Anfer­ti­gung und Abga­be von dia­be­tes­ad­ap­tier­ten Fuß­bet­tun­gen auf Basis der Fort­schrei­bung der PG 31 und aktu­el­le wis­sen­schaft­li­che Empfehlungen

J. Stumpf
Zur Vermeidung von plantaren Fußwunden von Diabetikern haben sich diabetesadaptierte Fußbettungen (DAF) neben Sohlenrollen und Sohlenversteifungen als das wesentliche Funktionselement erwiesen. Die grundlegenden Funktionsmerkmale und Fertigungsrichtlinien der DAF sind durch die Produktgruppe (PG) 31 in der aktuellen Fassung vom 30.09.2022 [vgl. GKV-Hilfsmittelverzeichnis. https://hilfsmittel.gkv-spitzenverband.de/home/verzeichnis/b528e01c-3390-45e3-a51c-00fb2d7456f6 (Zugriff am 08.08.2023)] vorgegeben. Darüber hinaus wurde in den letzten Jahren eine Vielzahl von neuen wissenschaftlichen Studien mit präzisen Vorgaben zur optimalen Druckentlastungswirkung zu diesem Thema veröffentlicht. In diesem Artikel soll ein Überblick über die aktuellen rechtlichen und wissenschaftlichen Richtlinien zum Thema DAF gegeben werden. In einem kurzen Ausblick wird außerdem auf die aktuellen und zukünftigen digitalen Möglichkeiten zur Optimierung der Versorgung mittels DAF eigegangen.

Vor­ga­ben durch die PG 31

Durch die Fort­schrei­bung der PG 31 vom 30.09.2022 haben sich ver­schie­de­ne bis­he­ri­ge Vor­ga­ben verändert.

Ein­satz­be­rei­che

Grund­sätz­lich ist die Ver­ord­nung nur noch in Ver­bin­dung mit „Spe­zi­al­schu­hen bei dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom“ oder mit ortho­pä­di­schen Maß­schu­hen mög­lich. Dies macht aller­dings auch auf Grund der von der PG 31 gefor­der­ten Min­dest­stär­ken abso­lut Sinn. Die von den medi­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten zusätz­lich gefor­der­ten Ein­satz­mög­lich­kei­ten der DAF in kon­fek­tio­nier­ten Wund­ent­las­tungs­schu­hen und Orthe­sen wur­de bis­her nicht bei der Fort­schrei­bung der PG 31 oder ande­rer ent­spre­chen­der Pro­dukt­grup­pen berücksichtigt.

Indi­ka­tio­nen

Dia­be­tes­ad­ap­tier­te Fuß­bet­tun­gen sind zusam­men mit Spe­zi­al­schu­hen bei dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom laut PG 31 bei Pati­en­ten indi­ziert1:

  1. bei denen ein dia­be­ti­sches Fuß­syn­drom nach­ge­wie­sen ist und ein Zustand nach abge­heil­tem Fußul­kus vor­liegt, um das Auf­tre­ten eines Ulkus­re­zi­di­ves zu vermeiden
  2. mit hohem Risi­ko der Ent­wick­lung eines Fußulkus:
  • bei dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom zur Ver­mei­dung von dro­hen­den dor­sa­len Ulcera bei nicht aus­rei­chen­der Zehen­hö­he im ein­la­gen­ge­rech­ten Kon­fek­ti­ons-/Be­quem­schuh, z. B. bei aus­ge­präg­ten Kral­len- oder Hammerzehen
  • bei abnor­men Horn­haut­schwie­len mit Ein­blu­tun­gen im Sin­ne einer präul­zer­a­ti­ven Läsion
  • bei Ver­lust des Schutz­ge­fühls an den Füßen oder peri­phe­rer arte­ri­el­ler Ver­schluss­krank­heit der unte­ren Extre­mi­tä­ten und min­des­tens einer der folgenden:
    – ter­mi­na­le Niereninsuffizienz
    – Zehen- oder Teilfußamputationen

Bei der 1. Indi­ka­ti­on, bei der es um die Ver­mei­dung einer erneu­ten Fuß­wun­de geht, ist der Nut­zen für den Pati­en­ten mitt­ler­wei­le rela­tiv gut durch Stu­di­en belegt2. Ins­be­son­de­re die sta­tis­tisch sehr hohen Rezi­div­ra­ten nach abge­heil­tem dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom (DFS) von 35–40 % pro Jahr zei­gen die Bedeu­tung die­ser Indi­ka­ti­on auf3.

Beim 2. Indi­ka­ti­ons­be­reich, bei dem es um die Prä­ven­ti­on einer ers­ten Fuß­wun­de geht, ist die Sach­la­ge wesent­lich kom­pli­zier­ter, da die Erst-ulkus­ra­te für Pati­en­ten mit Poly­neu­ro­pa­thien (PNP) und Sen­si­bi­li­täts­ver­lust oder mit peri­phe­rer arte­ri­el­ler Ver­schluss­krank­heit (pAVK) nur ca. 2–4 % pro Jahr beträgt4.

Den nun in der PG 31 fest­ge­leg­ten Indi­ka­tio­nen für die­se Risi­ko­grup­pe ging ein lan­ger Abstim­mungs­pro­zess mit den ärzt­li­chen Fach­ge­sell­schaf­ten der Dia­be­to­lo­gie und Ortho­pä­die und dem GKV-Spit­zen­ver­band der Kran­ken­kas­sen auf Basis der inter­na­tio­na­len Leit­li­ni­en der Inter­na­tio­nal Working Group on the Dia­be­tic Foot (IWGDF) vor­aus5.

Funk­ti­ons­prin­zi­pi­en

Das The­ra­pie­ziel der plantaren Fußul­kus­ver­mei­dung wird durch die Funk­ti­ons­prin­zi­pi­en der Mikro­ent­las­tung und Makro­ent­las­tung erreicht. Die Mikro­ent­las­tung erfolgt mit­tels geeig­ne­ter Pols­ter­ma­te­ria­li­en in den Ulkus gefähr­de­ten Regio­nen als Ersatz für das in der Regel stark atro­phier­te Fuß­soh­len­ge­we­be. Bei der Makro­ent­las­tung wer­den Druckum­ver­tei­lun­gen von über­las­te­ten Fuß­re­gio­nen auf zur Belas­tung geeig­ne­te Fuß­re­gio­nen vor­ge­nom­men. Typi­scher­wei­se wer­den z. B. die stark über­las­te­ten Meta­tar­sal­köp­fe mit­tels retro­ka­pi­ta­ler Pelot­ten oder Meta­tar­sal­stu­fen und Anmo­del­lie­run­gen im Bereich der Fuß­längs­wöl­bun­gen makro­ent­las­tet6.

Erfas­sung der Fußgeometrie

Die PG 31 hat fol­gen­de Vor­ga­be7: „Dia­be­tes­ad­ap­tier­te Fuß­bet­tun­gen sind nach einem indi­vi­du­ell her­ge­stell­ten Fuß­mo­dell (z. B. Gips­ab­druck, Tritt­schaum oder 3D-Scan­ab­druck) gefer­tig­te Fuß­bet­tun­gen.“ In der wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur emp­feh­len Bus et al. eine halb­be­las­te­te Abdruck­tech­nik mit­tels Gips­ab­dru­ckes mit Tritt­schaum­ab­druck oder eines Scans8.

Die Tech­nik zur Erfas­sung der Fuß­geo­me­trie ist bewusst mit der Fort­schrei­bung der PG 31 rela­tiv offen­ge­las­sen wor­den, um eine mög­li­che tech­ni­sche Wei­ter­ent­wick­lung in die­sem Bereich nicht aus­zu­schlie­ßen. Wich­tig ist dabei aber, dass jede Abdruck­tech­nik für den wei­te­ren Design­pro­zess ver­läss­li­che Aus­gangs­be­din­gun­gen schafft. Dies bedeu­tet, dass das Ergeb­nis mög­lichst unab­hän­gig vom Anwen­der und dem Zeit­punkt der Abdruck­nah­me iden­ti­sche Ergeb­nis­se lie­fert. Nur so kann eine ent­spre­chen­de gleich­blei­ben­de Qua­li­tät der Ver­sor­gung erreicht werden.

Kon­struk­ti­on und Designvorgaben

Durch die Fort­schrei­bung der PG 31 haben sich die Vor­ga­ben für die Kon­struk­ti­on gra­vie­rend ver­än­dert. Stand noch in der Fort­schrei­bung der PG 31 vom 10.09.2018 der Hin­weis „Kei­ne Pelot­ten oder Stu­fen in der Ober­flä­che“, haben sich nun die Vor­ga­ben der PG 31 der inter­na­tio­na­len Stu­di­en­la­ge ange­passt und es heißt nun: „Bet­ten­der Auf­bau über indi­vi­du­el­les Fuß­po­si­tiv (drei­di­men­sio­na­ler Form­ab­druck), der Fuß­form ent­spre­chend gefer­tigt, mit Ein­ar­bei­tung von Pelot­ten und/oder Stu­fen in die Ober­flä­che zur Druckum­ver­tei­lung.“9 Die PG 31 macht hier kei­ne wei­te­ren Vor­ga­ben, da sie sich dann auf die Ergeb­nis­qua­li­tät und den damit ein­her­ge­hen­den Nach­weis der Druck­re­duk­ti­on kon­zen­triert. Von Sei­ten der Wis­sen­schaft wer­den aller­dings prä­zi­se­re Emp­feh­lun­gen in der Über­sichts­ar­beit von Bus et al. gege­ben10. Dort wird im Bereich der Längs­wöl­bung eine zusätz­li­che Anhe­bung von 3–5 mm emp­foh­len (aus­ge­hend vom Voll­kon­takt­ab­druck des halb­be­las­te­ten Fußes). Für Meta­tar­sal­stu­fen und Pelot­ten wer­den in die­ser Über­sichts­ar­beit eben­falls exak­te Emp­feh­lun­gen gege­ben. Die Stu­fe soll­te 6–11 mm pro­xi­mal von den Meta­tar­sal­köp­fen (ste­hen­de Posi­ti­on des Fußes) begin­nen und 9–10 mm an den höchs­ten Stel­len sein; und die­se Stel­len soll­ten 16–21 mm pro­xi­mal der Meta­tar­sal­köp­fe lie­gen (Abb. 1). Auch wenn die­se Emp­feh­lun­gen zunächst rela­tiv prä­zi­se und rigi­de erschei­nen, soll­te man unbe­dingt beach­ten, dass auch in bei Bus et al. etli­che Abwei­chun­gen von die­sen Vor­ga­ben beschrie­ben wer­den, die sich aus den ver­schie­dens­ten indi­vi­du­el­len Defor­mi­tä­ten und spe­zi­fi­schen Beson­der­hei­ten, z. B. ver­spann­te Plant­ar­fas­zie usw., erge­ben. Des Wei­te­ren soll­ten auch zusätz­li­che Ent­las­tungs­mög­lich­kei­ten im Bereich der Zehen in Betracht gezo­gen wer­den11. Eine her­vor­ra­gen­de Ent­las­tung der Zehen­end­glie­der kann durch eine indi­vi­du­el­le Anmo­del­lie­rung (Greif­wulst) im Bereich zwi­schen Meta­tar­sal­köp­fen und Zehen­end­glie­dern erzielt wer­den. Die­se Anmo­del­lie­rung bewirkt auch eine zusätz­li­che Ent­las­tung der Meta­tar­sal­re­gi­on (Abb. 2, 3).

Mate­ri­al­pa­ra­me­ter

Die PG 31 beschreibt die zu ver­wen­den­den Mate­ria­li­en wie folgend:

  • „Dia­be­tes­ad­ap­tier­te Fuß­bet­tung aus zur Druckum­ver­tei­lung geeig­ne­tem Mate­ri­al in aus­rei­chen­der Stär­ke und mit ent­spre­chen­den Dämpfungseigenschaften.
  • Indi­vi­du­el­ler Auf­bau der Bet­tung aus min­des­tens 3 Schich­ten unter­schied­li­cher Shore­här­te; zum Fuß weich, zur Brand­soh­le mit zuneh­men­der Shore­här­te, indi­ka­ti­ons- und gewichts­be­zo­ge­ne Mate­ri­al­aus­wahl, Unter­bau sta­bi­li­sie­rend.“ 12

Das in der vor­he­ri­gen Ver­si­on der PG 31 allei­nig vor­ge­ge­be­ne Fer­ti­gungs­ver­fah­ren des Tief­zie­hens, wel­ches die Mate­ri­al­aus­wahl auf ther­mo­plas­tisch ver­form­ba­re Mate­ria­li­en beschränk­te, wur­de in der Fort­schrei­bung ersetzt durch: „Die Bet­tung wird durch Tief­zie­hen über einem indi­vi­du­el­len Fuß­mo­dell auf Basis eines drei­di­men­sio­na­len Form­ab­drucks (z. B. Gips­ab­druck), im 3D-Druck-Ver­fah­ren oder CAD/­CAM-gefräs­te Bet­tung, auf Basis eines 3D-Scan­ab­drucks in den Schuh ein­ge­passt und adap­tiert.“13

Bus et al. emp­feh­len für DAFs in Spe­zi­al­schu­hen bei dia­be­ti­schem Fußsyndrom:

„Eine Basis aus 6 mm star­kem EVA (Shore 35 – 40), die Deck­schicht der Ein­la­ge soll­te aus einer Kom­bi­na­ti­on von 3 mm star­kem geschlos­sen­po­ri­gem Schaum (z. B. Plas­ta­zo­te Typ LD45) auf einem 3 mm star­ken offen­po­ri­gem Pols­ter­schaum (z. B. Pro­fes­sio­nal Pro­tec­ti­ve Tech­no­lo­gy, PPT), über die gesam­te Län­ge, bestehen. Die Kom­bi­na­ti­on von Plas­ta­zo­te und PPT hat sich als wirk­sam bei der Druck­ent­las­tung her­aus­ge­stellt, aber die Ver­wen­dung von Mate­ria­li­en mit ähn­li­chen Eigen­schaf­ten ist eben­so mög­lich.“14

Inter­es­sant sind in die­sem Zusam­men­hang die unter­schied­li­chen Aus­sa­gen zu den Mate­ri­al­vor­ga­ben. Wäh­rend die PG 31 rela­tiv viel Frei­heit zulässt und eine indi­ka­ti­ons- und gewichts­be­zo­ge­ne Mate­ri­al­aus­wahl vor­schlägt, geben Bus et al. prä­zi­se­re Anga­ben über die ver­schie­de­nen zu ver­wen­den­den Mate­ri­al­ty­pen an. Das Grund­prin­zip eines ver­ti­ka­len Sand­wich-Auf­baus (Abb. 4) mit wei­che­ren Mate­ria­li­en zum Fuß hin und fes­ter wer­den­den Mate­ria­li­en zur Brand­soh­le des Schuhs zur Sta­bi­li­sie­rung ist das Glei­che. Aller­dings geben die Stu­di­en­au­toren genaue­re Hin­wei­se zur Stär­ke und zu den dyna­mi­schen Eigen­schaf­ten der ein­zel­nen Mate­ri­al­schich­ten. Das von den Autoren emp­foh­le­ne geschloss­enzel­li­ge Schaum­ma­te­ri­al (z. B. Plas­ta­zo­te oder EVA) ver­hält sich unter län­ge­rer Belas­tung plas­tisch, d. h., es formt sich in den stär­ker belas­te­ten Fuß­re­gio­nen dem Fuß etwas an. Anders sieht es mit dem dar­un­ter lie­gen­den offen­po­ri­gen Pols­ter­schaum (in der Regel auf PU-Basis) aus, der auch bei län­ge­rer Belas­tung durch den Pati­en­ten fast kei­ne Ver­for­mung auf­weist. Grund­sätz­lich eig­net sich die sowohl in der PG 31 als auch die von Bus et al. beschrie­be­ne Mess­me­tho­de zur Shore-Här­te-Bestim­mung aber nicht für die Beschrei­bung der dyna­mi­schen Mate­ri­al­ei­gen­schaft, also des Ver­hal­tens des Mate­ri­als unter Belas­tung und Ent­las­tung unter zeit­lich und belas­tungs­mä­ßig defi­nier­ten Simu­la­tio­nen der rea­len Belas­tungs­si­tua­ti­on beim Gehen von Dia­be­tes­pa­ti­en­ten. Die­se Eigen­schaf­ten kön­nen nur mit bio­me­cha­nisch ori­en­tier­ten Prüf­ver­fah­ren z. B. nach DIN 51220 (Abb. 5), beschrie­ben wer­den. Mit die­ser Mess­me­tho­de las­sen sich auch Lang­zeit­be­las­tun­gen simu­lie­ren15.

Punkt­ent­las­tung

Zur Druck­re­duk­ti­on in ein­zel­nen beson­ders druck­ge­fähr­de­ten Regio­nen des Fußes beschreibt die PG 31 eine: „[z]usätzliche Punkt­ent­las­tung bei Indi­ka­ti­on“ (Abb. 4). Bus et al.16 wer­den hier auf Basis von Stu­di­en wesent­lich genau­er: „Das Ent­fer­nen von Mate­ri­al (loka­les Aus­schnei­den) an der Stel­le, an der frü­her ein Geschwür war, oder an einer Stel­le, auf der hoher Druck las­tet, und die Pols­te­rung die­ser Stel­len mit einem ande­ren Mate­ri­al redu­ziert loka­len Spit­zen­druck. Die aus­ge­schnit­te­ne Stel­le soll­te in Lauf­rich­tung rund oder leicht oval sein und mini­mal grö­ßer als der betref­fen­de Bereich. Sie soll­te 5 mm tief sein und mit 3 mm halt­ba­rem Mate­ri­al bis Shore 30 gepols­tert werden.“

Min­dest­stär­ken

Dazu steht in der PG 3117: „Dia­be­tes­ad­ap­tier­te Fuß­bet­tung ca. 8–16 mm stark (am Schei­tel­punkt der Rol­le ca. 10–16 mm, am Fer­sen­mit­tel­punkt ca. 8–12 mm stark), dünns­te Stel­le min­des­tens 8 mm.“ Bus et al. kom­men zu einer ähn­li­chen Stär­ke der Bet­tung. Wenn man die ein­zel­nen Stär­ken der ver­schie­de­nen emp­foh­le­nen Mate­ria­li­en zusam­men­zählt, so ergibt sich eine Stär­ke von 12 mm. Die Min­dest­stär­ken bezie­hen sich dabei ins­be­son­de­re auf den Ein­satz von DAFs in Spe­zi­al­schu­hen bei dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom. Da im ortho­pä­di­schen Maß­schuh kei­ne Volu­men­be­schrän­kun­gen herr­schen und dort meist auch die Rol­le in die DAF mit ein­ge­baut wird, sind die Auf­bau­stär­ken der DAFs im ortho­pä­di­schen Maß­schuh in der Regel wesent­lich dicker.

Die­se vor­ge­ge­be­nen Min­dest­stär­ken erfor­dern unwei­ger­lich ein ent­spre­chen­des Schuh­vo­lu­men, wel­ches einer­seits durch die PG 31 in den Anfor­de­rungs­kri­te­ri­en für die Zulas­sung von Spe­zi­al­schu­hen bei dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom fest­ge­legt ist, ande­rer­seits aber immer im Ein­zel­fall durch den ver­sor­gen­den Fach­mann geprüft wer­den muss. Ein zu gerin­ges Vor­fuß­vo­lu­men im Schuh kann ver­hee­ren­de Fol­gen für den Pati­en­ten z. B. im Zehen­be­reich haben und führt nicht sel­ten zu Zehenamputationen.

Fer­ti­gungs­ver­fah­ren

Neben der kla­ren Aus­sa­ge, dass „kei­ne Ver­wen­dung von indus­tri­ell vor­ge­fer­tig­ten Roh­lin­gen“ erfol­gen darf, wer­den nun durch die aktu­el­le Fort­schrei­bung der PG 31 kaum Ein­schrän­kun­gen bezüg­lich des Fer­ti­gungs­ver­fah­rens gemacht18: „Die Bet­tung wird durch Tief­zie­hen über einem indi­vi­du­el­len Fuß­mo­dell auf Basis eines drei­di­men­sio­na­len Form­ab­drucks (z. B. Gips­ab­druck), im 3D-Druck-Ver­fah­ren oder CAD/CAM gefräs­te Bet­tung, auf Basis eines 3D-Scan­ab­drucks in den Schuh ein­ge­passt und adap­tiert.“ Mit die­ser For­mu­lie­rung sind nun die ver­schie­dens­ten indi­vi­du­el­len Fer­ti­gungs­ver­fah­ren erlaubt. Dies gilt auch für Bus et al., was abso­lut sinn­voll ist, da es um die Wirk­sam­keit der DAF geht und nicht um das Fer­ti­gungs­ver­fah­ren, wel­ches nur Mit­tel zum Zweck ist.

Nach­weis der Druckreduktion

Das eigent­li­che Ziel der Ver­sor­gung mit DAFs ist durch die PG 31 wie folgt fest­ge­legt19: „Nach­weis­lich deut­li­che Reduk­ti­on der loka­len Spit­zen­drü­cke von mind. 30 %.“ Die­se Druck­re­duk­ti­on steht auch im Ein­klang mit der Leit­li­nie zu „Schuh­ver­sor­gung und Risi­koklas­sen beim Dia­be­ti­schen Fuß­syn­drom – und ana­lo­gen Neu­ro-Angio-Arth­ro­pa­thien“20. Wei­ter­hin beschreibt die PG 31 rela­tiv unge­nau den Abga­be­pro­zess ein­schließ­lich der not­wen­di­gen Druck­ver­tei­lungs­mes­sung21: „Die Abga­be ist ver­bun­den mit der Kon­trol­le der Pass- und Funk­ti­ons­fä­hig­keit durch den Leis­tungs­er­brin­ger und der Mes­sung der erzeug­ten Druck­re­duk­ti­on. Die Druck­ent­las­tung an der Fuß­soh­le zur Reduk­ti­on der Druck­spit­zen und gleich­mä­ßi­gen Druck­ver­tei­lung an der Fuß­soh­le ist bei der Abga­be nach­zu­wei­sen (als Reduk­ti­on soll­te eine Druck­ent­las­tung von min­des­tens 30 % erreicht werden).“

Bus et al.22 für­dern eine „Plant­are Druck­mes­sung im (ange­fer­tig­ten) Schuh“, aller­dings soll hier kei­ne rela­ti­ve Druck­re­duk­ti­on in Pro­zent erreicht wer­den, son­dern es soll ein Abso­lut­wert von 200 kPa nicht über­schrit­ten wer­den. Falls der Wert im Mit­tel-/Vor­fuß nicht erreicht wird, soll­te eine Schuh­mo­di­fi­ka­ti­on zur Errei­chung des Ziel­wer­tes erfol­gen. Falls sich der Ziel­wert beim ers­ten Durch­gang nicht errei­chen lässt, soll­te ein wei­te­rer erfol­gen. Außer­dem soll­te nach 6 Mona­ten eine erneu­te Mes­sung der Ver­sor­gung zur Kon­trol­le des Ziel­wer­tes erfolgen.

Der Ziel­wert von 200 kPa bezieht sich aller­dings auf die Ver­wen­dung eines bestimm­ten Mess­sys­tems mit den ent­spre­chen­den tech­ni­schen Beson­der­hei­ten, wie z. B. Sen­sor­art und Sen­sor­grö­ße usw. Im Ver­sor­gungs­all­tag in Deutsch­land wer­den aller­dings unter­schied­li­che Mess­sys­te­me ver­wen­det. Aus die­sem Grund hat sich auf Anfra­ge des GKV-Spit­zen­ver­ban­des an den DGOOC-Aus­schuss für Ortho­pä­die­schuh­tech­nik eine Exper­ten­grup­pe mit dem The­ma beschäf­tigt und ein­heit­li­che Stan­dards für die prak­ti­sche Umset­zung der Druck­ver­tei­lungs­mes­sung im Bereich der dia­be­ti­schen Fuß­ver­sor­gung erar­bei­tet23. Die Umset­zung der in die­sem Papier gemach­ten Emp­feh­lun­gen muss aller­dings erst noch in der Pra­xis sys­te­ma­tisch erfolgen.

Wei­te­re Maß­nah­men zur Qualitätssicherung

Mit der Ein­hal­tung der Vor­ga­ben der PG 31 und den Emp­feh­lun­gen aus den rele­van­ten Stu­di­en lässt sich das Risi­ko einer feh­ler­haf­ten Ver­sor­gung für die­se Hoch­ri­si­ko­fü­ße weit­ge­hend mini­mie­ren. Zusätz­li­che Sicher­heit im Ver­sor­gungs­pro­zess lässt sich durch die Ver­wen­dung eines sys­te­ma­ti­sier­ten Kon­troll­bo­gens, wie z. B. dem „Pro­to­koll ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung bei Dia­be­tes“ der AG Fuß Rhein­land-Pfal­z/­Saar­land, errei­chen24. In die­sem Abga­be­pro­to­koll wer­den alle rele­van­ten Kri­te­ri­en zur DAF und zu den ver­wen­de­ten Schu­hen abge­fragt und doku­men­tiert, ein­schließ­lich der even­tu­ell not­wen­dig gewor­de­nen Korrekturen.

Dia­be­tes­ad­ap­tier­te Fuß­bet­tun­gen und Adhärenz

Auch wenn die in die­sem Arti­kel auf­ge­zähl­ten Richt­li­ni­en zur Anfer­ti­gung und Abga­be der dia­be­tes­ad­ap­tier­ten Fuß­bet­tung voll­stän­dig befolgt wer­den, hängt das The­ra­pie­er­geb­nis letzt­end­lich vom Tra­ge­ver­hal­ten und der Akzep­tanz der Ver­sor­gung durch den Pati­en­ten ab. Dies hat auch sehr ein­drück­lich die Stu­die „Effect of Cus­tom-Made Foot­wear on Foot Ulcer Recur­rence in Dia­be­tes“25 auf­ge­zeigt. Nur wenn die Ver­sor­gung in ca. 80 % der getä­tig­ten Schrit­te durch die Pati­en­ten getra­gen wur­de, konn­te die durch Druck­ver­tei­lungs­mes­sung auf weni­ger als 200 kPa redu­zier­te Ver­sor­gung eine signi­fi­kan­te Ver­rin­ge­rung der Reul­zer­a­tio­nen errei­chen. Dies bedeu­tet, dass eine inten­si­ve Ein­be­zie­hung des Pati­en­ten ele­men­tar wich­tig für den The­ra­pie­er­folg ist. So soll­te bereits zu Beginn der Ver­sor­gung zusam­men mit dem Pati­en­ten das Ver­sor­gungs­ziel fest­ge­legt wer­den. Dabei gilt es, im gemein­sa­men Gespräch die Bedürf­nis­se und beson­de­ren Lebens­um­stän­de des Pati­en­ten zu erfra­gen und in die Ver­sor­gungs­zie­le zu inte­grie­ren. Exem­pla­risch wur­de ein idea­ler Gesamt­pro­zess unter Fokus­sie­rung der Ver­sor­gungs­zie­le für die Ein­la­gen­ver­sor­gung nach der PG 08 im Arti­kel von Kerkhoff et al.26 beschrie­ben. Die­ser Pro­zess lässt sich weit­ge­hend auch auf die Ver­sor­gung mit DAFs über­tra­gen und trägt maß­geb­lich zum Ver­ständ­nis des Pati­en­ten für die Not­wen­dig­keit der Ver­sor­gung bei.

Aktu­el­le und zukünf­ti­ge Rol­le der Digi­ta­li­sie­rung im Bereich DAF

Aktu­ell ver­pflich­tend wird der Ein­satz von elek­tro­ni­schen Druck­mess-Sen­sor­soh­len zum Nach­weis der Druck­re­duk­ti­on durch die PG 31 vor­ge­ge­ben. Dar­über hin­aus wur­den durch die Fort­schrei­bung der PG 31 auch Metho­den zur Fuß­form­er­fas­sung und Her­stel­lungs­ver­fah­ren auf CAD/­CAM-Basis, wie z. B. CNC-Frä­sen, 3D-Druck und ähn­li­chen Ver­fah­ren, zuge­las­sen. Die­se Ver­fah­ren ermög­li­chen in Ver­bin­dung mit einer digi­ta­li­sier­ten Befund­er­he­bung eine kom­plet­te digi­ta­le Erfas­sung des Ver­sor­gungs­pro­zes­ses und damit auch eine ver­ein­fach­te Daten­aus­wer­tung. In Ver­bin­dung mit den Ergeb­nis­sen der Druck­ver­tei­lungs­mes­sung lässt sich damit zukünf­tig ein ite­ra­ti­ver Ver­bes­se­rungs­pro­zess zur Ver­sor­gung mit DAFs auf­bau­en, der zu einer sys­te­ma­ti­schen Ver­bes­se­rung der Druck­re­duk­ti­ons­wir­kung füh­ren kann. Durch die Nut­zung von Akti­vi­täts­sen­so­ren und digi­ta­len Ver­laufs-pro­to­kol­len über län­ge­re Tra­ge­pe­ri­oden des Pati­en­ten hin­weg ergibt sich wei­ter­hin die Mög­lich­keit, die­se Daten in anony­mi­sier­ter Form Ver­sor­gungs­re­gis­tern zur wei­te­ren For­schung zur Ver­fü­gung zu stel­len. Damit wäre es zukünf­tig mög­lich, die kom­ple­xen Fra­ge­stel­lun­gen rund um die Evi­denz der dia­be­tes­ad­ap­tier­ten Fuß­bet­tun­gen zu beantworten.

Fazit

Durch die Fort­schrei­bung der PG 31 im Bereich der dia­be­tes­ad­ap­tier­ten Fuß­bet­tung haben sich Ein­schrän­kun­gen, aber auch neue Frei­hei­ten erge­ben. Die Ein­schrän­kun­gen bezie­hen sich in ers­ter Linie auf das Ein­satz­ge­biet, das sich nun im Moment nur auf Spe­zi­al­schu­he bei dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom und ortho­pä­di­sche Maß­schu­he beschränkt. Die bis­her erfolg­rei­chen Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten im Bereich der Akut­ver­sor­gung in spe­zi­el­len kon­fek­tio­nier­ten Wund­ent­las­tungs­schu­hen, aber auch die in der IWGDF-Leit­li­nie emp­foh­le­ne Ver­sor­gungs­mög­lich­keit in kon­fek­tio­nier­ten Unter­schen­kel­or­the­sen sind damit zunächst nicht mög­lich. Dies soll­te aber unbe­dingt als The­ma in den fol­gen­den Gesprä­chen sowohl bei der Fort­schrei­bung der PG 31 als auch bei der PG 23 auf­ge­nom­men wer­den. Die Frei­hei­ten betref­fen nun vor allem die bes­se­ren Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten, z. B. durch die Ver­wen­dung von Retro­ka­pi­ta­len Ent­las­tungs­mo­du­len und die weit­ge­hend freie Aus­wahl des Her­stel­lungs­ver­fah­rens. Ins­be­son­de­re der Ein­satz neu­er Her­stel­lungs­ver­fah­ren, wie z. B. des 3D-Drucks, muss sehr ver­ant­wor­tungs­voll ver­wen­det wer­den, da Lang­zeit­er­fah­run­gen bis­her feh­len. Hier sind die Mate­ri­al­her­stel­ler und Sys­tem­an­bie­ter bezüg­lich der Pro­zess­sta­bi­li­tät gefor­dert, die von der PG 31 gefor­der­te Min­dest­halt­bar­keit von 12 Mona­ten zu garan­tie­ren. Es bleibt nun die Auf­ga­be der Berufs­ver­bän­de, sowohl die neu­en Richt­li­ni­en der PG 31 als auch die neu­en Stu­di­en­erkennt­nis­se an alle in die­sem Bereich täti­gen Betrie­be und Mit­ar­bei­ter weiterzugeben.

 

Inter­es­sen­kon­flikt
Der Autor hat einen Bera­ter­ver­trag mit der Fir­ma IETEC Ortho­pä­di­sche Ein­la­gen GmbH Pro­duk­ti­ons KG Fran­ken­grund 3, 36093 Künzell.

Der Autor
Jür­gen Stumpf
Ortho­pä­die­schuh­ma­cher-Meis­ter
Geschäfts­füh­rer der Fir­ma Fuß und Schuh Breid­bach Ortho­pä­die GmbH & Co. KG
Bahn­hof­stra­ße 21
36037 Ful­da
Juergen.stumpf@gmx.de

 

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Stumpf J. Anfer­ti­gung und Abga­be von dia­be­tes­ad­ap­tier­ten Fuß­bet­tun­gen auf Basis der Fort­schrei­bung der PG 31 und aktu­el­le wis­sen­schaft­li­che Emp­feh­lun­gen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2023; 74 (10): 46–52

 

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