Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte im Zuge der Verabschiedung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG), in dessen Windschatten die elektronische Patientenakte eingeführt wurde: „Wir müssen sicherstellen, dass alle miteinander kommunizieren und Daten austauschen können.“
In einer Stellungnahme vom August 2020 weist der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Professor Ulrich Kelber, auf die Folgen einer europarechtswidrigen Verarbeitung personenbezogener Gesundheitsdaten als Folge des Patientendaten-Schutz-Gesetzes (PDSG) hin: „Meine Behörde wird aufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen die gesetzlichen Krankenkassen in meiner Zuständigkeit ergreifen müssen, wenn das PDSG in seiner derzeitigen Fassung umgesetzt werden sollte. Meiner Auffassung nach verstößt eine Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) ausschließlich nach den Vorgaben des PDSG an wichtigen Stellen gegen die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).“ So können im kommenden Jahr zum Beispiel alle Leistungsempfänger auf sämtliche Daten zugreifen, ohne dass die Patientin oder der Patient darauf Einfluss haben. „Die Nutzerinnen und Nutzer werden in Bezug auf die von den Leistungserbringern in der ePA gespeicherten Daten zu einem ‚Alles oder Nichts‘ gezwungen“, heißt es in der Mitteilung.
Ärzte und Apotheken müssen bereits an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen sein, Krankenhäuser bis spätestens Ende 2021. Einen Termin zum Anschluss von Sanitätshäusern und orthopädietechnischen Werkstätten gibt es allerdings noch nicht. Welche Voraussetzungen die elektronische Patientenakte erfüllen müsste, damit sie in der Praxis ein Gewinn für Patientinnen und Patienten sowie Versorger gleichermaßen ist, erläutert der Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik, Alf Reuter, im Gespräch mit der OT.
OT: Knappe zwei Monate noch, dann wird der Startschuss für die elektronische Patientenakte fallen. Wie groß ist der Frust, dass es keinen konkreten Zeitplan für den Anschluss von Sanitätshäusern und orthopädietechnischen Werkstätten gibt?
Alf Reuter: Nicht besonders groß. Es macht Sinn, dass erst die Leistungserbringer für die breite Bevölkerung angeschlossen werden. Allerdings sollten dann auch die gesammelten Erfahrungen für das weitere Vorgehen genutzt werden. Wir sind als Gesundheitshandwerke bereits über den Beirat der „nicht-approbierten Gesundheitsberufe“ mit der Telematik-Infrastruktur im Austausch. Da geht es zum Beispiel darum, dass wir als verkammerter Berufszweig den Berufeausweis ja nicht von der Bundesärztekammer, sondern von der Handwerkskammer erhalten müssen. Zudem haben wir ein gemeinsames Projekt mit Opta-Data und der Techniker Krankenkasse gestartet, in dem wir die Prozesse des eRezeptes definieren.
OT: Sollte die Einführung auch für die OT-Branche terminiert sein, wo erwarten Sie aus Sicht der Branche Probleme?
Reuter: Wir haben mit dem Gesetzgeber vereinbart, dass es keine Wettbewerbsnachteile für die Hilfsmittelbranche geben darf. Das bedeutet, dass auch Apotheken und andere Leistungserbringer solange warten müssen, bis der Prozess zur Zufriedenheit aller definiert ist. Wir sehen deutliche Vorteile in der Digitalisierung, da damit langfristig Bürokratieabbau und Transparenz in die Prozesse kommen. Allerdings muss die Erstausstattung mit dem Instrumentarium der Telematik auch für die Orthopädie-Technik finanziert werden – so wie es für Ärzte und Apotheken auch bereits gilt.
OT: Welche weiteren Vorteile hätte der digitale Austausch von Patientendaten?
Reuter: Damit sich Vorteile entfalten können, müssen die Leistungserbringer erst einmal Zugriff auf die Daten der elektronischen Patientenakte (ePA) haben. Zudem müssen sie Schreibrechte erhalten, denn wir tragen ja die Verantwortung für das Therapiekonzept. Heute bedeutet dies, dass es in unserer Verantwortung liegt, den 10-Steller im Rezept einzutragen. Das muss auch zukünftig der Fall sein. Als Spitzenverband haben wir Zugriff auf die allgemeinen Daten aus der ePA und erhoffen uns damit neue Zahlen für die Versorgungsforschung. Aber auch hier gilt: Die Daten, die rauskommen, können nur so gut sein wie die Daten, die reingehen.
OT: Datenschutz ist ein wichtiges Thema, besonders wenn es um so sensible Daten rund um die eigene Gesundheit geht. Dennoch zeigt eine repräsentative PWC-Studie, dass gut ein Drittel der Befragten bereit ist, alle medizinischen Daten in die elektronische Patientenakte einzutragen und lediglich 23 Prozent würden nur die Daten der Versichertenkarte bzw. gar keine Daten übermitteln. Welche Daten sind für den Orthopädietechniker relevant?
Reuter: Nun, er muss alles wissen, was bislang auch auf dem Rezept stand. Gut wäre es für die Zukunft, wenn man auch digital auf den Versorgungsfortschritt und die Therapien anderer Leistungserbringer wie z.B. Physiotherapeuten oder eben auf die Ergebnisse bildgebender Verfahren wie z.B. Röntgen- oder MRT-Aufnahmen der Radiologen zurückgreifen könnte. Viele Patienten sind multimorbid und können nur im interprofessionellen Team behandelt werden. Diese Therapiekonzepte sollten künftig auch einsehbar sein.
OT: Kann die elektronische Patientenakte ein wichtiger Baustein für eine gute Versorgung werden oder rechnen Sie mit einem eher geringen Effekt auf die Qualität?
Reuter: Wir sind erst am Anfang der Digitalisierung. Wenn man sich z.B. den Mehrkostenbericht des Spitzenverband Bund ansieht, dann muss man schon sehr skeptisch sein. Die Datenqualität ist mehr als bescheiden, so dass man für keine einzige Aussage eine wirklich valide Grundlage hat. Das A und O ist daher die Datenqualität … und die ist noch nicht endfällig definiert.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
- Handwerkszeichen in Gold für Wollseifer — 20. Februar 2023
- Programmkomitee nimmt Arbeit für OTWorld 2024 auf — 13. Februar 2023
- Austausch auf Augenhöhe — 8. Februar 2023