Betriebs­über­ga­be: Ler­nen loszulassen

Orthopädieschuhmacher-Meister Arno Eschbach führte 29 Jahre lang sein Unternehmen „Eschbach Orthopädie Schuhtechnik“ mit 23 Mitarbeitern an zuletzt fünf Standorten in Hünfeld, Fulda und Umgebung. Im Gespräch mit der OT-Redaktion berichtet er über den langen Weg vom Entschluss, den Betrieb abzugeben, bis zur endgültigen Übergabe an das Marburger Sanitätshaus Kaphingst im September 2019, das damals 17 Filialen hatte.

OT: Ab wann haben Sie sich mit dem Gedan­ken einer Fir­men­nach­fol­ge getragen?

Arno Esch­bach: Das The­ma Nach­fol­ge habe ich lan­ge vor mir her­ge­scho­ben. Erst mit 59 Jah­ren, also 2017, ließ ich die Gedan­ken dar­an zu. Da mei­ne Frau und ich kei­ne eige­nen Kin­der haben, fiel eine inner­fa­mi­liä­re Über­ga­be als Opti­on aus. Es lief daher zunächst auf eine inner­be­trieb­li­che Nach­fol­ge hin­aus: Einer unse­rer lang­jäh­ri­gen Mit­ar­bei­ter, der bereits bei uns sei­ne Aus­bil­dung absol­viert hat­te und inzwi­schen Ortho­pä­die-Tech­nik in Müns­ter stu­dier­te und den Meis­ter­brief besaß, zeig­te Inter­es­se an einer Über­nah­me. Aber als alles bespro­chen und durch­ver­han­delt war, trat er auf Wunsch sei­ner Fami­lie von der Geschäfts­über­nah­me zurück. Das war anfangs sehr ent­täu­schend und ein Schock für mei­ne Frau und mich. Schließ­lich haben wir gemein­sam die Fir­ma auf­ge­baut. Daher wis­sen wir aber auch, dass ein Unter­neh­men ohne die Unter­stüt­zung der Fami­lie nicht zu lei­ten ist.

Neu­tra­ler Blick vom Unternehmensberater

OT: Wie gin­gen Sie die Suche nach einem exter­nen Nach­fol­ger an?

Esch­bach: Wir hol­ten uns Unter­stüt­zung bei unse­rem lang­jäh­ri­gen Unter­neh­mens­be­ra­ter. Aus mei­ner berufs­po­li­ti­schen Tätig­keit wuss­te ich zwar theo­re­tisch, dass ein exter­ner Inter­es­sent vor allem Markt­an­tei­le und Fach­per­so­nal kauft, wenn er einen Betrieb erwirbt. Den­noch bewer­te­te ich als Inha­ber mein Unter­neh­men viel zu emo­tio­nal, schätz­te den Wert der Fir­ma zu hoch ein. Für eine der fünf Filia­len hat­te ich bei­spiels­wei­se als Hob­by­schrei­ner die gesam­te Ein­rich­tung gebaut. Mir war klar, ein exter­ner Käu­fer hat sein eige­nes Laden­bau­kon­zept und wird mei­ne Kon­struk­ti­on nicht über­neh­men. Den­noch schmerz­te es mich, als beim Besich­ti­gungs­rund­gang über den Abbau mei­ner Laden­ein­rich­tung gespro­chen wur­de. Die­se Gefüh­le fing unser Unter­neh­mens­be­ra­ter auf. Er warf einen neu­tra­len Blick auf das Unter­neh­men und half uns, unse­re Emo­tio­nen zurück­zu­stel­len, an die Bedürf­nis­se poten­zi­el­ler Käu­fer zu den­ken und einen rea­lis­ti­schen Ver­kaufs­preis auf­zu­ru­fen, mit dem wir in die Ver­hand­lun­gen gehen konnten.

OT: Auf wel­cher Grund­la­ge ent­stand die­ser Verkaufspreis?

Esch­bach: Als Grund­la­ge dien­te der durch­schnitt­li­che Gewinn vor Zin­sen und Steu­ern aus den letz­ten fünf Jah­ren, also der EBIT (Ear­nings Befo­re Inte­rest and Taxes, Anm. d. Red.) mul­ti­pli­ziert mit einem Fak­tor, der zwi­schen drei und sie­ben lie­gen kann. Eine sol­che Basis kann ich nur emp­feh­len, denn die­se Zah­len zei­gen das Unter­neh­mens­po­ten­zi­al und geben bei­den Sei­ten eine gewis­se Sicher­heit, mit einem rea­lis­ti­schen Wert zu arbei­ten. Das ist wich­tig, weil es ja nie eine Garan­tie für Käu­fer gibt. Den­ken Sie an Coro­na. Das Unter­neh­men wur­de ohne Immo­bi­li­en ver­äu­ßert. Hät­te ich nicht im Herbst 2019 ver­kauft, hät­te ich bei einem spä­te­ren Ver­kauf ent­we­der mit erheb­li­chen Ver­lus­ten rech­nen oder min­des­tens wei­te­re fünf Jah­re auf einen Ver­kauf ver­zich­ten müs­sen. Im Übri­gen kann ich Kol­le­gen, die sich der­zeit mit ihrer Nach­fol­ge beschäf­ti­gen, von Model­len wie Ver­ren­tung oder Betei­li­gung nur abra­ten. Das ist alles nicht attrak­tiv genug für etwa­ige Nachfolger.

Kei­ne rei­nen Umsatz­in­ter­es­sen erwünscht

OT: Wie haben Sie Ihren Nach­fol­ger gefunden?

Esch­bach: Ganz klas­sisch: Unser Unter­neh­mens­be­ra­ter ver­öf­fent­lich­te eine Aus­schrei­bung, ohne zu viel über unser Unter­neh­men zu ver­ra­ten. Das war wich­tig, weil bereits Gerüch­te um einen Ver­kauf oder eine anste­hen­de Nach­fol­ge den Preis sin­ken las­sen. Des­halb muss­ten wir unse­re Absich­ten vor den eige­nen Mit­ar­bei­tern lan­ge geheim hal­ten. Das war der wahr­schein­lich schwie­rigs­te und emo­tio­nals­te Abschnitt des Pro­zes­ses. Denn ohne mei­ne Sekre­tä­rin zum Bei­spiel war ich auf­ge­schmis­sen. Für die Ver­hand­lun­gen und den Über­ga­be­pro­zess muss­te ich unend­lich vie­le Papie­re vor­le­gen, dar­un­ter alle Arbeits­ver­trä­ge, Leasingverpichtungen usw., die ich ohne sie gar nicht gefun­den hät­te. Wenn sich eine mög­li­che Über­ga­be her­um­spricht und dann schief­geht, ist der Betrieb tot.

OT: Wie vie­le Bewer­ber haben sich auf die Aus­schrei­bung gemeldet?

Esch­bach: Ins­ge­samt 14. Aller­dings kamen davon nur drei in Fra­ge, denn mei­ne Frau und ich woll­ten unser in 29 Jah­ren auf­ge­bau­tes Unter­neh­men kei­nem aus­schließ­lich von Umsatz­in­ter­es­sen getrie­be­nen Bewer­ber anver­trau­en. Dafür haben wir nicht all die Jah­re geschuf­tet. Mit zwei Fir­men gin­gen wir dann in Verhandlungen.

OT: Was waren Ihre wich­tigs­ten Kri­te­ri­en bei der Auswahl?

Esch­bach: Für mich waren drei Kri­te­ri­en ent­schei­dend: Die Nach­fol­ger soll­ten Filia­len füh­ren kön­nen, mei­ne 23 Mit­ar­bei­ter über­neh­men und ein Kon­zept zur Unter­neh­mens­ent­wick­lung vor­le­gen, das auf einen Per­so­nal­ab­bau ver­zich­tet sowie den Ange­stell­ten eine Per­spek­ti­ve bietet.

OT: War­um fiel die Ent­schei­dung auf das Mar­bur­ger Sani­täts­haus Kaphingst?

Esch­bach: Boris Pich­ler, der geschäfts­füh­ren­de Gesell­schaf­ter der Kaphingst GmbH, erfüll­te all die­se Kri­te­ri­en. Zudem konn­te er den Mit­ar­bei­tern sogar Per­spek­ti­ven bie­ten, die sie bei mir nicht hat­ten. Hin­zu kam mein Bauch­ge­fühl. Im Lau­fe der Ver­hand­lun­gen ent­stand Ver­trau­en zwi­schen uns. Ohne Sym­pa­thie und ein gegen­sei­ti­ges Grund­ver­trau­en geht eine Über­ga­be ein­fach nicht. Der Rest sind Details, die man klä­ren muss und die selbst im 167-sei­ti­gen Kauf­ver­trag nicht alle Erwäh­nung fin­den können.

OT: Wann haben Sie Ihre Mit­ar­bei­ter ins Boot geholt?

Esch­bach: Erst acht Wochen vor der geplan­ten Schlüs­sel­über­ga­be haben mei­ne Frau und ich alle Mit­ar­bei­ter zusam­men­ge­ru­fen und sie über den Inha­ber­wech­sel infor­miert. Da sind wir emo­tio­nal ganz schön an die Gren­ze gekom­men, denn mit eini­gen sind wir eng befreun­det. Die meis­ten zeig­ten gro­ßes Ver­ständ­nis für den Schritt. Zwei Mit­ar­bei­te­rin­nen fühl­ten sich aller­dings „ver­kauft“. Allen wur­de eine Per­spek­ti­ve gebo­ten und so freut es mich beson­ders, dass auch zwei Jah­re nach der Über­nah­me alle noch bei mei­nem Nach­fol­ger beschäf­tigt sind – trotz der Coro­na-Pan­de­mie mit den viel­fäl­ti­gen Aus­wir­kun­gen auf Sani­täts­häu­ser und ihr Personal.

Glas­kla­re Abspra­chen und Vertrauen

OT: Wie haben Sie den Über­ga­be­pro­zess gestaltet?

Esch­bach: Die Ver­hand­lun­gen dau­er­ten ca. vier bis fünf Mona­te. Danach begann die hei­ße Pha­se der Über­ga­be ca. drei Mona­te vor dem ofziellen Ter­min. Der gesam­te Pro­zess zog sich aber noch sie­ben Mona­te danach hin. In den Ver­hand­lun­gen hat­ten wir den Deal geschlos­sen, dass ich die Fir­ma mit vol­len Auf­trags­bü­chern über­ge­be. Die Fir­ma Kaphingst soll­te die Fina­li­sie­rung und Abrech­nung der Auf­trä­ge nach der Über­ga­be sicher­stel­len und mich im Anschluss an die Abwick­lung dafür ent­loh­nen. An mei­nem letz­ten Tag gin­gen wir durch die Filia­len und lis­te­ten alle ca. 400 noch nicht abge­rech­ne­ten Auf­trä­ge auf. Herr Pich­ler ging somit an Bord eines unter Voll­dampf fah­ren­den Schif­fes. Damit das gelingt, braucht es vor­her glas­kla­re Absprachen.

OT: Wer lei­tet seit der Über­nah­me die Geschi­cke Ihrer ehe­ma­li­gen fünf Standorte?

Esch­bach: Hier schloss sich der Kreis. Unser Mit­ar­bei­ter, der die Über­nah­me in Eigen­re­gie nicht stem­men woll­te, ist als Team­lei­ter für Kaphingst für die fünf Ortho­pä­die­schuh­tech­nik-Filia­len als fach­li­cher Lei­ter ver­ant­wort­lich. Vor­teil: Wir muss­ten nie­man­den neu ein­ar­bei­ten und der Kol­le­ge muss nicht die gesam­te Ver­ant­wor­tung tragen.

OT: Ist mit der Schlüs­sel­über­ga­be der Pro­zess abgeschlossen?

Esch­bach: Oh nein! Rund sie­ben Mona­te nach der Über­ga­be war der Betrieb orga­ni­sa­to­risch abge­wi­ckelt und ich erhielt die letz­te Zah­lung. Nach 18 Mona­ten gab ich die letz­te Mel­dung an das Finanz­amt ab. Dar­an sieht man schon, wie wich­tig Ver­trau­en ist. Mein Ver­trau­en wur­de zum Glück nicht ent­täuscht! Boris Pich­ler erwies sich als äußert zuver­läs­si­ger Part­ner. Die Über­ga­be lief von bei­den Sei­ten wie geschnit­ten Brot. In den sie­ben Mona­ten nach dem ofziellen Schluss war ich zudem mit aller­lei Papier­kram beschäf­tigt. Sie müs­sen sich ja von allem abmel­den, ob Mit­glied­schaf­ten bei der Hand­werks­kam­mer oder der Innung, Lea­sing­ver­trä­ge, Ver­si­che­run­gen und vie­les mehr. Im Nach­hin­ein wur­de mir dadurch erst bewusst, wie vie­le Mosa­ik­stei­ne wir im Lau­fe der 29 Jah­re für fünf Stand­or­te zusam­men­ge­tra­gen hatten.

Ach­ter­bahn der Gefühle

OT: Hat die Über­ga­be Sie men­tal belastet?

Esch­bach: Alles in allem waren die Jah­re vom ers­ten Gedan­ken an eine Über­ga­be bis zur end­gül­ti­gen Abwick­lung eine Ach­ter­bahn der Gefüh­le. Auch im Nach­hin­ein gibt es men­ta­le Belas­tun­gen: Mit der Geschäfts­auf­ga­be geht der Ver­lust von Wert­schät­zung und Ein­fluss ein­her. Im Grun­de zieht sich das durch alle Lebens­be­rei­che. Den­noch sind unse­re Tage viel ent­spann­ter als frü­her. Es tut gut, nicht mehr die Ver­ant­wor­tung für 23 Mit­ar­bei­ter und ihre Fami­li­en zu tragen.

OT: Wel­che pro­fes­sio­nel­le Unter­stüt­zung haben Sie sich über den Unter­neh­mens­be­ra­ter hin­aus geholt?

Esch­bach: Natür­lich haben wir die Bera­tungs­mög­lich­kei­ten der Hand­werks­kam­mer und der Indus­trie- und Han­dels­kam­mer genutzt. Aller­dings waren die­se Infor­ma­tio­nen wenig frucht­bar. Unse­re Steu­er­kanz­lei hin­ge­gen war eine gro­ße Hil­fe bei der Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung der Über­ga­be. Eine psy­cho­lo­gi­sche Unter­stüt­zung haben wir nicht gesucht, da mei­ne Frau und ich uns über die emo­tio­na­le Belas­tung aus­tau­schen konn­ten, die eine Über­ga­be mit sich bringt.

Ent­span­nung pur

OT: Wie schau­en Sie heu­te auf die Unter­neh­mens­nach­fol­ge? Wür­den Sie im Rück­blick etwas anders machen?

Esch­bach: Man muss für sich selbst die Ent­schei­dung tref­fen, jetzt ist der Zeit­punkt, um los­zu­las­sen. Dann darf man nicht mehr ins Wan­ken gera­ten. Ich kann nur allen Kol­le­gen emp­feh­len, wenn sie ein­mal den Ent­schluss gefasst haben, das Geschäft an wen auch immer zu über­ge­ben, dabei zu blei­ben. Es ist zuwei­len hart, aber der kla­re Schnitt tut gut. Die Ent­schei­dung für die Unter­neh­mens­nach­fol­ge war eine der bes­ten mei­nes Lebens. Mit Herrn Pich­ler und sei­nem Team haben wir eine Lösung zum Woh­le aller gefun­den. Gleich­zei­tig genie­ßen wir es, nicht mehr die Ver­ant­wor­tung zu tra­gen. Selbst der Zeit­punkt – vor der Coro­na-Pan­de­mie – konn­te nicht bes­ser gewählt werden.

OT: Wie sieht Ihr Ruhe­stand aus?

Esch­bach: Wir früh­stü­cken gemüt­lich und trin­ken jeden Nach­mit­tag Kaf­fee auf unse­rer Ter­ras­se. Dazwi­schen ste­hen die aus­führ­li­che Zei­tungs­lek­tü­re und die Spa­zier­gän­ge mit unse­ren Hun­den an. Stück für Stück wid­me ich mich zudem der Instand­hal­tung des Hau­ses. Hier ist in den arbeits­rei­chen Jah­ren viel lie­gen geblie­ben. Manch­mal träu­me ich noch nachts von der Kon­struk­ti­on einer Ein­la­ge (lacht).

Die Fra­gen stell­te Ruth Justen.

Betriebs­über­nah­me: Was Alex­an­der Mül­ler, Geschäfts­füh­rer des Sani­täts­hau­ses Thön­nis­sen, im Inter­view von sei­nen Erfah­run­gen mit einer Über­nah­me berich­tet, lesen Sie hier.

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