„,Das stinkt!!!‘, rief Anne und hielt sich die Nase zu. ‚Ja, ja. Spachtel und Harz riechen schon etwas speziell‘, musste Herr Ottmeier zugeben.“ In dieser Szene aus dem Kinderbuch: „Ole und die Werkstatt für zu kurze Beine“ von Dr. Holm Schneider und Samuel Wiedmann führt die Figur des Orthopädietechnikers Herr Ottmeier die Kinder Anne und Ole durch die Werkstatt des versorgenden Sanitätshauses. Eine Situation, wie sie viele Mitarbeitende aus orthopädietechnischen Werkstätten und Sanitätshäusern kennen. Für sie sind die Gerüche von Harz, Spachtel, Kleber und Lack tägliche Begleiter bei der Arbeit, doch für Patientinnen und Patienten – egal welchen Alters – ist der Geruch in einer OT-Werkstatt eine ganz besondere Sinneserfahrung.
In den zurückliegenden Jahrzehnten hat sich in der Orthopädie-Technik viel verändert, was Material und Fertigungstechniken angeht. Dadurch kamen und gingen auch einzelne Gerüche. War Holz in der Nachkriegszeit noch ein bevorzugtes Material im Prothesenbau, so spielt es in der Gegenwart keine Rolle mehr. Wer schon einmal mit Holz gearbeitet hat, der kennt den süßlichen Geruch von Baumharz nach einem Sägeschnitt. Wenn die kleinen Fasern des Holzes wie Staubkörnchen durch die Luft fliegen, dann kann es einem aber auch den Atem rauben, weswegen es nicht von ungefähr kommt, dass heutzutage beim intensiven Arbeiten mit Holz eine Atemschutzmaske getragen wird.
Ein anderes Material, das im Prothesenbau mit Holz ebenfalls vielfach angewendet wurde, ist Leder. Riemen, Schnallen – alles, was an und um Prothesen zur Verbindung an den Körper gebraucht wurde, war aus Leder. Echtleder hat einen charakteristischen Geruch, der oft als erdig oder holzig beschrieben wird. Und während es im Prothesenbau zum Beispiel durch Klettverschlüsse bzw. andere Methoden abgelöst wurde, gehört Leder auch heute noch in die OT-Werkstatt. Beim Einlagenbau findet das Material weiterhin Anwendung, vor allem wegen vieler positiver Eigenschaften, wie lange Haltbarkeit, die relative Undurchlässigkeit für Wasser bei zeitgleicher Atmungsaktivität oder die Geschmeidigkeit.
Ein Klischee, das noch vielen Sanitätshäusern angehängt wird, ist das der „Gummistrümpfe“. Die Vorstellung, dass es sich hierbei um nach Gummihandschuhen oder Autoreifen stinkende Strümpfe handelt, hat mit der Realität absolut nicht zu tun. Moderne Kompressionsversorgungen sind dank moderner Materialien atmungsaktiv und können über viele Stunden getragen werden, ohne dass sich ein unangenehmer Geruch bildet.
Verbindende Erfahrung
Kleber, Harz und Gips – (fast) alles hat einen Eigengeruch und wird im orthopädietechnischen Alltag benötigt. Einige der Kleber enthalten beispielsweise Lösungsmittel, die unangenehm riechen. Aber auch lösungsmittelfreie Produkte oder solche mit geringen Gehalten an Lösungsmitteln können einen scharfen und intensiven Geruch verströmen. Darüber, welche Substanzen für die Ausdünstungen verantwortlich sind und wie sie auf den menschlichen Organismus wirken, ist bislang wenig bekannt. Dieser Problematik widmete sich die Abteilung „Analytische Sensorik“ am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV). Prof. Dr. Andrea Büttner und ihr Team haben unter anderem vier lösungsmittelfreie Acrylklebstoffe untersucht, um herauszufinden, welche Komponenten die störenden Gerüche auslösen. Bei ihren Analysen konnten die Wissenschaftler 27 Geruchsstoffe identifizieren, die die Fehlgerüche verursachen. „Wenn Produkte besonders stark riechen, kann das darauf hinweisen, dass bedenkliche Substanzen enthalten sind“, so das Fazit von Prof. Büttner. Deswegen sei es wichtig, dass bei Klebstoffen auf den richtigen Umgang geachtet wird, aber auch, dass Hersteller sich der Aufgabe stellen, gesundheitsgefährdende Stoffe aus den Klebstoffen zu eliminieren.
Abwesenheit von Geruch
Gerüche werden von Menschen unterschiedlich wahrgenommen. Aber bei „frischer Luft“ sind sich alle einig, dass man davon nicht genug bekommen kann. Zu versorgende Menschen und Werkstattausstattung können aber nicht einfach, wie etwa ein gutes Buch, in die Hand genommen und nach draußen verlagert werden. Vielmehr spielt sich nahezu der gesamte Arbeitstag in geschlossenen Räumen ab. Da Kleber und Co. nicht nur einen eigenartigen Geruch haben, der unangenehm sein kann, sondern auch potenziell gesundheitsgefährdend sind, müssen sich Betriebsinhaber:innen Gedanken machen, wie sie die Gerüche aus der Werkstatt und dem Sanitätshaus entfernen können. Eine Möglichkeit besteht darin, Abzüge zu installieren und die Gerüche nach draußen zu transportieren. Dank Filteranlagen wird zudem der Schadstoff aus der Luft gefiltert und kann anschließend fachgerecht entsorgt werden. Diese Abwesenheit von Gerüchen schont die Mitarbeitenden nicht nur vor unangenehmen Erfahrungen, es ist auch ein Beitrag für einen „gesunden“ Arbeitsplatz.
Drucker
Wie verändern moderne Fertigungstechniken die Gerüche der OT? Am Beispiel der Additiven Fertigung lässt sich das bestens erklären. Innerhalb der digitalen Prozesskette gibt es immer wieder Möglichkeiten, klassische Arbeitsschritte durch digitale zu ergänzen oder zu ersetzen. Wer mit dem Scanner arbeitet, der wird nicht mehr im Gipsraum unterwegs sein, wer am PC konstruiert, wird in einem Büro statt der Werkstatt arbeiten, und wenn der 3D-Drucker loslegt, dann muss in den seltensten Fällen eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter im Raum anwesend sein. Falls doch, dann darf sie bzw. er sich – je nach Druckverfahren – durchaus auf einen neuen Geruch einstellen. Beim Druck mit Filamenten kommt es – je nach Material – zu einer teilweise hohen Geruchsbelästigung. Von süßlich bis „verbrannt“ reicht dabei die Geruchspalette, von der die Expert:innen berichten. Daher ist es auch hier wichtig, dass eine Filteranlage gesundheitsschädliche Partikel aus der Atemluft filtert.
Gut gepflegt riecht es sich besser
Auch außerhalb der OT-Werkstatt und des Sanitätshauses spielt Geruch natürlich eine große Rolle. Vor allem, wenn der Geruch unangenehm und im wahrsten Sinne des Wortes ein Begleiter auf Schritt und Tritt ist. Die Rede ist von Einlagen. Gründe für den unangenehmen Geruch können beispielsweise Schweiß, oder mangelhafte Pflege sein. Dabei können die Patientinnen und Patienten aktiv etwas dafür tun, dass Einlagen zu einem treuen Begleiter werden und ihre Bestimmung als orthopädisches Hilfsmittel auch voll entfalten können. Lüften, Sand und Dreck aus den Schuhen schütten und sanfte Pflege – all das verhindert, dass die Einlage den Patient:innen „in die Nase steigt“.
Allerdings wissen erfahrene Mitarbeitende im Sanitätshaus, dass der ein oder andere Anwender es manchmal ein bisschen zu gut mit der Geruchsentfernung meint. Dann wandert die Einlage in die Waschmaschine, anschließend auf die Heizung und wird – um ganz auf Nummer sicher zu gehen – auch noch desinfiziert. Eine Trilogie der Fehler, die zwar dafür sorgt, dass der Geruch sich verändert, das Hilfsmittel aber nicht mehr Hilfsmittel, sondern wahrscheinlich orthopädischer Abfall ist.
Geruchssinn ist Alarmanlage
Warum spielt „Riechen“ beziehungsweise „Geruch“ so eine wichtige Rolle in unserem Leben? Vom Geruchssinn wird angenommen, dass er entwicklungsgeschichtlich der älteste aller Sinne ist. Es ist ein komplexes System, bei dem Duftstoffe aus der Atemluft gefiltert werden. Genauer gesagt, nehmen wir über die Riechschleimhaut im Inneren der Nase Duftmoleküle auf, die dann über Riechnerven an den Riechkolben und weiter an das Riechzentrum im Gehirn geleitet werden. Dies geschieht in atemberaubender Geschwindigkeit und parallel laufen im Gehirn anschließend eine Vielzahl von Prozessen gleichzeitig ab, um Gerüche einzuordnen und gegebenfalls zu reagieren. Der Geruchssinn ist unsere Alarmanlage für Dinge, die wir weder hören noch sehen können. Erdgas wird aus diesem Grund beispielsweise Methylmercaptan zugesetzt, da es bereits bei einer sehr niedrigen Konzentration deutlich wahrnehmbar ist. So kann ein potenzielles Gasleck frühzeitig entdeckt werden.
Doch weil Geruch so unterschiedlich wahrgenommen wird, ist die eigene Spürnase ein Ratgeber, auf den man sich nicht immer verlassen kann. Außerdem ist unser Geruchssinn beeinflussbar und passt sich den Gegebenheiten an. Nicht zu Unrecht sagt im Kinderbuch der Orthopädietechniker Herr Ottmeier bezogen auf die Gerüche von Gips, Harz, Kleber und Lack: „Mit der Zeit gewöhnt man sich daran.“
Heiko Cordes
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