Einleitung
Bei der Behandlung venöser Erkrankungen bilden Kompressionsstrümpfe ein gut erforschtes, einfach anzuwendendes und effektives Hilfsmittel ohne Nebenwirkungen, wie sie bei medikamentösen Behandlungen auftreten können. Aber auch bei Menschen ohne eine solche Erkrankung werden immer häufiger Kompressionsbestrumpfungen eingesetzt, und zwar vor allem im Profi- und zunehmend auch im Breitensport. Aber ist auch die Wirksamkeit zwischen den verschiedenen Nutzergruppen tatsächlich vergleichbar? Besteht Evidenz bezüglich der Wirksamkeit von Kompressionsbestrumpfungen im Sport – sowohl im Profi- als auch im Amateurbereich? Diesen Fragen widmet sich der vorliegende Artikel, der sich auf eine umfassende Literaturauswertung zu diesem Thema stützt. Dabei stehen die Aspekte Leistung, Regeneration und Propriozeption bei der Kompressionsbekleidung im Sport im Vordergrund.
Wachsendes wissenschaftliches Interesse an der Wirkung von Kompressionsbekleidung im Sport
Das breite Einsatz- und Wirkungsspektrum von Kompressionsbekleidung im Sport beflügelt auch die wissenschaftliche Forschung. Während es bis zum Jahr 2000 weltweit weniger als 10 Studien zu diesem Thema gab, hat sich die Zahl der Publikationen in der folgenden Dekade verdreifacht (n = 22). Im Zeitraum zwischen 2010 und 2020 kam es dann zu einer rasanten Zunahme auf 155 Studien, womit der siebenfache Wert gegenüber der Dekade zuvor erreicht wurde 1.
Interessanterweise handelt es sich bei den Probanden der einschlägigen Studien fast immer um nichtprofessionelle Athleten (95 %), wobei es sich in der Regel um Männer (90 %) handelt, die zwischen 20 und 64 Jahren alt sind. Untersucht wird am häufigsten die Leistungsfähigkeit (62 %) im Zusammenhang mit veränderten Blut- oder Speichelmarkern (46 %) und mit kardiovaskularen Effekten (42 %). Die Ergebnisse variieren allerdings teilweise sehr stark; die unterschiedlichen Befunde können in erster Linie auf methodische Ursachen zurückgeführt werden. Häufig fehlen genaue Angaben zur Leistungsfähigkeit der Probanden (z. B. VO2max), zum Tragezeitraum und zum Kompressionsdruck. Es kann aber in der Regel davon ausgegangen werde, dass es sich bei der verwendeten Sportkompression in der überwiegenden Zahl der Untersuchungen um Bestrumpfungen der Kompressionsklasse I handelt, wobei einige Druckverläufe der verwendeten Produkte auch an Klasse II heranreichen. Daher ist die Wirkungsweise vergleichbar, den Sportstrümpfen wird aber kein direkter medizinischer Nutzen unterstellt, sonst dürften sie nur im Sanitätsfachhandel gekauft werden.
Weiterhin werden in den Studien verschiedene Kompressionskleidungsstücke wie Kniestrümpfe, Arm- und Beinlinge (Abb.1 & 2), Hosen oder Oberbekleidung untersucht.
Mögliche Wirkungen von Kompression auf biologischer Grundlagenebene
Bevor detaillierter auf die Auswirkungen von Kompressionsbekleidung im Sport eingegangen werden kann, stellt sich zunächst die Frage nach möglichen Wirkmechanismen von Sport-Kompressionsstrümpfen auf biologischer Ebene. Seit Langem ist bekannt, dass es beim Sitzen ab etwa 90 Minuten zu hämodynamischen Veränderungen im Unterschenkel kommt – unabhängig davon, ob die Zeit vorher im Stehen oder Liegen verbracht wurde. Das Sitzen führt zu einem verringerten venösen Blutfluss um ca. 13 % und zu einer Zunahme des venösen Blutpools um 17 % 2. Medizinische Kompressionsstrümpfe unterstützen die Leistung der Muskelpumpe, und zwar sowohl bei Gesunden als auch bei Varikosepatienten und bei Postthrombotikern 3. Im Rahmen von Grundlagenuntersuchungen, bei denen die Messungen per Venenverschluss-Plethysmografie erfolgten, belegen die Befunde eine verbesserte Leistung der Muskelpumpe. Das Tragen knielanger Sport-Kompressionsstrümpfe führte bei einer Gruppe von jungen Frauen und Männern zu einer Steigerung des venösen Rückflusses um ca. 30 % 4. Dieser Befund belegt die Unterstützung des venösen Rückflusses des Blutes aus den unteren Extremitäten durch die Kompression. Ein eingeschränkter Rücktransport des venösen Blutes und der Lymphe spiegelt sich in anschwellenden Beinen wider.
In einer weiteren Studie wurde die Zunahme des Unterschenkelvolumens im Tagesverlauf sowohl bei Berufen, die überwiegend in sitzender Haltung, als auch in solchen, bei denen das Stehen überwiegt, mit Hilfe eines Perometers bestimmt. Das Tragen von Kompressionsstrümpfen führte demnach zu schlankeren Beinen am Ende des Tages, bzw. ein Anschwellen fiel wesentlich schwächer aus. Der kniehohe Kompressionsstrumpf erlaubt eine Zunahme von 25 ml pro Waden, dagegen wurde mehr als die doppelte Zunahme von 58 ml beobachtet, wenn am Tag keine Kompressionsstrümpfe getragen wurden 5.
In beiden genannten Studien 4 5 wurden Sport- bzw. Lifestyle-Kompressionsstrümpfe (ähnlich wie die Beispiele von Bauerfeind Abb. 2) verwendet, die anhand des jeweiligen Knöchel- bzw. Wadenumfangs der Probanden ausgewählt wurden. Es handelte sich dabei nicht um Strümpfe der Klasse II aus dem Sanitätshaus, sondern um Ware, die in Sport- oder Modegeschäften zu erwerben ist.
In einer weiteren Studie konnte gezeigt werden, dass Kompressionsstrümpfe über die physische Wirksamkeit hinaus auch eine positive psychologische Wirkung auf ihre Trägerinnen und Träger ausüben. Mit Hilfe der Eigenzustandsskala von Nitsch konnte gezeigt werden, dass sich das augenblickliche emotionale Befinden verbessert. Sowohl bei den weiblichen als auch bei den männlichen Teilnehmenden an der Studie wurde durch das Tragen von Kompressionsstrümpfen eine signifikante Verbesserung der aktuellen Handlungsfähigkeit, der emotionalen Spannung, der Kontaktbereitschaft, der Stimmungslage und der Ermüdung erreicht 6.
Wirksamkeit von Kompression im Sport
Im Sport – und zwar sowohl im Profi- als auch im Breitensport – konnte insbesondere bezüglich dreier Aspekte eine Wirksamkeit von Kompressionsbekleidung nachgewiesen werden:
- im Bereich Leistung,
- im Bereich Regeneration sowie
- im Bereich Propriozeption.
Auf diese drei Aspekte wird im Folgenden – unter Auswertung der einschlägigen Studien – genauer eingegangen.
Kompression und Leistung
Die Frage, inwieweit es zu einer effektiv messbaren Leistungssteigerung durch Kompressionsstrümpfe kommen kann, ist angesichts der Defizite vieler Studien und der variierenden Bedingungen im Wettkampf oder bei Felduntersuchungen schwierig zu beantworten. Eine sehr gut designte Laborstudie zum Einfluss knielanger Kompressionsstrümpfe auf die sportliche Leistung wurde von Kemmler und Mitarbeitern 7 durchgeführt, wobei 21 moderat trainierte Läufer mit VO2max (maximaler Sauerstoffaufnahme) von 52,0 ml × kg-1 × min-1 einen Stufentest auf einem Laufband durchführten. Es zeigte sich, dass die Laufdauer (Zeit unter Belastung) mit Kompressionsstrümpfen um 5 % länger und die geleistete Arbeit um 6 % erhöht waren. Ebenso waren die Geschwindigkeiten an der aeroben und an der aerob-anaeroben Schwelle erhöht. Auch die maximale Sauerstoffaufnahme war tendenziell um ca. 3 % höher 7. Damit erweist sich, dass sich das Tragen von Kompressionsstümpfen insgesamt positiv auf die Laufleistung auswirkt.
In einer weiteren Laboruntersuchung 8 zeigten gut trainierte Radfahrer (VO2max: 66,6 ml x kg-1-min-1) bei einem halbstündigen Test auf dem Fahrradergometer eine verbesserte Leistung mit Kompression. Bei dem Test wurden die ersten 15 Minuten in vorgegebener Geschwindigkeit absolviert und die zweite Hälfe wie ein Zeitfahren durchgeführt. Während der ersten Phase zeigte sich eine signifikant niedrige Herzfrequenz mit Kompression. Dagegen konnte kein Einfluss auf die Laktatbildungsrate oder den Umfang von Unter- und Oberschenkel festgestellt werden – wobei zu hinterfragen ist, ob es sinnvoll ist, über zwei Umfangmessungen auf Volumenveränderungen des Beines zu schließen. Insgesamt zeigt sich damit aber auch bei den sehr gut trainierten Radfahrern eine, wenn auch nur minimale Leistungsverbesserung auf dem Fahrradergometer 8.
In einer weiteren Studie absolvierten 12 männliche Radfahrer (VO2max: 55,2 ml × kg-1 × min-1) einen Stufentest (100 Watt Beginn/ alle 2 Minuten/ Steigerung um 50 Watt) und ein einstündiges Zeitfahren an der anaeroben Schwelle mit und ohne Kompressionshosen. Dabei zeigte sich jedoch kein Anstieg der Leistung und nur eine geringe physiologische Verbesserung, was die Sauerstoffsättigung angeht 9.
Dieselbe Arbeitsgruppe untersuchte in einer weiteren Studie die Wirkung einer Ganzkörperkompression bei einem einstündigen hochintensiven Intervalltraining. Bei 8 männlichen gut trainierten Spielsportlern (VO2max: 57,5 ml x kg-1-min-1) konnte jedoch nur eine verbesserte Sauerstoffsättigung während und nach der Belastung im Gewebe festgestellt werden, ohne dass sich Laufgeschwindigkeiten, Sauerstoffaufnahme, Herzfrequenz oder Laktatwerte im Vergleich zur Kontrollgruppe veränderten 10.
Es konnten aber auch bei anderen Untersuchungen eine gesteigerte Laufleistung und eine verminderte Muskelermüdung sowie – mit höherem Kompressionsdruck – eine gesteigerte Radfahrleistung im Zeitfahren und eine verringerte Ermüdung belegt werden 11 12.
Für einen Sprungkrafttest im Rahmen einer weiteren Studie absolvierten 36 professionelle Volleyballspieler (18 w, 18 m) 10 vertikale Countermovement-Sprünge, wobei die Leistungen mit kurzen Kompressionshosen signifikant besser waren 13.
Dieser Befund wird von neueren Studien gestützt, bei denen sich durch das Tragen von Kompressionshosen Sprunghöhe, Maximalkraft und durchschnittliche Leistung erhöhten 14. Aber auch in anderen Sportarten außer den klassischen Ball- und Laufsportarten wie beim Biathlon kann eine verbesserte Leistung bei beim Cross-Country-Skilauf beobachtet werden 15.
Daneben gibt es aber auch etliche Studien, die keinen direkten Effekt auf die Leistungsfähigkeit nachweisen konnten, was aber zumindest teilweise an einem ungünstigen Untersuchungsdesign liegen mag. Insgesamt zeigt sich jedenfalls eine deutliche Tendenz, dass sich bei weniger gut trainierten Breitensportlern ein größerer Effekt von Kompressionskleidung als bei Spitzenathleten nachweisen lässt.
Kompression und Regeneration
Ein immer mehr beachtetes Einsatzfeld von Kompressionsbekleidung im Sport ist der Aspekt der Regeneration, die sowohl im Breiten- als auch im Leistungssport eine immer größere Rolle spielt. Zunächst bietet Kompressionsbekleidung in diesem Zusammenhang den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu allen anderen bekannten Regenerationsmaßnahmen wie Massage, aktive Erholung, Kryotherapie, Tauchbäder in Wasser mit Temperaturdifferenzen, hyperbare Sauerstofftherapie, Stretching, Luftfeuchtigkeitstherapie, Elektrostimulation etc. kein zusätzliches Zeitfenster benötigt. Insbesondere im Radsport und im Triathlon bildet der Einsatz von Kompressionsbekleidung schon in den letzten 10 Jahren einen festen Bestandteil bei den regenerativen Maßnahmen.
Bezüglich entsprechender wissenschaftlicher Studien besteht allerdings auch hier eine große Variabilität hinsichtlich des Studiendesigns: Der untersuchte Tragezeitraum bezieht sich entweder auf den Wettkampf plus Regeneration oder nur auf die Regeneration nach der Trainings- oder Wettkampfbelastung, wobei viele Studien eine längere Regenerationszeit von 24, 48 oder 72 Stunden untersuchen.
Im Folgenden werden zunächst die Studien mit einer kurzen Regenerationszeit betrachtet, bei denen Radfahrer zwei Maximaltests über 5 Minuten mit einer Pause von 80 Minuten absolvierten. Der Leistungsabfall im zweiten Test fiel signifikant geringer aus, wenn Kompressionskleidung getragen wurde 16. Bei den Probanden (n = 12) handelte es sich um eine 63-jährige trainierte Radfahrerin, also nicht um Top-Leistungssportler. In einer anderen Studien wurde versucht, einen Wettkampftag von Bahnsprintern zu simulieren 17. Hochtrainierte professionelle Radfahrer absolvierten dazu drei maximale Sprints über 30 Sekunden; die Pausenzeiten zwischen den drei maximalen Leistungen betrugen jeweils 20 Minuten. Es zeigte sich, dass der Leistungsabfall im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich höher ausfiel, wenn keine Kompressionstrümpfe getragen wurden.
Schließlich darf auch der Aspekt des psychischen Wohlbefindens in der Regeneration auf keinen Fall unterschätzt werden. Zur Beurteilung dieses Konstrukts werden weltweit zwei Abfragemethoden eingesetzt:
- Die DOMS-Skala (DOMS = „delayed onset of muscle soreness“) bezieht sich auf Muskelschmerzen
beziehungsweise Muskelkater; - mittels RPE-Skala (RPE = „rating of perceived exertion“) wird die empfundene körperliche beziehungsweise muskuläre Erschöpfung abgefragt.
Die Wirkung der Kompression wird häufig nach 24, 48 oder 72 Stunden protokolliert. Eine positive Wirkung wird in der Mehrzahl der Studien beschrieben, was auch durch neuere Studien untermauert wird, in denen kniehohe oder lange Kompressionsstrümpfe oder ‑hosen eingesetzt werden 18 19 20 21 22 23 24.
Ein klares Ergebnis bezüglich der körperlichen Regeneration, die die Leistungsfähigkeit in den Bereichen Kraft und Ausdauer betrifft, ist nach Auswertung der einschlägigen Studien nur schwer zu gewinnen. Es gibt eine Reihe von Krafttests wie „squat jump“, „counter movement jump“ oder „drop iump“, die häufig zur Beurteilung der Sprungkraft ausgewählt werden. Dabei wird oft zu einem bis drei Zeitpunkten (24 bis 72 Stunden nach Belastung) getestet. Häufig verbessern sich dabei einzelne Werte zu verschiedenen Zeitpunkten. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass der leistungsbedingte Abfall der Sprungkraft je nach der Intensität der vorhergehenden Belastungen stark variiert und dass Maximalkrafttests sehr stark motivationsabhängig sind.
Etwas einheitlicher fallen die Befunde im Ausdauerbereich aus. Bei einer Wiederholung eines 40-Kilometer-Zeitfahrens nach 24 Stunden erzielen moderat trainierte Radfahrer eine höhere Leistung, wenn während der Regeneration lange Kompressionshosen statt langer Radfahrhosen ohne Kompressionswirkung getragen werden, die zum Vergleich herangezogen wurden 25. Ebenso schneidet die Kompressionsgruppe bei einer Radfahrleistung besser ab, wenn nach zwei jeweils fünf Minuten dauernder Maximalleistung nach einstündiger Pause getestet wird. Dabei können eine verbesserte Durchblutung und ein als schwächer empfundener Muskelkater während der Erholungsphase beobachtet werden 26.
Weitere Studien untersuchen die Auswirkung von Kompressionsstrümpfen auf die Muskelschädigung beziehungsweise die Dauer von Reparaturprozessen. Das Ausmaß der Muskelschädigung wird in der Regel anhand des CK-Wertes (CK = Creatinkinase) ermittelt. Dabei entstehen Mikrotraumen im Bereich der Z‑Scheiben in den Muskelfasern, die das Eindringen von Wasser ermöglichen, was zu einer Ödembildung nach 24 bis 36 Stunden führt. Der dadurch entstehende Dehnungsschmerz der anschwellenden Muskelfaser wird als Muskelkater wahrgenommen. Da aber bei vielen verschiedenen Belastungen kein einheitlicher Anstieg oder Abfall des CK-Wertes zu beobachten ist, können etliche Studien diesbezüglich keinen Effekt nachweisen. Daher erscheinen in einigen Studien ganz untypische körperliche Belastungsformen. So wird teilweise versucht, durch ungewöhnliches exzentrisches Bergabwärtsgehen belastungsinduzierte Schäden in der Muskulatur hervorzurufen, um den Einfluss von Kompressionsstrümpfen auf den Muskelschmerz und auf neuromuskuläre Tests zu überprüfen. Für die Zwecke der entsprechenden Studie gingen 8 junge Männer 30 Minuten lang bei einer Geschwindigkeit von 3,6 km/h auf einem Laufband rückwärts und bergabwärts (Gefälle 12 Prozent). Erschwert wurde die Belastung noch durch das Tragen eines Zusatzgewichts (12 % des Körpergewichts). Danach trugen sie an einem Bein 5 Stunden täglich Kompressionsstrümpfe. Tests bezüglich Muskelkater und neuromuskulärer Tests wurden nach 24, 48 und 72 Stunden durchgeführt. Das Ergebnis: Die Muskelschmerzen waren durch die Kompressionsstrümpfe nach 72 Stunden um 28 % geringer als im Kontrollbein; bei den Krafttests dagegen konnten keine wesentlichen Unterschiede festgestellt werden 27.
Für die Zwecke einer vergleichbaren Studie gingen 11 männliche Freizeitsportler ebenfalls 30 Minuten bergabwärts (Geschwindigkeit 6 km/h, Gefälle ‑25 %) und legten danach eine einbeinige Kompressionshose an 28.
Vergleichbare Belastungen kommen aber weder im Breiten- noch im Leistungssport vor. Einen starken Anstieg des CK-Wertes erzeugt man durch Elektrostimulation. Eine entsprechende Studie belegt: Kompressionsbekleidung wirkt sich nach dem Einsatz von Elektrostimulation, die zu einem starken Anstieg der CK-Werte führt, positiv aus: Diese steigen nicht so hoch an und fallen schneller wieder ab, wenn während der Regeneration lange Kompressionshosen getragen werden 21.
Noch schwieriger ist es bei anderen biologischen Markern wie C‑reaktivem Protein, Myoglobin, Laktat, Laktatdehydrogenase, Interleukin‑6 oder Interleukin-10 einen Einfluss nachzuweisen. Hier reichen normale Trainingsbelastungen oft nicht aus, um Effekte sichtbar zu machen. Daher lassen sich mit diesen Parametern kaum Effekte von Kompressionsbestrumpfung nachweisen.
Insgesamt wird im Bereich Regeneration der positive Einfluss von Kompressionsbekleidung auf die Psyche am deutlichsten sichtbar. Diese mentale Stärke kann eine wichtige Rolle im Sport spielen, wenn man schmerzfrei ist und damit eine größere Leistungsbereitschaft einhergeht. Im Ausdauerbereich zeichnet sich diesbezüglich ein positiver Trend ab. Dagegen variieren biologische Marker sehr stark und führen zu keinem einheitlichen Ergebnis in Bezug auf das Tragen von Kompressionsstrümpfen.
Kompression und Propriozeption
Insbesondere beim Fußball, aber auch beim Skilaufen spielt der Einfluss von Kompressionskleidung auf die Propriozeption eine große Rolle, da die unbedingt notwendige Feinkoordination nur über exakte Bewegungen im Knie und in den Sprunggelenken erzielt werden kann. Bei Profi-Fußballern kann mit Hilfe eines Winkelreproduktionstests eine verbesserte Propriozeption beim Tragen von Kompressionsbekleidung nachgewiesen werden 29.
Beim Winkelreproduktionstest schnitten Probanden mit Kompressionsstrümpfen besser ab als bei Versuchen mit und ohne Stutzen. Weiterhin empfanden von 19 Profi-Fußballern fast drei Viertel ein stabileres Gefühl und mehr als 80 Prozent ein besseres Laufgefühl, wenn sie Kompressionsbekleidung trugen 30.
Es gibt einige Untersuchungen, die das Gleichgewichtsgefühl und die Koordination beziehungsweise die Stabilität überprüfen. Hier erzeugte das Tragen von Kompressionsstrümpfen ebenfalls positive Effekte 31.
Diskutiert wird, inwiefern dies insbesondere bei älteren Menschen zu einer geringen Sturzgefahr führen könnte. Ähnliche Befunde konnten auch für die obere Extremität nachgewiesen werden 32.
Fazit
Zusammengefasst weist die Mehrzahl der für diesen Artikel ausgewerteten Studien einzelne positive Effekte im Bereich der Leistung, der Regeneration und der Propriozeption durch das Tragen von Kompressionsbekleidung im Sport auf. Demgegenüber gibt es keine einzige Studie, in der eine Leistungsminderung beobachtet wird. Interessant ist der Befund, dass sich bei jüngeren Spitzensportlern durch Kompressionsbekleidung eher kleinere Effekte zeigen, während Ältere und Untrainierte mehr von Kompressionsstrümpfen profitieren. Bei dieser Gruppe wird das Bindegewebe schwächer und die Muskelkraft lässt nach, womit die Muskelpumpe an Effektivität verliert. Daher sollte sich das Tragen von Kompressionsstrümpfen bei den Betroffenen nicht auf den Sport beschränken, sondern auch auf den beruflichen Alltag ausgedehnt werden. Gerade in Berufen mit hohem Sitz- oder Stehanteil kann dadurch ein Anschwellen der Beine eingeschränkt werden. In der Summe kann dies zu einer verbesserten physischen und psychischen Verfassung im Berufsalltag führen, die sich in verbesserter Motivation und Zufriedenheit der Berufstätigen widerspiegeln kann.
Hinweis
Der Beitrag ist bereits in ähnlicher Form in der Ausgabe 02/2019 des Fachmagazins Orthopädieschuhtechnik unter dem Titel „Die Wirkung von Kompressionsstrümpfen im Sport und in der Freizeit“ erschienen.
Der Autor
Prof. Dr. Helmut Lötzerich
Stellvertr. Institutsleiter
Studiengangsleiter Basisstudium
Immunbiologe, Leiter Radsport
Deutsche Sporthochschule
Institut für Outdoor Sport und Umweltforschung
Am Sportpark Müngersdorf 6
D‑50933 Köln
loetzerich@dshs-koeln.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
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- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
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