Erfah­run­gen mit dem Ein­satz eines neu­ar­ti­gen Sys­tems zur Griff­mus­ter­er­ken­nung in der Unterarmprothetik

M. Schäfer, F. Muders, S. Kunz, K. Laassidi
Neuartige technologische Ansätze­ im Bereich der oberen Extremität ermöglichen ihren Anwendern eine verbesserte funktionale Nutzung der Prothese im Alltag. Neben Optimierungen im Bereich der Schafttechnologie nehmen auch intelligente Steuerungsmöglichkeiten, funktionale Prothesenpassteile und stumpfverbessernde chirurgische Eingriffe­ wesentlichen Einfluss auf das Versorgungsergebnis bei armamputierten Mitmenschen.

Für die Anwen­der moder­ner Pro­the­sen ent­schei­den Eigen­schaf­ten wie Schnel­lig­keit, Prä­zi­si­on, Griff­kraft und eine pro­por­tio­na­le Signal­kon­trol­le über den Erfolg im All­tag. Vor allem, wenn es um die Steue­rung meh­re­rer Bewegungs­ebenen wie z. B. die Ansteue­rung unter­schied­li­cher Hand­grif­fe, Rota­ti­on oder gar Hand­fle­xi­on und ‑exten­si­on geht, hat die Steue­rungs­viel­falt mit den tra­di­tio­nel­len EMG-Steue­run­gen eng gesteck­te Gren­zen. Inso­fern ist es nicht ver­wun­der­lich, dass die For­schung und Ent­wick­lung gera­de im Bereich des Con­trol­lings mit dem Ziel der Umset­zung kom­ple­xer Griff­mus­ter­steue­run­gen neue Wege beschrei­tet. Der­ar­ti­ge Steue­run­gen sind für ihre Anwen­der aber nur dann sinn­voll, wenn sie in der Pra­xis zuver­läs­sig funk­tio­nie­ren und all­täg­li­che Gebrauchs­vor­tei­le bie­ten. Der fol­gen­de Arti­kel reflek­tiert ers­te Erfah­run­gen mit einem viel­ver­spre­chen­den neu­ar­ti­gen Steue­rungs­sys­tem mit Griff­mus­ter­er­ken­nung, der soge­nann­ten Pat­tern Reco­gni­ti­on (PR).

Anzei­ge

Ein­lei­tung

Neu­ar­ti­ge Pro­the­sen­ent­wick­lun­gen wie z. B. mul­ti­ar­ti­ku­lie­ren­de Hand­sys­te­me  1 2 ermög­li­chen zuneh­mend kom­ple­xe­re Funk­tio­na­li­tä­ten in der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung der obe­ren Extre­mi­tät und ori­en­tie­ren sich sowohl in ihrem Auf­bau als auch in ihrer Ästhe­tik und Form am Vor­bild der mensch­li­chen Natur. Sie ver­fol­gen gegen­über den bewähr­ten, tra­di­tio­nel­len Pro­the­sen­sys­te­men einen Zuge­winn hin­sicht­lich eines dif­fe­ren­zier­ten Grei­fens und sol­len ihren Nut­zern den All­tag durch die Bereit­stel­lung meh­re­rer Griff­ar­ten deut­lich erleich­tern. Ver­schie­de­ne Modelle­ imi­tie­ren sogar die akti­ve Fle­xi­on und Exten­si­on der Fin­ger-Mit­tel­ge­len­ke (PIP-Gelen­ke), wodurch die Hand zwar einer­seits an Griff­kraft ver­liert, ande­rer­seits aber in der Dyna­mik ein phy­sio­lo­gi­sche­res Bewe­gungs­ver­hal­ten erken­nen lässt. Wäh­rend die im Ver­gleich zu tra­di­tio­nel­len Hand­sys­te­men ver­min­der­te Griff­kraft zumin­dest zum Teil durch eine prä­zi­se­re Adap­ti­on der Fin­ger an die Ober­flä­che des zu grei­fen­den Gegen­stan­des kom­pen­siert wer­den kann, ist die Bedie­nung die­ser Sys­te­me mit den vor­han­de­nen klas­si­schen Steue­rungs­prin­zi­pi­en für die Anwen­der limi­tiert: Die Umschal­tung in die ver­schie­de­nen Griff­mo­di basiert ent­we­der auf spe­zi­fi­schen Umschalt­si­gna­len, auf Signal­län­gen oder auf unter­schied­li­chen Signal­stär­ken oder wird sogar durch mor­se­ähn­li­che ­Signal­kon­zep­te bedient. Für den Anwen­der äußert sich dies bei der prak­ti­schen Umset­zung in einem ver­zö­ger­ten Anspre­chen sei­ner Pro­the­se, und er muss ein antrai­nier­tes und nur wenig intui­ti­ves Steue­rungs­ver­hal­ten der Pro­the­sen­hand in Kauf nehmen.

Es liegt daher nahe, dass mit einer zuneh­men­den Kom­ple­xi­tät der Hand­funk­tio­nen auch entsprechende­ Steue­run­gen benö­tigt wer­den, die sol­che Anfor­de­run­gen abbil­den kön­nen. Eine Griff­mus­ter­steue­rung (engl. „pat­tern reco­gni­ti­on“, PR) scheint für sol­che Anfor­de­run­gen eine adäqua­te Basis zu sein, auch wenn das The­ma, kom­ple­xe Steue­run­gen mit EMG-­Si­gna­len zu rea­li­sie­ren, so neu gar nicht ist: Bereits in den 70er Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts hat man sich inten­siv mit Mög­lich­kei­ten beschäf­tigt, kom­ple­xe EMG-basier­te Steue­run­gen zur Ver­fü­gung zu stel­len, deren iden­ti­fi­zier­ba­re Para­me­ter aus­rei­chend Infor­ma­tio­nen lie­fer­ten, um zwi­schen einer klei­nen Anzahl von Funk­tio­nen an den obe­ren Extre­mi­tä­ten zu unter­schei­den3 4.

Es wur­de erkannt, dass dazu die Ablei­tung eines schnel­len para­me­tri­schen Wie­der­erken­nungs­al­go­rith­mus gege­ben sein muss. Ist dies gelun­gen, muss außer­dem sicher­ge­stellt sein, dass die anzu­steu­ern­de Hard­ware die­se Infor­ma­tio­nen auf­neh­men und wei­ter­ver­ar­bei­ten kann. Schließ­lich muss auch der Anwen­der in der Lage sein, die Grund­in­for­ma­tio­nen zur Erken­nung über die ent­spre­chen­den EMG-Signa­le ein­zu­lei­ten. Eine Aus­brei­tung in das Ver­sor­gungs­ge­biet der Arm­pro­the­tik unter­blieb zum dama­li­gen Zeit­punkt, was auf meh­re­re Ursa­chen zurück­zu­füh­ren ist. Letzt­end­lich waren­ es im neu­en Jahr­tau­send hoch­do­tier­te For­schungs­pro­jek­te wie z. B. das ­DAR­PA-Pro­jekt „Revo­lu­tio­ni­zing Pro­sthe­tics“ des US-ame­ri­ka­ni­schen Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums, in das vie­le Mil­lio­nen US-Dol­lar an For­schungs­gel­dern für die Ent­wick­lung eines mög­lichst gleich­wer­ti­gen Extre­mi­tä­ten­er­sat­zes für die ampu­tier­te obe­re Extre­mi­tät inves­tiert wur­den. In die Erar­bei­tung der Grund­la­gen, die nach acht Jah­ren ihre tech­ni­sche Umset­zung u. a. im Pro­dukt des DEKA-Armes  5 fan­den, waren meh­re­re inter­na­tio­na­le For­scher­grup­pen eingebunden.

In die­sem Kon­text wur­de auch an Wei­ter­ent­wick­lun­gen moder­ner Griff­mus­ter­er­ken­nun­gen gear­bei­tet, mit dem Ziel, mul­tip­le­re EMG-Infor­ma­tio­nen durch ent­spre­chend intel­li­gen­te Algo­rith­men wie­der­zu­er­ken­nen und somit eine direk­te­re und vor allem intui­ti­ve­re Steue­rung der Pro­the­se zu ­rea­li­sie­ren 6 7 8. Das ers­te markt­rei­fe Pro­dukt konn­te in Gestalt des Sys­tems „Com­ple­te Con­trol“ durch das jun­ge Start-up Coapt aus Chi­ca­go rea­li­siert werden.

Im Jah­re 2018 wur­de inner­halb des Pro­gramms des Welt­kon­gres­ses der OTWorld in Leip­zig mit dem Pro­dukt „Myo Plus“ ein wei­te­res Pat­tern-Reco­gni­ti­on-Sys­tem aus dem Hau­se Otto­bock vor­ge­stellt. Im Rah­men der Markt­ein­füh­rung die­ses neu­en Pro­duk­tes konn­te der Fach­be­reich Arm­pro­the­tik im Hau­se der Autoren erste­ Erfah­run­gen mit der Umset­zung und Anwen­dung die­ses Sys­tems an zwei Pati­en­ten mit mit­tel­lan­gem bzw. kur­zem Unter­arm­stumpf nach trau­ma­tisch-beding­ter Ampu­ta­ti­on sam­meln. Von den aus die­sen Ver­sor­gun­gen gewon­ne­nen Erkennt­nis­sen han­delt der vor­lie­gen­de Artikel.

Metho­de

Das Myo-Plus-Sys­tem besteht aus acht Remo­te-Elek­tro­den, die über Dom-Kon­takt­flä­chen im Pro­the­sen­schaft ver­an­kert wer­den. Der 32-Bit-Con­trol­ler „Myo Plus TR“ emp­fängt und ver­ar­bei­tet die ein­ge­hen­den EMG-­Si­gna­le und ord­net sie den jewei­li­gen Funk­tio­nen zu. Auf diese­ Wei­se kön­nen pro Sekun­de bis zu 72.000 EMG-Signa­le ver­ar­bei­tet und die dar­aus resul­tie­ren­den Steue­rungs­be­feh­le bis zu 40-mal pro Sekun­de aktua­li­siert wer­den. In der Myo-Plus-App wer­den die Infor­ma­tio­nen visua­li­siert und ent­spre­chen­de Ein­stel­lun­gen vor­ge­nom­men. Die tech­ni­schen Bau­tei­le wer­den durch eine soge­nann­te Myo-Man­schet­te ergänzt, die zur Eva­lu­ie­rung der PR-Eig­nung ein­ge­setzt wird (Abb. 1). Die­se Eig­nungs­prü­fung erfolgt gemein­sam mit dem Anwen­der im Rah­men der Bera­tung und Ver­sor­gungs­pla­nung. Durch den Ein­satz von bis zu acht Remo­te-Elek­­tro­den kön­nen im Zuge der Aus­tes­tung der Signal­einleitung an die Pro­the­se deut­lich kom­ple­xe­re Signal­in­for­ma­tio­nen ver­ar­bei­tet wer­den als im tra­di­tio­nel­len 2‑Ka­nal-Sys­tem (Abb. 2).

Dabei kommt die Myo-Man­schet­te zum Ein­satz. Die acht dar­in befind­li­chen zir­ku­lär ange­ord­ne­ten Elek­troden soll­ten so ange­ord­net wer­den, dass sich der umfangs­ver­grö­ßern­de Ein­fluss nicht zu nega­tiv auf das Gesamt­bild der Pro­the­se aus­wirkt. Die Myo-Man­schet­te kor­re­spon­diert über eine Blue­tooth-Schnitt­stel­le mit der dazu­ge­hö­ri­gen App. Ein wich­ti­ger ers­ter Schritt bei der Pro­gram­mie­rung des Pat­tern-Sys­tems besteht in der Eva­lu­ie­rung des Phan­tom­ge­fühls: Ein­zig­ar­ti­ge, ein­fa­che und wie­der­hol­ba­re Bewe­gun­gen der Phan­tom­hand sol­len zu einer mög­lichst intui­ti­ven Ansteue­rung der Pro­the­sen­hand genutzt wer­den. In einem struk­tu­rier­ten Eva­lua­ti­ons­pro­zess wer­den unter­schied­li­che vor­ge­ge­be­ne Bewe­gungs­mus­ter initi­iert und damit das Sys­tem gemein­sam mit dem Anwen­der pro­gram­miert (Abb. 3). Dabei kön­nen die über ein Spin­nen­netz­dia­gramm („Spi­der­plot“) dar­ge­stell­ten Bewe­gungs­mus­ter ska­liert wer­den, was im Ergeb­nis zu einer deut­li­che­ren Dar­stel­lung und Unter­schei­dung der ein­zel­nen Mus­ter führt. Die Anzahl der benö­tig­ten Bewe­gungs­mus­ter hängt von der Kom­pa­ti­bi­li­tät zu den jewei­li­gen Pro­the­sen­kom­po­nen­ten und vor allem von deren funk­tio­na­len Mög­lich­kei­ten (Hand­sys­tem, Rota­tor etc.) ab. Dabei gilt es, gro­ße Über­schnei­dungs­be­rei­che der jewei­li­gen Spi­der­plot-Mus­ter zu vermeiden.

Nach erfolg­ter Eva­lua­ti­on wer­den die Mus­ter in defi­nier­ten Test-Sets in unter­schied­lich gebeug­ten Arm­positionen erstellt. In einer direkt anschlie­ßen­den Simu­la­ti­on des Test-Sets­­­ wird die Zuver­läs­sig­keit der Pro­the­sen­steue­rung ent­we­der über die ­Bewe­gungs­an­zei­ge oder die Spi­der­plot-Dar­stel­lung des Sys­tems beur­teilt. Nach posi­ti­ver Beur­tei­lung wird mit der Aufnahme­ des soge­nann­ten Basis-Sets fort­ge­fah­ren. Hier­bei wer­den zu den bereits bestehen­den vier Arm­po­si­tio­nen des Test-Sets zwei wei­te­re Arm­po­si­tio­nen hin­zu­ge­fügt. Die Erstel­lung die­ses Basis-Sets ist die ­Vor­aus­set­zung zur Abspei­che­rung der Myo-Plus-Steue­rung in der Myo-Man­schet­te oder in der Pro­the­se. Es ent­hält alle erho­be­nen Bewe­gungs­mus­ter. Je nach den Mög­lich­kei­ten des Hand­sys­tems – dabei kön­nen sowohl ­Myo­Bock-Hand­sys­te­me als auch das mul­ti­ar­ti­ku­lie­ren­de Bebio­nic-Hand­sys­tem zum Ein­satz kom­men – kön­nen zusätz­li­che Bewe­gungs­mus­ter hin­zu­ge­fügt wer­den, etwa beim Bebio­nic-Hand­sys­tem. Die Myo-Plus-App bie­tet ver­schie­de­ne Jus­tier­mög­lich­kei­ten, die Ein­fluss auf das Steue­rungs­ver­hal­ten des Pat­tern-Sys­tems haben, und lie­fert zudem Infor­ma­tio­nen zur Steue­rungs­qua­li­tät (Abb. 4a u. b). So kön­nen neben der Griff- und Rota­ti­ons­ge­schwin­dig­keit auch die Genau­ig­keit, die Geschwin­dig­keit und der Schwel­len­wert der Mus­ter­er­ken­nung ein­ge­stellt wer­den (Abb. 4c u. d).

Nach posi­ti­ver Erpro­bung kann mit dem Bau der Pro­the­se begon­nen wer­den. Das Sys­tem bie­tet die Mög­lich­keit, zu den im Basis-Set dar­ge­stell­ten Pro­the­sen­be­we­gun­gen bis zu 24 neue Auf­nah­men hin­zu­zu­fü­gen. Unab­hän­gig von den Soft­ware-Ein­stel­lun­gen des Pat­tern-Sys­tems sollte­ ein beson­de­res Augen­merk auf die Pass­form und die Mate­ri­al­aus­wahl beim Pro­the­sen­schaft gelegt wer­den. Denn das Pat­tern-Reco­gni­ti­on-Sys­tem kann nur funk­tio­nie­ren, wenn die im Schaft ein­ge­brach­ten Elek­tro­den zuver­läs­sig Haut­kon­takt haben und die benö­tig­ten EMG-Signa­le auf­neh­men können.

Bei bei­den getes­te­ten Pati­en­ten wur­de ein Voll­kon­takt-Haft­schaft-Sys­tem ange­wen­det, in das der Stumpf mit einer Anzieh­hil­fe ein­ge­zo­gen wird. Durch die­se in Voll­kon­takt gear­bei­te­te Schaft­tech­nik wird sicher­ge­stellt, dass eine adäqua­te Weich­teil­ver­span­nung zwi­schen den Gewe­ben des Stump­fes und dem Innen­schaft besteht und dass alle Elek­tro­den zuver­läs­sig Kon­takt zur Haut haben.

Zu Beginn der Test­pha­se wur­de zur For­mer­mitt­lung und zur Opti­mie­rung ein im Volu­men und in der Form nach­form­ba­rer ther­mo­plas­ti­scher In­nenschaft aus einem fle­xi­blen, wei­chen Copo­ly­mer ver­wen­det. Der defi­ni­ti­ve ellen­bo­gen­um­grei­fen­de Innen­schaft wur­de bei dem Pati­ent mit dem mit­tel­lan­gen Unter­arm­stumpf aus einem Copo­ly­mer gefer­tigt. Der Pati­ent mit dem kur­zen Unter­arm­stumpf erhielt hin­ge­gen einen Innen­schaft aus einem elas­ti­schen hoch­tem­pe­ra­tur­ver­netz­ten Sili­kon mitt­le­rer Shore-Här­te (Shore A 42,5).

Das adhä­si­ve und elas­ti­sche Bet­tungs­ver­hal­ten des Werk­stof­fes Sili­kon hat sich im direk­ten Ver­gleich als sehr wich­tig her­aus­ge­stellt, da es bei guter Pass­form einen dau­er­haf­ten Kon­takt zu den Remo­te-Elek­tro­den – und somit auch eine gleich­blei­ben­de Signal­ein­lei­tung – sicher­stellt (Abb. 5). Jeg­li­che Wir­kungs­ein­flüs­se, die den Kon­takt zwi­schen den Elek­tro­den und der Haut beein­träch­ti­gen, müs­sen ver­mie­den wer­den. Auch im Bereich der supra­kon­dy­lä­ren Füh­rungs­zo­ne wird durch einen geziel­ten Ein­satz elas­ti­scher Werk­stof­fe eine best­mög­li­che Stre­ckung des Armes ohne Berüh­rungs­ver­lust an den Elek­tro­den-Kon­takt­stel­len ermöglicht.

In­ Kom­bi­na­ti­on mit einem gut pas­sen­den, voll­kon­takt­fä­hi­gen HTV-Sili­kon-Kon­takt­schaft kommt bevor­zugt die fla­che Ver­si­on der Dom­elek­tro­den zum Ein­satz. Die­se wur­den von bei­den Anwen­dern pro­blem­los ganz­tägig getra­gen und hin­ter­las­sen nach dem Aus­zie­hen ledig­lich eine kurz­zei­ti­ge Posi­ti­ons­mar­kie­rung auf der Haut (Abb. 6). Das Basis-Set des Pat­tern-Sys­tems wur­de zu Beginn der Ver­sor­gun­gen in den Test- und Erpro­bungs­pha­sen wie­der­holt durch­ge­führt. Es ist rat­sam, die Signa­le nicht in vol­ler Stär­ke abzu­for­dern, da dies bei der Bedie­nung des Sys­tems dau­er­haft zu ­einem erhöh­ten Kraft­be­darf führt.

Nach Erstel­lung des Defi­ni­tiv­schaf­tes und all­täg­li­chem Tra­gen der Pro­the­se kann es bei Ände­rung der Signal­stär­ken durch­aus not­wen­dig wer­den, ein erneu­tes Basis-Set durch­zu­füh­ren. Klei­ne Signal­än­de­run­gen kann der ­Pati­ent selbst durch das Hin­zu­fü­gen eines neu­en Signals ergän­zen. Bei einem der bei­den Pati­en­ten, der die­ses Sys­tem seit andert­halb Jah­ren ver­wen­det, fin­den die­se „Nach­ka­li­brie­run­gen“ ledig­lich alle 10 bis 12 Wochen statt. Sol­che gro­ßen Zeit­ab­stän­de sind zwar nicht bei allen Pati­en­ten zu erwar­ten, jedoch ist nach den ers­ten Ver­sor­gun­gen und einer geziel­ten und ver­tie­fen­den Anwen­der­schu­lung eine Kor­re­la­ti­on zwi­schen Signal­qua­li­tät und Signal­treue erkennbar.

Ergeb­nis­se

Bei­de Anwen­der konn­ten das Myo-Plus-Sys­tem gezielt und sicher in Bezug auf die jewei­li­gen Grif­fe ansteu­ern und pro­fi­tier­ten bereits nach kur­zer Zeit von den Mög­lich­kei­ten des Sys­tems in ihrem All­tag. Im Ver­gleich zu ihrem Vor­gän­ger­sys­tem (beide­ waren­ mit einer pro­por­tio­nal gesteu­er­ten „VariPlus-Speed“-Hand mit ­Rota­tor ver­sorgt) beschrie­ben sie eine direktere­ und schnel­le­re Ansteue­rung der jeweils gewünsch­ten Handfunktion.

In beein­dru­cken­der Wei­se kam dies auch im Rah­men der durch­ge­führ­ten Assess­ments zum Aus­druck, etwa beim soge­nann­ten Clo­the­spin Relo­ca­ti­on Test (Abb. 7). Dabei wer­den drei Wäsche­klam­mern (engl. „clo­the­spins“) in einem defi­nier­ten Umfeld von einer Quer­stan­ge auf eine Längs­stan­ge und wie­der zurück bewegt. Hier­durch wird das ziel­ge­rich­te­te, koor­di­nier­te Öff­nen bzw. Schlie­ßen der Hand in Inter­ak­ti­on mit der Rota­ti­ons­steue­rung im Hand­ge­lenk bewertet.

Vor allem die direk­te Ansteue­rung des jewei­li­gen Griffs wur­de von den Anwen­dern als will­kür­lich und intui­tiv beschrie­ben. Läs­ti­ge Umschalt­signale oder Signal­über­schnei­dun­gen ent­fal­len, da jede Funk­ti­on ­einem fest­ge­leg­ten Mus­ter zuge­ord­net ist. Die Autoren führ­ten mit bei­den Anwen­dern das Clo­the­spin- sowie das soge­nann­te Box-and-Blocks-Assess­ment durch, bei dem bau­grö­ßen­de­fi­nier­te Holz­klötz­chen in einem defi­nier­ten Zeit­ab­stand von einer Seite­ ­einer unter­teil­ten Box über eine Trenn­wand in mög­lichst gro­ßer Zahl in die gegen­über­lie­gen­de Sei­te der Box manö­vriert wer­den müs­sen. Bei der Durch­füh­rung bei­der Assess­ments konn­te ein flüs­si­ge­res Steue­rungs­ver­hal­ten der Myo­kom­po­nen­ten und gerin­ge­re Umschalt­zei­ten bemerkt werden.

Bei nur zwei Pati­en­ten ist es natür­lich noch zu früh, die­se Erhe­bung zu bewer­ten. Zudem ver­fü­gen bei­de Pati­en­ten über fes­te Arm­stümp­fe mit sta­bi­lem Bin­de­ge­we­be, sodass es für die Zukunft von beson­de­rem Interesse­ sein wird, wie sich das Steue­rungs­ver­hal­ten des PR-Sys­tems bei wei­chen und ­weni­ger sta­bi­len Stumpf­si­tua­tio­nen im Hin­blick auf die Signal­treue dar­stel­len wird. Das Nach­jus­tie­rungs­ver­hal­ten war mit zuneh­men­der Trage­zeit rück­läu­fig, sodass die Anwen­der nur noch sehr sel­ten Nach­jus­tie­run­gen des Sys­tems benö­tig­ten. Dies ist vor allem für die dau­er­haf­te Nut­zung eines der­ar­ti­gen Steue­rungs­sys­tems wich­tig. Auf­fäl­lig war auch, dass bei­de Pati­en­ten von einer Ver­bes­se­rung ihrer Phan­tom­hand-Wahr­neh­mung berich­tet haben. Die­ser Sach­ver­halt soll­te unbe­dingt auch bei wei­te­ren ­Ver­sor­gun­gen beob­ach­tet werden.

Fazit für die Praxis

Die anfäng­li­che Skep­sis ange­sichts der ver­schie­de­nen Vor­er­fah­run­gen mit Pat­tern-Reco­gni­ti­on-Sys­te­men wur­de von zwei begeis­ter­ten Pati­en­ten ein­drück­lich wider­legt und wich daher schnell. Bei­de Pati­en­ten beschreiben­ eine intui­ti­ve­re Ansteue­rung des ­Sys­tems und schät­zen vor allem die direk­te und unmiss­ver­ständ­li­che ­Ansteue­rung der ein­zel­nen Griff­mus­ter. Eine Lern­kur­ve besteht auch für den Ortho­pä­die-Tech­ni­ker bei der Anwen­dung eines sol­chen Sys­tems. Sehr hilf­reich ist die Erpro­bung mit der Myo-Test-Man­schet­te, da man auf die­se Wei­se im Vor­feld einer Ver­sor­gung sehr gut eva­lu­ie­ren kann, ob sich ein Pati­ent für die Nut­zung einer sol­chen Steue­rung eig­net oder nicht. Dank einer klar struk­tu­rier­ten Vor­ge­hens­wei­se, einer intui­ti­ven Menü­führung und einer über­sicht­li­chen gra­fi­schen Dar­stel­lung ist die Anwen­dung des Sys­tems klar ver­ständ­lich und fast selbst­er­klä­rend. Aller­dings muss­te fest­ge­stellt wer­den, dass sich der Platz­be­darf für die tech­ni­schen Kom­po­nen­ten – sowohl für die acht ­Remo­te-Elek­tro­den als auch für die tech­ni­schen Bau­tei­le des Sys­tems – letzt­end­lich limi­tie­rend auf die indi­ka­ti­ven Para­me­ter wie Stumpflänge­ und Stumpf­vo­lu­men aus­wirkt: So müs­sen Pati­en­ten mit lan­gen Stümp­fen mit einem volu­mi­nö­se­ren Form­auf­bau rechnen.

Ent­schei­dend für eine gute Funk­ti­on des Pat­tern-Reco­gni­ti­on-Sys­tems ist die Sta­bi­li­tät der EMG-­Si­gnal­ge­bung. Zuneh­mend – wie­­ bei ande­ren hoch­wer­ti­gen sen­so­ri­schen Ver­sor­gungs­sys­te­men in der Tech­ni­schen Ortho­pä­die auch – rückt die Qua­li­tät der Hilfs­mit­tel-Pass­form, in die­sem Fall die Schaft­ver­sor­gung, auf eine Stu­fe mit der Tech­no­lo­gie selbst. Auch bes­te Algo­rith­men vermögen­ nicht die Kom­pen­sa­ti­on ­einer weni­ger guten Schaft­form der Prothese­ zu kom­pen­sie­ren, und ­genau hier schließt sich der Kreis einer hoch­wer­ti­gen und funk­tio­na­len Prothesen­versorgung. Somit bie­tet eine Pat­tern-Reco­gni­ti­on-Steue­rung insbesondere­ für sol­che Pati­en­ten deut­li­che Gebrauchs­vor­tei­le im All­tag, die über eine adäqua­te und sta­bi­le Signal­ge­bung verfügen.

Für die Autoren:
Micha­el Schä­fer, OTM
Geschäfts­füh­rer Poh­lig GmbH
Gra­ben­stät­ter Stra­ße 1 
83278 Traun­stein
m.schaefer@pohlig.net

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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