. Verbindlich jedoch ist es natürlich nicht.
Online-Versorgung auf Rezept?
OT: Herr Prof. Ehlers, in Ihrem Gutachten schreiben Sie, dass sich dessen Ergebnisse nicht ausschließlich auf die Versorgung mit orthopädischen Einlagen beziehen. Dürften demnach zum jetzigen Zeitpunkt auf GKV-Rezept keinerlei Hilfsmittelversorgungen rein digital über Online-Plattformen durchgeführt werden?
Ehlers: Ausschließlich auf die Versorgung auf Rezept in der GKV bezogen: Ja, die Ergebnisse des Gutachtens können unter Umständen auf andere Hilfsmittelversorgungen übertragen werden.
OT: Das bedeutet?
Ehlers: Die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für „eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel“ aus § 126 SGB V gelten für alle Vertragspartner der gesetzlichen Krankenkassen und betreffen nicht nur orthopädische Schuheinlagen. Sie sollen Qualität und Wirtschaftlichkeit etc. übergreifend sicherstellen. So sind einerseits alle allgemeinen und besonderen Anforderungen an die Qualität der Produkte und der Leistungen zu erfüllen – dazu gehört die wohnortnahe Versorgung. Andererseits sind allgemeine Grundsätze aus dem Medizinprodukte- und dem Sozialrecht anzuwenden. Damit ist anzunehmen, dass auch andere Online-Versorgungen mit Hilfsmitteln zum Beispiel gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen oder dem allgemeinen Stand der Technik nicht gerecht werden. Im Mittelpunkt steht der Schutz der GKV-Versicherten. Ob eine Online-Versorgung bei anderen oder gar jedem Hilfsmittel unzulässig ist, wäre im Einzelnen zu prüfen. Außerdem sträubt sich die Orthopädie-Technik ja nicht gegen die Digitalisierung, wenn Qualität und Wirtschaftlichkeit gegeben sowie entsprechende personelle und sachliche Voraussetzungen erfüllt sind.
OT: Es geht demnach nicht darum, Digitalisierung und Online-Versorgung abzulehnen?
Ehlers: Insgesamt hinkt die medizinische Versorgung in Deutschland in Sachen Digitalisierung hinterher. Da sind wir weit abgeschlagen. Die nordischen Länder wie Dänemark und Schweden liegen deutlich vor uns, ebenso Estland, Kanada und Israel. Keine Frage, digitale Versorgung kann effizient und wirtschaftlich sein. Gleichwohl muss man dabei aufpassen, dass man nicht in eine qualitative Unterversorgung hineinrutscht. Digitale Versorgungsmodelle können nur anstelle der analogen greifen, wenn die allgemeinen Vorgaben im Hinblick auf Qualität und Nutzen eingehalten werden. Zu einer Verschlechterung bei der Versorgung der gesetzlich Versicherten darf es nicht kommen. Gesundheit ist ein sehr sensibles Feld mit einem hohen Anforderungslevel. Deshalb ist eine angemessene Digitalisierungsstrategie erforderlich. Sicher gibt es den Wunsch nach digitaler Hightech-Medizin. Wenn aber die Qualität leidet, tut man weder den Patientinnen und Patienten noch dem Gesundheitswesen einen Gefallen – speziell im Hinblick auf Folgekosten.
Die Fragen stellte Cathrin Günzel.
Prof. Dr. iur. Dr. med. Alexander P. F. Ehlers ist Fachanwalt für Medizinrecht und Facharzt für Allgemeinmedizin sowie Partner der Münchner Rechtsanwaltsgesellschaft mbB Ehlers, Ehlers & Partner. Der Hochschullehrer und Experte in den Bereichen des Medizin‑, Pharma- und Gesundheitsrechts hat die Ehrenpräsidentschaft der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen (GRPG) inne und engagiert sich zudem als Stifter und Vorstandsvorsitzender der Paul Nikolai Ehlers-Stiftung in München.
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