Auto­fah­ren trotz Mobilitätseinschränkung

Ein eigenes Auto zu besitzen und zu fahren zählt für die Mehrzahl der Menschen in unserem Land zu den Selbstverständlichkeiten des Lebens. Für Menschen mit körperlichen Einschränkungen hat dieses Stück individuelle Freiheit aus vielerlei Gründen einen besonders hohen Stellenwert. Auf dem Weg dorthin gilt es allerdings einige Hürden zu überwinden.

Es ist noch gar nicht so lan­ge her, da waren der Erwerb des Füh­rer­scheins und das ers­te Auto ganz selbst­ver­ständ­li­che Etap­pen auf dem Weg ins Erwach­se­nen­da­sein. Die­ses Bild hat sich gewan­delt. Das Auto als Sta­tus­sym­bol und Ver­kör­pe­rung indi­vi­du­el­ler Frei­heit ist längst nicht mehr so ange­sagt wie noch vor 20 oder 30 Jah­ren. Alter­na­ti­ve Mobi­li­täts­for­men sind im Auf­wind. Dazu zäh­len Car­sha­ring-Kon­zep­te, zuneh­mend bes­ser aus­ge­bau­te Ange­bo­te des öffent­li­chen Nah­ver­kehrs und ver­gleichs­wei­se preis­güns­tig ver­füg­ba­re Miet­fahr­zeu­ge. Und, nicht zu ver­ges­sen, natür­lich aller­lei elek­tri­fi­zier­te Zwei­rä­der für kur­ze Distanzen.

Min­der­heit bleibt außen vor

Von all die­sen Ent­wick­lun­gen sind Men­schen mit Mobi­li­täts­ein­schrän­kung weit­ge­hend aus­ge­schlos­sen. Anders als etwa in den USA sind auf Hand­be­trieb umge­rüs­te­te PKW bei deut­schen Auto­ver­lei­hern abso­lu­te Exo­ten und auch Car­sha­ring-Anbie­ter igno­rie­ren die Nach­fra­ge nach sol­chen Ange­bo­ten. Es bleibt dabei: Für Men­schen mit Mobi­li­täts­ein­schrän­kung, vor allem für Rollstuhlnutzer:innen, gibt es zum eige­nen PKW prak­tisch kei­ne Alter­na­ti­ve. Dies auch vor dem Hin­ter­grund, dass es um die bar­rie­re­freie Nutz­bar­keit der öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel in unse­rem Land längst nicht so gut bestellt ist, wie State­ments der Betrei­ber und poli­ti­schen Ent­schei­der ger­ne glau­ben machen wollen.

So nimmt es nicht Wun­der, dass sich eine flo­rie­ren­de Indus­trie des The­mas „Anpas­sung von Autos an die spe­zi­el­len Bedürf­nis­se von Men­schen mit Behin­de­rung“ ange­nom­men hat und die­se Ziel­grup­pe mit viel­fäl­ti­gen Ange­bo­ten umwirbt. Wer sich mit die­ser Mate­rie erst­mals befasst, hat es nicht leicht, sich einen Über­blick zu verschaffen.

Wer zahlt was?

Am Anfang aller Über­le­gun­gen steht die Ermitt­lung des kon­kre­ten Bedarfs. Ein Quer­schnitt­ge­lähm­ter mit unein­ge­schränk­ter Hand‑, Arm- und Ober­kör­per­funk­ti­on braucht ande­re Fahr­zeug­an­pas­sun­gen als ein Fahr­zeug­len­ker, dem Glied­ma­ßen feh­len, ein Mus­kel­dys­tro­phi­ker ande­re Assis­tenz­sys­te­me als ein Tetra­ple­gi­ker. Tech­nisch mach­bar ist vie­les und im Ein­zel­fall kann die Spann­brei­te zwi­schen einer Mini­mal­um­rüs­tung und der maxi­ma­len Kom­fort­lö­sung groß sein. Wie über­all im Leben spie­len dabei natür­lich die Finan­zen eine gro­ße Rol­le. Dabei geht es nicht allein um die auf­zu­wen­den­den Mit­tel für einen sol­chen Fahr­zeug­um­bau an sich, son­dern vor allem dar­um, wer die­se Kos­ten trägt. Denn je nach Rechts­la­ge kom­men unter­schied­li­che Kos­ten­trä­ger für die Umrüs­tun­gen auf oder auch nicht. Die­se Mate­rie ist sehr kom­plex und in aller Regel ist fach­kun­di­ge Unter­stüt­zung anzu­ra­ten, bevor das Werk in Angriff genom­men wird. Dies auch vor dem Hin­ter­grund, dass, wenn ein Kos­ten­trä­ger ein­springt, die­ser auch mit­be­stimmt, wel­che Art von Anpas­sung durch­ge­führt wer­den muss, wofür die Kos­ten über­nom­men wer­den und wofür nicht.

Luxu­ri­ös oder sparsam?

Eine der am häu­figs­ten vor­ge­nom­me­nen Modi­fi­ka­tio­nen dürf­te die Umrüs­tung eines Fahr­zeugs auf rei­nen Hand­be­trieb sein, wie sie zum Bei­spiel Para­ple­gi­ker benö­ti­gen. Gas und Brem­se wer­den per Hand bedien­bar gemacht, unter Umstän­den müs­sen Bedien­ele­men­te für Licht, Blin­ker, Schei­ben­wi­scher etc. ange­passt wer­den. Und natür­lich bedarf es eines Fahr­zeugs mit Auto­ma­tik­ge­trie­be. Mit einer sol­chen Mini­mal­um­rüs­tung ist ein Fahr­zeug fahr­bar, die Roll­stuhl­ver­la­dung kann manu­ell erfol­gen, indem nach dem Umsit­zen hin­ter das Lenk­rad die Räder vom Roll­stuhl abge­nom­men wer­den und das ver­blei­ben­de Chas­sis des Roll­stuhls zusam­men­ge­fal­tet und nach den Rädern ent­we­der auf dem Bei­fah­rer­sitz oder dahin­ter ver­staut wird. Kom­for­ta­bler ist natür­lich ein elek­tri­scher Ein­zug. Die am häu­figs­ten zum Ein­satz kom­men­de Bau­art besteht aus einem Grei­fer, in den der zusam­men­ge­fal­te­te Roll­stuhl ein­ge­hängt und sodann hin­ter den Fah­rer­sitz ein­ge­zo­gen wird. Dafür wird die hin­te­re Fahr­zeug­tür durch eine Schwenk­tür ersetzt. Der Preis für die­sen Kom­fort ist der Ver­lust von min­des­tens zwei Sitz­plät­zen in der zwei­ten Rei­he. Je nach Sys­tem ver­rin­gert sich auch das Kof­fer­raum­vo­lu­men gering­fü­gig. Eher exo­tisch sind Lösun­gen mit Greif­ar­men, die den Roll­stuhl in den Kof­fer­raum ver­frach­ten oder in Dach­bo­xen verstauen.

Mehr Platz – mehr Möglichkeiten

Deut­lich auf­wen­di­ger sind Fahr­zeug­um­bau­ten, die den Ein­stieg ins Auto per Roll­stuhl über eine Ram­pe ermög­li­chen. Zum einen ist dafür ein ent­spre­chend geräu­mi­ges Fahr­zeug nötig, zum ande­ren gege­be­nen­falls eine Innen­raum­mo­di­fi­ka­ti­on, die das Ansteu­ern des Fah­rer­plat­zes oder – falls nicht selbst gefah­ren wird – des Bei­fah­rer­plat­zes im eige­nen Roll­stuhl gestat­tet. Dies kommt in Betracht für Nut­zer, die wegen gerin­ger Kör­per­kraft oder Beweg­lich­keit nicht vom Roll­stuhl auf den Fah­rer­sitz wech­seln kön­nen. In der Regel wer­den bei die­sem Lösungs­an­satz wei­te­re Modi­fi­ka­tio­nen erfor­der­lich, zum Bei­spiel eine beson­ders leicht­gän­gi­ge Ser­vo­len­kung in Kom­bi­na­ti­on mit einem Dreh­knauf oder einer Gabel, die das Len­ken auch bei ein­ge­schränk­ter Hand­funk­ti­on ermög­licht. Belieb­te Fahr­zeu­ge für sol­che Umbau­ten sind Vans und Bus­se, weil sie den nöti­gen Platz zur Ver­fü­gung stel­len. Aller­dings bie­ten auch die­se Fahr­zeu­ge nicht immer die für eine sol­che Nut­zung erfor­der­li­che Innen­raum­hö­he, sodass je nach­dem der Fahr­zeug­bo­den noch tie­fer­ge­legt wer­den muss – eine sehr auf­wen­di­ge Angelegenheit.

Kom­fort ab Werk

Ein Kapi­tel für sich ist die Hand­ha­bung der zahl­rei­chen Zusatz­funk­tio­nen wie Licht, Fest­stell­brem­se, Blin­ker, Schei­ben­wi­scher, Hupe – kurz, aller Bedien­vor­gän­ge, die der Fahr­si­cher­heit die­nen und die jeder­zeit rei­bungs­los und ohne Ablen­kung vom Ver­kehrs­ge­sche­hen aus­führ­bar sein müs­sen. Eine Opti­on für die Lösung des Pro­blems sind soge­nann­te Bedien­sa­tel­li­ten. Inte­griert ent­we­der in einen Knauf am Lenk­rad oder in den Zieh- und Schie­be­griff für die Gas/Bremsenbetätigung ermög­li­chen die­se die Ansteue­rung die­ser Funk­tio­nen auf Knopf­druck, ohne dass dafür die Hän­de vom Lenk­rad bzw. Gas­he­bel genom­men wer­den müssen.

Auch hat die Tech­nik der Sprach­er­ken­nung in den zurück­lie­gen­den Jah­ren gro­ße Fort­schrit­te gemacht, sodass inzwi­schen Sprach­steue­rungs­sys­te­me exis­tie­ren, die die Aus­füh­rung die­ser Funk­tio­nen per gespro­che­nem Befehl ermög­li­chen, ohne dass der Fah­rer dafür einen Fin­ger rüh­ren muss. Ein Trend, der sich immer mehr durch­setzt: Inzwi­schen bie­ten zahl­rei­che Her­stel­ler Sprach­steue­rungs­sys­te­me für ganz nor­ma­le Fahr­zeu­ge schon ab Werk an. Über­haupt spielt der Trend zum auto­no­mem Fah­ren Men­schen mit Han­di­cap in die Hän­de. Unter­des­sen wird eine Viel­zahl von Assis­tenz­sys­te­men ange­bo­ten und mehr und mehr zum Stan­dard, die für Ver­kehrs­teil­neh­mer mit Ein­schrän­kun­gen vie­le Vor­tei­le mit sich brin­gen, etwa Funk­tio­nen wie Tem­po­mat, Abstands­ra­dar, Spur­hal­te­as­sis­tent, Ver­kehrs­zei­chen­er­ken­nung, auto­ma­ti­sche Fern­licht­funk­ti­on, sen­sor­ge­steu­er­te Schei­ben­wi­scher oder Stand­hei­zun­gen, die ein Frei­krat­zen der Fahr­zeug­schei­ben im Win­ter über­flüs­sig machen. Vie­le Funk­tio­nen, die frü­her für viel Geld nach­ge­rüs­tet wer­den muss­ten, gehö­ren mehr und mehr zur Stan­dard­aus­stat­tung moder­ner Fahrzeuge.

Sogar die Hand­be­dien­bar­keit von Gas und Brem­se ist nicht mehr not­wen­di­ger­wei­se eine Auf­ga­be für Nach­rüst­be­trie­be. Etli­che Fahr­zeug­an­bie­ter koope­rie­ren mit Fach­un­ter­neh­men und bie­ten ein­fa­che Modi­fi­ka­tio­nen für die spe­zi­el­le Kli­en­tel schon ab Werk im Neu­wa­gen an.

Spe­zia­lis­ten­sa­che blei­ben indes Aus­rüs­tun­gen, die spe­zi­el­le Anfor­de­run­gen erfül­len müs­sen und sol­che, die auf indi­vi­du­el­le Vor­lie­ben der Fahr­zeug­len­ker ein­ge­hen. Dazu zäh­len sowohl so hoch­kom­ple­xe Bedi­en­sys­te­me wie Joy­stick­steue­run­gen als auch zum Bei­spiel die Bedie­nung der Gas­pe­dal­funk­ti­on per ins Lenk­rad inte­grier­tem Gas­ring anstel­le der wei­ter ver­brei­te­ten Hebellösung.

Ver­nunft­lö­sung vs. Traumauto?

Anders als bei nicht ein­ge­schränk­ten Kauf­in­ter­es­sen­ten steht bei Men­schen mit Mobi­li­täts­ein­schrän­kung bei der Wahl des Fahr­zeug­typs des­sen Eig­nung für den erfor­der­li­chen Umbau an ers­ter Stel­le. Das heißt zwar nicht, dass per­sön­li­che Vor­lie­ben außen vor blei­ben müss­ten. Aber es ist nun mal nicht von der Hand zu wei­sen, dass das Mit­füh­ren eines Roll­stuhls einen gewis­sen zusätz­li­chen Platz­be­darf mit sich bringt und dass genü­gend Bewe­gungs­spiel­raum auch das Ein­stei­gen in ein Fahr­zeug erleich­tert. Vor die­sem Hin­ter­grund erstaunt es nicht, dass vie­le Rollstuhlnutzer:innen eher prak­ti­sche als sport­li­che Fahr­zeu­ge bevor­zu­gen. Und nicht zu ver­ges­sen: Bei Fahr­zeu­gen, die ab Werk mit Schie­be­tü­ren aus­ge­rüs­tet sind, ent­fällt der tech­nisch und wirt­schaft­lich auf­wen­di­ge Aus­tausch der hin­te­ren Fahr­zeug­tür durch eine Schwenktür.

E‑Mobilität wirft Pro­ble­me auf

Künf­tig wer­den sol­che Über­le­gun­gen noch deut­lich mehr an Bedeu­tung gewin­nen. Der fort­schrei­ten­de Trend weg von Fahr­zeu­gen mit Ver­bren­nungs­mo­tor hin zu Elek­tro­fahr­zeu­gen geht ein­her mit neu­en Fahr­zeug­kon­zep­ten, die Umrüs­ter vor neue Her­aus­for­de­run­gen stel­len. Gera­de in den bei Roll­stuhl­nut­ze­rin­nen und ‑nut­zern belieb­ten Groß­raum­li­mou­si­nen und Vans geht der Trend dahin, die volu­mi­nö­sen Bat­te­rie­pa­ke­te im Unter­bo­den zu ver­stau­en. Damit ent­fällt für Umrüs­ter die Mög­lich­keit, den Fahr­zeug­bo­den abzu­sen­ken, um so die nöti­ge Innen­raum­hö­he erzie­len zu kön­nen. Das könn­te für die Zukunft bedeu­ten, dass die Zahl der infra­ge kom­men­den Neu­fahr­zeu­ge, die sich für eine Fahr­zeug­um­rüs­tung eig­nen, verringert.

Eine wei­te­re tech­ni­sche Ent­wick­lung, die Fahr­zeug­um­rüs­tern ihr Hand­werk erschwert, ist der Trend zu immer kom­ple­xe­ren elek­tro­ni­schen Sys­te­men, wie sie unter ande­rem für auto­no­mes Fah­ren erfor­der­lich sind. Die­se in Ein­klang mit den eben­falls sehr kom­ple­xen elek­tro­ni­schen Nach­rüs­tun­gen zu brin­gen, ist eine Herausforderung.

Last but not least soll­ten auch noch ein paar ganz bana­le prak­ti­sche Über­le­gun­gen bei der Wahl des Fahr­zeugs Pate ste­hen. Zur­zeit sind etwa vie­le Elek­tro­tank­stel­len noch nicht auf die Anfor­de­run­gen von Men­schen mit Mobi­li­täts­ein­schrän­kung ein­ge­rich­tet (der PARA­ple­gi­ker berich­te­te in Aus­ga­be 1/2022 über das Pro­blem). In Kom­bi­na­ti­on mit der im Ver­gleich zu einem Ver­bren­ner immer noch rela­tiv gerin­gen Reich­wei­te pro Tank­vor­gang bringt das für Rollstuhlfahrer:innen eine nicht zu unter­schät­zen­de Erschwer­nis der Fahr­zeug­nut­zung mit sich.

Mit dem Auto­fah­ren ver­hält es sich für Men­schen mit Han­di­cap des­halb nicht anders als mit vie­len ande­ren Lebens­be­rei­chen auch. Teil­ha­be ist mög­lich, erfor­dert aber sorg­fäl­ti­ge Pla­nung und inten­si­ve Beschäf­ti­gung mit der Materie.

Wer­ner Pohl

Die­ser Arti­kel ist ursprüng­lich erschie­nen im Para­ple­gi­ker, Aus­ga­be 03/2023.

 

 

Tei­len Sie die­sen Inhalt