Inter­dis­zi­pli­nä­re und inter­pro­fes­sio­nel­le The­ra­pie und Ver­sor­gung von Pati­en­ten nach einem Schlag­an­fall — Das „Egels­ba­cher Konzept“

B. Preisler, L. Hemme, M. Hihn, R. Malich, C. Preisler, M. Schmitt
Der Artikel stellt verschiedene Orthesenkonzepte und Therapieansätze vor, die in den einzelnen Phasen und den verschiedenen Schweregraden bei neurologischen Ausfällen nach einem Schlaganfall angewendet werden können – von der Stroke Unit bis in den ambulanten Bereich. Der Fokus des „Egelsbacher Konzeptes“ liegt auf einer frühzeitigen interdisziplinären und interprofessionellen Rehabilitation mit phasengerechten therapeutischen und orthopädietechnischen Versorgungsansätzen. Darüber hinaus wird die Wichtigkeit einer an den Zielen des Patienten beziehungsweise seiner Angehörigen orientierten Therapie und Versorgung betont. Dabei werden Versorgungsmöglichkeiten in der frühen Phase der Mobilisation ebenso vorgestellt wie die Möglichkeiten bei chronischen Schlaganfallpatienten.

Ein­lei­tung

Jähr­lich erlei­den welt­weit 15 Mil­lio­nen Men­schen einen Schlag­an­fall; 6 Mil­lio­nen Men­schen ster­ben dar­an; 5 Mil­lio­nen sind dau­er­haft beein­träch­tigt. In Deutsch­land erlei­den jähr­lich ca. 250.000 Men­schen einen Schlag­an­fall 1. Die in Deutsch­land auf­ge­bau­te medi­zi­ni­sche Ver­sor­gungs­struk­tur führt zu einer ver­bes­ser­ten Über­le­bens­chan­ce der Betrof­fe­nen. 25 % der Über­le­ben­den gene­sen mit gerin­gen Ein­schrän­kun­gen; 40 % lei­den jedoch wei­ter­hin an mitt­le­ren bis schwe­ren Ein­schrän­kun­gen 2. Ange­sichts der demo­gra­fi­schen Ent­wick­lung wird die Zahl der jähr­li­chen Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten Vor­aus­be­rech­nun­gen zufol­ge in Hes­sen bis zum Jahr 2050 kon­ti­nu­ier­lich um über 65 % stei­gen. Der weit über­wie­gen­de Anteil der Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten wird dann älter als 74 Jah­re sein. Die Anzahl der schwer betrof­fe­nen, pfle­ge­be­dürf­ti­gen Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten wird auf­grund des­sen über­durch­schnitt­lich zuneh­men 3.

In der Akut­pha­se wird der Pati­ent in Deutsch­land in der Regel in einer spe­zia­li­sier­ten Schlag­an­fall­sta­ti­on, der soge­nann­ten Stro­ke Unit, ver­sorgt. Dabei wird inten­siv­me­di­zi­nisch alles unter­nom­men, um das Über­le­ben des Pati­en­ten sicher­zu­stel­len und die medi­zi­ni­schen Grund­la­gen zu schaf­fen, die dem Betrof­fe­nen die Vor­aus­set­zun­gen für ein mög­lichst gutes Reha­bi­li­ta­ti­ons­er­geb­nis zur Teil­ha­be am All­tag ermög­li­chen. Die­ser Bei­trag stellt die Behand­lung und Ver­sor­gung von Pati­en­ten nach einem Schlag­an­fall im inter­dis­zi­pli­nä­ren und inter­pro­fes­sio­nel­len Zen­trum in Egels­bach aus Sicht der Phy­sio­the­ra­pie, der Ergo­the­ra­pie sowie der Ortho­pä­die- und Reha­tech­nik dar.

Von Beginn an wer­den die Pati­en­ten auf den Inten­siv­sta­tio­nen der regio­na­len Kli­ni­ken von unse­ren Ergo­the­ra­peu­ten behan­delt. Die phy­sio­the­ra­peu­ti­sche Betreu­ung wird von den The­ra­peu­ten der Kli­ni­ken selbst abge­deckt. Damit wird der Grund­stein für eine adäqua­te moto­ri­sche und funk­tio­nel­le Reha­bi­li­ta­ti­on gelegt. Bereits inner­halb der ers­ten drei Tage ist auf­grund der Dia­gno­se und des Ver­lau­fes zu erken­nen, inwie­fern der Pati­ent die Kli­nik mit Ein­schrän­kun­gen ver­las­sen wird. Dies gilt auch für die Pati­en­ten, die infol­ge der Schwe­re des Schlag­an­falls einen län­ge­ren Weg in ein ande­res, neu­es Leben zurück­le­gen müs­sen. Jene Pati­en­ten sind es, denen das „Egels­ba­cher Kon­zept“ mit­tels früh­zei­ti­ger bedarfs­ge­rech­ter Behand­lung und Ver­sor­gung durch ein inter­pro­fes­sio­nel­les Team hel­fen soll, schnellst­mög­lich eine ange­mes­se­ne Mobi­li­tät und Lebens­qua­li­tät wiederzuerlangen.

Im Fol­gen­den wer­den The­ra­pie­an­sät­ze und Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten zunächst für die unter Extre­mi­tät, sodann in einem sepa­ra­ten Abschnitt für die obe­re Extre­mi­tät beschrieben.

The­ra­pie und Ver­sor­gung der unte­ren Extremität

Der Fuß des Pati­en­ten zeigt nach einem Schlag­an­fall im ungüns­tigs­ten Fall eine Fehl­stel­lung, wie sie der spa­ni­sche Maler Juse­pe de Ribe­ra bereits im 17. Jahr­hun­dert ein­drucks­voll in einem Gemäl­de dar­ge­stellt hat (Abb. 1). Die Kon­se­quen­zen des Gang­bil­des bei Men­schen mit einem soge­nann­ten Spitz­fuß sind seit Jahr­hun­der­ten die glei­chen: Eine sol­che Fehl­stel­lung muss wäh­rend des Gehens kom­pen­siert wer­den, zum Bei­spiel durch kreis­för­mi­ges Nach-vor­ne-Füh­ren des betrof­fe­nen Bei­nes in der Schwung­pha­se (Zirk­um­duk­ti­on). Selbst bei einer gerin­gen Spitz­fuß­kon­trak­tur sind auf­wen­di­ge Orthe­sen erfor­der­lich, um das Stand­bein zu sta­bi­li­sie­ren und damit gleich­zei­tig die Schwung­pha­se des gesun­den Bei­nes zu gewähr­leis­ten. Ein Spitz­fuß­aus­gleich an der Orthe­se (mit Ver­kür­zungs­aus­gleich am Schuh der kon­tra­la­te­ra­len Sei­te) wird nötig, um die phy­sio­lo­gi­sche Dor­sal­ex­ten­si­on des obe­ren Sprung­ge­len­kes wäh­rend der ter­mi­na­len Stand­pha­se zu ermög­li­chen, ohne dass es dabei zu Kom­pen­sa­ti­ons­be­we­gun­gen des unte­ren Sprung­ge­len­kes kommt. Sind auf­wen­di­ge Orthe­sen­ver­sor­gun­gen erfor­der­lich, so gehen die­se zwangs­läu­fig mit einer Zunah­me des Orthe­sen­ge­wich­tes ein­her, was wie­der­um einen nega­ti­ven Ein­fluss auf den Kraft- und Ener­gie­ver­brauch beim ohne­hin beschwer­li­chen Ste­hen und Gehen des Betrof­fe­nen mit Halb­sei­ten­läh­mung hat. Sind Tonus­er­hö­hung sowie Fehl­stel­lun­gen und Kon­trak­tu­ren aus­ge­prägt, wird in der Leit­li­nie „The­ra­pie des spas­ti­schen Syn­droms“ der DGN nach sorg­fäl­ti­ger Prü­fung und Aus­schöp­fung der kon­ser­va­ti­ven Behand­lungs­me­tho­den das Erwä­gen ope­ra­ti­ver Ver­fah­ren emp­foh­len 4. Dabei soll­te die Ent­schei­dung zur Ope­ra­ti­on in Abhän­gig­keit des The­ra­pie­zie­les und unter Ein­be­zie­hung des Pati­en­ten, sei­nes Umfel­des sowie des inter­pro­fes­sio­nel­len Teams getrof­fen wer­den. Dabei trägt die prä­ope­ra­ti­ve The­ra­pie- und Hilfs­mit­tel­pla­nung zur Siche­rung des Ope­ra­ti­ons­er­geb­nis­ses bei.

Nach­fol­gend wird genau­er auf die Ent­ste­hung eines Spitz­fu­ßes ein­ge­gan­gen; zudem wer­den dar­an anknüp­fend Maß­nah­men zur Kon­trak­tur­pro­phy­la­xe beschrieben.

Maß­nah­men zur Vor­beu­gung gegen die Ent­ste­hung eines Spitzfußes

Auf der Inten­siv­sta­ti­on ver­weilt der Pati­ent die meis­te Zeit des Tages in Rücken­la­ge. Der Fuß fällt der Schwer­kraft fol­gend nach unten, die Bett­de­cke tut ein Übri­ges und drängt den Fuß in eine Spitz­fuß­stel­lung (Abb. 2). Das Ent­ste­hen einer sol­chen Kon­trak­tur lässt sich anhand einer Arbeit von Taba­ry und Kol­le­gen aus dem Jahr 1972 5 erklä­ren: Sie stell­ten fest, dass die Ruhig­stel­lung in Annä­he­rung von Ursprung und Ansatz des (Waden-) Mus­kels zum Ver­lust von Sar­kom­er­an­tei­len im Mus­kel führt.

Die Behand­lung bzw. die Vor­beu­gung gegen das Auf­tre­ten von Kon­trak­tu­ren erfolgt über­wie­gend phy­sio­the­ra­peu­tisch im Sin­ne der Kon­trak­tur­pro­phy­la­xe, das heißt durch manu­el­les pas­si­ves Durch­be­we­gen, Auf­set­zen und Ste­hen. Es lässt sich fest­stel­len, dass allein pfle­ge­ri­sche und the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men bei vie­len Pati­en­ten nicht aus­rei­chen, um eine Spitz­fuß­kon­trak­tur zu ver­mei­den. Dies ist auch dem Sach­ver­halt geschul­det, dass Lage­rung und Deh­nung über meh­re­re Stun­den am Tag statt­fin­den müss­ten, um erfolg­ver­spre­chend zu sein. Die dafür erfor­der­li­che Zeit lässt sich durch das vor­han­de­ne Per­so­nal weder in der Pfle­ge noch durch The­ra­peu­ten sicher­stel­len. Ein­fa­che Lage­rungs­schie­nen, die zur Spitz­fuß­pro­phy­la­xe aus der Trau­ma­to­lo­gie bekannt sind, wer­den den Anfor­de­run­gen eines neu­ro­lo­gi­schen Pati­en­ten nicht gerecht, denn dabei wird nur eine Gelenk­ach­se gehal­ten und ein punk­tu­el­ler Druck auf den Vor­fuß­bal­len appli­ziert. Die­se Art von Lage­rungs­or­the­sen kann kon­struk­ti­ons­be­dingt die Abwei­chung des Vor­fu­ßes bei Tonus­ver­än­de­run­gen nicht hal­ten und begüns­tigt in einem sol­chen Fall sogar die Ent­ste­hung von Fehlstellungen.

Vor­beu­gung und Behand­lung einer begin­nen­den Kontraktur

Eine leich­te, lang­an­hal­ten­de Deh­nung über 6 bis 12 Stun­den täg­lich ist laut Glas­gow et al. 6 die Tech­nik der Wahl zur Behand­lung von Kon­trak­tu­ren. Dies wirft aller­dings die Fra­ge auf, wie sich die zuvor beschrie­be­nen Kon­trak­tu­ren ver­mei­den und das Gehen früh und mit akzep­ta­blem Gang­bild ermög­li­chen las­sen. Lässt die Ver­sor­gung eines aku­ten Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten auf einer Inten­siv­sta­ti­on Raum für vor­aus­schau­en­de Maß­nah­men, die die Reha­bi­li­ta­ti­on des betrof­fe­nen Pati­en­ten nach­hal­tig ent­schei­dend beein­flus­sen kön­nen? Die­se Fra­ge soll­te mit einem über­zeug­ten Ja beant­wor­tet wer­den. Die aktu­el­le Leit­li­nie zur „Reha­bi­li­ta­ti­on von sen­so­mo­to­ri­schen Stö­run­gen“ der DGN unter­streicht die­se Über­zeu­gung: Dort heißt es, dass Pati­en­ten, die nach einem Schlag­an­fall früh­zei­tig mobi­li­siert wer­den, eine frü­he­re unab­hän­gi­ge Geh­fä­hig­keit und bes­se­re funk­ti­ons­mo­to­ri­sche Fähig­kei­ten errei­chen. Des Wei­te­ren sei „ein frü­her Ein­satz von Hilfs­mit­teln wie Stock oder Sprung­ge­lenks­or­the­sen […] sinn­voll“ 7. Lam­precht 8 schreibt in die­sem Zusam­men­hang: „Durch die frü­he Mobi­li­sa­ti­on kön­nen die Pati­en­ten frü­her mit dem Geh­trai­ning begin­nen und benö­ti­gen weni­ger Aus­weich­be­we­gun­gen“, was die Gangsym­me­trie ver­bes­se­re und das Sturz­ri­si­ko ver­rin­ge­re. Um dies zu errei­chen, favo­ri­sie­ren die Autoren eine spe­zi­el­le Unter­schen­kel­or­the­se (Ank­le Foot Ortho­sis, AFO) nach Gips­ab­druck aus Kunst­stoff mit dyna­mi­schem Gelenk (Abb. 3). Die­ses Gelenk ist kein extern ange­brach­tes Orthe­sen­ge­lenk im klas­si­schen Sin­ne, son­dern es ent­steht durch die beson­de­re Form­ge­bung auf Höhe des obe­ren Sprung­ge­len­kes. Die Form­ge­bung des Poly­pro­py­lens wird durch einen vor dem Tief­zie­hen auf­ge­brach­ten „Gelenk­dum­my“ erzielt. Die Stei­fig­keit der Orthe­se kann durch die Kür­zung des Zuschnit­tes im Bereich des Gelen­kes gut dosiert wer­den. Da die­se AFO nur aus einem Stück besteht, ist sie aus­ge­spro­chen leicht und auf der Inten­siv­sta­ti­on initi­al auch als Lage­rungs­or­the­se ein­setz­bar. In der Früh­pha­se der Mobi­li­sa­ti­on sichert eine sol­che indi­vi­du­ell gefer­tig­te Orthe­se in der Stand­pha­se den Fuß, das obe­re und unte­re Sprung­ge­lenk, über die Boden­re­ak­ti­ons­kräf­te das Knie und somit die gesam­te mus­ku­los­ke­letta­le Ket­te des betref­fen­den Stand­beins. Der Ein­fluss auf das unte­re Sprung­ge­lenk kann zudem mit­tels eines inte­grier­ten Innen­schuhs ver­stärkt wer­den, wenn dies auf­grund des kli­ni­schen Sta­tus des Pati­en­ten erfor­der­lich ist.

Im Fol­gen­den wird die beson­de­re Bedeu­tung des M. tri­ceps surae in der Stand­pha­se beim Gehen ver­deut­licht. Der M. soleus und der M. gas­tro­c­ne­mi­us die­nen wäh­rend der Ein­zel­un­ter­stüt­zungs­pha­se der ver­ti­ka­len Auf­rich­tung und wäh­rend der Ter­mi­nal Stance der Vor­wärts­be­we­gung. Der M. gas­tro­c­ne­mi­us unter­stützt die Ein­lei­tung der Knie­beu­gung in der PreS­wing-Pha­se 9. Des Wei­te­ren wird die Knie­sta­bi­li­tät ab Mid Stance in ers­ter Linie durch den M. tri­ceps surae her­vor­ge­ru­fen. Dies wird durch einen Mecha­nis­mus gewähr­leis­tet, der als „plant­ar flexion/knee exten­si­on cou­ple“ bezeich­net wird. Dabei kon­trol­liert die Akti­vi­tät des M. soleus die Vor­wärts­be­we­gung der Tibia über den plan­ti­gra­den Fuß und steu­ert somit die Stel­lung des Knie­ge­len­kes in Bezug auf die Boden­re­ak­ti­ons­kräf­te. Dadurch wird ein knie­stre­cken­des Dreh­mo­ment erzeugt, wozu kei­ne Akti­vi­tät des M. quad­ri­ceps femo­ris not­wen­dig ist 10. Wird der Pati­ent in der frü­hen Pha­se nach sei­nem Schlag­an­fall mit einer sol­chen Orthe­se ver­sorgt und wird die­se kon­se­quent getra­gen, wird einem spas­ti­schen Bewe­gungs­mus­ter ent­ge­gen­ge­wirkt; der M. soleus und der M. gas­tro­c­ne­mi­us wer­den bei jeder Schritt­fol­ge gedehnt, um die Mus­kel­län­ge zu erhal­ten. Des Wei­te­ren nimmt das Kunst­stoff­ma­te­ri­al der Orthe­se die exzen­trisch ent­stan­de­ne Ener­gie auf, spei­chert sie und gibt sie am Ende der ter­mi­na­len Stand­pha­se wie­der ab. Das heißt, die feh­len­de Kraft des gelähm­ten M. tri­ceps surae wird so teil­wei­se ausgeglichen.

Ers­te Unter­su­chun­gen durch den Haupt­au­tor die­ses Arti­kels haben gezeigt, dass die Kine­ma­tik des Orthe­sen­ge­len­kes nahe­zu mit dem Dreh­punkt des ana­to­mi­schen obe­ren Sprung­ge­len­kes über­ein­zu­stim­men scheint. Dies wie­der­um wür­de bedeu­ten, dass somit prak­tisch kei­ne Scher­be­we­gun­gen auf die Haut des Pati­en­ten ein­wir­ken. Zur Vali­die­rung die­ser Aus­sa­ge bedarf es jedoch wei­ter­füh­ren­der Unter­su­chun­gen. Die­ses Ver­sor­gungs­kon­zept ermög­licht es nach Mei­nung der Autoren, den Pati­en­ten frü­her und siche­rer zu ver­ti­ka­li­sie­ren und das Gehen ziel­ge­rich­te­ter zu trai­nie­ren als ohne den Ein­satz von Hilfsmitteln.

Bei eini­gen Pati­en­ten zeigt sich zudem eine Ple­gie des Hüft­beu­ge­mus­kels, sodass der Pati­ent sein Bein nicht mit eige­ner Mus­kel­kraft vor­brin­gen kann. Bei die­sen Pati­en­ten ist eine eigens ent­wi­ckel­te soge­nann­te Pro Walk Dyna­mi­sche Bein­or­the­se sinn­voll, bei deren Ent­wick­lung Anlei­hen bei alten Pro­the­sen gemacht wur­den, die sich zum Vor­brin­gen des Unter­schen­kels eines Gum­mi­zu­ges bedien­ten. In Abbil­dung 4 ist zu erken­nen, wie ein sol­cher „Vor­brin­ger“ aus­sieht, der zwei­ge­len­kig eine ähn­li­che Kraft­ent­fal­tung wie der M. rec­tus femo­ris erbrin­gen soll. Die Vor­span­nung, die sich indi­vi­du­ell ein­stel­len lässt, ist am Ende der ter­mi­na­len Stand­pha­se am höchs­ten und erleich­tert es in der Schwung­pha­se, das betrof­fe­ne Bein nach vor­ne zu brin­gen. In Abbil­dung 4 ist eine sol­che Orthe­se mit einem Fuß­he­ber­zü­gel kom­bi­niert. Mit die­ser Orthe­se, die mit einem spi­ra­li­gen Zug gegen die Innen- oder Außen­ro­ta­ti­on ergänzt wer­den kann, wird es nach Mei­nung der Autoren mög­lich, den kom­pen­sa­to­ri­schen Bewe­gungs­mus­tern entgegenzuwirken.

Reha­bi­li­ta­ti­ons­pha­sen

Der über­wie­gen­de Teil der Pati­en­ten beginnt die The­ra­pie in Egels­bach im Anschluss an den Auf­ent­halt in einer Reha-Kli­nik; ver­ein­zelt kom­men auch Pati­en­ten, die nach der Behand­lung in der Stro­ke Unit direkt in ihr häus­li­ches Umfeld zurück­keh­ren konn­ten. Vor­aus­set­zung für den The­ra­pie­be­ginn ist, dass der Pati­ent trans­port­fä­hig ist und an der The­ra­pie mit­wir­ken kann – dies ent­spricht in der Regel Pati­en­ten ab der neu­ro­lo­gi­schen Reha-Pha­se C. Beson­ders schwer betrof­fe­ne Pati­en­ten kom­men in Beglei­tung ihrer Betreu­er bzw. Pfle­ger und gelan­gen teil­wei­se mit einem Kran­ken­trans­port nach Egels­bach. Nach einer umfas­sen­den phy­sio­the­ra­peu­ti­schen und ergo­the­ra­peu­ti­schen Befun­dung wird gemein­sam mit dem Pati­en­ten bzw. sei­nen Ange­hö­ri­gen eine indi­vi­du­el­le und mess­ba­re Ziel­ver­ein­ba­rung (SMART-Zie­le gemäß ICF) getrof­fen, wobei auch Zwi­schen­zie­le defi­niert wer­den. In der Regel wird nach der zwei­ten oder drit­ten The­ra­pie­sit­zung ein Ortho­pä­die­tech­ni­ker hin­zu­ge­zo­gen, um die vor­han­de­nen Hilfs­mit­tel zu prü­fen und ggf. zu opti­mie­ren oder ent­spre­chen­de Bedar­fe zu ermit­teln. Zur Ana­ly­se des aktu­el­len Gang­bil­des wird eine video­ge­stütz­te Gang­ana­ly­se sowie eine Kraft­mess­ein­rich­tung der Fa. Bio­me­trics (Abb. 5) genutzt, die neben der Dia­gnos­tik auch in der The­ra­pie ein­setzt wird. Die­ses Vor­ge­hen erlaubt es, den Ist-Zustand im ambu­lan­ten Bereich zu erhe­ben. Die video­ge­stütz­te Gang­ana­ly­se hilft außer­dem bei der Orthe­sen­pla­nung, der Orthe­sen- und The­ra­pie­op­ti­mie­rung und der Doku­men­ta­ti­on des indi­vi­du­el­len Verlaufes.

Pati­en­ten, die ihr Kör­per­ge­wicht mit den Bei­nen nicht sicher hal­ten und sta­bi­li­sie­ren kön­nen, wer­den in einem dyna­mi­schen Steh­trai­ner ver­ti­ka­li­siert, um mit ihm in der Auf­rech­ten unter ande­rem an sei­ner Rumpf­sta­bi­li­tät und der Ver­bes­se­rung des Gleich­ge­wichts arbei­ten zu kön­nen. Im nächs­ten Schritt wird der Pati­ent über einen Gang­ro­bo­ter an das Wie­der­erler­nen bzw. das Ein­üben eines phy­sio­lo­gi­schen Gang­zy­klus her­an­ge­führt. Dies erfolgt unter Ver­wen­dung eines „Lyra“-Gangroboters (Abb. 6), der auf dem End­ef­fek­tor-Prin­zip basiert (das bedeu­tet, dass die Unter­stüt­zung an den Füßen erfolgt und dass der Pati­ent Knie- und Hüft­ge­len­ke unter Gewichts­ent­las­tung aktiv kon­trol­lie­ren muss).

Neben End­ef­fek­tor-Sys­te­men gibt es in der auto­ma­ti­sier­ten Gang­the­ra­pie Exo­ske­lett-Sys­te­me wie bei­spiels­wei­se den „Loko­ma­ten“. In einem sys­te­ma­ti­schen Review konn­te aller­dings ermit­telt wer­den, dass Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten, die mit End­ef­fek­tor-Gerä­ten the­ra­piert wur­den, eine höhe­re Geh­ge­schwin­dig­keit erreich­ten als sol­che wäh­rend der The­ra­pie mit Exo­ske­lett-Gerä­ten 11. Zudem hat die Deut­sche Gesell­schaft für Neu­ro­re­ha­bi­li­ta­ti­on den Ein­satz von End­ef­fek­tor-Gerä­ten bei nicht geh­fä­hi­gen Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten in ihrer S2e-Leit­li­nie „Reha­bi­li­ta­ti­on der Mobi­li­tät nach Schlag­an­fall“ als „Sollte“-Empfehlung ein­ge­stuft, wäh­rend für das Gehen mit Exo­ske­lett-Sys­te­men nur eine „Kann“-Empfehlung aus­ge­spro­chen wur­de 12.

Bei der Loko­mo­ti­ons­the­ra­pie mit dem Lyra-Gang­ro­bo­ter ist eine kon­sis­ten­te und sym­me­tri­sche Bein­füh­rung mög­lich. Schritt­län­ge und Geh­ge­schwin­dig­keit kön­nen den indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­sen des Pati­en­ten ange­passt wer­den. Es lässt sich eine hohe Repe­ti­ti­ons­ra­te erzie­len, die immer gleich und the­ra­peu­ten­un­ab­hän­gig ist. Nur so lässt sich das Gehen wie­der anbah­nen. Hes­se präg­te in die­sem Zusam­men­hang den Satz: „Wer gehen will, muss gehen!“ 13.

Als Nächs­tes arbei­ten die Pati­en­ten auf dem Lauf­band an der Ver­bes­se­rung ihres Gang­bil­des – mit oder ohne Gewichts­ent­las­tung, mit unter­schied­li­chen Geschwin­dig­kei­ten und unter­schied­li­chen Stei­gungs­win­keln. Liegt eine Fuß­he­ber­schwä­che vor, die das Vor­schwin­gen des Bei­nes erschwert, wird den Pati­en­ten bei ent­spre­chen­der Indi­ka­ti­on eine Funk­tio­nel­le Elek­tro­sti­mu­la­ti­on (FES) ange­bo­ten, die auf­grund der lang­jäh­ri­gen Erfah­run­gen in der Ver­sor­gung mit dem FES-Sys­tem „Wal­kAi­de“, häu­fig in Kom­bi­na­ti­on mit dem Lauf­band, durch­ge­führt wird. Spre­chen die Pati­en­ten gut auf das FES-Sys­tem an, wird eine Defi­ni­tiv­ver­sor­gung für den Pati­en­ten angestrebt.

Des Wei­te­ren wird im Rah­men der soge­nann­ten ADLs (Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens) eine The­ra­pie­trep­pe ver­wen­det, deren Stu­fen elek­trisch in der Höhe ver­stell­bar sind. Auf die­se Wei­se kann die Höhe der häus­li­chen Trep­pen­stu­fen nach­ge­stellt und unter Anlei­tung des The­ra­peu­ten die bes­te Stra­te­gie für das Trepp­auf- und Trepp­ab­ge­hen erar­bei­tet wer­den. Des Wei­te­ren ste­hen unter­schied­li­che The­ra­pie­ge­rä­te zur Ver­fü­gung, mit denen die Schwie­rig­keits­gra­de in der The­ra­pie wei­ter erhöht wer­den kön­nen – bis hin zum geziel­ten Kraft­trai­ning an spe­zi­ell für einen Pati­en­ten mit Schlag­an­fall adap­tier­ten Gerä­ten. In Abbil­dung 7 ist der Ein­satz von Kraft­mess­plat­ten im Rah­men des Bio­feed­backs dar­ge­stellt. Mit ent­spre­chen­den Com­pu­ter­spie­len lässt sich die Gewichts­ver­la­ge­rung auf das betrof­fe­ne Bein visua­li­sie­ren und ein­for­dern. Die­se evi­denz­ba­sier­ten The­ra­pien kön­nen sowohl in her­kömm­li­che The­ra­pie­kon­zep­te wie die soge­nann­te Bobath-The­ra­pie bzw. Kran­ken­gym­nas­tik, in moto­risch-funk­tio­nel­le Ergo­the­ra­pie, sen­so­mo­to­risch-per­zep­ti­ve Ergo­the­ra­pie und wei­te­re the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men inte­griert, aber auch als allei­ni­ge The­ra­pie­an­wen­dun­gen ange­bo­ten werden.

The­ra­pie und Ver­sor­gung der obe­ren Extremität

Auch bei der obe­ren Extre­mi­tät gilt es, die Kon­se­quen­zen mög­li­cher Kon­trak­tu­ren von Beginn an im Blick zu haben, wobei die Wei­chen eben­falls bereits am drit­ten Tag auf der Inten­siv­sta­ti­on gestellt wer­den. Abbil­dung 8 ver­an­schau­licht den Ein­satz einer Unter­arm-Hand-Orthe­se zur Pro­phy­la­xe von Kon­trak­tu­ren. Abbil­dung 8a ver­an­schau­licht, inwie­fern die Schwer­kraft eine Kon­trak­tur­stel­lung begüns­tigt. Zur Kon­trak­tur­pro­phy­la­xe erfolgt eine Deh­nung der gesam­ten Hand- und Fin­ger­flex­o­ren mit Hilf­te der dyna­mi­schen Unter­arm-Hand-Orthe­se „Sae­bo Stretch“ (Abb. 8b), die kon­struk­ti­ons­be­dingt bei Tonus­än­de­run­gen nach­gibt und dann, wenn die Span­nung wie­der nach­lässt, die Fin­ger in die Stre­ckung zurück­führt (Abb. 8c). Nach Kennt­nis der Autoren gibt es der­zeit kei­ne ver­gleich­ba­re kon­fek­tio­nier­te dyna­mi­sche Orthe­se, die sich in die­ser Art und Wei­se je nach den indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­sen des Pati­en­ten ein­stel­len bezie­hungs­wei­se an sie anpas­sen lässt. Ist der Tonus zu hoch oder sind bereits bestehen­de Kon­trak­tu­ren und Fehl­stel­lun­gen zu aus­ge­prägt, ist der Ein­satz indi­vi­du­ell ange­fer­tig­ter Unter­arm-Hand-Fin­ger-Orthe­sen mit dyna­mi­schem Gelenk sinnvoll.

Eine wei­te­re gro­ße Her­aus­for­de­rung stellt eine Sub­lu­xa­ti­on der Schul­ter dar (Abb. 9a u. b), die mit star­ken Schmer­zen für die Pati­en­ten ver­bun­den sein kann. Auf der Inten­siv­sta­ti­on ach­tet das Per­so­nal beson­ders bei den Trans­fers dar­auf, dass der ple­gi­sche Arm unter­stützt wird, nicht her­un­ter­fällt oder dar­an gezo­gen wird. Schrän­ken die durch die Sub­lu­xa­ti­on beding­ten Schmer­zen die Lebens­qua­li­tät des Pati­en­ten ein, soll­te über den Ein­satz einer Orthe­sen­ver­sor­gung nach­ge­dacht wer­den. Dazu ste­hen ver­schie­de­ne Model­le – von Soft-Orthe­sen bis hin zu kom­ple­xe­ren, oft­mals bewe­gungs­li­mi­tie­ren­den Vari­an­ten – zur Ver­fü­gung. Die Aus­wahl eines geeig­ne­ten Hilfs­mit­tels aus dem Reper­toire an kon­fek­tio­nier­ten und indi­vi­du­el­len Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten kor­re­liert maß­geb­lich mit dem kli­ni­schen Sta­tus des Pati­en­ten, dem defi­nier­ten The­ra­pie­ziel sowie dem Umfeld des Pati­en­ten (etwa in Bezug auf die Not­wen­dig­keit einer Hil­fe­stel­lung beim Anzie­hen). Daher ist eine pau­scha­le Emp­feh­lung eines Hilfs­mit­tels in die­sem Seg­ment nicht sinnvoll.

Auch in Bezug auf die obe­re Extre­mi­tät erfolgt eine umfas­sen­de phy­sio­the­ra­peu­ti­sche und ergo­the­ra­peu­ti­sche Befun­dung mit indi­vi­du­el­ler Ziel­ver­ein­ba­rung und einer Kon­sul­ta­ti­on von Ortho­pä­die­tech­ni­kern, um die vor­han­de­nen Hilfs­mit­tel zu prü­fen, ggf. zu opti­mie­ren oder ent­spre­chen­de Bedar­fe zu ermit­teln. Für die meis­ten Pati­en­ten hat die Errei­chung der Hand­funk­ti­on höchs­te Prio­ri­tät. Funk­tio­nel­le Ein­schrän­kun­gen, her­vor­ge­ru­fen durch neu­ro­lo­gi­sche Stö­run­gen, füh­ren zu Unsi­cher­heit, weni­ger Bewe­gung und zie­hen u. U. Kon­trak­tu­ren sowie ein Trai­nings­de­fi­zit nach sich. Dies führt zu noch mehr Unsi­cher­heit, noch weni­ger Bewe­gung und noch gerin­ge­rem Gebrauch der Fin­ger und der Hand. Die­ses Phä­no­men ist bekannt unter dem Begriff „erlern­ter Nicht­ge­brauch“. Taub 14 stellt in die­sem Zusam­men­hang fest: „Ist eine Extre­mi­tät in ihrer Funk­ti­on ein­ge­schränkt, ist jede Hand­lung nur müh­sam zu voll­zie­hen und führt oft nicht zum gewünsch­ten Erfolg. Um die­se ‚Bestra­fung‘ des Hand­lungs­ver­suchs zu umge­hen, ver­sucht ein Indi­vi­du­um auto­ma­tisch die Kom­pen­sa­ti­on mit der gesun­den Extre­mi­tät.“ Es wird ver­sucht, die­sen Teu­fels­kreis mit Ele­men­ten aus der soge­nann­ten Cons­traint-Indu­ced Move­ment The­ra­py (CIMT) (auch als „Forced-Use Trai­ning“ bezeich­net) zu durch­bre­chen. Bei der CIMT-The­ra­pie wird u. a. der kom­pen­sa­to­ri­sche Ein­satz des nicht betrof­fe­nen Arms z. B. mit­tels Bin­de oder Faust­hand­schuh gehemmt, um so einem in der aku­ten Pha­se „erlern­ten Nicht­ge­brauch“ der betrof­fe­nen Sei­te entgegenzuwirken.

Ins­ge­samt soll­ten die inno­va­ti­ven com­pu­ter­ge­stütz­ten the­ra­peu­ti­schen Mög­lich­kei­ten des The­ra­pie­zen­trums mög­lichst vie­len Betrof­fe­nen zeit­ge­mä­ße Ange­bo­te zugäng­lich machen, um dem erlern­ten Nicht­ge­brauch ent­ge­gen­zu­wir­ken und Arm und Hand wie­der in Ver­rich­tun­gen des All­tags ein­zu­be­zie­hen. Dabei wird stets ein Maß­nah­men­plan ent­wi­ckelt, der den indi­vi­du­el­len Mög­lich­kei­ten und Zie­len des Pati­en­ten gerecht wird.

Bedeu­tung von The­ra­pie­dau­er und ‑inten­si­tät

Unter dem Begriff „Neu­ro­plas­ti­zi­tät“ ver­steht man die Fähig­keit des Gehirns, Neu­ro­nen ana­to­misch und auch funk­tio­nell zu rege­ne­rie­ren und neue syn­ap­ti­sche Ver­bin­dun­gen her­zu­stel­len. Ein pro­fes­sio­nel­ler Pia­nist bei­spiels­wei­se hat im Durch­schnitt mehr als 10.000 Stun­den trai­niert, um sei­ne Per­fek­ti­on zu errei­chen 15. Die­se Zeit steht einem Pati­en­ten nach einem Schlag­an­fall nicht mehr zur Ver­fü­gung. Ent­schei­dend für die Rück­ge­win­nung moto­ri­scher Funk­tio­nen der Hand sind jedoch The­ra­pie­in­ten­si­tät und The­ra­pie­dau­er. Kwak­kel und Kol­le­gen 16 konn­ten auf­zei­gen, dass erst 16 Stun­den zusätz­li­ches akti­ves Trai­ning (gegen­über der her­kömm­li­chen Behand­lungs­zeit der Kon­troll­grup­pe) signi­fi­kan­te Effek­te auf die ADL bewir­ken. Für die The­ra­pie ist außer­dem von ent­schei­den­der Bedeu­tung, dass sie eine hohe All­tags­re­le­vanz hat, Auf­merk­sam­keit ver­langt, moti­vie­rend ist, Spaß berei­tet und das Durch­hal­te­ver­mö­gen för­dert. Um einer Ver­kür­zung der Unter­arm- und Hand­flex­o­ren vor­zu­beu­gen bzw. sie zurück­zu­drän­gen, wird bei Pati­en­ten, die die ent­spre­chen­den kli­ni­schen Vor­aus­set­zun­gen erfül­len, die Ver­wen­dung einer „SaeboFlex“-Orthese – eine dyna­mi­sche, redres­sie­ren­de Unter­arm-Hand­ge­lenk-Hand-Fin­ger-Orthe­se – bevor­zugt. Die­se indi­vi­du­ell her­ge­stell­te Orthe­se besteht aus star­ren bzw. selbst­tra­gen­den Ele­men­ten, in die eine dyna­mi­sche Quen­ge­lung durch Federn in ver­schie­de­ner Stär­ke in Ver­bin­dung mit Fin­ger­kap­pen inte­griert ist (Abb. 10). Mit einer sol­chen Redres­si­ons­or­the­se kann der Betrof­fe­ne akti­ve Bewe­gun­gen gegen Wider­stand durch­füh­ren. Sie erlaubt dadurch das Grei­fen und trägt so zur Kräf­ti­gung der Hand, der Fin­ger, des Dau­mens und der gesam­ten obe­ren Extre­mi­tät außer­halb des patho­lo­gi­schen Bewe­gungs­mus­ters bei 17. Nach Kennt­nis der Autoren gibt es auf dem Markt der­zeit kein ver­gleich­ba­res Orthe­sen­kon­zept, das sowohl eine indi­vi­du­el­le Dosie­rung der Redres­si­on erlaubt als auch gleich­zei­tig ein will­kür­li­ches Schlie­ßen der Hand ermög­licht und danach deren Öff­nen unter­stützt. Unter­su­chungs­er­geb­nis­se deu­ten auf eine Ver­bes­se­rung der all­tags­re­le­van­ten Hand­funk­ti­on bei unk­tio­nell schwer ein­ge­schränk­ten Pati­en­ten (mit initia­lem Fugl-Mey­er Score < 25, bei denen kein akti­ves Hand­öff­nen mög­lich ist) im chro­ni­schen Sta­di­um durch den inten­si­ven Ein­satz der Hand­orthe­se hin 18 19.

Neben dem Ein­satz unter­schied­li­cher Hand­orthe­sen kann fer­ner auf fol­gen­de Metho­den zurück­ge­grif­fen werden:

  • Funk­tio­nel­le Elek­tro­sti­mu­la­ti­on (FES; bei ent­spre­chen­der Indi­ka­ti­on) mit der Unter­ar­mor­the­se „ReGrasp“, die am betrof­fe­nen Unter­arm ange­legt wird. Ein­ge­ar­bei­tet sind meh­re­re Elek­tro­den, die die für das Grei­fen und Los­las­sen zustän­di­gen Mus­keln durch einen elek­tri­schen Impuls sti­mu­lie­ren, sodass die­se die Bewe­gung selbst­stän­dig aus­füh­ren. Der Impuls­ge­ber wird am Ohr getra­gen, qua­si wie ein Hör­ge­rät. Nickt der Pati­ent, greift die Hand zu – nickt er erneut, öff­net sie sich wie­der (Abb. 11). Nach Kennt­nis der Autoren ist dies aktu­ell das ein­zi­ge Sys­tem, das ohne wei­te­res Equip­ment das will­kür­li­che Grei­fen und Los­las­sen der Hand erlaubt, das orts­un­ab­hän­gig und damit auch im eige­nen Umfeld anwend­bar ist, das bei­de Hän­de zur frei­en Ver­fü­gung ein­setz­bar belässt und das gleich­zei­tig so wenig auf­trägt, dass es auch unter her­kömm­li­cher Klei­dung getra­gen wer­den kann.
  • Die EMG-getrig­ger­te Mus­kel­sti­mu­la­ti­on (Abb. 12) ist eine Kom­bi­na­ti­on aus Bio­feed­back und elek­tri­scher Sti­mu­la­ti­on. Dabei wird die will­kür­li­che Mus­kel­ak­ti­vi­tät des Pati­en­ten auf­ge­nom­men und verstärkt.
  • Repe­ti­ti­ve Peri­phe­re Magnet­sti­mu­la­ti­on (rPMS): Für vie­le Pati­en­ten ist die will­kür­li­che Ansteue­rung bestimm­ter Mus­keln oder Mus­kel­grup­pen nach einem Schlag­an­fall erschwert. Die­sen Pati­en­ten kann die soge­nann­te FMS (Funk­tio­nel­le Magnet­sti­mu­la­ti­on) bzw. die repe­ti­ti­ve Peri­phe­re Magnet­sti­mu­la­ti­on (rPMS) ange­bo­ten wer­den. Durch die funk­tio­nel­le Magnet­sti­mu­la­ti­on erfolgt eine Akti­vie­rung der Moto­neu­ro­nen, die für die resul­tie­ren­den Mus­kel­kon­trak­tio­nen ver­ant­wort­lich sind. Es kommt dabei nicht zur direk­ten Sti­mu­la­ti­on der Mus­kel­fa­sern selbst, son­dern es erfolgt eine indi­rek­te Sti­mu­la­ti­on über die moto­ri­schen Ner­ven­zel­len  20 21. Die somit neu­ro­nal gesteu­er­te Kon­trak­ti­on ist eine wich­ti­ge Grund­vor­aus­set­zung für die Reha­bi­li­ta­ti­on, denn durch die Sti­mu­la­ti­on der sen­so­mo­to­ri­schen Ner­ven­fa­sern wird die Bewe­gung im sen­so­mo­to­ri­schen Kor­tex wahr­ge­nom­men. Mit ande­ren Wor­ten: Nur was gespürt wird, kann auch bewegt werden.

Das Arm­la­bor in Egelsbach

Sowohl mecha­nisch zu bedie­nen­de Gerä­te als auch com­pu­ter­ge­stütz­te Trai­nings­sta­tio­nen las­sen eine uner­mess­li­che Viel­falt von The­ra­pie- und Trai­nings­mög­lich­kei­ten für unter­schied­li­che Funk­ti­ons­be­rei­che der obe­ren Extre­mi­tät zu. Damit wer­den fol­gen­de Zie­le verfolgt:

Busch­fort et al. 22 konn­ten in ihrer Arbeit dar­le­gen, dass der Ein­satz eines Arm­stu­di­os zur Inten­si­vie­rung der Reha­bi­li­ta­ti­on der obe­ren Extre­mi­tät nach einem Schlag­an­fall ein viel­ver­spre­chen­der Ansatz ist.

Fazit

Ent­schei­dend für eine best­mög­li­che Wie­der­her­stel­lung der durch einen Schlag­an­fall ver­lo­ren­ge­gan­ge­nen Funk­tio­nen ist, wie gezeigt wur­de, eine indi­vi­du­el­le, früh­zei­ti­ge, inter­dis­zi­pli­nä­re und inter­pro­fes­sio­nel­le sowie bedarfs­ge­rech­te the­ra­peu­ti­sche und ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung des Pati­en­ten direkt nach dem Schlag­an­fall. Unter „früh­zei­tig“ ist in die­sem Zusam­men­hang die Ver­sor­gung eines Pati­en­ten mit Unter­arm-Hand-Fin­ger-Orthe­sen und Unter­schen­kel­or­the­sen schon ab dem drit­ten Tag nach dem Schlag­an­fall auf der Inten­siv­sta­ti­on zu ver­ste­hen, wenn mög­lich. Dadurch sol­len die Orthe­sen das Ent­ste­hen von Sekun­där­schä­den – wie Ver­kür­zun­gen der Mus­kel­län­gen, Tonus­er­hö­hun­gen oder Kon­trak­tu­ren – ver­hin­dern bezie­hungs­wei­se auf­hal­ten und somit güns­ti­ge Vor­aus­set­zun­gen für die Anschluss­Heil­be­hand­lung schaffen.

Im Ide­al­fall soll­te die Orthe­sen­ver­sor­gung Hand in Hand und in Abstim­mung der unter­schied­li­chen Pro­fes­sio­nen geplant und die Orthe­sen so gewählt wer­den, dass sie im Ver­lauf indi­vi­du­ell adap­tier­bar sind, somit von Beginn an genutzt wer­den kön­nen und zudem in der Zeit der Anschluss-Heil­be­hand­lung sowie dar­über hin­aus für die Ver­wen­dung im All­tag und die ambu­lan­te The­ra­pie zur Ver­fü­gung ste­hen. Um Funk­tio­nen zu erler­nen und wie­der­zu­er­lan­gen, ist eine hohe Repe­ti­ti­ons­ra­te unab­ding­bar. Dafür ste­hen den Pati­en­ten in Egels­bach neben her­kömm­li­chen bewähr­ten The­ra­pien, Gang­ro­bo­tern und com­pu­ter­ge­stütz­ten Trai­nings­sta­tio­nen auch moder­ne Orthe­sen­kon­zep­te zur Ver­fü­gung, die die Nut­zung der betrof­fe­nen Extre­mi­tät auch außer­halb der The­ra­pie­si­tua­ti­on gewähr­leis­ten sollen.

Mit den vor­ge­stell­ten The­ra­pie­mög­lich­kei­ten und dyna­mi­schen Orthe­sen­kon­zep­ten lässt sich die Reha­bi­li­ta­ti­on eines Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten unab­hän­gig von des­sen Reha­bi­li­ta­ti­ons­pha­se unter­stüt­zen und so aus Sicht der Autoren die best­mög­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen für das Wie­der­erlan­gen des Gehens und Grei­fens schaffen.

Für die Autoren:
Bene­dikt Preisler
Geschäfts­füh­ren­der Gesellschafter
Preis­ler Group GmbH
Woogstr. 48
63329 Egels­bach
preisler@prowalk.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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