Exo­ske­let­te in der The­ra­pie von Rückenmarkverletzungen

R. Kleinschmidt, B. Freyberg-Hanl, D. Kuhn
Das robotergestützte Gehtraining mit Hilfe eines Exoskeletts etabliert sich zunehmend im therapeutischen Behandlungsprozess. Ziel des Einsatzes solcher Systeme ist sowohl die Unterstützung vorhandener Körperfunktionen unter präventiven Gesichtspunkten als auch die Wiedererlangung verlorengegangener Funktionen im Rahmen rehabilitativer Prozesse. Die Anwendung solcher Systeme hat nicht nur positive Effekte auf die sensomotorischen Störungen, sondern auch auf Begleitkomplikationen der Grunderkrankungen sowie auf die psychische Gesundheit des Betroffenen. Allerdings ist nur über die Kenntnis der patientenbezogenen Befunddaten und der technischen Parameter der Systeme eine schlüssige und lückenlose Indikationsstellung für eine sinnvolle Therapie zu erreichen. Mit Hilfe eines Entscheidungsalgorithmus kann festgestellt werden, welche Exoskelettsysteme für welche Einsatzbereiche geeignet sind, um das jeweils bestmögliche Therapieergebnis für den Patienten zu erzielen.

Ein­lei­tung

Die Schät­zun­gen zur welt­wei­ten Inzi­denz von Quer­schnitt­läh­mun­gen belau­fen sich auf 40 bis 80 neue Fäl­le jähr­lich pro eine Mil­li­on Ein­woh­ner, basie­rend auf qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen natio­na­len Stu­di­en zur Inzi­denz von Quer­schnitt­läh­mun­gen aller Ursa­chen (traumatisch/nichttraumatisch). Das bedeu­tet, dass jähr­lich zwi­schen 250.000 und 500.000 Men­schen welt­weit eine Quer­schnitt­läh­mung erlei­den 1. His­to­risch waren bis zu 90 % der Fäl­le von Quer­schnitt­läh­mun­gen trau­ma­ti­schen Ursprungs. Die betrof­fe­nen Men­schen nicht­trau­ma­ti­scher Quer­schnitt­läh­mun­gen sind in der Regel älter und lei­den an fort­schrei­ten­den Erkran­kun­gen. Ein bedeu­ten­der Anteil der Unfäl­le, die zu Quer­schnitt­läh­mun­gen füh­ren, ist berufs­be­dingt – ins­be­son­de­re in der Bau­bran­che, in der Land­wirt­schaft und im Berg­bau. Die häu­figs­ten äuße­ren Ein­wir­kun­gen im Arbeits­um­feld sind Stür­ze aus der Höhe oder Unfäl­le, bei denen die Betrof­fe­nen von fal­len­den Gegen­stän­den getrof­fen oder ein­ge­quetscht wer­den 1.

Der Bedarf an unter­stüt­zen­der Tech­no­lo­gie beginnt nor­ma­ler­wei­se mit dem Ein­tre­ten einer Quer­schnitt­läh­mung und besteht wäh­rend der gesam­ten Lebens­dau­er des Betrof­fe­nen. Wel­che Art der unter­stüt­zen­den Tech­no­lo­gie benö­tigt wird, hängt ab vom Grad der Quer­schnitt­läh­mung und den damit ver­bun­de­nen Beein­träch­ti­gun­gen, von Umwelt­fak­to­ren (z. B. phy­si­sche Umwelt, Unter­stüt­zung, Bezie­hun­gen), von per­so­nen­be­zo­ge­nen Fak­to­ren (z. B. Alter, Fit­ness, Lebens­wei­se) und von gege­be­nen­falls bestehen­den sekun­dä­ren Gesund­heits­pro­ble­men. Unter­stüt­zen­de Tech­no­lo­gien wer­den oft gemäß dem Funk­ti­ons­be­darf geglie­dert und schlie­ßen des­halb Mobi­li­täts­hil­fen, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­rä­te, Hilfs­mit­tel zur Selbst­ver­sor­gung, Hilfs­mit­tel bei häus­li­chen Akti­vi­tä­ten und Umwelt­kon­troll­sys­te­me ein.

Eine rela­tiv neue unter­stüt­zen­de Tech­no­lo­gie ist das robo­ter­ge­stütz­te Geh­trai­ning mit Hil­fe eines Exo­ske­letts. Die am Markt erhält­li­chen Exo­ske­lett­sys­te­me eta­blie­ren sich zuse­hends im the­ra­peu­ti­schen Behand­lungs­pro­zess. Auf der Grund­la­ge inten­si­ver Lite­ra­tur­re­cher­che und eige­ner Erfah­run­gen in der Anwen­dung ein­zel­ner Exo­ske­lett­sys­te­me kön­nen die Sys­te­me für ver­schie­de­ne Ein­satz­be­rei­che defi­niert und ein Ent­schei­dungs­al­go­rith­mus zur Tes­tung der Anwend­bar­keit von Exo­ske­let­ten ent­wi­ckelt werden.

Das tech­ni­sche Exoskelett

Der Begriff „Exo­ske­lett“ stammt ursprüng­lich aus der Bio­lo­gie und wur­de vor dem Hin­ter­grund sei­ner Bedeu­tung als einer von außen wirk­sa­men stüt­zen­den Kör­per­struk­tur (etwa bei Insek­ten) in die Medi­zin über­tra­gen 2. Das Exo­ske­lett in der Reha­bi­li­ta­ti­on lässt sich auf das Prin­zip nicht­mo­to­ri­sier­ter Orthe­sen zurück­füh­ren, die eine äuße­re Stütz­funk­ti­on in Form von Schie­nen gewähr­leis­ten 3. Unter einem „tech­ni­schen Exo­ske­lett“ ver­steht man einen anzieh­ba­ren und sich außer­halb des Kör­pers befind­li­chen bat­te­rie­ge­stütz­ten und motor­be­trie­be­nen bio­ni­schen (Geh-)Roboter zur Füh­rung und Unter­stüt­zung der Extre­mi­tä­ten und/oder der Rumpf­funk­ti­on. Ziel der Ver­wen­dung die­ser Sys­te­me ist sowohl eine Unter­stüt­zung vor­han­de­ner nor­ma­ler Kör­per­funk­tio­nen unter prä­ven­ti­ven Gesichts­punk­ten als auch die Wie­der­erlan­gung ver­lo­ren­ge­gan­ge­ner Funk­tio­nen im Rah­men reha­bi­li­ta­ti­ver Prozesse.

Pri­mär wur­den tech­ni­sche Exo­ske­let­te für den mili­tä­ri­schen Bereich ent­wi­ckelt, um Sol­da­ten zu befä­hi­gen, schwe­re Las­ten über lan­ge Stre­cken und in unweg­sa­mem Gelän­de zu trans­por­tie­ren. Der Ein­satz die­ser unter­stüt­zen­den Gerä­te und damit die Gewin­nung von Erfah­run­gen zur Bewer­tung ihres Nut­zens befin­den sich in die­sem Zusam­men­hang erst in einem sehr frü­hen Sta­di­um der wis­sen­schaft­li­chen For­schung. Somit ist auch die Aus­sa­ge­kraft für die Anwen­dung die­ser Sys­te­me im Bereich der Reha­bi­li­ta­ti­on oder zum Aus­gleich von Fähig­keits­stö­run­gen (Behin­de­rungs­aus­gleich) noch limitiert.

Das Exo­ske­lett in der Reha­bi­li­ta­ti­on neuro­logischer Gangstörungen

Die the­ra­peu­ti­sche Behand­lung von Men­schen mit kom­ple­xen Ver­let­zungs­bil­dern im mus­ku­los­ke­letta­len und neuro­traumalogischen Bereich unter­liegt seit Jah­ren einem ste­ti­gen, bis­wei­len dyna­mi­schen Pro­zess einer ver­mehr­ten Inte­gra­ti­on gerä­te­ge­stütz­ter und com­pu­ter­ge­steu­er­ter Sys­te­me 3. Die Inte­gra­ti­on die­ser Sys­te­me in den reha­bi­li­ta­ti­ven Bereich erlaubt es, eine the­ra­peu­ti­sche Inter­ven­ti­on kon­ti­nu­ier­lich und kon­trol­liert durch­zu­füh­ren. Das erleich­tert die Arbeit mit dem Pati­en­ten und ermög­licht es dem Anwen­der mit jeweils vor­ein­ge­stell­ten und damit ver­gleich­ba­ren Para­me­tern, eine mehr oder weni­ger objek­ti­vier­ba­re wei­ter­füh­ren­de Aus­wer­tung zu gene­rie­ren. Das gilt nicht zuletzt für die Unter­stüt­zung des Gehens bei Pati­en­ten mit erwor­be­nen neu­ro­lo­gi­schen Gang­stö­run­gen. Dafür haben sich mitt­ler­wei­le ver­schie­de­ne Exo­ske­lett­sys­te­me eta­bliert. Vor die­sem Hin­ter­grund ergibt sich die Fra­ge­stel­lung, wann man wel­ches Sys­tem als das am bes­ten geeig­ne­te ein­setzt, um best­mög­li­che The­ra­pie­er­geb­nis­se mit dem Pati­en­ten zu erzielen.

Die aktu­ell auf dem Markt befind­li­chen Sys­te­me, die im reha­bi­li­ta­ti­ven bzw. im the­ra­peu­ti­schen Bereich zur Anwen­dung kom­men, wer­den pri­mär als dyna­mi­sche Geh­trai­nings­ge­rä­te ver­­wendet. Sie ermög­li­chen es Pati­en­ten mit einer Schwä­chung oder Läh­mung der unte­ren Extre­mi­tät, auf ebe­nen Flä­chen zu ste­hen und zu gehen. Die­se Gerä­te unter­schei­den sich ins­be­son­de­re durch die fol­gen­den Aspekte:

  • die Art der Ansteue­rung der Motoren,
  • ihren Ein­satz­be­reich („Ground­walking“ vs. Laufband),
  • die mög­li­chen Einstellparameter,
  • den gene­rier­ten Bewegungsablauf,
  • die Auf­bau­ma­ße sowie
  • den Nut­zungs­zeit­raum.

Um eine indi­ka­ti­ons­spe­zi­fi­sche und damit gefahr­lo­se und ziel­füh­ren­de Anwen­dung eines Exo­ske­lett­sys­tems umset­zen zu kön­nen, ist die Erhe­bung und Abklä­rung ver­schie­de­ner Para­me­ter not­wen­dig. Dies sind zum einen die gerä­te­ba­sier­ten Fähig­kei­ten der ver­schie­de­nen Sys­te­me, zum ande­ren die ana­mne­ti­schen Fak­to­ren wie direkt ver­let­zungs­be­ding­te Fol­ge­sym­pto­ma­ti­ken und all­ge­mein kör­per­ori­en­tier­te Einflussgrößen.

Exo­ske­lett­sys­te­me auf dem Markt

Die am Markt erhält­li­chen und zuge­las­se­nen Exo­ske­lett­sys­te­me eta­blie­ren sich zuneh­mend im the­ra­peu­ti­schen Behand­lungs­pro­zess. Aller­dings ist nur über die Kennt­nis der pati­en­ten­be­zo­ge­nen Bef­und­da­ten und der tech­ni­schen Para­me­ter der Sys­te­me eine schlüs­si­ge und lücken­lo­se Indi­ka­ti­ons­stel­lung für eine sinn­vol­le The­ra­pie zu errei­chen. Im eige­nen kli­ni­schen Set­ting (akut, reha­bi­li­ta­tiv, ambu­lant) wur­den fol­gen­de Exo­ske­lett­sys­te­me ange­wen­det und getestet:

Ekso, Fa. Bio­nics, vor­mals Fa. Ber­kley (USA)

  • Sys­tem bis­her nur zur Anwen­dung in der The­ra­pie zuge­las­sen, CE- und FDA-Zulassung
  • Ground­wal­king
  • Ansteue­rung über Bewe­gungs­sen­so­ren, die durch seit­li­che Gewichts­verlagerung akti­viert werden
  • Begleit­per­son immer erforderlich
  • mög­li­che Kör­per­grö­ße: 158–188 cm
  • maxi­ma­les Kör­per­ge­wicht: 100 kg
  • maxi­ma­le Hüft­brei­te: 45,7 cm
  • Fem­ur­län­ge: 51–61 cm
  • Eigen­ge­wicht: 23,5/23,9 kg
  • Trep­pen­stei­gen nicht möglich
  • Betriebs­dau­er: 4–6 Stunden

Inde­go, Fa. Par­ker Han­ni­fin (USA)

  • Sys­tem zur Anwen­dung in der The­ra­pie zuge­las­sen, CE- und FDA-Zulassung
  • Ground­wal­king
  • Ansteue­rung über Bewe­gungs­sen­so­ren in Knie- und Hüft­ge­len­ken, die durch die Schrit­t­ein­lei­tung akti­viert werden
  • Begleit­per­son immer erforderlich
  • mög­li­che Kör­per­grö­ße: 155–195 cm, 3 Sys­tem­grö­ßen (klein, mit­tel, groß)
  • maxi­ma­les Kör­per­ge­wicht: 113 kg
  • maxi­ma­le Hüft­brei­te: 42,2 cm
  • Fem­ur­län­ge: 35–47 cm
  • Eigen­ge­wicht: 12 kg
  • Trep­pen­stei­gen nicht möglich
  • Betriebs­dau­er: 3–4 Stun­den akti­ve Gang­zeit, bis zu 8 Stun­den bei nor­ma­lem täg­li­chem Gebrauch

HAL (Hybrid Assis­ti­ve Limb) – Lower Limb Model, Fa. Cyber­dy­ne (Japan)

  • Sys­tem zur Anwen­dung in der The­ra­pie zuge­las­sen, CE-Zulassung
  • lauf­band­ge­bun­de­nes The­ra­pie­ge­rät zur Durch­füh­rung von Gehübungen
  • Siche­rung des Pati­en­ten durch Decken­schie­nen­sys­tem oder Auf­hän­gung im Laufband
  • Ansteue­rung über Ober­flä­chen-EMG-Ablei­tung und Bewegungssensoren
  • Begleit­per­so­nen immer erforderlich
  • mög­li­che Kör­per­grö­ße: 150–200 cm, 4 Sys­tem­grö­ßen (S‑Size, M‑Size, L‑Size, XL-Size)
  • maxi­ma­les Kör­per­ge­wicht: 100 kg
  • maxi­ma­le Hüft­brei­te: 40 cm
  • Fem­ur­län­ge: 36–48 cm
  • Eigen­ge­wicht: je nach Aus­füh­rung 9–14 kg
  • Betriebs­dau­er: ca. 1 Stunde

ReWalk, Fa. Argo Medi­cal (Isra­el)

  • Sys­tem zur Anwen­dung in der The­ra­pie zuge­las­sen, CE- und FDA-Zulassung
  • Ground­wal­king
  • Ansteue­rung über Bewe­gungs­sen­so­ren in Knie- und Hüft­ge­len­ken, die durch Gewichts­ver­la­ge­rung nach vorn akti­viert wer­den und die Schrit­te einleiten
  • Begleit­per­son laut Her­stel­ler immer erforderlich
  • mög­li­che Kör­per­grö­ße: 160–190 cm, 3 Sys­tem­grö­ßen (klein, mit­tel, groß)
  • maxi­ma­les Kör­per­ge­wicht: 100 kg
  • maxi­ma­le Hüft­brei­te: 37 cm
  • maxi­ma­le Fem­ur­län­ge: 48 cm
  • Eigen­ge­wicht: 18 kg
  • Trep­pen­stei­gen (theo­re­tisch) möglich
  • Betriebs­dau­er: 3–4 Stunden

Indi­ka­tio­nen und Kon­tra­in­di­ka­tio­nen für eine Exoskeletttherapie

Die Grund­la­gen zur Ein­bin­dung eines Exo­ske­letts in eine The­ra­pie bil­den eine struk­tu­rier­te initia­le Ana­mne­se des Pati­en­ten sowie auf der Akten­la­ge basie­ren­de Recher­chen. Ergän­zend muss regel­haft eine fokus­sier­te kli­ni­sche Befun­dung im Sin­ne einer medi­zi­ni­schen Pri­mär­ana­ly­se durch­ge­führt und die­se anschlie­ßend bewer­tet werden.

Für eine Klas­si­fi­ka­ti­on und Ver­laufs­be­schrei­bung einer Quer­schnitt­sym­pto­ma­tik wird der Grad des Läh­mungs­aus­ma­ßes (der sen­si­blen, moto­ri­schen Funk­tio­nen und das neu­ro­lo­gi­sche Niveau) in der ASIA-Sca­le (Ame­ri­can Spi­nal Inju­ry Asso­cia­ti­on Sca­le) definiert.

A – kom­plett: Kei­ne sen­si­ble oder moto­ri­sche Funk­ti­on ist in den sakra­len Seg­men­ten S4/S5 erhalten.

B – inkom­plett: Sen­si­ble, aber kei­ne moto­ri­sche Funk­ti­on ist unter­halb des neu­ro­lo­gi­schen Niveaus erhal­ten und dehnt sich bis in die sakra­len Seg­men­te S4/S5 aus.

C – inkom­plett: Moto­ri­sche Funk­ti­on ist unter­halb des neu­ro­lo­gi­schen Niveaus erhal­ten, und die Mehr­zahl der Kenn­mus­keln unter­halb des neu­ro­lo­gi­schen Niveaus hat einen Kraft­grad von weni­ger als 3 (nach Janda).

D – inkom­plett: Moto­ri­sche Funk­ti­on ist unter­halb des Schä­di­gungs­ni­veaus erhal­ten, und die Mehr­heit der Kenn­mus­keln unter­halb des neu­ro­lo­gi­schen Niveaus hat einen Kraft­grad grö­ßer oder gleich 3 (nach Janda).

E – nor­mal: Sen­si­ble und moto­ri­sche Funk­tio­nen sind normal.

Eine wei­te­re Hil­fe zur Fest­le­gung einer Indi­ka­ti­on oder Kon­tra­in­di­ka­ti­on sind die moto­ri­schen und sen­si­blen Funk­ti­ons­tests. Neben der Tes­tung der Beweg­lich­keit der ein­zel­nen Gelen­ke (sowohl der unte­ren als auch der obe­ren Extre­mi­tät) wird auch der Mus­kel­to­nus mit der Ashworth-Ska­la unter­sucht und ein­ge­schätzt. Die Ashworth-Ska­la misst die Zunah­me an Mus­kel­span­nung (Mus­kel­to­nus) bei pas­si­ver Bewegung:

Grad 1 – nor­ma­ler Muskeltonus

Grad 2 – leich­te Tonus­stei­ge­rung, rucken­de Bewe­gun­gen bei pas­si­ven Bewe­gun­gen der Extre­mi­tät in Beu­gung und Streckung

Grad 3 – deut­li­che Tonus­stei­ge­rung, Extre­mi­tät kann aber noch ein­fach durch­be­wegt werden

Grad 4 – deut­lich erhöh­ter Tonus, pas­si­ve Bewe­gung schwierig

Grad 5 – in Beu­gung und Stre­ckung steife/rigide Extremität

Sowohl die tech­ni­schen Vor­aus­set­zun­gen der ver­schie­de­nen Sys­te­me als auch die kör­per­li­chen Vor­aus­set­zun­gen der Pati­en­ten bil­den – neben all­ge­mei­nen Indi­ka­tio­nen und Kon­tra­in­di­ka­tio­nen – die Grund­la­ge zur Ent­schei­dung für oder gegen eine The­ra­pie mit einem Exoskelettsystem.

Indi­ka­tio­nen

  • Quer­schnitt­läh­mung sub C7 AIS (ASIA – Ame­ri­can Spi­nal Inju­ry Asso­cia­ti­on – Impair­ment Sca­le) A–D
  • neu­ro­lo­gi­sche Erkran­kun­gen mit mus­ku­lä­rer Schwäche
  • Wir­bel­kör­per­seg­ments­er­grö­ße zwi­schen 160 und 195 cm
  • Kör­per­ge­wicht bis 100 kg
  • Hüft­wei­te bis 45 cm
  • regel­mä­ßi­ge Nut­zung von Stehgeräten
  • belas­tungs­sta­bi­le Glied­ma­ßen im nahe­zu nor­ma­len Bewegungsbereich
  • Ein­wil­li­gungs­fä­hig­keit in die Therapiemaßnahme
  • Frei­ga­be nach Unter­su­chung durch einen Arzt

Kon­tra­in­di­ka­tio­nen

  • ernst­haf­te Begleit­erkran­kun­gen: Infek­tio­nen, Herz-Kreis­lauf-Stö­run­gen, Herz- oder Lun­gen­lei­den, Druckstellen
  • schwe­re Spas­ti­zi­tät (Ashworth ≥ 4)
  • erheb­li­che Kontrakturen
  • het­e­ro­tro­pe Ossifikation
  • kogni­ti­ve Beeinträchtigungen
  • Kolosto­mie
  • ein­ge­schränk­te Gelenkbeweglichkeit
  • Unter­schied in den Beinlängen
  • unbe­ho­be­ne tie­fe Venenthrombose
  • Ampu­ta­ti­on

Entscheidungs­algorithmus

Im Pro­zess der Ein­satz­pla­nung erfol­gen wei­ter­hin eine Dif­fe­ren­zie­rung und Betrach­tung der Läh­mungs­si­tua­ti­on und des dar­auf basie­ren­den moto­risch-­sen­si­blen Funk­ti­ons­bil­des sowie eine Defi­ni­ti­on der Ziel­set­zung der The­ra­pie. Zudem ist abhän­gig vom mög­li­chen Ein­satz­be­reich eines Exo­ske­let­tes eine Dif­fe­ren­zie­rung nach The­ra­pie- bzw. Trai­nings­sys­tem vor­zu­neh­men. Dazu wur­de im Ver­lauf der Anwen­dung ver­schie­de­ner Sys­te­me im kli­ni­schen Set­ting ein Ent­schei­dungs­al­go­rith­mus ent­wi­ckelt (Abb. 1).

Nur in einer Kom­bi­na­ti­on aus der Kennt­nis über eine neu­ro­lo­gi­sche Gang­stö­rung, dem Wis­sen über die Kon­tra­in­di­ka­tio­nen der Anwen­dung eines Exo­ske­letts und durch das Ver­ständ­nis der tech­ni­schen Para­me­ter des Sys­tems besteht im Ergeb­nis Klar­heit über den mög­li­chen Ein­satz und den damit ver­bun­de­nen Nut­zen für den Patienten.

Aktu­el­le Entwicklungen

Die Exo­ske­lett-The­ra­pie stellt momen­tan eine her­vor­ra­gen­de Ergän­zung für die eta­blier­ten the­ra­peu­ti­schen Ver­fah­ren dar – sowohl im Rah­men der Akut­be­hand­lung als auch im Rah­men der lebens­lan­gen Nach­sor­ge. Die Anwen­dung ist jedoch limi­tiert durch die jewei­li­gen Läsi­ons­hö­hen sowie durch die Grö­ße und das Gewicht der Pati­en­ten (Ober­schen­kel­län­ge etc.), durch das Bewe­gungs­aus­maß und die Rota­ti­ons­stel­lung im Hüft­be­reich (Kon­trak­tu­ren, peri­ar­ti­ku­lä­re Ossifikationen/POA), bestehen­de ope­ra­ti­ve Ver­sor­gun­gen (Hüft-Total­en­do­pro­the­se) sowie vor­be­stehen­de Grund­er­kran­kun­gen (Osteo­po­ro­se, Arthro­se). Die Exo­ske­lett-­The­ra­pie ist daher momen­tan aus­nahms­los als the­ra­peu­ti­sches Hilfs­mit­tel zu sehen; ein Exo­ske­lett ist somit der­zeit auch kei­ne Alter­na­ti­ve zum adap­tier­ten Aktiv­roll­stuhl. Eine inten­si­ve wei­te­re For­schung zu die­sem The­ma ist daher not­wen­dig. Den­noch dient das robo­ter­ge­stütz­te Gang­trai­ning schon heu­te als will­kom­me­ne reha­bi­li­ta­ti­ve Unter­stüt­zung im Bereich der Gangre­ha­bi­li­ta­ti­on nach erwor­be­nen neu­ro­lo­gi­schen Gangstörungen.

Neue Unter­su­chun­gen beschäf­ti­gen sich aktu­ell mit Fra­ge­stel­lun­gen zu fol­gen­den Themen:

  • Neu­ro­de­ge­nera­ti­on und Neuorganisation/Plastizität des peri­phe­ren und zen­tra­len Ner­ven­sys­tems: Mit­tels bild­ge­ben­der Magnet­re­so­nanz­to­mo­gra­phie (MRT) und gestell­ter Auf­ga­ben konn­te eine posi­ti­ve Wir­kung durch selbst­stän­di­ge Akti­vi­tä­ten auf die Rege­ne­ra­ti­on und Reor­ga­ni­sa­ti­on peri­phe­rer und zen­tra­ler Struk­tu­ren bei Querschnittlähmung/SCI („spi­nal cord inju­ry“) inner­halb der ers­ten zwei Jah­re nach Schädigung/Trauma nach­ge­wie­sen wer­den 4.
  • Erler­nen der Funk­ti­on und Prak­ti­ka­bi­li­tät von Exo­ske­let­ten im selbst­stän­di­gen Ein­satz: Unter­sucht wur­de der zeit­li­che Auf­wand für das Erler­nen des Umgangs mit einem robo­ter­ge­stütz­ten Geh­ge­rät. Das Ergeb­nis zeigt, dass tie­fer geschä­dig­ten und inkom­plet­ten Pati­en­ten das Erler­nen des Umgangs mit einem Exo­ske­lett leich­ter fällt als kom­plex geschä­dig­ten Pati­en­ten 5.
  • Anlei­tung und Betreu­ung – ambu­lant oder sta­tio­när, allei­ni­ges Hilfs­mit­tel in der Reha­bi­li­ta­ti­on: In einer Lite­ra­tur­re­cher­che zu robo­ter­ge­stütz­ter Gang­ana­ly­se wur­den 12 Unter­su­chun­gen betrach­tet und aus­ge­wer­tet. Robo­ter­ge­stütz­tes Gang­trai­ning hat dem­nach einen posi­ti­ven Ein­fluss auf den Pati­en­ten, ersetzt aber kei­ne eta­blier­ten The­ra­pien in der Behand­lung von Querschnittlähmung/SCI („spi­nal cord inju­ry“) 6.
  • Mög­li­cher funk­tio­nel­ler Ein­satz im häus­li­chen Bereich: Die mög­li­che Wie­der­auf­nah­me von All­tags­ak­ti­vi­tä­ten durch die­se Gerä­te ist zur­zeit noch nicht mög­lich – die eta­blier­ten Exo­ske­lett­sys­te­me wer­den nur für Reha­bi­li­ta­ti­ons­ein­rich­tun­gen unter fach­ge­mä­ßer Anwen­dung emp­foh­len. Das Gerä­te­ge­wicht, der hohe Ener­gie­be­darf, lan­ge An- und Able­ge­zei­ten, die Not­wen­dig­keit des Stüt­zens durch die obe­re Extre­mi­tät, Über­wa­chungs­an­for­de­run­gen, ein phy­sio­lo­gi­sches Gang­mus­ter sowie der begrenz­te Bewe­gungs­raum schlie­ßen eine momen­ta­ne Nut­zung im häus­li­chen Bereich aus 7.
  • Sicher­heits­fra­gen in der Anwen­dung: Es gibt zur­zeit kein Gerät, das einen Sturz oder einen ande­ren Not­fall abfan­gen bzw. ver­hin­dern kann 8.
  • Ver­gleich­ba­re Mess­in­stru­men­te: Alle bis­he­ri­gen Unter­su­chun­gen haben kei­ne ein­heit­li­chen Ein- und Aus­schluss­kri­te­ri­en und kei­ne ein­heit­li­chen Mess­in­stru­men­te bzw. Gangregularien.

Fazit

Bei der Anwen­dung von Exo­ske­lett­sys­te­men in der Reha­bi­li­ta­ti­on erge­ben sich nicht nur gro­ße posi­ti­ve Effek­te auf die sen­so­mo­to­ri­schen Stö­run­gen, son­dern auch auf Begleit­erkran­kun­gen und Begleit­kom­pli­ka­tio­nen der Grund­er­kran­kun­gen sowie auf die psy­chi­sche Gesund­heit der Betrof­fe­nen. Zum jet­zi­gen Zeit­punkt bil­det eine Exo­ske­lett-The­ra­pie in der Reha­bi­li­ta­ti­on neu­ro­lo­gi­scher Gang­stö­run­gen eine gute Ergän­zung der eta­blier­ten the­ra­peu­ti­schen Ver­fah­ren – sowohl im Rah­men der Akut­be­hand­lung als auch im Rah­men lebens­lan­ger Nach­sor­ge. Für die Anwen­dung im häus­li­chen Bereich bie­ten aktu­ell zwei Fir­men Exo­ske­let­te an: die Fir­ma Par­ker Han­ni­fin (USA) das Inde­go-Sys­tem und die Fir­ma Argo Medi­cal (Isra­el) das ReWalk-System.

Auf­grund der noch hohen Kom­ple­xi­tät der Sys­te­me (An- und Able­gen, Eigen­ge­wicht, Betriebs­dau­er, Hilfs­mit­tel zum Gehen, kein Sturz­schutz etc.) ist zum momen­ta­nen Zeit­punkt eine kom­plet­te Wie­der­auf­nah­me selbst­stän­di­ger All­tags­ak­ti­vi­tä­ten im häus­li­chen Bereich mit Hil­fe eines Exo­ske­letts aller­dings noch nicht mög­lich. Für die Wei­ter­ent­wick­lung der Sys­te­me in die­sem Bereich bedarf es wei­te­rer Erfah­run­gen, Stu­di­en und einer inter­dis­zi­pli­nä­ren Zusam­men­ar­beit zwi­schen Pati­en­ten bzw. Anwen­dern, Ärz­ten, Ent­wick­lern, Inge­nieu­ren, The­ra­peu­ten, IT-Tech­ni­kern und Ange­hö­ri­gen. Nur ein sol­ches Team ist in der Lage, ein adäqua­tes robo­ter­ge­stütz­tes Gang­sys­tem für den Haus­ge­brauch zu kon­zi­pie­ren und zu ent­wi­ckeln. Dabei steht das The­ma Sicher­heit im Vor­der­grund, denn zur­zeit gibt es noch kei­ne Gerä­te, die einen Sturz oder einen Not­fall abfan­gen bzw. ver­hin­dern können.

Die Autoren:
René Klein­schmidt, Physiotherapeut
Bir­git Frey­berg-Hanl, Physiotherapeutin
Dr. Dani­el Kuhn, Therapiegesamtleiter
BG Kli­ni­kum Berg­manns­trost Halle
Mer­se­bur­ger Stra­ße 165
06112 Hal­le
rene.kleinschmidt@bergmannstrost.de
birgit.freyberg-hanl@bergmannstrost.de
daniel.kuhn@bergmannstrost.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Klein­schmidt R, Frey­berg-Hanl B, Kuhn D. Exo­ske­let­te in der The­ra­pie von Rücken­mark­ver­let­zun­gen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2018; 69 (9): 32–37

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