OT: Sie gelten als ausgewiesener Experte für die Narbentherapie. Wie kamen Sie zu diesem Spezialgebiet?
Holger Pauli: Im elterlichen Betrieb hat mein Vater bereits seit Mitte der 1970er-Jahre mit der Versorgung von Patient:innen mit Narben begonnen. Mein Berufsziel stand für mich bereits während der Schulzeit fest und so bin ich buchstäblich in diesen Bereich hineingewachsen. Parallel zu meinen beiden Ausbildungen in anderen Unternehmen habe ich meinen Vater bei Narbenversorgungen begleitet. Die maximal mögliche Verbesserung des Hautbildes nach thermischen Verletzungen zu erzielen, ob bei Erwachsenen oder Kindern, ist ungemein motivierend und mein Hauptbeweggrund, auf diesem Gebiet intensiv zu arbeiten.
OT: Welche Rolle spielen Sanitätshäuser bei der Versorgung von Patient:innen mit thermischen Verletzungen?
Pauli: Die Aufgabe im interprofessionellen Team besteht darin, mit hoher Fachkompetenz die Beratung, Risikoanalyse, Design-Erarbeitung, Maßnahme und individuelle Anpassung und Herstellung von Narbenkompressionsbandagen aus textilelastischen und rigiden Materialien umzusetzen. Ergänzt werden diese Versorgungen durch Silontex, individuell gefertigte HTV- oder RTV-Silikonpelotten, HTV- oder RTV-Silikonsonderkonstruktionen nach Abdruck und individuelle Anpassung von dauerhaften statischen und/oder dynamischen Streck- und Beugequengeln bei Narbenkontrakturen sowie deren Reparaturen und Nachpassungen. Diese Aufgaben obliegen qualiziertem Fachpersonal wie präqualizierten Orthopädietechniker:innen und ähnlichen Fachberufen mit Präqualikation. Auch die Anleitung zum Gebrauch, regelmäßige Kontrollen und die erforderlichen Dokumentationen nach dem Medizinproduktegesetz (MPG) fallen in deren Aufgabenbereich. Sanitätshäuser können ein wichtiger Partner im interprofessionellen Team der Narbentherapie sein. Voraussetzung hierfür sind eine fundierte Ausbildung und hohe Fachkompetenz der ausführenden Mitarbeiter:innen in diesem Fachbereich.
OT: Woher bekommen Sie Nachwuchs für Ihren Betrieb?
Pauli: Narbentherapie ist ein wichtiger Bereich in unserem Unternehmen. Somit bilden wir den benötigten Nachwuchs – wie in anderen Bereichen auch – für diesen Fachbereich selbst aus. Als Referent der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik e. V. (BUFA) in Dortmund gebe ich meine Erfahrung und mein Wissen gerne an die Schüler:innen und Kursteilnehmer:innen weiter. Wie bei allen Feldern unseres Berufes gilt auch hier: Wer sich mit der Narbentherapie auseinandersetzt, muss es ernst meinen, mit viel Interesse und großem Engagement herangehen und sich ständig weiterbilden. Nur so können wir gute Versorgungen abliefern.
OT: Wie steht es um die Akzeptanz von Orthopädietechniker:innen in einem Leitlinien-Gremium, das überwiegend aus Mediziner:innen besteht?
Pauli: Akzeptanz und Anerkennung in der Ärzteschaft erarbeiten sich Orthopädietechniker:innen, indem sie über Jahre innerhalb der Teams ordentliche und gute Ergebnisse erzielen und damit ihre Fachkompetenz nachweisen. Wir arbeiten bei der Narbentherapie in interprofessionellen Teams von Ärzt:innen, Physio- und Ergotherapeut:innen sowie mit weiteren Berufsgruppen eng zusammen. Gemeinsam stimmen die Beteiligten je nach Ursache und Verletzung die individuellen Behandlungskonzepte ab. So entsteht auch in Leitlinien-Gremien ein Dialog auf Augenhöhe aller beteiligten Berufsgruppen mit hoher Achtung der Leistung des anderen.
OT: Was nehmen Sie mit aus Ihrer Leitlinienarbeit?
Pauli: Es genügt nicht, die eigene Fachexpertise einzubringen. Um wirklich mitzuarbeiten, musste ich mich in beteiligte Fachgebiete wie etwa die Schockraumabläufe, Intensivmedizin und OP-Techniken einlesen und aktiv austauschen. Dabei habe ich unglaublich viel gelernt, konnte meinen Horizont deutlich erweitern und so ein noch tieferes Verständnis für die Expertise der anderen Berufsgruppen erlangen. Trotz oder gerade wegen der vielen Stunden, die ich für diesen Lernprozess jenseits der konkreten Gremienarbeit aufgewendet habe, empfinde ich die Mitarbeit als enorm bereichernd. Deshalb freue ich mich sehr über meine Mandatsernennung zur derzeitigen Mitarbeit bei der Überarbeitung der S2k-Leitlinie zur „Behandlung thermischer Verletzungen im Kindesalter“.
OT: Welche Bedeutung haben Leitlinien für Patient:innen?
Pauli: Leitlinien tragen dazu bei, den Versorgungsprozess für die betroffenen Menschen aktualisiert darzustellen und Versorgungsergebnisse zu verbessern, beginnend bei der Erstversorgung bis zur Ausreifung der Narben und Abschluss der Behandlung. In die neue Version der Leitlinie für die „Behandlung thermischer Verletzungen bei Erwachsenen“ wird für unseren Versorgungsbereich zum Beispiel die Silikontherapie verfeinert dargestellt. Auch in Zukunft gilt das Prinzip, über die Neufassungen von Leitlinien aktuelle Erkenntnisse und Studienergebnisse in die Leitlinien einießen zu lassen.
Die Fragen stellte Ruth Justen.
Wie von der Ständigen Kommission Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in ihrem Regelwerk „Leitlinien“ gefordert, müssen Leitlinien in regelmäßigen Abständen – spätestens nach fünf Jahren – aktualisiert werden. Die neue S2k-Leitlinie „Behandlung thermischer Verletzungen des Erwachsenen“ stellt die Aktualisierung der entsprechenden Leitlinie aus dem Jahr 2018 dar. Sie wurde von einem Gremium aus Vertretern der folgenden Verbände und Fachgesellschaften unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Oliver Rennekampff, Chefarzt der Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie am Rhein-Maas-Klinikum in Würselen, als Leitlinie der DGV erstellt:
Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin e. V. (DGV)
Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen e. V. (DGPRÄC)
Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) e. V.
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie e. V. (DGCH)
Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie e. V. (DGHM)
Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie e. V. (DeGPT)
Deutscher Bundesverband für Narbentherapie e. V. (DBNT e. V.)
Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT)
Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK) e. V.
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e. V. (DGKCH)
Deutsche Gesellschaft für Physikalische und Rehabilitative Medizin e. V. (DGPRM) Cicatrix e. V.
Bezüglich der Handlungsempfehlungen seien in der aktuellen Version keine neuen Vorgaben zur Narbentherapie hinzugekommen, es würde aber auf die aktualisierte Leitlinie Narbentherapie hingewiesen, wie Prof. Dr. Rennekampff erklärte und zur Rolle der Sanitätshäuser im Versorgungsteam ergänzte: „Die Sanitätshäuser sind verantwortlich für die sachgerechte Umsetzung der Verordnung seitens der Ärztinnen und Ärzte insbesondere im Bereich Narben-Kompressionswäsche.“
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