„Moto-AFO“: moto­ri­sier­te AFO (Ank­le Foot Ortho­sis) ­gegen spas­ti­sche Bewegungserscheinungen

M. Moyé, D. Merbold, U. K. Zettl, R. Scharpenberg
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) und bis zum heutigen Tag nicht heilbar. Aufgrund der unterschiedlichen Lokalisationen sind die Symptome der Betroffenen sehr heterogen. Ein häufiges Symptom ist eine spastische Lähmung (SL). Damit geht für die Betroffenen eine gravierende Einschränkung der Lebensqualität, der Bewegungsfreiheit und der Funktionen einher. Für die hier vorgestellte Machbarkeitsstudie im Crossover-Setting über eine motorisierte Orthese zur Spastikreduktion („Moto-AFO“) wurden vier Probanden mit einer durchschnittlichen Krankheitsdauer von 11,3 Jahren und einem durchschnittlichen EDSS-Wert (EDSS = Expanded Disability Status Scale) von 5,1 rekrutiert. Alle Probanden wurden drei Monate lang in regelmäßigen Abständen untersucht. Innerhalb dieser Zeit (im zweiten Monat) trugen alle Teilnehmer eine mobile motorisierte Orthese („Moto-AFO“) zur Reduzierung des spastischen Muskeltonus; die vorgegebene Therapiezeit betrug sieben Stunden pro Woche. Als primärer Parameter wurde die Bewegungsfreiheit gemessen; begleitend kamen Fragebögen wie das Beck Depression Inventory (BDI) und der Short Form (12) Health Survey (­­SF-12) zum Einsatz. Der Vergleich der Ergebnisse zeigt, dass nach dem Tragen der motorisierten Orthese geringfügige Verbesserungen der Bewegungsfreiheit erreicht werden konnten. Alle Probanden berichteten jedoch, dass unmittelbar nach der Behandlung eine subjektive Verbesserung der Gangqualität aufgetreten sei. BDI und SF-12 zeigen im Vergleich keine Abweichungen.

Ein­lei­tung

Spas­ti­sche Läh­mun­gen (SL) kön­nen infol­ge von Krank­hei­ten und Unfall­lei­den wie Schlag­an­fall (Stro­ke), Mul­ti­pler Skle­ro­se (MS), Amyo­tro­pher Late­ral­skle­ro­se (ALS), Schä­del-Hirn-Trau­ma (SHT) und eini­gen mehr ent­ste­hen 1 2 3 4. Eine häu­fi­ge Fol­ge die­ser Erkran­kun­gen ist eine zen­tra­le oder spas­ti­sche Pare­se. Infol­ge der spas­ti­schen Pare­se kommt es zu funk­tio­nel­len Mus­kel­ver­kür­zun­gen und folg­lich zu einer ein­ge­schränk­ten Beweg­lich­keit der betrof­fe­nen Extre­mi­tä­ten bis hin zur Gelenk­ver­stei­fung 5 6. Die­ses Phä­no­men äußert sich in Ein­schrän­kun­gen der Lebens­qua­li­tät sowie der All­tags­funk­tio­nen. Pati­en­ten sind dann nur ein­ge­schränkt oder gar nicht mehr in der Lage, lan­ge Stre­cken zu bewäl­ti­gen sowie all­täg­li­chen Tätig­kei­ten (z. B. Haus­ar­beit) nach­zu­ge­hen. Auch sozia­le Struk­tu­ren kön­nen unter dem Sym­ptom der SL lei­den und sich ver­rin­gern 7. Bis zum heu­ti­gen Tag kön­nen SL nicht geheilt wer­den, sodass im All­tag in enger Zusam­men­ar­beit von Hilfs- und Heilmittel­erbringern ver­sucht wird, zumin­dest einer Pro­gre­di­enz der Sym­pto­ma­tik vor­zu­beu­gen 8.

Im Rah­men eines Koope­ra­ti­ons­pro­jek­tes im Kon­text des Zen­tra­len Inno­va­ti­ons­pro­gramms Mit­tel­stand (ZIM) des Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums (BMWi) wer­den Assis­tenz­sys­te­me bzw. The­ra­pie­un­ter­stüt­zungs­sys­te­me für Pati­en­ten mit spas­ti­schen Pare­sen infol­ge neu­ro­mus­ku­lä­rer Erkran­kun­gen erforscht, um die genann­ten Sekun­där­kom­pli­ka­tio­nen bei SL der unte­ren Extre­mi­tät zu redu­zie­ren. Das hier vor­ge­stell­te Assis­tenz­sys­tem beruht auf einer orthe­ti­schen Ver­sor­gung mit inte­grier­ter Sen­so­rik zur Erfas­sung der kör­per­li­chen Akti­vi­tät und des Bewe­gungs­um­fangs (Ran­ge of Moti­on, ROM). In die­sem Zusam­men­hang wur­de vom BMWi ein Koope­ra­ti­ons­pro­jekt geför­dert, bestehend aus fol­gen­den Teilnehmern:

  • Thor­sis Tech­no­lo­gies Gmbh, Magdeburg,
  • Ortho­pä­die­tech­nik Schar­pen­berg e. K., Rostock,
  • Otto-von-Gue­ri­cke-Uni­ver­si­tät Magdeburg,
  • Uni­ver­si­täts­me­di­zin Rostock.

Ziel des Vor­ha­bens war die Ent­wick­lung des Pro­to­typs einer moto­ri­sier­ten Sprung­ge­lenk-Fuß-Orthe­se (Ank­le Foot Ortho­sis, AFO), die einen dyna­mi­schen The­ra­pie­mo­dus, einen sta­ti­schen Quen­ge­lungs­mo­dus und einen Moni­to­ring­mo­dus umfas­sen sollte.

Pro­to­typ

Die „Moto-AFO“-Orthese besteht aus einem eigens ent­wi­ckel­ten Gelenk mit Antriebs­ein­heit, Sen­so­rik und Akku sowie aus Scha­len­bau­tei­len, die von einem Ortho­pä­die­tech­ni­ker indi­vi­dua­li­siert wer­den (Abb. 1a–c). Die Motor­ein­heit ist in der Lage, eine sta­ti­sche und dyna­mi­sche Rege­lung der SL infol­ge von Schlag­an­fäl­len oder Mul­ti­pler Skle­ro­se vor­zu­neh­men. Mit­tels The­ra­pie­mo­dus, Spas­tik­de­tek­ti­on, ste­ti­ger Quen­ge­lung und eines Moni­to­ring­pro­gramms wird der Mus­kel­to­nus indi­vi­du­ell an den Pati­en­ten und die jewei­li­ge Situa­ti­on ange­passt, um einen inter­dis­zi­pli­nä­ren The­ra­pie­er­folg zu sichern. Auf drei die­ser Modi wird im Fol­gen­den genau­er eingegangen.

The­ra­pie­mo­dus

Die­ser Modus erzeugt eine rhyth­misch-dyna­mi­sche Bewe­gung in Dor­sal­ex­ten­si­on und Plant­ar­fle­xi­on. Im Spe­zi­el­len sind in die­sem Modus fol­gen­de Para­me­ter frei wählbar:

  • Pau­sen­zeit,
  • Bewe­gungs­zeit,
  • Dreh­mo­ment (bis zu 6,6 Nm) und
  • Geschwin­dig­keit des Fußbügels.

Die Orthe­se soll Bewe­gun­gen imi­tie­ren, die im Rah­men einer klas­si­schen Phy­sio­the­ra­pie durch­ge­führt wer­den, um eine zusätz­li­che Redu­zie­rung der Mus­kel­span­nung außer­halb der The­ra­pie­pha­sen zu gewähr­leis­ten. Nut­zungs­zeit­räu­me müs­sen dabei indi­vi­du­ell mit dem The­ra­peu­ten und dem Arzt bestimmt werden.

Spas­tik­de­tek­ti­on

Erhöht sich infol­ge der SL der Druck auf die Orthe­se bis zu einem vor­ge­ge­be­nen Schwel­len­wert, gibt das Knö­chel­ge­lenk (der elas­ti­sche Antrieb) den Wider­stand sofort frei. Nach einer vom Arzt, Tech­ni­ker oder The­ra­peu­ten fest­ge­leg­ten Pau­sen­zeit unter Ein­schät­zung der Tonus­si­tua­ti­on nimmt die Orthe­se ihre Funk­ti­on wie­der auf.

Basis­mo­dus (dyna­mi­sche Quengelung)

Die Orthe­se ist in der Lage, den Sta­te of the Art mecha­ni­scher Quen­gel­ge­lenk­schie­nen elek­trisch abzu­bil­den. Zudem kön­nen fol­gen­de Para­me­ter vom Arzt, Tech­ni­ker oder The­ra­peu­ten defi­niert werden:

  • das Bewe­gungs­aus­maß (Ran­ge of Moti­on, ROM),
  • die Motor­kraft (in Nm),
  • Pau­sen­zei­ten sowie
  • die Geschwin­dig­keit.

Durch ein Moni­to­ring­pro­gramm und die damit ver­bun­de­ne Aus­wer­tung wer­den dem medi­zi­ni­schen Fach­per­so­nal ent­spre­chen­de Daten bereit­ge­stellt, um die The­ra­pie anzupassen.

Methodik/Design der Evaluationsstudie

Im Zeit­raum von Anfang Janu­ar 2019 bis Ende Dezem­ber 2021 wur­de das Vor­ha­ben der Ent­wick­lung, Umset­zung und Eva­lu­ie­rung der Orthe­se durch­ge­führt. Eine ent­spre­chen­de Cross­over-Unter­su­chung mit bis zu 4 Pro­ban­den mit MS wur­de von der stän­di­gen Ethik­kom­mis­si­on der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Ros­tock geneh­migt. Die 4 MS-Pati­en­ten wur­den in Bezug auf die in Tabel­le 1 auf­ge­führ­ten Ein- und Aus­schluss­kri­te­ri­en untersucht.

In der vor­lie­gen­den Unter­su­chung wird die Umset­zung des Assis­tenz­sys­tems im Hin­blick auf die The­ra­pie­un­ter­stüt­zung, d. h. die Deto­ni­sie­rung der spas­ti­schen Mus­ku­la­tur mit­tels Bewe­gun­gen, eva­lu­iert. Das Inter­ven­ti­ons­mo­dell war in 3 Pha­sen unterteilt:

A: 4 Wochen kein Tra­gen der Orthe­se (kli­ni­sche Tests)

B: 4 Wochen Tra­gen der Orthe­se zusätz­lich zur Phy­sio­the­ra­pie (Moni­to­ring durch Orthese)

A: 4 Wochen kein Tra­gen der Orthe­se (kli­ni­sche Tests)

Zur Beur­tei­lung der Funk­tio­nen und der Lebens­qua­li­tät dien­ten fol­gen­de Assess­ments und kli­ni­sche Untersuchungen:

  • Mes­sung der ROM (Ran­ge of Motion/Bewegungsfreiheit);
  • modi­fi­zier­te Ashworth-Ska­la (Instru­ment, um die Spas­ti­zi­tät eines Mus­kels zu messen);
  • Timed 25-Foot Walk Test (T25FW; Gehen einer 7,62 m lan­gen Strecke).

In bei­den A‑Phasen wur­den zusätz­lich das Beck Depres­si­on Inven­to­ry (BDI) und der Short Form (12) Health Sur­vey (SF-12) ange­wen­det. In Pha­se B über­nahm die Orthe­se selbst die Mes­sung der ROM und die Inter­ven­ti­on. Die Pati­en­ten wur­den auf­ge­for­dert, zwei­mal am Tag sowohl den Basis­mo­dus als auch den The­ra­pie­mo­dus für jeweils 15 Minu­ten zu nut­zen. Es wur­de emp­foh­len, nach dem Auf­ste­hen und am Abend jeweils eine Ein­heit, bestehend aus Basis- und The­ra­pie­mo­dus, durch­zu­füh­ren. An die vier­wö­chi­ge Tra­ge­zeit schloss sich eine erneu­te Pha­se A an.

Ergeb­nis­se

Vier Pati­en­ten haben die Unter­su­chung zum Zeit­punkt der Ein­rei­chung der Publi­ka­ti­on (Stand: Janu­ar 2022) abge­schlos­sen (Tab. 2). Zwei männ­li­che Teil­neh­mer und zwei Frau­en haben bis zu die­sem Zeit­punkt an der Unter­su­chung teil­ge­nom­men. Das durch­schnitt­li­che Alter betrug 55 Jah­re; die durch­schnitt­li­che Krank­heits­dau­er lag bei 11,3 Jah­ren. Alle Pati­en­ten konn­ten gehen und waren kogni­tiv in der Lage, die Orthe­se zu bedienen.

Im Mit­tel gab es bei 3 von 4 Pro­ban­den eine leich­te Mus­kel­to­nus­er­hö­hung infol­ge einer abrup­ten Fle­xi­ons­be­we­gung, was in der Ashworth-Ska­la mit 1 bis 1+ gewer­tet wird. Die ROM wird in einen struk­tu­rel­len Anschlag und einen elas­ti­schen Stopp unter­teilt, um eine poten­zi­el­le Ver­bes­se­rung durch eine Bewe­gungs­för­de­rung zu gewähr­leis­ten und eine Kon­trak­tur aus­zu­schlie­ßen. Bei allen Betei­lig­ten stimm­ten elas­ti­scher Stopp und struk­tu­rel­les Bewe­gungs­en­de nicht über­ein (Tab. 3), sodass die moto­ri­sier­te Orthe­se in die­sem Bereich mobi­li­sie­ren konnte.

Im Ver­gleich zu den kli­ni­schen Ein­gangs- und Abschluss­tests waren im SF-12, beim BDI und bei den T25FW-Tests kei­ne gro­ßen Ver­än­de­run­gen sicht­bar. Den­noch gaben alle Pro­ban­den am Ende der Pha­se B an, dass sich unmit­tel­bar nach dem Ein­satz der Orthe­se eine ver­bes­ser­te Gang­qua­li­tät ein­stell­te, die im häus­li­chen Umfeld jedoch nicht objek­tiv gemes­sen wurde.

Unter Ein­satz der Orthe­se konn­ten Ver­än­de­run­gen zwi­schen der elas­ti­schen und der struk­tu­rel­len ROM im Basis­mo­dus auf­ge­zeigt wer­den (Tab. 4). Die „Moto-AFO“ konn­te mit einem Dreh­mo­ment von 5.74 Nm bis 6.17 Nm die kli­nisch gemes­se­ne Dor­sal­ex­ten­si­on (max.) im Basis­mo­dus errei­chen. Es ist aller­dings anzu­mer­ken, dass die Orthe­se maxi­mal 6.6 Nm auf­brin­gen kann. Im Mit­tel wur­den von der „Moto-AFO“ 3.85 ± 1.26 bis 4.56 ± 1.55 Nm auf­ge­bracht, sodass das maxi­ma­le Poten­zi­al der Orthe­se aus­ge­schöpft wer­den konn­te (Abb. 2).

Im Basis­mo­dus ist wei­ter­hin zu sehen, dass der Pro­to­typ in der Lage ist, das Dreh­mo­ment gegen den Wider­stand bei grö­ßer wer­den­dem Win­kel zu adap­tie­ren (s. Abb. 1). Im Dia­gramm ist deut­lich zu erken­nen, dass im Bereich von 10 bis 30 Grad das Dreh­mo­ment zunimmt, um den Win­kel zu errei­chen. Dabei kann der Pro­to­typ das Dreh­mo­ment nahe­zu line­ar beschleu­ni­gen. Daten, die für die Mes­sung (s. Abb. 1) genutzt wer­den, beinhal­ten das Moni­to­ring, begin­nend mit dem Ende der Spas­tik­de­tek­ti­on. Dabei wird ersicht­lich, dass bei­spiels­wei­se bei einer kom­plet­ten Frei­ga­be aus der Plant­ar­fle­xi­on von ‑30 Grad die Mes­sung auf­ge­zeich­net wur­de und somit die­ser Wert berück­sich­tigt wur­de. Im The­ra­pie­mo­dus wur­de eine rhyth­misch-dyna­mi­sche Bewe­gung vom elas­ti­schen Motor der Orthe­se durch­ge­führt und gleich­zei­tig gemes­sen. Das ver­deut­li­chen die exem­pla­risch gemes­se­nen Daten an Pro­band 1. Der The­ra­pie­mo­dus wur­de bei allen Pati­en­ten ober­halb der elas­ti­schen Schwel­le ein­ge­stellt, sodass von der Orthe­se kei­ne Gefahr der Über­deh­nung ausgeht.

In Abbil­dung 3 wird ersicht­lich, dass bei der Dor­sal­ex­ten­si­on durch die rhyth­misch-dyna­mi­sche Bewe­gung die Punkt­ver­läu­fe nicht deckungs­gleich sind, wäh­rend bei der Rück­be­we­gung (Plant­ar­fle­xi­on) eine annä­hern­de Gleich­heit die­ser Ver­läu­fe vor­liegt. Wäh­rend der Motor in der Rück­be­we­gung von einem posi­ti­ven in ein nega­ti­ves Dreh­mo­ment mit gerin­gem Wider­stand unter Berück­sich­ti­gung der Schwer­kraft über­geht, ist bei der Dor­sal­ex­ten­si­on der Auf­wand für den Motor wesent­lich höher. Aus die­sem Grund ent­ste­hen weni­ger deckungs­glei­che Punkt­ver­läu­fe, was ein Indi­ka­tor für die stän­di­ge Anpas­sung des Dreh­mo­men­tes und des Wider­stan­des ist.

Eine Ver­bes­se­rung der ROM inner­halb der gesam­ten Unter­su­chungs­dau­er konn­te nicht gegen den Zufall abge­si­chert wer­den. Hin­ge­gen konn­ten mit Hil­fe der Orthe­se in Pha­se B Daten gesam­melt wer­den, um zeit­li­che Ver­än­de­run­gen zu mes­sen (Tab. 5). Es ist zu erken­nen, dass die ROM im Mit­tel am Vor­mit­tag im Ver­gleich zum Nach­mit­tag gerin­ger war.

Dis­kus­si­on

Die Unter­su­chung demons­trier­te in ers­ter Linie die Mach­bar­keit und Umset­zung des Pro­jekt­vor­ha­bens. Alle Funk­tio­nen der Orthe­se sowie die kor­rek­te Funk­ti­ons­wei­se konn­ten mess­bar dar­ge­legt wer­den. Zusätz­lich konn­te unter Ein­satz der Orthe­se kein nega­ti­ver Ein­fluss fest­ge­stellt wer­den. Hin­sicht­lich der gerin­gen Pro­ban­den­zahl infol­ge der ethi­schen Sicher­heits­kri­te­ri­en für einen Pro­to­typ ist eine sta­tis­ti­sche Ana­ly­se zwar nicht mög­lich – jedoch sind durch­aus posi­ti­ve Trends in den Mes­sun­gen zu beob­ach­ten. In the­ra­peu­ti­schen Inter­ven­ti­ons­stu­di­en kön­nen mini­ma­le signi­fi­kan­te Ver­än­de­run­gen erst über einen Zeit­raum von 8 bis 10 Wochen nach­ge­wie­sen wer­den 9 10 11. Die effek­ti­ve Tra­ge­zeit betrug in der vor­lie­gen­den Unter­su­chung jedoch nur 4 Wochen. In die­ser Zeit benutz­ten die Pro­ban­den täg­lich am Vor- und Nach­mit­tag für jeweils 15 Minu­ten den Basis- und den The­ra­pie­mo­dus, sodass eine effek­ti­ve The­ra­pie­zeit von einer Stun­de pro Tag ein­ge­hal­ten wur­de. Ein Aus­blei­ben von signi­fi­kan­ten Ver­bes­se­run­gen kann daher in der rela­tiv gerin­gen The­ra­pie­do­sis begrün­det sein. Die Ergeb­nis­se einer Meta-Ana­ly­se in Bezug auf das Lauf­band­trai­ning deu­ten dar­auf hin, dass die The­ra­pie­dau­er län­ger sein muss 11.

Dem­ge­gen­über ist anzu­mer­ken, dass dies der ers­te Ver­such ist, eine neue pro­to­ty­pi­sche „intel­li­gen­te“ Orthe­se mit Spas­tik­de­tek­ti­on zu kon­zi­pie­ren. Ein der­zeit noch brach­lie­gen­des Ver­bes­se­rungs­po­ten­zi­al besteht in der Ver­bin­dung viel­sei­ti­ge­rer Mobi­li­sa­ti­ons­ebe­nen. Die „Moto-AFO“ ist der­zeit nur in der Lage, eine Bewe­gungs­rich­tung mit ihren Modi zu beglei­ten. Stu­di­en legen nahe, dass die Zuhil­fe­nah­me meh­re­rer Ebe­nen und Ach­sen eine Ver­bes­se­rung der SL errei­chen könn­te. Jedoch gibt es in den ent­spre­chen­den Inter­ven­ti­ons­stu­di­en nur eine unzu­rei­chend hohe Evi­denz 12.

Ein wei­te­res Ver­bes­se­rungs­po­ten­zi­al stellt das Dreh­mo­ment dar, das vom Motor auf­ge­bracht wird. In der vor­lie­gen­den Unter­su­chung wur­de im Basis­mo­dus ein Win­kel von 28.70 Grad mit einer Motor­kraft von 6,17 Nm erreicht. Folg­lich kann mit einem höhe­ren Dreh­mo­ment ein gestei­ger­ter posi­ti­ver Reiz auf die spas­ti­sche Mus­ku­la­tur auf­ge­bracht werden.

Schluss­fol­ge­rung

In die­sem Pro­jekt konn­te die Mach­bar­keit einer pro­to­ty­pi­schen Orthe­se über­prüft und Bewe­gungs­da­ten bezüg­lich SL detek­tiert wer­den. Auf­grund der man­geln­den Evi­denz im Hin­blick auf die The­ra­pie­pa­ra­me­ter und die gerin­ge Anzahl der Pro­ban­den sind jedoch wei­te­re Unter­su­chun­gen nötig, um eine genaue­re Aus­sa­ge über die Wirk­sam­keit der Orthe­se tref­fen zu kön­nen. Das im Pro­jekt auf­ge­brach­te Dreh­mo­ment von 6,6 Nm ist zwar in der Lage, den Fuß über die elas­ti­sche ROM-Gren­ze zu bewe­gen. Jedoch wird dabei oft das maxi­ma­le Dreh­mo­ment erreicht, sodass ein stär­ke­rer Motor für wei­te­re erfolg­ver­spre­chen­de Wirk­sam­keits­stu­di­en not­wen­dig ist. Alle Pro­ban­den berich­te­ten, dass unmit­tel­bar nach der Behand­lung eine sub­jek­ti­ve Ver­bes­se­rung der Gang­qua­li­tät auf­ge­tre­ten sei. Die „Moto-AFO“ kann somit dazu bei­tra­gen, dass unter Mit­wir­kung aller inter­dis­zi­pli­nä­ren Leis­tungs­er­brin­ger wie Phy­sio- und Ergo­the­ra­peu­ten eine Ver­bes­se­rung bezüg­lich SL in der unte­ren Extre­mi­tät erreicht wird.

Inter­es­sen­kon­flikt

Das Pro­jekt wur­de über Dritt­mit­tel für alle betei­lig­ten Koope­ra­ti­ons­part­ner geför­dert. Zwei der Part­ner hal­ten Patent­rech­te am Pro­to­typ der Orthese.

Pro­jekt­för­de­rung

Vom 01.01.2019 bis zum 31.12.2021 wur­de das Koope­ra­ti­ons­pro­jekt „Moto-AFO – Ent­wick­lung einer Ank­le Foot Orthe­se mit moto­ri­sier­tem Knö­chel­ge­lenk (Moto-AFO) zur The­ra­pie und Lang­zeit­be­hand­lung von spas­ti­schen Läh­mun­gen der unte­ren Ex­tremitäten“ mit Mit­teln des Zen­tra­len Inno­va­ti­ons­pro­gramms Mit­tel­stand (ZIM) gefördert.

Hin­weis

Im Rah­men eines Vor­tra­ges wur­de die Orthe­se auf dem 65. Kon­gress der Fort­bil­dungs­ver­ei­ni­gung für Ortho­pä­die-Tech­nik e. V. (FOT) im Sep­tem­ber 2021 in digi­ta­ler Form vorgestellt.

Für die Autoren:
Maxi­mi­li­an Moyé, M. Sc., Physiotherapeut
EUFH Hoch­schu­le für Gesundheit, 
Sozia­les & Pädagogik 
Werft­stra­ße 5
18057 Ros­tock
m.moye@eufh-medica.de
& Kli­nik und Poli­kli­nik für Neurologie
Uni­ver­si­täts­me­di­zin Rostock
Gehls­hei­mer Stra­ße 20
18147 Ros­tock

Prof. Dr. med. Uwe Klaus Zettl 
Lei­ter der Sek­ti­on Neuroimmunologie
Kli­nik und Poli­kli­nik für Neurologie
Uni­ver­si­täts­me­di­zin Rostock
Gehls­hei­mer Stra­ße 20
18147 Ros­tock

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Moyé M, Mer­bold D, Zettl UK, Schar­pen­berg R. „Moto-AFO“: moto­ri­sier­te AFO (Ank­le Foot Ortho­sis) gegen spas­ti­sche Bewe­gungs­er­schei­nun­gen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2022; 73 (3): 28–33
  1. Bur­ke D et al. Patho­phy­sio­lo­gy of spas­ti­ci­ty in stro­ke. Neu­ro­lo­gy, 2013; 80 (3, Sup­pl 2): S20–S26
  2. Bose P et al. Trau­ma­tic Brain Inju­ry (TBI)-Induced Spas­ti­ci­ty: Neu­ro­bio­lo­gy, Tre­at­ment, and Reha­bi­li­ta­ti­on. In: Kobeis­sy FH (ed.). Brain Neu­ro­trau­ma: Mole­cu­lar, Neu­ro­psy­cho­lo­gi­cal, and Reha­bi­li­ta­ti­on Aspects. Boca Raton (FL): CRC Press/Taylor & Fran­cis, 2015: 1–28
  3. Har­di­man O et al. Amyo­tro­phic late­ral scle­ro­sis. Nat Rev Dis Pri­mers, 2017; 3: 17071
  4. Patejdl R, Zettl UK. Spas­ti­ci­ty in mul­ti­ple scle­ro­sis: Con­tri­bu­ti­on of inflamm­a­ti­on, auto­im­mu­ne media­ted neu­ro­nal dama­ge and the­ra­peu­tic inter­ven­ti­ons. Auto­im­mun Rev, 2017; 16 (9): 925–936
  5. Reich DS et al. Mul­ti­ple Scle­ro­sis. N Engl J Med, 2018; 378 (2): 169–180
  6. Zettl U et al. MS in Deutsch­land: Sym­pto­me und Behand­lungs­de­fi­zi­te. Neu­ro­Trans­mit­ter, 2018; 29 (6): 42–44
  7. Baum­st­arck K et al. Health-rela­ted qua­li­ty of life as an inde­pen­dent pre­dic­tor of long-term disa­bi­li­ty for pati­ents with rel­apsing-remit­ting mul­ti­ple scle­ro­sis. Eur J Neu­rol, 2013; 20 (6): 907–914, e78–79
  8. Zoro­witz RD et al. Post­stro­ke spas­ti­ci­ty: seque­lae and bur­den on stro­ke sur­vi­vors and care­gi­vers. Neu­ro­lo­gy, 2013; 80 (3 Sup­ple­ment 2):  S45–S52
  9. Ahma­di A et al. Com­pa­ri­son of the Effect of 8 weeks Aero­bic and Yoga Trai­ning on Ambu­la­to­ry Func­tion, Fati­gue and Mood Sta­tus in MS Pati­ents. Iran Red Cre­s­cent Med J, 2013; 15 (6): 449–454
  10. Con­rad­sson D et al. The Effects of High­ly Chal­len­ging Balan­ce Trai­ning in Elder­ly With Parkinson’s Dise­a­se: A Ran­do­mi­zed Con­trol­led Tri­al. Neu­ro­re­ha­bil Neu­ral Repair, 2015; 29 (9): 827–836
  11. Robin­son AG et al. Tre­ad­mill trai­ning may be an effec­ti­ve form of task-spe­ci­fic trai­ning for impro­ving mobi­li­ty in peo­p­le with Parkinson’s dise­a­se and mul­ti­ple scle­ro­sis: a sys­te­ma­tic review and meta-ana­ly­sis. Phy­sio­the­ra­py, 2019; 105 (2): 174–186
  12. Bar­bo­sa P et al. Phy­sio­the­ra­py inter­ven­ti­ons for the tre­at­ment of spas­ti­ci­ty in peo­p­le with spi­nal cord inju­ry: a sys­te­ma­tic review. Spi­nal Cord, 2021; 59 (3): 236–247
Tei­len Sie die­sen Inhalt