Ergeb­nis­se kli­ni­scher Tests im Kon­text ortho­pä­die­tech­ni­scher Fragestellungen

L. Krämer, J. Ditsche
Ziel dieser Studie ist, das Verständnis für die Anwendung und Effektivität von klinischen Tests, insbesondere in der Orthopädietechnik, zu erweitern. Diese sind hauptsächlich für die Geriatrie, Neurologie und Rehabilitation ausgelegt und werden in diesen Fachbereichen angewendet. An der Studie nahmen 16 Pro­band:innen teil, welche in eine physiologische und eine pathologische Gruppe unterteilt wurden. Durchgeführt wurden 3 klinische Tests (10-Meter-Walk-Test, Timed-Up-and-­Go-Test und Four-Square-Step-Test) sowie eine 2D-Bewegungsanalyse.

Ziel die­ser Stu­die ist, das Ver­ständ­nis für die Anwen­dung und Effek­ti­vi­tät von kli­ni­schen Tests, ins­be­son­de­re in der Ortho­pä­die­tech­nik, zu erwei­tern. Die­se sind haupt­säch­lich für die Ger­ia­trie, Neu­ro­lo­gie und Reha­bi­li­ta­ti­on aus­ge­legt und wer­den in die­sen Fach­be­rei­chen angewendet.

Anzei­ge

An der Stu­die nah­men 16 Pro­band:innen teil, wel­che in eine phy­sio­lo­gi­sche und eine patho­lo­gi­sche Grup­pe unter­teilt wur­den. Durch­ge­führt wur­den 3 kli­ni­sche Tests (10-Meter-Walk-Test, Timed-Up-and-­Go-Test und Four-Squa­re-Step-Test) sowie eine 2D-Bewegungsanalyse.

Ein­lei­tung

In Deutsch­land wer­den jähr­lich etwa 60.000 Ampu­ta­tio­nen an der unte­ren Extre­mi­tät durch­ge­führt. Die­se Ein­grif­fe haben erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf das Leben der betrof­fe­nen Per­so­nen1 2. In die­ser Hin­sicht nimmt die ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung eine ent­schei­den­de Rol­le für die betrof­fe­ne Ziel­grup­pe ein. Das Haupt­ziel besteht dar­in, die Lebens­qua­li­tät, kör­per­li­che Leis­tungs­fä­hig­keit und funk­tio­nel­le Mobi­li­tät die­ser Ziel­grup­pe zu ver­bes­sern3. Für die Beur­tei­lung der Wirk­sam­keit ortho­pä­die­tech­ni­scher Maß­nah­men kön­nen ver­schie­de­ne Mess­sys­te­me ein­ge­setzt wer­den: 2D- und 3D-Bewe­gungs­ana­ly­sen, iner­tia­le Mess­ein­hei­ten, Kraft­mes­sun­gen, plant­are Fuß­druck­mes­sung oder die Anwen­dung der Elek­tro­m­yo­gra­fie4.

Der­zeit gilt die 3D-Bewe­gungs­ana­ly­se als aner­kann­ter Gold­stan­dard unter den Mess­sys­te­men. Auf­grund der Kos­ten­in­ten­si­tät und des auf­wen­di­gen Auf­baus sind die­se Mess­sys­te­me jedoch eher in For­schungs­ein­rich­tun­gen ver­brei­tet und nicht in klei­ne­ren Ein­rich­tun­gen wie Fach­ge­schäf­ten oder Werk­stät­ten. In klei­ne­ren Ein­rich­tun­gen kön­nen funk­tio­nel­le kli­ni­sche Tests ein­ge­setzt wer­den, um die Wirk­sam­keit ortho­pä­die­tech­ni­scher Maß­nah­men zu beur­tei­len. Kli­ni­sche Tests unter­su­chen die Funk­tio­na­li­tät und Mobi­li­tät der Proband:innen anhand ver­schie­de­ner Gang­pa­ra­me­ter. Ein gro­ßer Vor­teil kli­ni­scher Tests besteht im redu­zier­ten Zeit­auf­wand und in der res­sour­cen­scho­nen­den Umset­zung. Eine ergän­zen­de Anwen­dung von 2D-Bewe­gungs­ana­ly­se­sys­te­men kann die objek­ti­ve Daten­er­fas­sung erhöhen.

Die­se Stu­die befasst sich mit der Fra­ge­stel­lung, wel­che kli­ni­schen Tests in ortho­pä­die­tech­ni­schen Kon­tex­ten prak­ti­ka­bel und aus­sa­ge­kräf­tig sind. Die Ergeb­nis­se die­ser Arbeit die­nen als fun­dier­te Grund­la­ge für die Aus­wahl und Anwen­dung geeig­ne­ter kli­ni­scher Tests. Ziel ist es, das Ver­ständ­nis für die Anwen­dung und Effek­ti­vi­tät von kli­ni­schen Tests in der Ortho­pä­die­tech­nik zu erwei­tern, um die Leis­tungs­fä­hig­keit und Funk­tio­na­li­tät von Per­so­nen objek­tiv auf­zu­neh­men sowie zu ver­bes­sern und so einen posi­ti­ven Ein­fluss auf die Pati­en­ten­ver­sor­gung und ‑reha­bi­li­ta­ti­on zu bewirken.

Hypo­the­sen

Hypo­the­se 1: Die 2D-Bewe­gungs­ana­ly­se-Para­me­ter und die Ergeb­nis­se der kli­ni­schen Tests zei­gen signi­fi­kan­te Unter­schie­de zwi­schen phy­sio­lo­gi­schen Proband:innen und Prothesenträger:innen.

Hypo­the­se 2: Die Ergeb­nis­se der kli­ni­schen Tests zei­gen signi­fi­kan­te Unter­schie­de zwi­schen trans­fe­mo­ral ampu­tier­ten Proband:innen und trans­ti­bi­al ampu­tier­ten Proband:innen.

Hypo­the­se 3: Prothesenträger:innen mit ein­sei­ti­ger Beein­träch­ti­gung zei­gen Unter­schie­de in der funk­tio­nel­len Leis­tungs­fä­hig­keit zwi­schen der betrof­fe­nen und der nicht betrof­fe­nen Kör­per­sei­te. Die­se Aus­prä­gun­gen sind in der Ana­ly­se der 2D-Bewe­gungs­mus­ter und der Aus­wer­tung der kli­ni­schen Tests präsent.

Metho­dik

Pro­ban­den­kol­lek­ti­ve

Die Stu­die wird mit 2 ver­schie­de­nen Pro­banden­grup­pen durch­ge­führt. Die phy­sio­lo­gi­sche Grup­pe besteht aus ins­ge­samt 12 Proband:innen, wel­che kei­ne Auf­fäl­lig­kei­ten im Gang­bild auf­wei­sen. Von den Proband:innen sind 6 männ­lich und 6 weib­lich. Der Alters­durch­schnitt beträgt 24,17 ± 2,44 Jah­re mit einer Alters­span­ne von 20 bis 28 Jah­ren. Die wei­te­re Proban­dengruppe in der Stu­die sind Betrof­fe­ne mit einer Ampu­ta­ti­on der unte­ren Extre­mi­tät. Dar­un­ter sind 3 mit uni­la­te­ral trans­fe­mo­ra­ler Ampu­ta­ti­on (TFA) und 1 mit uni­la­te­ral trans­ti­bia­ler Ampu­ta­ti­on (TTA). Der Alters­durch­schnitt beträgt 68 ± 10,13 Jah­re mit einer Alters­span­ne von 59 bis 81 Jah­ren. Die­se wer­den als patho­lo­gi­sche Grup­pe zusammengefasst.

Bewer­tung des Gleichgewichts

Four-Squa­re-Step-Test

Der Four-Squa­re-Step-Test (FSST) ist ein kli­ni­scher Test zur Beur­tei­lung des sta­ti­schen und dyna­mi­schen Gleich­ge­wichts, der Beweg­lich­keit, der Mobi­li­tät und des Sturz­ri­si­kos. Der FSST basiert auf 4 Qua­dra­ten, die eine Boden­flä­che unter­tei­len. In die­ser Stu­die erfolgt die Unter­tei­lung mit­tels Unter­arm­geh­stüt­zen (Abb. 1). Die Qua­dra­te sind num­me­riert, und der/die Proband:in star­tet im ers­ten Qua­drat. Auf Start­kom­man­do bewegt sich der/die Proband:in über die Unter­arm­geh­stüt­zen, zuerst im Uhr­zei­ger­sinn und dann gegen den Uhr­zei­ger­sinn, wobei immer bei­de Füße den Boden berüh­ren müs­sen und der Blick nach vor­ne gerich­tet ist. Ziel ist es, den Bewe­gungs­ab­lauf in mög­lichst gerin­ger Zeit zu absol­vie­ren. Die benö­tig­te Zeit wird gestoppt5.

Funk­tio­nel­le Bewer­tung von Gang­art und Transfers

2D-Bewe­gungs­ana­ly­se

Zur Durch­füh­rung der Bewe­gungs­ana­ly­se wird die Bewe­gungs­ana­ly­se-Soft­ware Tem­plo der Con­tem­plas GmbH (Kemp­ten, Deutsch­land) ver­wen­det6. Die­se Soft­ware dient zur Erfas­sung der zeit­li­chen Gangparameter.

10-Meter-Walk-Test

Der 10-Meter-Walk-Test (10MWT) dient der Beur­tei­lung der Geh­fä­hig­keit und der funk­tio­nel­len Mobi­li­tät. Die unter­such­te Gangstre­cke umfasst ins­ge­samt 14 m, von wel­chen die ers­ten und letz­ten 2 m zum Beschleu­ni­gen und Abbrem­sen die­nen (Abb.  2). Die gesam­te Stre­cke wird in einer kom­for­ta­blen und selbst­ge­wähl­ten Geh­ge­schwin­dig­keit absol­viert. Die Zeit wird gestar­tet, sobald das Bein der Per­son die 2‑Me­ter-Mar­ke über­quert. Wenn das Bein die 12-Meter-Mar­ke über­schrei­tet, wird die Zeit wie­der gestoppt7. In die­ser Stu­die wird der kli­ni­sche Test mit­hil­fe der Pho­to-Finish-App durch­ge­führt, die als Licht­schran­ke dient. Je ein Smart­phone wird hier­für am Start und Ende der Zeit­mes­sung plat­ziert und ent­spre­chend aus­ge­rich­tet. Dadurch wird eine effi­zi­en­te Zeit­mes­sung ermög­licht8.

Timed-Up-and-Go-Test

Der Timed-Up-and-Go-Test (TUG-Test) ist ein Instru­ment zur Bewer­tung der All­tags­mo­bi­li­tät (Abb. 3). Der/die Proband:in sitzt zunächst auf einem Stuhl ohne Arm­leh­nen und star­tet mit an der Rücken­leh­ne leh­nen­dem Rücken und auf den Ober­schen­keln lie­gen­den Hän­den. Nach Kom­man­do steht der/die Proband:in auf, geht eine 3 m lan­ge Stre­cke, umrun­det an deren Ende eine Pylo­ne, geht anschlie­ßend wie­der zum Stuhl zurück und setzt sich hin.

Dabei soll eine kom­for­ta­ble und siche­re Geh­ge­schwin­dig­keit gewählt wer­den. Die Zeit wird gestar­tet, sobald der/die Proband:in auf­steht, und gestoppt, sobald er/sie wie­der auf dem Stuhl sitzt9.

Ergeb­nis­se

Hypo­the­se 1: Die Ergeb­nis­se des 10MWT zei­gen deut­li­che Unter­schie­de zwi­schen der phy­sio­lo­gi­schen und patho­lo­gi­schen Grup­pe (Abb. 4). Die Zeit­dau­er der phy­sio­lo­gi­schen Grup­pe weist nied­ri­ge­re Wer­te auf (6,75 ± 0,47 s) im Ver­gleich zur patho­lo­gi­schen Grup­pe (8,45 ± 0,65 s). Des Wei­te­ren ver­deut­li­chen die deskrip­ti­ven Daten Fol­gen­des: Die phy­sio­lo­gi­sche Grup­pe erzielt gegen­über der patho­lo­gi­schen Grup­pe eine höhe­re Geh­ge­schwin­dig­keit (1,49 ± 0,1 m/s vs. 1,19 ± 0,09 m/s), eine erhöh­te Schritt­fre­quenz (114,21 ± 5,29 1/s vs. 107,41 ± 3,18 1/s) und eine län­ge­re Dop­pel­schritt­län­ge (1,58 ± 0,12 m vs. 1,33 ± 0,08 m).

Die­se deskrip­ti­ven Daten zei­gen, dass die phy­sio­lo­gi­sche Grup­pe in allen gemes­se­nen Para­me­tern, ein­schließ­lich Zeit­dau­er, Geh­ge­schwin­dig­keit, Schritt­fre­quenz und Dop­pel­schritt­län­ge, leis­tungs­fä­hi­ge­re Ergeb­nis­se erbracht hat als die patho­lo­gi­sche Grup­pe. Ver­an­schau­licht wer­den die Unter­schie­de in Abbil­dung 4.

Anhand der erho­be­nen Para­me­ter in Tabel­le 1 wer­den wei­te­re Unter­schie­de zwi­schen phy­sio­lo­gi­scher und patho­lo­gi­scher Grup­pe aufgeführt.

Hypo­the­se 2: Die Ergeb­nis­se des 10MWT zei­gen, dass die TFA eine län­ge­re Zeit­dau­er benö­ti­gen im Ver­gleich zu dem TTA (Abb. 5). Die durch­schnitt­li­che Zeit­dau­er beträgt 8,56 s (± 0,74 s) für die TFA, wäh­rend sie bei dem TTA bei 8,11 s liegt. Des Wei­te­ren zeigt sich, dass die TFA eine nied­ri­ge­re Geh­ge­schwin­dig­keit, eine gerin­ge­re Schritt­fre­quenz und eine kür­ze­re Schritt­län­ge auf­wei­sen im Ver­gleich zu dem TTA.

Hypo­the­se 3: In Abbil­dung 6 wird der Ver­gleich der Para­me­ter der 2D-Bewe­gungs­ana­ly­se (Stand­pha­se, ein­bei­ni­ge und beid­bei­ni­ge Stand­pha­se) zwi­schen der lin­ken und rech­ten Kör­per­sei­te dar­ge­stellt. Die betrof­fe­nen Sei­ten sind in der Abbil­dung mit­hil­fe einer schwar­zen Umran­dung her­vor­ge­ho­ben. In der phy­sio­lo­gi­schen Grup­pe zeigt sich im Durch­schnitt kein Unter­schied zwi­schen der lin­ken und rech­ten Kör­per­sei­te über die 3 Para­me­ter. Ande­rer­seits wer­den bei den TFA (Pro­ban­den 13 bis 15) auf der intak­ten Sei­te höhe­re Wer­te in allen 3 Para­me­tern beob­ach­tet im Ver­gleich zur betrof­fe­nen Sei­te. Bei dem TTA (in Abb. 6 grün dar­ge­stellt) bestehen kei­ne signi­fi­kan­ten Unter­schie­de zwi­schen den Körperseiten.

Dis­kus­si­on

Hypo­the­se 1: In Bezug auf die Zeit­dau­er des 10MWT benö­tigt die phy­sio­lo­gi­sche Grup­pe mit 6,75 s weni­ger Zeit als die patho­lo­gi­sche Grup­pe mit 8,45 s. Die Ergeb­nis­se wer­den von Sawers et al. 10, die eine ähn­li­che Zeit­dau­er bei ein­sei­tig ampu­tier­ten Per­so­nen auf­füh­ren (8,75 s), bestä­tigt. Gleich­zei­tig weist die phy­sio­lo­gi­sche Grup­pe eine höhe­re Geh­ge­schwin­dig­keit auf. Die­se beträgt durch­schnitt­lich 1,49 m/s, wäh­rend die patho­lo­gi­sche Grup­pe 1,19 m/s erreicht.

Die Geh­ge­schwin­dig­keit der phy­sio­lo­gi­schen Grup­pe liegt nahe am Norm­wert von etwa 1,4 m/s, wie von Per­ry11 und Bohan­non12 defi­niert. In die­sem Kon­text ist die Geschwin­dig­keit der patho­lo­gi­schen Grup­pe gerin­ger als der Normwert.

In Bezug auf die Schritt­fre­quenz zeigt die phy­sio­lo­gi­sche Grup­pe (114,21 1/s) eine höhe­re Schritt­fre­quenz als die patho­lo­gi­sche Grup­pe (107,41 1/s). 120 Schritte/min gel­ten nach Per­ry13 als Norm.

Die durch­schnitt­li­che Dop­pel­schritt­län­ge in der phy­sio­lo­gi­schen Grup­pe beträgt 1,58 m, wäh­rend die patho­lo­gi­sche Grup­pe durch­schnitt­lich 1,33 m erreicht. Dies steht im Kon­trast zur Dop­pel­schritt­län­ge von 1,4 m nach Per­ry14, was dar­auf hin­weist, dass die patho­lo­gi­sche Grup­pe im 10MWT eine ver­min­der­te Schritt­län­ge im Ver­gleich zur phy­sio­lo­gi­schen Grup­pe aufweist.

Die Ergeb­nis­se und zitier­te Lite­ra­tur bestä­ti­gen, dass Zeit­dau­er, Geh­ge­schwin­dig­keit, Schritt­fre­quenz und Schritt­län­ge im 10MWT wich­ti­ge Indi­ka­to­ren für die Geh­leis­tung dar­stel­len und von patho­lo­gi­schen Zustän­den beein­flusst werden.

Die Ergeb­nis­se des TUG-Tests zei­gen, dass die phy­sio­lo­gi­sche Grup­pe mit 8,95 s im Durch­schnitt weni­ger Zeit benö­tigt als die patho­lo­gi­sche Grup­pe mit 13,02 s.

Die Gesamt­dau­er des TUG-Tests ist damit signi­fi­kant kür­zer bei der phy­sio­lo­gi­schen Grup­pe. Gemäß Marks15 deu­tet eine Zeit unter 10 s

beim TUG-Test für die phy­sio­lo­gi­sche Grup­pe auf kei­ne Mobi­li­täts­ein­schrän­kun­gen hin. Hin­ge­gen deu­tet eine Zeit­dau­er zwi­schen 10 s und 20 s dar­auf hin, dass die patho­lo­gi­sche Grup­pe leich­te Mobi­li­täts­ein­schrän­kun­gen aufweist.

Der FSST zeigt, dass die phy­sio­lo­gi­sche Grup­pe im Durch­schnitt 7,48 s benö­tigt, wäh­rend die patho­lo­gi­sche Grup­pe mit im Durch­schnitt 15,06 s einen grö­ße­ren Zeit­be­darf auf­weist. Der Ver­lust der unte­ren Extre­mi­tät führt zu län­ge­ren Zei­ten beim FSST auf­grund ver­rin­ger­ter Standsta­bi­li­tät. Unter­su­chun­gen von Gouel­le und High­s­mith16 zei­gen, dass gesun­de Erwach­se­ne unter 30 Jah­ren etwa 6 s für den FSST benö­ti­gen, wäh­rend jene mit Ampu­ta­ti­on etwa 24 s benö­ti­gen. Der FSST ist ein nütz­li­cher Test zur Beur­tei­lung der Standsta­bi­li­tät und Mobi­li­tät, wobei die grö­ße­re Zeit­dau­er bei Men­schen mit Ampu­ta­ti­on auf ver­rin­ger­te Standsta­bi­li­tät hinweist.

Die phy­sio­lo­gi­sche Grup­pe weist ins­ge­samt kür­ze­re Stand­pha­sen, län­ge­re ein­bei­ni­ge Stand­pha­sen und kür­ze­re beid­bei­ni­ge Stand­pha­sen auf im Ver­gleich zur patho­lo­gi­schen Grup­pe. Die­se Abwei­chun­gen von den Norm­wer­ten von Per­ry17 kön­nen auf spe­zi­fi­sche Her­aus­for­de­run­gen und Beein­träch­ti­gun­gen in Bezug auf die Standsta­bi­li­tät und das Gleich­ge­wicht hinweisen.

Anhand der 2D-Bewe­gungs­ana­ly­se und der kli­ni­schen Tests sind signi­fi­kan­te Unter­schie­de zwi­schen der phy­sio­lo­gi­schen und patho­lo­gi­schen Grup­pe aufzuführen.

Hypo­the­se 2: Der TTA zeigt im Ver­gleich zu den TFA eine ver­kürz­te Zeit­dau­er, eine höhe­re Geh­ge­schwin­dig­keit, eine höhe­re Schritt­fre­quenz und eine grö­ße­re Schritt­län­ge. Die durch­schnitt­li­che Zeit­dau­er beträgt bei den TFA 8,56 s (± 0,74 s), wäh­rend sie bei dem TTA 8,11 s beträgt. Die gemes­se­ne Geh­ge­schwin­dig­keit liegt bei den TFA bei 1,17 m/s (± 0,1 m/s) und bei dem TTA bei 1,23 m/s. Der Norm­wert für die Geh­ge­schwin­dig­keit beträgt 1,4 m/s nach Per­ry18. Laut der Stu­die von May und Lockard19 ist die Geh­ge­schwin­dig­keit bei TFA im Ver­gleich zu TTA wei­ter redu­ziert. TTA haben auf­grund der ver­blei­ben­den Bein­län­ge einen län­ge­ren Hebel­arm. Die­ser redu­ziert zudem den erfor­der­li­chen Kraft­auf­wand für die Bewe­gung. Dies ermög­licht im Ver­gleich zu den TFA eine effi­zi­en­te­re Gang­art und eine höhe­re Gehgeschwindigkeit.

Hypo­the­se 3: Die TTA wei­sen Unter­schie­de zwi­schen bei­den Kör­per­sei­ten auf. Beob­ach­tet wer­den höhe­re Wer­te in allen 3 Para­me­tern (Stand­pha­se, ein­bei­ni­ge Stand­pha­se und beid­bei­ni­ge Stand­pha­se) auf der intak­ten Sei­te im Ver­gleich zur betrof­fe­nen Sei­te. Sie ver­las­sen sich in hohem Maße auf ihre intak­te Sei­te, um die durch die Pro­the­se ver­ur­sach­ten Defi­zi­te aus­zu­glei­chen. Daher ist ihr Gang­bild in der Regel asym­me­tri­scher als das von Per­so­nen ohne Ampu­ta­ti­on. Die Asym­me­trie ergibt sich aus der star­ken Varia­ti­on der Schritt­län­ge und der Dau­er der Stand­pha­se zwi­schen der intak­ten und der ampu­tier­ten Sei­te, wie auch in der Stu­die von Gouel­le und High­s­mith20 auf­ge­führt. Ähn­li­che Ergeb­nis­se wer­den auch von May und Lockard21 erzielt. Uni­la­te­ral ampu­tier­te Per­so­nen zei­gen eine ver­kürz­te Stand­pha­se an der betrof­fe­nen Extre­mi­tät im Ver­gleich zur intak­ten Sei­te, was wie­der­um zu einer ver­kürz­ten Schwung­pha­se und einer ver­än­der­ten Schritt­län­ge auf der nicht betrof­fe­nen Sei­te führt.

Limi­ta­ti­on

Die Limi­ta­tio­nen die­ser Stu­die umfas­sen eine ver­gleichs­wei­se klei­ne Stich­pro­be und eine signi­fi­kan­te Alters­dis­pa­ri­tät zwi­schen der phy­sio­lo­gi­schen und patho­lo­gi­schen Grup­pe. Dadurch ent­stand mög­li­cher­wei­se eine natür­li­che Geschwin­dig­keits­dif­fe­renz zwi­schen den Grup­pen. In einer Wei­ter­füh­rung die­ser Stu­die soll­te die Stich­pro­be ver­grö­ßert wer­den und eine gleich­mä­ßi­ge­re Ver­tei­lung der Proband:innen in Bezug auf die Stich­pro­ben­grö­ße ange­strebt wer­den. Sinn­voll ist eine Anglei­chung der Alters­span­ne in den Grup­pen, um poten­zi­el­le Alters­un­ter­schie­de als Ein­fluss­fak­tor zu minimieren.

Fazit

Die erho­be­nen Ergeb­nis­se bestä­ti­gen die Anwend­bar­keit und Aus­sa­ge­kraft der kli­ni­schen Tests sowie der 2D-Bewe­gungs­ana­ly­se im ortho­pä­die­tech­ni­schen Kon­text. Die­se Stu­die lie­fert Erkennt­nis­se über die Unter­schie­de zwi­schen einer phy­sio­lo­gi­schen und patho­lo­gi­schen Grup­pe anhand von Gang­pa­ra­me­tern sowie den Ein­fluss ver­schie­de­ner Amputationshöhen.

Die Ergeb­nis­se füh­ren zu defi­nier­ten Aus­sa­gen über die Aus­wir­kun­gen auf die Geh­fä­hig­keit und Mobi­li­tät und sind in der Lite­ra­tur einzuordnen.

Die gewähl­te Metho­dik ist auf­grund eines gerin­gen Zeit­auf­kom­mens in der all­täg­li­chen beruflichen/betrieblichen Pra­xis pro­blem­los umsetz­bar. Zudem ermög­li­chen die kli­ni­schen Tests ein stan­dar­di­sier­tes und repro­du­zier­ba­res Beur­tei­lungs­ver­fah­ren für die Ana­ly­se des Gang­bilds von Proband:innen. Bei­spiels­wei­se ist die­se Metho­dik auch anwend­bar, um Ver­sor­gungs­bil­der zu ver­glei­chen. Des Wei­te­ren kön­nen die kli­ni­schen Tests von Per­so­nal durch­ge­führt wer­den, das nicht auf die Durch­füh­rung von Gang­ana­ly­sen mit ent­spre­chen­den Mess­sys­te­men spe­zia­li­siert ist. Die 2D-Bewe­gungs­ana­ly­se kann durch ent­spre­chen­de Schu­lung als Ergän­zung in der betrieb­li­chen ortho­pä­die­tech­ni­schen Pra­xis ange­wen­det werden.

 

Hin­weis:
Bei die­ser Publi­ka­ti­on han­delt es sich um eine Zusam­men­fas­sung der Bache­lor­ar­beit von Lui­sa Krä­mer (2023).

Die Autorin­nen:
Lui­sa Krä­mer, B. Eng.
Julia­na Dit­sche, M. Sc.
Bun­des­fach­schu­le für Ortho­pä­die-­Tech­nik – Insti­tut für Mess­tech­nik und Biomechanik
Schliep­stra­ße 6–8
44135 Dort­mund
j.ditsche@ot-bufa.de

 

Zita­ti­on
Krä­mer L, Dit­sche J. Ergeb­nis­se kli­ni­scher Tests im Kon­text ortho­pä­die­tech­ni­scher Fra­ge­stel­lun­gen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2024; 75 (2): 52–56

 

 

Tab. 1  Mess­grö­ßen: Unter­schie­de zwi­schen der phy­sio­lo­gi­schen und der patho­lo­gi­schen Gruppe.

Mess­grö­ße
Phy­sio­lo­gi­sche Grup­pePatho­lo­gi­sche Gruppe
TUG Gesamt­dau­er [s]8,95 ± 0,8213,02 ± 1,65
FSST Zeit­dau­er [s]7,48 ± 1,5815,06 ± 3,65
Beid­sei­ti­ger Stand [%]23,27 ± 1,9326,27 ± 2,69
Ein­bei­ni­ge Standphase [%]38,38 ± 0,9936,74 ± 1,33
Stand­pha­se [%]61,64 ± 0,9763,00 ± 1,37
  1. Hage­mei­er O. Bein­am­pu­ta­ti­on – Wie geht es wei­ter? https://www.eurocom-info.de/wp-content/­uploads/2021/10/Beinamputation_08_10_2021_Web­version.pdf (Zugriff am 15.11.2023)
  2. Wank V. Bio­me­cha­nik der Sport­ar­ten: Grund­la­gen der Sport­me­cha­nik und Mess­tech­nik – Fokus Leicht­ath­le­tik. Ber­lin, Hei­del­berg: Sprin­ger, 2021. doi: 10.1007/978–3‑662–60525‑7
  3. Gouel­le A, High­s­mith MJ. Instru­men­ted Four Squa­re Step Test in Adults with Trans­fe­mo­ral Ampu­ta­ti­on: Test-Retest Relia­bi­li­ty and Dis­cri­mi­nant Vali­di­ty bet­ween Two Types of Micro­pro­ces­sor Kne­es. Sen­sors (Basel), 2020; 20 (17): 4782. doi: 10.3390/s20174782
  4. Wank V. Bio­me­cha­nik der Sport­ar­ten: Grund­la­gen der Sport­me­cha­nik und Mess­tech­nik – Fokus Leicht­ath­le­tik. Ber­lin, Hei­del­berg: Sprin­ger, 2021. doi: 10.1007/978–3‑662–60525‑7
  5. Gouel­le A, High­s­mith MJ. Instru­men­ted Four Squa­re Step Test in Adults with Trans­fe­mo­ral Ampu­ta­ti­on: Test-Retest Relia­bi­li­ty and Dis­cri­mi­nant Vali­di­ty bet­ween Two Types of Micro­pro­ces­sor Kne­es. Sen­sors (Basel), 2020; 20 (17): 4782. doi: 10.3390/s20174782
  6. CONTEMPLAS, CONTEMPLAS – 2D / 3D Bewe­gungs­ana­ly­se Sys­te­me. https://contemplas.com/ (Zugriff am 19.06.2023)
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