Ist ein Sitz­kis­sen nur Dekubitusprophylaxe?

N. Sörensen
Ein Sitzkissen für die Rollstuhlversorgung wird im Hilfsmittelverzeichnis (HMV) der Krankenkassen aktuell (Juli 2021) ausschließlich unter der Positionsnummer 11, also als Dekubitusprophylaxe/Dekubitusversorgung geführt. Daher ist die Kostenzusage überwiegend an das Vorliegen eines akuten oder ausgeheilten Druckgeschwürs gebunden. Hochwertige Sitzkissen werden in der Regel von den Krankenkassen bei der Versorgung von Patienten abgelehnt, sofern nicht mindestens ein Dekubitus Grad 1, eher 2, vorliegt. Die Betrachtung von Sitzkissen ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Dekubitusprophylaxe greift aber nach Ansicht der Autorin zu kurz und lässt die weit wichtigere Bedeutung des Sitzkissens für die Einnahme und Aufrechterhaltung einer orthopädisch gesunden Sitzposition außer Acht. Diese spielt aber für die unmittelbare als auch langfristige Mobilität eines Rollstuhlnutzers eine große Rolle. Diese Aspekte, die im Rahmen des nachfolgenden Erfahrungsberichts näher beleuchtet werden, sollten aus Sicht der Autorin sowohl bei der Schulung der Leistungserbringer als auch in der Erstattung durch die Kostenträger eine stärkere Berücksichtigung finden.

Ein­lei­tung

Das Sitz­kis­sen bil­det eine wich­ti­ge Schnitt­stel­le zwi­schen Roll­stuhl und Benut­zer. Ein Sitz­kis­sen in der Roll­stuhl­ver­sor­gung dient dabei aber nicht nur der Deku­bi­tus­pro­phy­la­xe, son­dern es erfüllt viel­mehr eine zen­tra­le Auf­ga­be im Rah­men der Gesamt­mo­bi­li­tät des Nut­zers eines Roll­stuhls. Zur bes­se­ren Ein­ord­nung wird die Gesamt­mo­bi­li­tät in drei Mobi­li­täts­aspek­te aufgeteilt:

  1. Die Mobi­li­tät des Roll­stuhl­nut­zers auf sei­nem Sitz­kis­sen: Die­se ist wich­tig zur Selbst­po­si­tio­nie­rung und für Transfers.
  2. Die Mobi­li­tät des Nut­zers mit dem Roll­stuhl, als Funk­ti­ons­ein­heit beim Antrei­ben: Dabei kommt dem Kis­sen die Auf­ga­be zu, den Nut­zer in einer ergo­no­misch best­mög­li­chen Posi­ti­on in Rela­ti­on zum Antriebs­rad zu halten.
  3. Der Erhalt der lang­fris­ti­gen Mobi­li­tät: Die­se wird nur dann erhal­ten blei­ben, wenn es gelingt, den Nut­zer in eine ortho­pä­disch-gesun­de Sitz­po­si­ti­on zu brin­gen. Dies ist eine den Rest­funk­tio­nen ent­spre­chen­de, mög­lichst auf­rech­te Posi­ti­on, die den Hal­te­ap­pa­rat aber nicht über­for­dern darf.

Das Sitz­kis­sen als Dekubitusprohylaxe

Ein Sitz­kis­sen kann durch Mate­ri­al und Form­ge­bung der Deku­bi­tus­pro­phy­la­xe die­nen. Bis zu 16 extrin­si­sche und intrin­si­sche Ein­fluss­fak­to­ren wer­den für die Ent­ste­hung eines Deku­bi­tus benannt 1. Von die­sen vie­len Fak­to­ren gibt es fünf extrin­si­sche Haupt­fak­to­ren, auf die ein Sitz­kis­sen Ein­fluss neh­men kann. Die­se sind: Rei­bungs­kräf­te, Scher­kräf­te, Haut­feuch­te, Haut­tem­pe­ra­tur – von denen jeder ein­zel­ne zunächst die Druck­re­sis­tenz der Haut absenkt. Dazu kommt als fünf­ter Fak­tor der Bewe­gungs­man­gel hin­zu, der die Dau­er, in der der schä­di­gen­de Druck auf die gefähr­de­ten Stel­len wirkt, ver­län­gert. In der Kate­go­rie 11 (Hilfs­mit­tel gegen Deku­bi­tus) lis­tet das HMV (Stand Juli 2021) 240 Pro­duk­te auf, mit denen die­se Fak­to­ren ein­zeln oder in Kom­bi­na­ti­on abge­mil­dert oder aus­ge­schal­tet wer­den kön­nen 2.

Hier eini­ge Beispiele:

  • vis­koelas­ti­sche Mate­ria­li­en, die den Pati­en­ten weich­la­gern und den Sitz­druck durch flä­chen­ver­grö­ßern­des Ein­sin­ken ver­tei­len, aber dadurch auch die Haut­feuch­te erhö­hen können,
  • Tro­cken­flo­ta­ti­ons­sitz­kis­sen von Her­stel­lern wie Roho®, Sys­tam®, Vicair® etc., die den Druck­punk­ten bei Gewichts­ver­la­ge­rung dyna­misch aus­wei­chen, dafür die Sitz­po­si­ti­on etwas insta­bi­ler machen können,
  • die Supra­co­re-Tech­no­lo­gie „Sti­mu­li­te®“, die ihre Kern­wirk­sam­keit in einer maxi­ma­len Belüf­tung der Haut sowie dem Ablei­ten jeg­li­cher Flüs­sig­kei­ten hat,
  • Kalt­schaum, der beim Sitz­kis­sen Jay® Basic (Sun­ri­se Medi­cal) ver­wen­det wird und wel­cher mit der Rück­stell­kraft des Kalt­schaums dyna­mi­sche Druck­spit­zen bei der Roll­stuhl­nut­zung mil­dern soll sowie durch ana­to­mi­sche Anfor­mung den Sitz­druck ver­teilt (Abb. 1a‑d).

Jedes die­ser genann­ten Mate­ria­li­en und Bau­wei­sen hat aber neben dem jewei­li­gen Grad der Deku­bi­tus­pro­phy­la­xe auch Ein­fluss auf die Mobi­li­tät des Nut­zers. Je nach­gie­bi­ger das Kis­sen­ma­te­ri­al, des­to schwie­ri­ger wird die Bewe­gung des Nut­zers auf sei­nem Sitz­kis­sen. Ein Sitz­kis­sen kann auf die­se Wei­se das Ein­lei­ten eines Trans­fers erleich­tern oder erschwe­ren und hat somit Ein­fluss auf die Selbst­stän­dig­keit des Rollstuhlnutzers.

Mobi­li­tät des Nut­zers auf dem Sitzkissen

Der Trans­fer zur Mobi­li­tät des Nut­zers unter­teilt sich in zwei Phasen:

  1. die Pha­se des nach vor­ne Rut­schens und
  2. ent­we­der das Auf­ste­hen oder das Her­über­stüt­zen auf einen ande­ren Unter­grund (Abb. 2).

Das nach vor­ne Rut­schen wird dabei maß­geb­lich von der Kis­sen­fes­tig­keit ermög­licht oder behin­dert. Die Bedeu­tung des Mate­ri­als für die zwei­te Pha­se wird bei der Aus­wahl eines Sitz­kis­sens jedoch oft­mals über­se­hen. Bei­de Trans­fer-Vari­an­ten nut­zen in der zwei­ten Pha­se das vor­de­re Drit­tel des Kis­sens als fina­le „Absprung­kan­te“. Daher ist es bedeut­sam, wel­che Fes­tig­keit das Kis­sen in die­sem vor­de­ren Bereich auf­weist. Ein Tro­cken­flo­ta­ti­ons­kis­sen nach Roho®-Bauart gibt bei­spiels­wei­se im Moment der Abstütz­be­las­tung ca. 6 bis 8 cm nach, ein vis­koelas­ti­sches Kis­sen um ca. 5 cm. Die­ser Höhen­ver­lust kann je nach Behin­de­rungs­bild kri­tisch dafür sein, ob ein Trans­fer oder das Auf­ste­hen noch selbst­stän­dig gelingt. In die­sen Fäl­len ent­steht ein Kon­flikt zwi­schen dem für den indi­vi­du­el­len Deku­bi­tus­schutz not­wen­di­gen Mate­ri­al und dem für einen selbst­stän­di­gen Trans­fer för­der­li­chen Mate­ri­al. Die­sen Kon­flikt kön­nen Sitz­kis­sen in Hybrid­bau­wei­se lösen.

Hybrid bedeu­tet in die­sem Zusam­men­hang eine Kom­bi­na­ti­on aus Mate­ria­li­en, die nicht in der Sand­wich­bau­wei­se (also über­ein­an­der) ange­ord­net sind, son­dern in Zonen. Dies erfolgt übli­cher­wei­se in Form eines sta­bi­len Rah­mens, der mit sei­ner Fes­tig­keit dem Trans­fer und der Sitz­sta­bi­li­tät dien­lich ist, und einer Schutz­zo­ne aus ande­rem Mate­ri­al. Die­se ist auf den Bereich begrenzt, in wel­chem Deku­bi­tus­pro­ble­ma­ti­ken ent­ste­hen könn­ten. Die­se Schutz­zo­ne besteht je nach Her­stel­ler wahl­wei­se aus Flu­id, Vis­ko, Tro­cken­flo­ta­ti­on etc. (Abb. 3a‑c). Ein Sitz­kis­sen in Hybrid­bau­wei­se kann somit den manch­mal gegen­sätz­li­chen Erfor­der­nis­sen von Deku­bi­tus­pro­phy­la­xe und Trans­fer­fä­hig­keit gerecht wer­den. Für die­sen Aspekt bei der Sitz­kis­sen­aus­wahl (Trans­fer­fä­hig­keit) ist es noch nicht ent­schei­dend, ob der Nut­zer Selbst­fah­rer ist, gescho­ben wird oder den größ­ten Teil des Tages pas­siv bleibt. Son­dern die­ser Aspekt ist ledig­lich die rei­ne Basis­be­trach­tung bei der Sitz­kis­sen­aus­wahl. Die­ser funk­tio­na­le Aspekt fin­det aber bei der Klas­si­fi­zie­rung des Sitz­kis­sens im HMV aktu­ell kei­ne Beachtung.

Mobi­li­tät des Nut­zers mit dem Roll­stuhl als Funktionseinheit

Zurück zur Ein­gangs­the­se, die das Sitz­kis­sen als einen zen­tra­len Bestand­teil der Mobi­li­tät des Nut­zers mit dem Roll­stuhl als Funk­ti­ons­ein­heit beschreibt; sowohl hin­sicht­lich des­sen Fähig­keit, den Roll­stuhl anzu­trei­ben als auch der dazu not­wen­di­gen Auf­rich­tung des Pati­en­ten im Sitz. Die Abbil­dun­gen 4a‑c zei­gen Nega­tiv­bei­spie­le rea­ler Sitz­si­tua­tio­nen, bei denen mit den Anpas­sun­gen weder eine gesun­de Sitz­po­si­ti­on erreicht wur­de noch eine Posi­ti­on, aus der her­aus der Nut­zer sei­ne Arm­kraft ergo­no­misch auf den Greif­rei­fen brin­gen könn­te (Antreib­e­leis­tung). Bei die­sen Anpas­sun­gen wur­den weder das Roll­stuhl­mo­dell noch die Rücken­leh­ne oder das Sitz­kis­sen auf den dar­in befind­li­chen Kör­per und des­sen Rest­funk­tio­nen ange­passt. Statt­des­sen wer­den die­se Nut­zer von ihren Roll­stüh­len in Fehl­hal­tun­gen „gezwun­gen“, die sich nach ihrem Krank­heits­bild nicht not­wen­di­ger­wei­se erge­ben wür­den. Dar­über hin­aus ver­ur­sacht die­se als Dau­er­ver­sor­gung Fol­ge­schä­den oder hat die­se bereits ver­ur­sacht. Die­se mög­li­chen Fol­gen kön­nen bei einer unzu­rei­chen­den Sitz­an­pas­sung entstehen:

  • Fehl­hal­tung: Brust­wir­bel­säu­le (BWS) kypho­tisch, Hals­wir­bel­säu­le (HWS) in Hyper­lor­do­se und Trans­la­ti­on, Hüf­ten in Abduk­ti­on, Becken nach hin­ten gekippt, Druck­ver­tei­lung auf die Ober­schen­kel fehlt, Schief­sitz zur alter­nie­ren­den Ent­las­tung des zu hohen Drucks auf das Gesäß
  • Rest­funk­tio­nen des Ober­kör­pers sind ein­ge­schränkt: Arm­ein­satz bei gebeug­tem Ober­kör­per deut­lich ein­ge­schränkt, Arme wer­den zum Abstüt­zen ein­ge­setzt und sind nicht frei für die Fort­be­we­gung, Rumpfro­ta­ti­on und Kopf­ro­ta­ti­on sind durch kypho­ti­sche Hal­tung eingeschränkt
  • mög­li­che Sitz­dau­er ist ver­kürzt: Schmer­zen im Nacken durch die Kopf­hal­tung, Schmer­zen im Gesäß durch Haupt­be­las­tung im hin­te­ren Gesäß­be­reich, Schmer­zen der Wir­bel­säu­le durch Beu­ge­druck auf alle Wir­bel­ge­len­ke, Ein­schrän­kung der Atmung durch gekrümm­te Sitzhaltung
  • selbst­stän­di­ge Antriebs­fä­hig­keit ist ein­ge­schränkt: Wei­te­re Infor­ma­tio­nen im Abschnitt „Rest­funk­ti­on des Ober­kör­pers ein­ge­schränkt“ – zusätz­lich uner­go­no­mi­sche Posi­ti­on der Arme zum Rad

Bei die­ser Anpas­sung in Abbil­dung 4a ist die Sitz­flä­che par­al­lel zum Boden, die Rücken­leh­ne zu hoch und zu steil ein­ge­stellt. Der Kör­per muss sich gegen so eine Ein­stel­lung mit viel Kraft auf­rich­ten. Anhand der Fal­ten­bil­dung des Pull­overs ist deut­lich eine ent­spre­chen­de Kypho­sie­rung der gesam­ten BWS zu sehen sowie in der Fol­ge die Trans­la­ti­on des Kop­fes nach vorn. Der Ober­kör­per ver­kürzt sich rela­tiv zu den Arm­leh­nen, wodurch die auf den Arm­leh­nen auf­lie­gen­den Arme die Schul­tern nach oben drü­cken. Auch der Greif­be­reich des Greif­rei­fens ist auf die­se Wei­se rela­tiv zum Kör­per nach oben ver­scho­ben und wird so das Antrei­ben nur durch wei­te­res Hoch­zie­hen der Schul­tern ermög­li­chen. Es ist davon aus­zu­ge­hen, so die Erfah­rung der Autorin, dass, sobald die Arme die Arm­leh­nen zwecks Antrei­bens ver­las­sen, der Ober­kör­per nur mit viel Mus­kel­ar­beit in eine auf­rech­te Posi­ti­on gebracht wer­den kann.

In der Abbil­dung 4b ist die Fuß­ras­te zu lang ein­ge­stellt. Erkenn­bar ist die­se Fehl­ein­stel­lung am feh­len­den Fer­sen­kon­takt mit der Fuß­ras­te. Kon­se­ku­tiv erhält der Ober­kör­per kei­ne Abstüt­zung durch eine adäqua­te Bein­auf­la­ge, son­dern das Becken wird über den Ober­schen­kel aus dem Sitz gehe­belt. Die dar­aus fol­gen­de Kypho­sie­rung hat man ver­sucht auf­zu­hal­ten, indem der Rück­win­kel geöff­net wur­de. Er steht nun zur Sitz­flä­che in einem Win­kel über 90°. Das gibt dem Becken zu viel Frei­heit, um nach hin­ten zu kip­pen und der Ent­wick­lung der im Bild sicht­ba­ren Kypho­sie­rung unge­hemmt Vor­schub zu leis­ten. Deut­li­ches Indiz dafür, dass die bereits sicht­ba­re Kypho­se noch nicht an ihrem Ent­wick­lungs­en­de ange­kom­men ist, sind die auf den Knien abge­leg­ten Hän­de. Sie nut­zen einen län­ge­ren Hebel zur Auf­rich­tung des Ober­kör­pers, als es beim Abstüt­zen der Ellen­bo­gen auf den Arm­leh­nen der Fall wäre. Auch hier wür­de der Ein­satz der Arme zum Antrei­ben des Roll­stuhls eine hohe Mus­kel­ar­beit zur Auf­rich­tung des Rump­fes not­wen­dig machen. Man erkennt, dass die HWS auf die Kypho­sie­rung der BWS mit Gegen­schwung reagiert, um die Blick­ach­se wie­der zu heben.

Beim Bei­spiel in Abbil­dung 4c ist die Sitz­tie­fe zu kurz und die Fuß­ras­te ist ein wenig zu hoch ein­ge­stellt. Letz­te­res gibt dem Becken einen sehr guten Dreh­im­puls nach hin­ten, der in Zusam­men­ar­beit mit der Rücken­leh­ne eine recht gute Auf­rich­tung für die Wir­bel­säu­le erreicht. Man sieht die­se Auf­rich­tung an der annä­hernd gesun­den Hal­tung der HWS. Aber die zu kur­ze Sitz­tie­fe und ein feh­len­des Kis­sen zum Lücken­schluss unter den Ober­schen­keln (sie­he im wei­te­ren Text­ver­lauf) las­sen die Bei­ne ohne Füh­rung. Sie fal­len nach außen. Auf die Dau­er führt der dadurch ent­ste­hen­de Kon­takt zwi­schen Ober­schen­kel und Sei­ten­teil sowie zwi­schen Unter­schen­kel und Fuß­ras­te zu Schmer­zen und sogar Druck­stel­len. Durch die Posi­ti­on der Unter­schen­kel ste­hen bei­de Knö­chel in Val­gusstel­lung. Die Fuß­ras­ten bie­gen sich unter dem zu hohen Druck der Bei­ne nach unten. Was an die­ser Stel­le sicht­bar an Druck auf den Fuß­ras­ten las­tet, fehlt phy­si­ka­lisch an Druck­ver­tei­lung im Gesäß­be­reich. Der Sitz­druck die­ses Pati­en­ten las­tet somit fast aus­schließ­lich auf den Tubern. Sol­che Fehl­an­pas­sun­gen sind nicht nur bei Ver­sor­gun­gen mit Leicht­ge­wicht- und Stan­dard­stüh­len zu fin­den. Es gibt sie auch bei Aktiv­roll­stuhl­ver­sor­gun­gen; vom Kin­des­al­ter bis zur Ger­ia­trie 3.

Wie eine adäqua­te Roll­stuhl­an­pas­sung aus­se­hen könn­te und wel­che all­ge­mein posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen sie hat, wird im Fol­gen­den auf­ge­führt. Die Abbil­dun­gen 5a und b zei­gen ergo­no­mi­sche und ortho­pä­disch-adäqua­te Roll­stuhl­an­pas­sun­gen hin­sicht­lich Modell­wahl, Abmes­sun­gen und Aufrichtung.

  • Die Bewe­gungs­ach­sen von Schul­ter, Ellen­bo­gen und Hand sind in eine ergo­no­misch nutz­ba­re Posi­ti­on zum Antriebs­rad gebracht, wel­che den krank­heits­bild­spe­zi­fi­schen Rest­funk­tio­nen ent­spricht. Nur so kann die Arm­kraft effi­zi­ent auf die Greif­rei­fen über­tra­gen werden.
  • Kör­per­schwer­punkt und Dreh­punkt des Stuhls sind den Rest­funk­tio­nen ent­spre­chend zuein­an­der gebracht, um den Roll­stuhl wen­dig zu hal­ten und den Roll­wi­der­stand zu minimieren.
  • Der Kör­per ist in eine ortho­pä­disch so gesun­de Posi­ti­on wie mög­lich auf­ge­rich­tet, die aber gleich­zei­tig den Hal­te­ap­pa­rat sowie die Rest­funk­tio­nen des Nut­zers nicht überfordert.

In der Abbil­dung 5a kann man am Ver­lauf der Hemd­fal­ten eine Kypho­sie­rung der BWS erken­nen. Die­se ist für einen Tetra­ple­gi­ker lei­der in Kauf zu neh­men, da er kei­ne sta­bi­li­sie­ren­de Rumpf­mus­ku­la­tur zur Ver­fü­gung hat. Ent­schei­dend für das Maß an „Gesund­heit“ die­ser Sitz­hal­tung ist die HWS, die bei die­sem Roll­stuhl­nut­zer nor­mal auf­ge­rich­tet ist und so die vol­le Kopf­be­weg­lich­keit ermög­licht. Das Gewicht der Arme, das sich beim Antrei­ben immer zusätz­lich an den Rumpf hängt, fällt durch die gute Auf­rich­tung des Nut­zers neu­tral (also nicht BWS-kol­la­bie­rend) aus. Dies ermög­licht ihm die Auf­recht­erhal­tung der pas­si­ven Auf­rich­tung des Ober­kör­pers. Die Bei­ne haben eine gute Füh­rung und die Sitz­brei­te ist so eng wie mög­lich gewählt, was die Fah­rer­go­no­mie unter­stützt. Auf die den Greif­be­reich stö­ren­den Arm­leh­nen wur­de ver­zich­tet. Die Fin­ger­spit­zen rei­chen bei hän­gen­den Armen über die Rad­na­be. Das heißt, der Hand-Rad-Abstand ist kor­rekt gewählt für eine opti­ma­le Kraftausnutzung.

Auf der Abbil­dung 5b wie­der­ho­len sich die soeben auf­ge­führ­ten Aspek­te einer guten Anpas­sung. Ent­spre­chend der Läh­mungs­hö­he mit voll erhal­te­ner Rumpf­mus­ku­la­tur ist kei­ne Kypho­sie­rung zu sehen und die Rücken­leh­ne deut­lich nied­ri­ger, um dem Ober­kör­per Bewe­gungs­frei­heit für Auf­rich­tung, Nei­gung und Rota­ti­on zu geben. Zusätz­lich kann man in der seit­li­chen Auf­nah­me gut erken­nen, dass sich die Ach­se der Antriebs­rä­der und damit der Dreh- und Kipp­punkt des Stuhls nah am Kör­per­schwer­punkt befin­den. Dies ent­spricht einem effi­zi­en­ten Fahr­ver­hal­ten des Stuhls 4. Die bei einer adäqua­ten Roll­stuhl­an­pas­sung gewähl­te Sitz­po­si­ti­on muss einem Kör­per zum einen Sta­bi­li­tät ver­lei­hen, denn nur aus der Sta­bi­li­tät des Ober­kör­pers her­aus kann die Kraft aus den Armen ent­wi­ckelt wer­den, um den Roll­stuhl anzu­trei­ben 5. Zum ande­ren muss die Sitz­po­si­ti­on eine Mobi­li­tät des Ober­kör­pers nach vor­ne und hin­ten ermög­li­chen, die wie­der­um den Rest­funk­tio­nen des Nut­zers ent­spre­chen soll­te. Damit wird gewähr­leis­tet, dass die­ser auf ver­schie­de­ne Pha­sen oder auf Zwi­schen­fäl­le beim Antrei­ben des Roll­stuhls reagie­ren kann (z. B.: Ver­än­de­rung der Kipp­nei­gung bei Stei­gun­gen und Hin­der­nis­sen, ers­ter Antriebs­schub nach Still­stand, Ver­la­ge­rung des Ober­kör­pers beim Brem­sen oder beim Rück­wärts­fah­ren). Das Sitz­kis­sen ist das­je­ni­ge Ele­ment bei der Roll­stuhl­ver­sor­gung, das das Ein­neh­men einer sol­chen Sitz­po­si­ti­on über­haupt erst ermög­licht und den Kör­per zudem bei der dyna­mi­schen Nut­zung des Roll­stuhls an die­ser Stel­le hält. Da die dyna­mi­sche Nut­zung des Roll­stuhls eine Grund­be­din­gung für die selbst­stän­di­ge Fort­be­we­gung und Mobi­li­tät ist, soll die­ser Punkt im Fol­gen­den ver­tie­fend betrach­tet werden.

„Antriebs­mo­tor Mensch“

Zur Siche­rung einer selbst­stän­di­gen Fort­be­we­gung im Roll­stuhl müs­sen zunächst die Antriebs­art und der Schwer­punkt zur indi­vi­du­el­len Antriebs­fä­hig­keit pas­sen (Arm­ein­satz, Fuß­ein­satz, Balance­fä­hig­keit, Reak­ti­ons­fä­hig­keit). Dar­über hin­aus müs­sen die Posi­tio­nen des mensch­li­chen „Motors“, die Ach­se des Antriebs­ra­des und die Höhe der Greif­rei­fen in ergo­no­misch nutz­ba­re Rela­tio­nen gebracht wer­den. Die Posi­ti­on des Kör­pers ist dabei unter Beach­tung der Ana­to­mie und der Art der Behin­de­rung für jeden Nut­zer eines Roll­stuhls sehr indi­vi­du­ell. Wur­de die opti­ma­le Posi­ti­on gefun­den, gilt es – unter Aus­nut­zung von im nächs­ten Schritt nun zu schaf­fen­den Druck­punk­ten und rich­tig gesetz­ten Hebeln – die Wir­bel­säu­le auf­zu­rich­ten. Dabei ent­ste­hen jedoch beson­de­re Drü­cke im Gesäß­be­reich, die ein ent­spre­chen­des, von Form und Mate­ri­al geeig­ne­tes Sitz­kis­sen auf­fan­gen muss. Dar­über hin­aus muss das Sitz­kis­sen die­se opti­ma­le Posi­ti­on sta­bi­li­sie­ren, indem es das Becken gegen Rut­schen sichert (Abb. 6a‑c).

Der „Antriebs­mo­tor Mensch“ basiert beim Antrei­ben des Roll­stuhl­ra­des auf einem kom­ple­xen Mus­kel­zu­sam­men­spiel rund um drei Bewe­gungs­zen­tren: Schul­ter, Ellen­bo­gen, Hand. Als hoch­be­weg­li­ches vier­tes Ele­ment wird auch noch der Ober­kör­per durch Seit­nei­gung, Vor­beu­gen und Auf­rich­tung in die Kraft­ent­wick­lung mit ein­be­zo­gen. All die­se Fak­to­ren beein­flus­sen über unter­schied­li­che Kraft­ent­fal­tungs­mög­lich­kei­ten und ent­ste­hen­de wir­ken­de Hebel­ar­me das letzt­end­lich am Greif­ring anset­zen­de Dreh­mo­ment. Der gesun­de Arm wird beim Antrei­ben von einem kom­ple­xen Zusam­men­spiel aller im Ober­kör­per befind­li­chen Mus­keln bewegt – nicht nur der Arm­mus­ku­la­tur. Man spricht daher von Mus­kel­ket­ten. Für die Antrei­be­be­we­gung kom­men bei einem voll funk­ti­ons­fä­hi­gen Ober­kör­per die Brust- und Schul­ter­mus­ku­la­tur, die Arm­beu­ger und Stre­cker, die Pro- und Supi­na­tio­ren der Hand und die Fin­ger­mus­ku­la­tur zum Ein­satz sowie die Rücken- und Bauch­mus­ku­la­tur 4 5 6.

Je nach Rela­ti­on des Ober­kör­pers zum Antriebs­rad wer­den bestimm­te Mus­keln in der Ket­te betont, ande­re abge­schwächt. So arbei­tet der gesun­de Arm, wenn er in eine ergo­no­misch sinn­vol­le Posi­ti­on zum Antriebs­rad gebracht wird, für die Ent­wick­lung des Haupt­schu­bes ten­den­zi­ell tri­zeps­be­tont, also unter Ein­satz einer star­ken Arm­stre­ckung. Je wei­ter der Nut­zer vor der Antriebs­rad­ach­se sitzt, des­to mehr wird der Haupt­schub vom Bizeps gene­riert. Je wei­ter er hin­ter der Ach­se sitzt, des­to mehr wer­den Schulter‑, Brust- und Bauch­mus­ku­la­tur akti­viert. Die­se Ver­la­ge­rung kann man beson­ders gut beim Renn­roll­stuhl beob­ach­ten 3 4.

Antrei­ben mit „unvoll­stän­di­ger“ Muskulatur

Einem Men­schen mit Behin­de­rung ste­hen oft­mals die kom­plet­ten Mus­kel­ket­ten nicht mehr zur Ver­fü­gung. Das bedeu­tet, dass die öko­no­misch bes­te Posi­ti­on für das Antrei­ben nun von den jewei­li­gen Rest­funk­tio­nen bestimmt wird. Wird dies nicht beach­tet, kann das die Mobi­li­tät des Roll­stuhl­nut­zers beein­träch­ti­gen. Bei Mul­ti­pler Skle­ro­se und Spas­tik lie­gen zum Bei­spiel neben Mus­kel­schwä­che zusätz­lich Koor­di­nie­rungs­schwie­rig­kei­ten inner­halb der Mus­kel­ket­te vor. Bei Mus­kel­dys­tro­phien schwin­det die Kraft der gesam­ten Ket­te. Es kommt zu Kom­pen­sa­ti­ons­be­we­gun­gen im Rumpf, um den Roll­stuhl wei­ter antrei­ben zu kön­nen, solan­ge dies dem Pati­en­ten noch mög­lich ist. Einem Tetra­ple­gi­ker hin­ge­gen feh­len in der Ket­te gan­ze Mus­kel­grup­pen im Arm sowie die gesam­te Rumpf­mus­ku­la­tur. Bei hoher Para­ple­gie sind die Arme intakt, aber der gesam­te Rumpf, als sta­bi­le Basis für die effek­ti­ve Nut­zung die­ser Arm­kraft, fehlt.

Für jedes Behin­de­rungs­bild ist daher die idea­le ergo­no­mi­sche Posi­ti­on zum Antriebs­rad eine ande­re und muss indi­vi­du­ell auf­ge­fun­den wer­den. Kann eine zum Antrei­ben idea­le Sitz­po­si­ti­on nicht gehal­ten wer­den, ver­lässt der Kör­per den für ihn ergo­no­misch effi­zi­en­ten Bereich über dem Rad. Damit ver­liert zwangs­läu­fig die Mus­kel­ket­te ihre bes­te Arbeits­po­si­ti­on und somit der Nut­zer einen Groß­teil sei­ner Mobi­li­tät. Abwei­chun­gen von nur 2 bis 4 cm von der indi­vi­du­el­len Ide­al-Posi­ti­on ent­schei­den im Extrem­fall voll­stän­dig über Umfang und Zeit einer selbst­stän­di­gen Fort­be­we­gung. Die ergo­no­misch idea­le Posi­ti­on ist sowohl in der Höhe des Kör­pers zum Antriebs­rad als auch im hori­zon­ta­len Abstand zur Rad­ach­se kor­rekt zu wäh­len. Die Achs­ver­stel­lung des Antriebs­ra­des des Roll­stuhls reicht nicht aus, um die­se Posi­ti­on zu errei­chen. Sie kann nur der Grob­ein­stel­lung die­nen, denn die Hoheit dar­über, ob die­se Posi­ti­on auch dau­er­haft gehal­ten wer­den kann, hat fast aus­schließ­lich das Sitzkissen.

Funk­ti­on des Sitz­kis­sens beim Hal­ten der Sitz­po­si­ti­on in der Fron­tal- und Sagittalebene

Das Ver­las­sen der geeig­ne­ten Sitz­po­si­ti­on kann sowohl vom Becken ein­ge­lei­tet wer­den als auch vom Oberkörper.

Vom Ober­kör­per

Ist der Ober­kör­per nicht geeig­net aus­ba­lan­ciert und/oder wer­den Drü­cke gegen die Rücken­leh­ne nicht abge­fan­gen, wird die­ser nach vor­ne kol­la­bie­ren. Durch das Kol­la­bie­ren kommt es zum einen zu einer für die Fahr­ei­gen­schaf­ten ungüns­ti­gen Schwer­punkt­ver­la­ge­rung vor den Kipp­punkt des Stuhls. Zum ande­ren wer­den durch die Vor­nei­gung zusätz­lich die Schul­tern in eine unge­eig­ne­te Posi­ti­on zum Antriebs­rad gebracht. Das­sel­be gilt für eine Seit­nei­gung des Rump­fes, was eine Late­ral­ver­schie­bung der Arm­kraft zur Fol­ge hat sowie eine zwangs­läu­fi­ge Kypho­sie­rung der BWS (durch die Band­ver­bin­dun­gen der Facet­ten­ge­len­ke 5 mit den bereits beschrie­be­nen Fol­gen für Schwer­punkt und Schulterposition).

Vom Becken

Bei einem vom Becken ein­ge­lei­te­ten Ver­las­sen der Sitz­po­si­ti­on han­delt es sich um die nicht auf­ge­hal­te­ne, dem ange­lehn­ten Sit­zen imma­nen­te Rutsch­ten­denz des Beckens nach vor­ne. Die­se geschieht meist als Kom­pen­sa­ti­on einer vom Nut­zer nicht halt­ba­ren, zu akti­ven Sitz­po­si­ti­on oder ande­rer Anpas­sungs­feh­ler z. B. im Sitz­ge­fäl­le oder in der Rücken­leh­nen­ein­stel­lung (Winkel/Höhe/Form). Bei­den Aus­lö­se­me­cha­nis­men für das Zusam­men­sin­ken des Ober­kör­pers – sowohl vom Ober­kör­per als auch vom Becken ein­ge­lei­tet – kann mit dem Ein­satz eines geeig­ne­ten Sitz­kis­sens begeg­net werden.

Dies gelingt fol­gen­der­ma­ßen: Sitzt ein Kör­per auf einer waa­ge­rech­ten Unter­la­ge in 90°-Hüftbeugung und 90-Knie­win­kel, beginnt er in weni­gen Sekun­den nach vor­ne zusam­men­zu­sin­ken. Das liegt dar­an, dass in die­ser Posi­ti­on alle der Wir­bel­säu­le anhän­gen­den Gewich­te (Gesichts­schä­del, Arme, Brust, Brust­korb) vor dem funk­tio­nel­len Dreh­punkt der Wir­bel­säu­le lie­gen. Das Lot die­ser Gewich­te wirkt über die Wir­bel­säu­le am lan­gen Hebel auf das Becken und dreht die­ses nahe­zu wider­stands­los nach hin­ten. Der Kör­per sackt infol­ge zusam­men. Kein Sitz­kis­sen und kei­ne Lor­do­se­stüt­ze kön­nen die­se Wir­kung des Ober­kör­per­ge­wichts auf das Becken auf­hal­ten und den Kör­per in die­ser Posi­ti­on auf­ge­rich­tet hal­ten. Aller­dings ist nach Ansicht der Autorin der Ein­satz einer Begur­tung an die­ser Stel­le ver­früht und inakzeptabel.

Um die­se wir­ken­den Gewich­te zu neu­tra­li­sie­ren, muss als ers­te Maß­nah­me einer Roll­stuhl­an­pas­sung das Aus­ba­lan­cie­ren die­ser von oben auf das Becken wir­ken­den Gewich­te erreicht wer­den. Das Ziel die­ses ers­ten Anpas­sungs­schrit­tes ist, ein labi­les Gleich­ge­wicht zu schaf­fen. Dies geschieht durch eine leich­te Kip­pung der gesam­ten Sitz­ein­heit nach hin­ten. Dar­an anschlie­ßend wird über die Bei­ne ein Impuls auf das Becken gege­ben, der die­ses in Rich­tung Rücken­leh­ne dreht. Dies geschieht über die Anhe­bung der Fuß­ras­ten, bis die Knie­ge­len­ke leicht über den Hüft­ge­len­ken ste­hen (Abb. 7a‑c). Die Dre­hung des Beckens nach hin­ten lässt den Ober­kör­per kon­se­ku­tiv in die­se Rich­tung fol­gen, wo die­ser nun auf die Rücken­leh­ne trifft. Der so geschaf­fe­ne Druck­punkt des Ober­kör­pers gegen die Rücken­leh­ne wird mit­tels einer anpass­ba­ren Rücken­be­span­nung auf­ge­fan­gen und unter Aus­nut­zung bio­me­cha­ni­scher Hebel­wir­kun­gen durch Rücken­hö­he und Rücken­winkel in eine Auf­rich­tung umge­lei­tet. Nach die­sen bei­den Maß­nah­men sitzt der Nut­zer auf­ge­rich­tet. Er ist in der Lage, sei­ne Arme zwecks Fort­be­we­gung am Greif­ring ein­zu­set­zen, sei­nen Rumpf zu dre­hen, sich anzu­leh­nen und er kann sich bei Bedarf mit wenig Kraft­auf­wand nach vor­ne nei­gen, da er nicht zu stark gegen die Rücken­leh­ne gepresst wird.

Durch das Hoch­stel­len der Bei­ne wird jedoch eine Lücke zwi­schen Ober­schen­kel und Sitz­flä­che geschaf­fen und somit der Druck hin zu den Sitz­bei­nen (Tuber Ischii) ver­la­gert. Zudem wur­de das Ober­kör­per­ge­wicht durch die Auf­rich­tung senk­rech­ter über die Tuber Ischii gebracht als zuvor und damit der Druck auf die­se aber­mals erhöht. Das heißt, der Nut­zer ist in die­ser Posi­ti­on stär­ker deku­bi­tus­ge­fähr­det als in der Aus­gangs­po­si­ti­on. Ohne eine Druck­ver­tei­lung kann der Nut­zer die­se Sitz­po­si­ti­on nicht ein­neh­men. Das Sitz­kis­sen muss die Lücke unter den Ober­schen­keln schlie­ßen, um Gewicht auf­zu­neh­men und den Druck auf die Sitz­bei­ne wie­der zu reduzieren.

Um die­se Lücke schlie­ßen zu kön­nen, muss das Kis­sen ana­to­misch ange­formt sein, inso­fern als die vor­de­re Kis­sen­hälf­te 2 – 3 cm höher ist als die hin­te­re. Der Gesäß­be­reich wird somit gegen­über den Bei­nen in eine vor­ge­form­te Mul­de abge­senkt. Das gewähl­te Kis­sen­ma­te­ri­al soll­te unter den Tubern den indi­vi­du­ell not­wen­di­gen Deku­bi­tus­schutz bie­ten; gege­be­nen­falls auch mit Hybrid­tech­nik (Abb. 8a‑c).

Wei­ter­hin besteht aber auch noch die Rutsch­ten­denz des Beckens, die dem ange­lehn­ten Sit­zen imma­nent ist, unge­hin­dert fort. Da durch die oben beschrie­be­nen Anpas­sungs­schrit­te der Kör­per auf eine gewis­se Wei­se zwi­schen Sitz­flä­che und Rücken­leh­ne auf­ge­spannt wur­de, hat sich die­se gegen­über der Aus­gangs­po­si­ti­on (Abb. 8a‑c) noch ver­stärkt. Ohne eine Maß­nah­me zur Rutsch­hem­mung wird der Nut­zer die Sitz­po­si­ti­on nicht hal­ten kön­nen. Die­se Rutsch­ten­denz kann wie­der­um durch ein vor­ne erhöh­tes Sitz­kis­sen effek­tiv abge­fan­gen wer­den. Mit einem Stan­dard­kis­sen, wie in der Ver­sor­gung von Ger­ia­trie- und Mul­ti­ple-Skle­ro­se-Pati­en­ten oft­mals üblich, wird dies nicht erreicht. Neben­bei bemerkt, kann auch der mit dem jewei­li­gen Mate­ri­al des Sitz­kis­sens ange­streb­te Deku­bi­tus­schutz erst dann zu 100% wir­ken, wenn Scher- und Rei­bungs­kräf­te durch die Auf­he­bung der Rutsch­ten­denz des Beckens besei­tigt sind.

Fazit

Erst durch ein geeig­ne­tes Sitz­kis­sen kann eine ortho­pä­disch-gesun­de Auf­rich­tung des sit­zen­den Kör­pers erreicht wer­den, ohne ein gestei­ger­tes Deku­bi­tus­ri­si­ko und/oder einen Schmerz zu pro­vo­zie­ren. Die auf­rech­te Posi­ti­on dient dem lang­fris­ti­gen Gesund- und Funk­ti­ons­er­halt des Ske­letts. Das Sitz­kis­sen soll­te dazu ana­to­misch vor­ge­formt sein oder die gewähl­ten Mate­ria­li­en soll­ten eine ent­spre­chen­de For­mung durch den Kör­per zulassen.

Die kor­rek­te Posi­ti­on des Ober­kör­pers zum Antriebs­rad ist essen­zi­ell für die Antrei­be­fä­hig­keit des Nut­zers eines Roll­stuhls. Dabei ermög­li­chen eine hin­rei­chen­de Sta­bi­li­tät des Ober­kör­pers die Kraft­ent­fal­tung und die Posi­ti­on des Ober­kör­pers die Effi­zi­enz der Kraft­auf­brin­gung auf das Rad. Das Hal­ten die­ser Posi­ti­on ermög­licht wie­der­um das Sitz­kis­sen durch die Auf­rich­tung und die Eli­mi­nie­rung der immer vor­han­de­nen Rutsch­ten­denz des Beckens. Ein Sitz­kis­sen ist somit nicht nur ein Mit­tel zur Deku­bi­tus­pro­phy­la­xe und kein sub­si­diä­res Bei­werk einer Roll­stuhl­an­pas­sung. Es stellt nach Ansicht der Autorin viel­mehr ein zen­tra­les Ele­ment zur Gesund­erhal­tung und Mobi­li­täts­si­che­rung nach ortho­pä­di­schen, ergo­no­mi­schen und kraft­öko­no­mi­schen Gesichts­punk­ten dar.

Die Autorin:
Nina Sören­sen, Dortmund
Phy­sio­the­ra­peu­tin mit Spezialisierung
auf Quer­schnitt­läh­mung
seit 2002 tätig in der Rollstuhlanpassung
seit 2005 Refe­ren­tin für div. Themen
rund um Rollstuhlversorgung
nina.soerensen@web.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Sören­sen N. Ist ein Sitz­kis­sen nur Deku­bi­tus­pro­phy­la­xe? Ortho­pä­die Tech­nik, 2021; 72 (9): 50–57
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  6. Tit­tel K. Beschrei­ben­de und funk­tio­nel­le Ana­to­mie. 16. über­ar­bei­te­te und erwei­ter­te Auf­la­ge, Mün­chen: Kie­ner Ver­lag, 2016, Kap.8, 9 und 10
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