Station 1 widmet sich dem Arztbesuch samt Diagnostik und Verordnung, Station 2 stellt die Lymphdrainage in den Mittelpunkt, Station 3 die medizinische Kompressionsversorgung und an Station 4 gibt es Informationen zu begleitenden Hilfsmitteln wie An- und Ausziehhilfen, Hautpflege sowie zum Selbstmanagement. An Station 5 – dem „Evidenzpoint“ – werden Leitlinien und Studien vorgestellt. Die Sonderschau kann in Rundgängen erkundet werden. Zusätzlich finden täglich Vorträge statt. Um das Bild rund zu machen, wurden ebenfalls Selbsthilfegruppen eingeladen.
Langer Leidensweg
„Die zumeist weiblichen Patientinnen mit Lip- oder Lymphödem haben oft einen langen Leidensweg und eine Arztodyssee hinter sich, bevor sie die richtige Diagnose erhalten und mit der Behandlung begonnen werden kann“, erklärt Petra Menkel, Bandagistenmeisterin, Vorsitzende des Fachverbandes für Orthopädietechnik und Sanitätsfachhandel Nordost e. V., stellvertretende Obermeisterin der Landesinnung für Orthopädietechnik Berlin-Brandenburg, geschäftsführende Gesellschafterin der Paul Schulze Orthopädie und Bandagen GmbH in Berlin und Mitgestalterin der Versorgungswelt „Lympherkrankungen“ auf der OTWorld 2022. „Die Dunkelziffer der Un- und Unterversorgten ist hoch, denn viele der betroffenen Frauen sind regelrecht ‚unsichtbar’ und trauen sich gar nicht mehr raus. Deshalb müssen Ärztinnen und Ärzte stärker für diese Krankheitsbilder sensibilisiert werden. Genauso sollten die Mitarbeitenden in Sanitätshäusern genauer hinschauen, denn als ein bedeutsamer Teil des therapeutischen Teams tragen sie hohe Verantwortung. Die Krankenkassen müssen begreifen, dass es sich um eine hochkomplexe, intime Therapie handelt, die Zeit und spezielle Expertise braucht. Fehlbehandlungen haben schwere gesundheitliche und damit soziale Folgen – darunter Folgeerkrankungen wie Entzündungen der Haut, Ulcus-Bildung, die bis zu Amputationen führen können.“
Kompetenz zeigen
Jede Station der Versorgungswelt stellt die besonderen Herausforderungen des Versorgungsgeschehens aus drei Perspektiven dar: „Wir haben die Informationen sowohl für das Sanitätshauspersonal als auch für die Krankenkassen sowie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und die Vertreter:innen der Politik aufbereitet“, erklärt Menkel. „Als Sanitätshaus sehen wir uns als eine Art Generalunternehmer, der die Versorgung organisiert und begleitet.“ So werden zum Beispiel beim Thema Verordnung die Qualifikation der nichtärztlichen Leistungserbringer und die Bedeutung der interprofessionellen Zusammenarbeit bei der Auswahl der passenden Versorgung hervorgehoben. „Das Fachwissen liegt hier nicht ausschließlich auf der Seite der Ärzt:innen, denn die Kompetenz der nichtärztlichen Leistungserbringer besteht nicht nur im Messen, sondern in der umfassenden Kenntnis komplexer Versorgungen und der Mitentscheidung über ein Therapiekonzept. Dieser Sachverstand aus dem Sanitätshaus gewährleistet zudem, dass Krankheitsbilder zeitnah entdeckt und ohne große Folgeschäden korrekt behandelt werden. Service- und Versorgungszeiten müssen als medizinisch notwendig anerkannt und in den Verträgen abgebildet werden“, unterstreicht Menkel und fordert: „Letztendlich brauchen wir mehr Freiheit bei der Ergänzung und Ausarbeitung des Rezepts. Das möchten wir nicht zuletzt der Politik und den Krankenkassenvertreter:innen vermitteln.“ Wichtig sei, dass Orthopädietechniker:innen beim E‑Rezept eigenständige Schreibrechte erhalten: „Pflicht wäre der 7‑Steller im E‑Rezept.“
Betroffene im Rampenlicht
„Zahlreiche Testimonials werden vor Ort sein und ihre Geschichte erzählen sowie für die Vorführungen fachgerechter Versorgungen durch Spezialist:innen aus dem Sanitätshaus sowie Lymphtherapeut:innen bereitstehen“, berichtet Menkel. „Es gibt Fachvorträge von Mediziner:innen und Einführungen in die Arbeit eines interdisziplinären Lymphnetzes.“ Das Potenzial der Lymphdrainage werde in Live-Präsentationen vorgestellt. So werde auch in die Feinheiten der Kompressionsversorgung eingeführt. „Diese Versorgung darf nur durch Personen mit einer lymphatischen Grundausbildung durchgeführt werden! Deshalb müssten Verträge in Zukunft so gestaltet sein, dass es eine Qualitätskontrolle der Sanitätshäuser gibt.“
Aus einer zeitgemäß designten Behandlungskabine mit einem modernen Messstuhl, der bis 210 kg tragen kann, werden Anmessungen – unter anderem mit einem digitalen Tool zur Volumenmessung – direkt auf eine Videowand der Versorgungswelt übertragen. „Dabei folgen wir unserem Grundsatz, dass auf eine händische Untersuchung trotz digitaler Unterstützungstechnologien nicht verzichtet werden darf. Denn man muss das Gewebe anfassen, um gerade im Anfangsstadium einer Erkrankung festzustellen, wo man ziehen oder etwas wegdrücken kann. Digitale Algorithmen können ergänzend oder zur Kontrolle eingesetzt werden“, betont Menkel. Zudem sei das Gespräch mit den Patient:innen wichtig. „Nach wie vor ist die lymphatische Versorgung sehr schambesetzt. Die betroffenen Menschen brauchen Zeit, wir müssen mit ihnen über ihre Erkrankung sprechen und dürfen sie nicht innerhalb von zehn Minuten ‚abfrühstücken’. Nur so können wir bei Problemen frühzeitig eingreifen.“
Die leitliniengerechte Versorgung entsprechend dem KPE-Konzept werde auf der OTWorld minutiös aufgeschlüsselt. „Damit können sich Vertreter:innen aus Politik und von Krankenkassen ein viel besseres Bild machen“, hofft Menkel. Das Informationsmaterial stehe in digitaler Form zum Download bereit. Außerdem haben Selbsthilfegruppen die Möglichkeit, ihre Angebote als Teil der Versorgungswelt darzustellen. „Schließlich haben wir alle gemeinsam das Ziel, die Patient:innen glücklicher zu machen.“
Cathrin Günzel
Ein Lipödem ist eine chronische Fettverteilungsstörung, die nahezu ausschließlich bei Frauen auftritt und vererbbar zu sein scheint. Die genauen Ursachen sind unklar, ein Zusammenhang mit hormonellen Umstellungen in der Pubertät, während der Schwangerschaft oder der Menopause wird vermutet, da dann meist erste Symptome auftreten. Merkmale sind symmetrische Fettanlagerungen bei den Beinen, seltener sind ebenfalls die Arme betroffen. Neben den optischen Auswirkungen schränken Schmerzen, Berührungsempfindlichkeit sowie Spannung der Haut die Lebensqualität und Mobilität ein, auch ein früher Gelenkverschleiß kann eintreten. Laut der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie e. V. (DGP) sind in Deutschland geschätzt zwischen 500.000 und einer Million Frauen betroffen. Weitere Erkrankungen wie Adipositas können das Lipödem begleiten.
Das Lymphödem ist eine chronische Erkrankung, bei der das lymphatische System gestört ist – neben dem Blutkreislauf das wichtigste Transportsystem im menschlichen Körper. Die Lymphbahnen durchziehen den Körper entlang der Blutgefäße und befördern die Lymphflüssigkeit in Herzrichtung. Das Lymphsystem bewegt Nähr- und Abfallstoffe, entsorgt in den Lymphknoten Krankheitserreger wie Bakterien und Fremdkörper. Ist es beeinträchtigt, kann es zu Flüssigkeitsansammlungen kommen und das Gewebe schwillt an. Lymphödeme treten einerseits erblich bedingt auf (primäres Lymphödem), andererseits können äußere Einwirkungen wie Unfälle, Tumorerkrankungen oder Operationen die Abflussstörung auslösen (sekundäres Lymphödem). Im Gegensatz zum Lipödem kann die Schwellung einseitig auftreten, zum Beispiel einen Arm oder ein Bein betreffen. Sehr schwerwiegende Ausprägungen können bis zur Bewegungsunfähigkeit führen. Frauen erkranken häufiger an einem Lymphödem als Männer, aber es gibt auch etliche männliche Patienten. Genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln. So sollen in Deutschland 1,8 Prozent der erwachsenen Durchschnittsbevölkerung von einem manifesten Lymphödem der Beine betroffen sein (Prof. Dr. M. Stücker in eurocom e. V.: „Medizinische Kompressionstherapie richtig verordnen. Ein Überblick für Ärzte“, 2021).
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