Motivation
Allein der barrierefreie Zugang zu einer Wohnung macht sie nicht automatisch senioren- oder behindertengerecht. Barrierefreier Duschzugang, breite Türen, keine Schwellen sind inzwischen die Mindestausstattung, welche auch nach DIN 18040–2 1 für Neubauten gefordert wird. Neben baulichen Veränderungen und Ergänzungen im Haushalt existieren bereits weitere Möglichkeiten, Wohnungen für ein langes Leben in den eigenen vier Wänden auszustatten. Hierzu zählen vor allem technische Unterstützungslösungen unterschiedlicher Komplexität.
Seit etwa zehn Jahren forschen europäische Unternehmen und Universitäten in sogenannten AAL-Projekten (AAL = Ambient Assisted Living) an technischen Lösungen und Systemen für Zielgruppen mit entsprechendem Bedarf im Rahmen des demografischen Wandels. Das Forschungsgebiet Ambient Assisted Living umfasst Technologien und Dienstleistungskonzepte, die betreute Menschen und Hilfspersonen wie Angehörige oder Pfleger in ihren alltäglichen Handlungen unterstützen sollen.
Die große Zielgruppe der körperlich, sensorisch oder kognitiv eingeschränkten Menschen soll dabei mit Hilfe der Technik in der selbstständigen und aktiven Lebensführung unterstützt werden. Darüber hinaus sollen auch die in die Versorgung der Älteren eingebundenen Zielgruppen in ihrer Arbeit unterstützt werden. Professionelle Pflegekräfte, Angehörige ebenso wie Beratungsstellen und Mediziner sollen in ihren Aktivitäten mit Hilfe der Technologien Assistenz erfahren. Auch Zielgruppen wie der Handel, Handwerker, Architekten sowie Bau- und Immobiliengesellschaften werden in diese Forschungsprojekte integriert, um möglichst früh nicht nur die Technikentwicklung, sondern auch die Transfermöglichkeiten in den Blick zu nehmen. Optimierte Prozesse und geregelte Verantwortlichkeiten bei Verkauf, Installation, Inbetriebnahme sowie Kostenübernahme spielen bei der Einführung neuer Technologien meist eine erhebliche Rolle für eine erhöhte Akzeptanz bei Endnutzern.
Ebenso vielschichtig wie die Anzahl potenzieller Stakeholder gestalten sich auch die Forschungsprojekte im Umfeld der assistiven Technologien sowie deren Ergebnisse. Der folgende Beitrag vermittelt daher eine Einführung in die unterschiedlichen Gesichtspunkte und Problembereiche der alltäglichen Lebensführung, die durch eine Vielzahl an Forschungsprojekten bearbeitet werden.
Forschungsprojekte zu assistiver Technik
Probleme mit der selbstständigen Lebensführung können sich in verschiedensten Aspekten im Alltag bemerkbar machen. Spezifische sensorische Einschränkungen wie beispielsweise Seheinschränkungen oder Hörschädigungen, aber auch Einschränkungen der Aktivitäten des täglichen Lebens 2 können dazu führen, dass ein selbstständiges Leben in der eigenen Wohnumgebung nur noch eingeschränkt möglich ist. Daher lassen sich die aktuellen Forschungsthemen im Bereich AAL aufteilen in:
- Barrierefreie Mobilität und Kommunikation
- Gesundheit
- Sicherheit und Versorgung von Patienten mit Unterstützungsbedarf
Im Rahmen der laufenden Forschungsarbeiten wurden unterschiedliche Unterstützungsmöglichkeiten untersucht. Einen Schwerpunkt bildet hierbei die Untersuchung technischer Lösungen zur Erweiterung der Barrierefreiheit durch Mobilitäts- und Kommunikationsassistenz.
Barrierefreie Mobilität und Kommunikation
Um die Mobilität bewegungseingeschränkter Personen aufrechtzuerhalten und ihnen so ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, wurde im Rahmen des Forschungsprojekts MAID 3 der intelligente Mobilitätsassistent MAID (Abb. 1) entwickelt. Ausgestattet mit intelligenter Sensorik und Aktorik kann MAID aktiv beim Gehen und Aufstehen unterstützen. In den Griffen integrierte Sensoren erfassen dabei die Intention des Nutzers und übersetzen diese in Fahrbefehle. MAID lässt sich steuern wie ein Rollator, bietet aber gleichzeitig ein hohes Maß an Stabilität und kann so Stürzen aktiv vorbeugen. Zusätzliche Sensoren erfassen während des Gehens die Umgebung und den Zustand des Nutzers und können bei Gefahr oder Notfällen warnen. Über einen Tablet-PC mit altersgerechter grafischer Oberfläche bietet MAID neben einer intuitiven Bedienung auch Kommunikations‑, Trainings‑, Wissens- und Unterhaltungsdienste, welche speziell auf die Bedürfnisse von Senioren zugeschnitten sind. So unterstützt MAID nicht nur die Mobilität, sondern fördert zudem die Kognition und soziale Interaktion der Senioren.
Barrierefreiheit spielt jedoch nicht nur im Rahmen der Mobilitätseinschränkungen eine Rolle bei der Technikentwicklung. Auch Kommunikationsbarrieren sollen mit Hilfe von Assistenzlösungen überwunden werden. Dies können beispielsweise fehlende Zugänge zu neuartigen Kommunikationslösungen sein. Aktuelle Möglichkeiten der technischen und sozialen Vernetzung durch leistungsfähige mobile Geräte und das Internet schließen durch ihre technische Komplexität ältere Menschen jedoch häufig aus. Senioren- und behindertengerechte Produkte können stigmatisieren und werden oft nicht akzeptiert. Im Rahmen des Forschungsprojekts SONIA 4 untersuchen die Projektpartner daher in drei Testquartieren in Kirchheim unter Teck, Furtwangen und Mönchweiler den Einsatz tabletgestützter Kommunikationsangebote zur Unterstützung sozialer Interaktion im Alter. Im Rahmen des Projektes wurden in den Testregionen gemeinsam mit den Anwendern Kommunikationsmöglichkeiten und lokale Unterstützungsangebote wie Mitfahrgelegenheiten, Mittagstisch oder Nachbarschaftshilfe ausgewählt und in ein Unterstützungsnetzwerk integriert. Die Nutzer des Netzwerkes können dabei über eine an die lokalen Bedürfnisse angepasste App (Abb. 2) miteinander kommunizieren und Dienste in Anspruch nehmen. Dabei sollen dank des einfachen Bedienkonzeptes der BeWo-App des Projektes SONIA insbesondere auch Menschen erreicht werden, die bisher noch keine Interneterfahrung haben. Im Rahmen des Projektes soll nun evaluiert werden, wie eine solche IT-Lösung dazu beitragen kann, soziale Interaktion zu fördern und die Versorgung im Quartier zu unterstützen.
Ergänzend zu Lösungen, die Nutzer an bestehende Technologien heranführen und diese an spezielle Bedürfnisse adaptieren, untersucht das Projekt „Chico“ 5 die Möglichkeiten zur Schaffung von Austausch und sozialer Integration durch neue Ansätze der Mensch-Technik-Interaktion: vernetzte Alltagsgegenstände, alternative Nutzerschnittstellen und neuartige Applikationskonzepte. Gemeinsam mit Anwendern und einem interdisziplinären Team aus Pflege, Technik und Design wurde so ein digital erweitertes Schreibpult (Abb. 3) zur sozialen Interaktion mit aktuellen Webdiensten entwickelt. Die sogenannte ChatMachine sieht fast aus wie ein klassisches Schreibpult. Zum Austauschen kurzer Nachrichten werden Notizen des digitalen Stifts direkt digitalisiert und durch das Drücken nur eines Knopfes als E‑Mail an den gewünschten Empfänger versendet. Zur Interaktion für das Versenden der Nachrichten wurde in diesem Fall bewusst keine digitale Bedienoberfläche gewählt, sondern eine Schnellwahlfunktion wie die eines Telefons. Die Empfänger können durch eine Zentraleinheit innerhalb des Schreibpults einfach von Verwandten konfiguriert werden. Eingehende Nachrichten oder Bilder werden dann direkt ausgedruckt und durch geschickt positionierte Schlitze direkt auf den Tisch gelegt. So können mit Hilfe von Chico auch technikfernen Nutzern die verfügbaren Möglichkeiten sozialer Interaktion angeboten werden.
Auch sensorische Einschränkungen, beispielsweise bei seheingeschränkten Menschen, können dazu führen, dass nur der Einsatz moderner Technik alltägliche Probleme lösen kann. Eine besondere Herausforderung stellen Orientierung und Navigation dar, vor allem in unbekannter Umgebung. Ergänzend zur Nutzung eines Langstocks wurden in der Vergangenheit zahlreiche „Electronic Travel Aids“ (ETAs) entwickelt 6, also tragbare Geräte oder „Wearables“, die u. a. Hindernisse in Kopfhöhe detektieren und den Nutzer auditiv oder taktil warnen. Die Akzeptanz dieser Geräte ist jedoch bisher aus vielfältigen Gründen noch gering (hoher Kaufpreis, Fehleranfälligkeit, unpraktische Handhabung). Ziel laufender Entwicklungsarbeiten ist es daher, ein am Kopf montiertes optisches System zu entwickeln, das den Nutzer zuverlässig über Hindernisse im Kopf- und Oberkörperbereich in seiner unmittelbaren Umgebung informiert und ihm so ein zielsicheres Ausweichen ermöglicht.
Gesundheit
Neben Systemen zur Kompensation sensorischer und körperlicher Einschränkungen werden derzeit Systeme erforscht und entwickelt, die zur präventiven Vorbeugung von Erkrankungen beitragen. Sie sollen eine frühzeitige Erkennung gesundheitlicher Probleme ermöglichen.
Ein Beispiel ist die Entwicklung eines onlinefähigen Systems zur kamerabasierten Vitalparametermessung. Es erlaubt die kontinuierliche Erfassung der Puls- und Atmungsrate allein über Kameravideos des Gesichts einer Person (Abb. 4). Ziel ist es, mittels dieser komplett kontaktlosen Messmethode Vitaldaten einer Person für diese komfortabel über lange Zeiträume zu erfassen und sie hinsichtlich pathologischer Veränderungen oder Stressparameter auszuwerten.
Basierend auf dem Ansatz des Photoplethysmographie-Imaging 7 macht sich das System die blutvolumenabhängige Änderung der Absorptionseigenschaften der oberen Hautschichten zunutze. Im Gegensatz zu den bekannten SpO2-Fingerclipsensoren, welche ein ähnliches Prinzip verwenden, wird das Licht hierbei nicht aktiv über eine künstliche Lichtquelle eingekoppelt, sondern ausschließlich das Umgebungslicht genutzt. Der von der Haut reflektierte Lichtanteil wird über handelsübliche Kameras erfasst und die Vitalparameter mittels entsprechender Bild- und Signalverarbeitungsmethoden aus den Bilddaten extrahiert. Die Anwendungsgebiete des Systems sind vielfältig: Neben der Vitalparametermessung zur Fahrerzustandsschätzung im Automobil (siehe Abbildung 4) ist auch der Einsatz im Ambient-Assisted-Living- oder Security-Bereich interessant. Das Tragen unkomfortabler Langzeitmesssysteme würde damit überflüssig. So könnte insbesondere die Weiterentwicklung telemedizinischer Lösungen in der pflegerischen und hausärztlichen Versorgung von einer steigenden Akzeptanz bei den Probanden profitieren.
Der ländliche Raum ist hierbei von der Herausforderung der Pflege alleinlebender Menschen besonders betroffen. Stärkerer Fachkräftemangel, große Entfernungen und mangelnde Koordination im Pflegenetz sind dort bekannte Probleme. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Selbstbestimmt und sicher“ 8 wurden innovative Systeme und Konzepte für eine bedarfsgerechte Versorgung im ländlichen Raum entwickelt. Innerhalb der Lösungen wurde ein häusliches Sensorsystem mit Anbindung an eine Notrufzentrale entwickelt, welche die Sicherheitsbedürfnisse von Pflegebedürftigen und Angehörigen erfüllen hilft. Das sogenannte Monitoringsystem besteht aus unaufdringlichen sogenannten Smart-Home-Sensoren, konkret ein Bewegungsmelder je Raum und ein Kontaktsensor an der Wohnungstür, deren Daten verarbeitet werden, um ein Bewegungsprofil zu erstellen. Damit sollen relevante gesundheitliche Veränderungen mittels eines intelligenten Regelservers, der Abweichungen erkennt, an eine Notrufzentrale weitergeleitet werden. Diese Zentrale kann in der Folge reagieren und beispielsweise Angehörige oder professionelle Helfer kontaktieren. Anhand der Systeminformationen soll so das Unterstützungsnetzwerk im ländlichen Raum personalisierte Betreuungsleistungen – abgestimmt auf den tatsächlichen Bedarf jedes Bewohners – erbringen können. Frühes Unterstützen bei Vorzeichen gesundheitlicher Einschränkungen kann so den Schweregrad von Notfallsituationen deutlich verringern.
Im Rahmen dieses Projekts hat die zielgruppengerechte Evaluation einen hohen Stellenwert. Probanden werden aktiv in die Situations- und Systembewertung einbezogen. Das System wird in einer Pilotstudie im ländlichen Raum evaluiert. Ziel ist neben technischen Entwicklungen die Integration in die ländlichen Versorgungsprozesse entsprechend den Bedürfnissen älterer Menschen mit verfügbaren Dienstleistern und Betreuern.
Sicherheit und Versorgung von Patienten mit Unterstützungsbedarf
Sensor- und Aktorsysteme aus dem Smart-Home-Umfeld, wie sie im Projekt „Selbstbestimmt und sicher“ eingesetzt werden, können nicht nur Situationen präventiv erkennen, sondern auch unterstützende Funktionen und Sicherheit bieten. Einfache Oberflächen wie in der BeWoApp können die häusliche Elektroniksteuerung für eine Vielzahl körperlicher Einschränkungen handhabbarer machen. Was für andere eine Komfortsituation darstellt, kann für sensorisch und kognitiv eingeschränkte Menschen eine Erhöhung der Lebensqualität darstellen. Automatische Lichtszenarien können durch sogenannte Bussysteme, welche die automatisierte und zentrale Steuerung der elektrischen Geräte im Haushalt erlauben, nicht nur als Stimmungselement eingesetzt werden, sondern auch als Lichtleitsystem zur Sturzprävention. Bei nächtlicher Bewegung im Flur kann so in gedimmter Einstellung das Licht vom Schlafzimmer ins Badezimmer leuchten, um Stürze zu verhindern. Auch eine automatische Rollladensteuerung von einer zentralen Stelle aus, beispielsweise einem Tablet, kann eine deutliche Erleichterung für Menschen im Rollstuhl bedeuten.
Nachdem für das Forschungsfeld der assistiven Technologien bereits über acht Jahre technische Lösungen entwickelt wurden, ist nun auch die Zeit gekommen, in der die tatsächlichen Einsätze in der Realität und deren Auswirkungen auf laufende Prozesse untersucht werden müssen. Im Projekt „Integration von AAL-Technik zur Notfallerkennung in die häusliche Umgebung“ 9 wurde daher einerseits untersucht, wie durch die Verknüpfung unterschiedlicher Technologien eine erhöhte Sicherheit für ältere Menschen gewährleistet werden kann, andererseits wurde der Einsatz technischer Assistenzsysteme in realen Seniorenwohnungen getestet. Die Forscher entwickelten im Projekt ein neues Hausnotruf-System (Abb. 5), bei dem Vitaldaten aus einem mit Sensoren versehenen T‑Shirt sowie Daten einer 3‑D-Kamera und von Smart-Home-Sensoren ausgewertet werden, um zum Beispiel schnell registrieren zu können, wenn eine Person ungewöhnlich lange regungslos bleibt. Das System ist mit einem Alarmserver verbunden, sodass Betreuer vor Ort in kritischen Situationen über eine mobile Applikation über Auffälligkeiten informiert werden. Kritische Situationen und Ereignisse werden dabei auf der Basis bestimmter Regeln ermittelt. Vorteil des neuen Hausnotruf-Systems ist, dass nicht aktiv durch einen Knopfdruck Hilfe geholt werden muss, sondern auch ohne aktive Alarmierung ein Notruf ausgelöst wird.
Auch die ethische Auseinandersetzung mit dem Thema spielt in derartigen Projekten eine große Rolle. Deshalb wurde im Rahmen des Projekts auch ein ethischer Evaluations-Workshop zur Reflexion möglicher ethischer Probleme durchgeführt. Ergebnisse waren u. a., dass die Selbstbestimmung der Bewohner und Bewohnerinnen jederzeit gegeben sein muss. Daher ist eine Beratung aller Beteiligten über die technischen Systeme und vor allem eine Aufklärung über den Vorgang unumgänglich. Ebenfalls deutlich wurde, dass Bedienung, Funktion und Verlässlichkeit eine wichtige Rolle für die Beteiligten spielen.
Wissenstransfer – von der Forschung in die Praxis
Bei aller Technologieentwicklung und Forschung stellt sich jedoch die Frage, wie Betroffene und deren Betreuende über den Reifegrad und die Verfügbarkeit dieser Lösungen informiert werden können und wie die Entwicklungen aus den Forschungsprojektenden Weg in die Bevölkerung finden können. Neben dem Aufbau kompetenter Beratungsstellen ist hierfür unterstützend der Aufbau einer umfassenden Wissensbasis zur Selbstinformation notwendig. Im Projekt „Besser leben im Alter durch Technik“ wurde in Zusammenarbeit mit kommunalen Beratungsstellen eine solche Internet-seite (Abb. 6) erstellt, mit welcher sich Nutzer bedarfsbezogen über verfügbare Angebote informieren können. Marktreife Technologien sind auf der frei zugänglichen Webseite „Wegweiser Alter und Technik“ 10 strukturiert aufgearbeitet. Endanwender und Technologieberater können auf dieser Wissensbasis nicht nur konkrete Produkte mit ihren jeweiligen Produkteigenschaften (Kurzbeschreibung, Preis, besondere Anforderungen etc.) einsehen, sondern auch die große Menge an Produkten mit Hilfe verschiedener Filter auf ihre individuellen Bedürfnisse hin reduzieren. Pflegende Angehörige ebenso wie Betroffene wissen jedoch häufig nichts über diese zahlreichen technischen Unterstützungsmöglichkeiten. Um eben diese Zielgruppen über generelle Möglichkeiten aufzuklären, bedarf es daher noch öffentlichkeitswirksamer Maßnahmen zur Sensibilisierung für das Thema.
Als weitere Maßnahme wurde im Projekt „Besser Leben im Alter durch Technik“ der Aufbau unabhängiger kommunaler Beratungsstellen gefördert. Als regionale Kompetenz-Center können sie mit Unterstützung des Portals „Wegweiser Alter und Technik“ Ratsuchende bei der Lösungsfindung hin zu passgenauen Produktlösungen unterstützen.
Damit diese Arbeit effizient und zielgerichtet erfolgen kann, wurde im Projekt überdies eine Beratungssoftware speziell für die Bedürfnisse der Technologieberatung entwickelt. Die careTech-Software, welche auf einer Software für die Pflegeberatung namens CareCM (www.carecm.de) basiert, ermöglicht den Beraterinnen und Beratern die klientenbasierte Dokumentation ihrer Beratungsfälle 11. So wird die Nachverfolgung über den Erfolg der Beratung sowie den Nutzen der empfohlenen Technologien nachhaltig vereinfacht. Die Schnittstelle zum Wegweiser-Portal bietet hierbei die einfache Möglichkeit, in der Wissensbasis hinterlegte Technologien direkt in die Falldokumentation einzupflegen.
Insbesondere für diejenigen, die aufgrund von Akzeptanzhürden Technik nicht als möglichen Lösungsansatz in ihre Unterstützungslösungen einbeziehen, wurde im Projekt „Wegweiser Alter und Technik” eine rollende Ausstellung entwickelt. Diese Roadshow (Abb. 7) stellt, integriert in eine wohnungsähnliche Umgebung, Technologien „zum Anfassen“ aus. Besucher haben die Möglichkeit, durch eine reduzierte Auswahl an Assistenzlösungen ihre Möglichkeiten kennenzulernen und dabei vorhandene Akzeptanzbarrieren zu überwinden.
Neben bestehenden Forschungsprojekten zu assistiven Technologien in Deutschland, welche die technische Machbarkeit von Entwicklungen prüfen und den Einsatz von Entwicklungen in der Praxis evaluieren, gibt es bereits einige marktreife Lösungen, die den Alltag in der eigenen Häuslichkeit unterstützen können. Viele davon sind im „Wegweiser Alter und Technik“ zu finden. Im Rahmen der Forschungsprojekte besteht eine häufig gewählte Variante des Wissenstransfers in sogenannten Ausgründungen aus den Forschungseinrichtungen heraus in die Wirtschaft. Diese Ausgründungen setzen sich zum Ziel, zukunftsträchtige Forschungserkenntnisse in marktreife Lösungen zu transferieren. Basierend auf zahlreichen Erkenntnissen aus Forschungsprojekten über die Entwicklung sensorgestützter Systeme zur Erkennung gesundheitlicher Veränderungen konnte beispielsweise das Feedback Angehöriger, Älterer und ambulant betreuender Dienste durch die Ausgründung „easierLife“ 12 für eine Weiterentwicklung berücksichtigt werden.
In den Forschungsprojekten stellte sich Sicherheit in der eigenen Häuslichkeit als größtes Bedürfnis Älterer ebenso wie ihrer Angehörigen dar. Gesundheitliche Veränderungen, z. B. Schlafstörungen, Alterserkrankungen wie fortschreitende Demenz und Notfälle wie z. B. Stürze werden nicht oder erst sehr spät erkannt. Insbesondere stellt die damit verbundene Unsicherheit für die Familien eine große psychische Belastung dar, was häufig in der Entscheidung einer permanenten Verlegung der Älteren in kostspielige stationäre Einrichtungen resultiert.
Um Angehörige in ihrem Tagesablauf zu entlasten und Ängste vor der fehlenden Sicherheit bezüglich der Situation der zu betreuenden Person zu nehmen, ist es notwendig, sie über den Gesundheitszustand und das Wohlergehen ihrer Liebsten zu informieren. An diesem Punkt setzt die Ausgründung „easierLife“ an (Abb. 8) 12. Um Angehörige ohne das notwendige Zutun der betroffenen Person in kritischen Situationen benachrichtigen zu können, wird die Wohnung mit wenigen, nicht störenden Sensoren ausgestattet. Diese erkennen Bewegung und Lebensgewohnheiten und informieren Angehörige und Betreuer automatisch auf einer Smartphone-App oder per Telefonanruf beispielsweise über eine ungewöhnlich lange Inaktivität infolge eines Sturzes.
Auf dem Smartphone können sich die Betreuer auch jederzeit über das Wohlbefinden informieren und so darüber Gewissheit erhalten, dass es den Angehörigen gut geht. Ermöglicht wird dies über die intelligente Auswertung der Sensorinformationen. Die Kommunikationseinheit verbindet sich automatisch mit dem Internet und ermöglicht so das Auswerten. Die vorangegangenen Forschungsarbeiten zeigten, dass Internetanschlüsse nur selten in Seniorenhaushalten vorhanden sind, weshalb das easierLife-System diesen bereits integriert hat. Auch bei der Entwicklung der Smartphone-App und der intelligenten Algorithmen konnten die Forscher der Ausgründung das Feedback zahlreicher Nutzer einbeziehen. Wie auch bei allen vorangegangenen Forschungsprojekten war es erst unter Einbezug der Anwender möglich, ein tatsächlich nützliches und nutzbares Produkt zu entwickeln.
Fazit
Wie obenstehende Beispiele zeigen, gibt es bedeutsame Entwicklungen im Bereich der assistiven Technologien. Komplexe ebenso wie einfache Lösungen werden im Rahmen der Forschungsarbeiten entwickelt und sollen zukünftig das selbstständige Leben in der eigenen Wohnumgebung fördern und unterstützen. Wie die Zusammenstellung des Portals „Wegweiser Alter und Technik“ zeigt, gibt es bereits heute zahlreiche Lösungen auf dem Markt, die bei verschiedenen Einschränkungen und Problemen unterstützen können.
Für die Autoren:
Natalie Röll
FZI Forschungszentrum Informatik
Haid-und-Neu-Str. 10–14
76131 Karlsruhe
Natalie.Roell@fzi.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Röll N, Saurer BR, Schneider J, Chiriac S, Parada J, Blöcher T, Backof A, Orradre D, Stork W. Mit technischer Unterstützung lange selbstständig in der eigenen Wohnung leben – Fiktion oder schon Realität? Orthopädie Technik, 2015; 66 (10): 32–39
- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
- Belastungsprofile von knochenverankerten Oberschenkelimplantaten verbunden mit modernen Prothesenpassteilen — 5. November 2024
- DIN 18040–2:2011–09 (D) – Barrierefreies Bauen. Planungsgrundlagen – Teil 2: Wohnungen. Berlin: Beuth Verlag, 2011
- Juchli L. Ganzheitliche Pflege. Vision oder Wirklichkeit. 3. Auflage. Basel: Recom, 1993
- Projekt „MAID“. http://www.maid-projekt.de (Zugriff am 21.06.2015)
- Müller J, Berger M, Schneider J, Kunze C. Online Kommunikation zur Förderung von Offline Miteinander: Technology-Probe Ansatz zur Evaluation einer MTI-Plattform zur Förderung von sozialer Interaktion. 8. Deutscher Kongress Ambient Assisted Living (AAL 2015). Frankfurt: VDE Verlag, 2015
- Projekt „Chico“. http://www.chico.fzi.de (Zugriff am 22.06.2015)
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- Projekt „Integration von AAL-Technik zur Notfallerkennung in die häusliche Umgebung“. http://www.projekt-notfallerkennung.de (Zugriff am 22.06.2015)
- Produktportal und Projekt „Wegweiser Alter und Technik“. http://www.wegweiseralterundtechnik.de (Zugriff am 22.06.2015)
- Pflegeberatungssoftware „CareCM“. http://www.carecm.de (Zugriff am 06.08.2015)
- Ausgründung „easierLife“. http://www.easierlife.de (Zugriff am 22.06.2015)