Ein inter­dis­zi­pli­nä­rer und akut­me­di­zi­ni­scher Ansatz zur frü­hest­mög­li­chen Inter­ven­ti­on bei Pati­en­ten mit Dia­be­ti­schem Fußsyndrom

D. T. Schraeder, T. Schafran, B. Geisen, L. Rubbert
Die Folgen eines Diabetischen Fußsyndroms (DFS) können für betroffene Patienten mitunter verheerend sein. Insbesondere der Charcot-Fuß ist eine der folgenreichsten Komplikationen des Krankheitsbildes [Quelle: Mittlmeier T, Klaue K, Haar P, Beck M. Charcot-Fuß. Eine Standortbestimmung und Perspektiven. Unfallchirurg, 2008; 111 (4): 218–231]. Um dennoch möglichst erfolgversprechend Patienten mit DFS oder gar Charcot-Fuß eine aktive Teilhabe am Leben zu ermöglichen, zeigt der Artikel exemplarisch auf, inwiefern eine technisch-orthopädische Frührehabilitation eine drohende Erwerbsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit verhindern kann. Der Artikel dokumentiert und diskutiert die Auswertung von 158 derartigen Fällen an der Klinik für Technische Orthopädie in Rheine über zwei Jahre.

Ein­lei­tung

Die dia­be­to­lo­gi­sche und tech­ni­schor­tho­pä­di­sche Frührehabilitation ist die frü­hest­mög­lich ein­set­zen­de kom­bi­nier­te akut- und reha­bi­li­ta­ti­ons­me­di­zi­ni­sche Behand­lung von Pati­en­ten mit Dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom. Im All­ge­mei­nen geht das Krank­heits­bild DFS mit einer aku­ten und chro­ni­schen Gesundheitsstörung und einer rele­van­ten Beein­träch­ti­gung von Kör­per­funk­tio­nen, Struk­tu­ren, Akti­vi­tä­ten und Par­ti­zi­pa­ti­on gemäß ICF (Inter­na­tio­nal Clas­si­fi­ca­ti­on of Func­tio­ning, Disa­bi­li­ty and Health) ein­her. Sowohl zur Ver­sor­gung von DFS-Pati­en­ten als auch im All­ge­mei­nen ste­chen zwei gän­gi­ge Ansät­ze im medi­zi­ni­schen Ver­sor­gungs­all­tag hervor:

  • Auf der einen Sei­te beinhal­tet der reha­bi­li­ta­ti­ons­me­di­zi­ni­sche Ansatz kon­kre­te Maß­nah­men zur Wie­der­her­stel­lung, Ver­bes­se­rung oder Auf­recht­erhal­tung der Funk­tio­nen und Leis­tun­gen, die bereits gefähr­det oder gemin­dert wur­den, und berück­sich­tigt dabei soma­ti­sche, psy­chi­sche und sozia­le Aspekte.
  • Auf der ande­ren Sei­te beinhal­tet der akut­me­di­zi­ni­sche Ansatz gemäß der Vor­ga­be laut Sozi­al­ge­setz­buch vor­wie­gend die Behand­lung der Erkran­kung selbst und die Behe­bung der damit zusam­men­hän­gen­den gesund­heit­li­chen Schädigung.

Ziel des hier vor­ge­stell­ten kom­bi­nier­ten Ver­sor­gungs­an­sat­zes ist es, die­se bei­den rela­tiv eigen­stän­di­gen Ele­men­te der gesund­heit­li­chen Ver­sor­gung mit jeweils spe­zi­fi­schen Ziel­set­zun­gen und Anfor­de­run­gen gesamt­heit­lich zu betrach­ten, um letzt­end­lich die kör­per­li­chen und men­ta­len Funk­tio­nen der Pati­en­ten wie­der­her­zu­stel­len, Kom­pli­ka­tio­nen zu ver­mei­den und blei­ben­de Behin­de­run­gen, Erwerbs­un­fä­hig­keit oder Pfle­ge­be­dürf­tig­keit zu ver­hin­dern 1 2.

Indi­ka­ti­ons­stel­lung

Laut des Sozi­al­ge­setz­bu­ches (§ 1 SGB IX) haben Pati­en­ten das Recht auf einen unmit­tel­ba­ren Behin­de­rungs­aus­gleich im Hin­blick auf Mobi­li­tät und auf Teil­ha­be am Leben. Die­ser Anspruch wird dort wie folgt beschrie­ben: “Men­schen mit Behin­de­run­gen oder von Behin­de­rung bedroh­te Men­schen erhal­ten Leis­tun­gen […], um ihre Selbst­be­stim­mung und ihre vol­le, wirk­sa­me und gleich­be­rech­tig­te Teil­ha­be am Leben in der Gesell­schaft zu för­dern, Benach­tei­li­gun­gen zu ver­mei­den oder ihnen ent­ge­gen­zu­wir­ken.” Aus dem hier gefor­der­ten Anspruch auf Teil­ha­be am Leben lässt sich die Not­wen­dig­keit ablei­ten, die Selbst­stän­dig­keit der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten in größt­mög­li­chem Maße zu erhal­ten. Dazu zählt vor allem die Gewähr­leis­tung der Mobi­li­tät, die ins­be­son­de­re bei Diabetes­patienten eine zen­tra­le Rol­le spielt. Denn lei­dens­ge­rech­te kör­per­li­che Akti­vi­tät erhöht das all­ge­mei­ne Wohl­be­fin­den, ver­bes­sert den Stoff­wech­sel und bedingt somit auch eine Sen­kung des Blut­zu­cker­spie­gels 3 4.

Die Beschrei­bung der ent­spre­chen­den Funk­ti­ons­ein­schrän­kun­gen erfolgt gemäß ICF und ist Bestand­teil der Dia­gno­se, um die Indi­ka­ti­on stel­len zu kön­nen. Eine Indi­ka­ti­on zur tech­nisch-­or­tho­pä­di­schen Frührehabilitation ist nach den Prin­zi­pi­en der Deut­schen Ren­ten­ver­si­che­rung (DRV) gege­ben, wenn:

  • nach kon­ser­va­ti­ver oder ope­ra­ti­ver The­ra­pie im inter­dis­zi­pli­nä­ren Team Erwerbs­un­fä­hig­keit oder Pfle­ge­be­dürf­tig­keit dro­hen und eine Reha­bi­li­ta­ti­ons­fä­hig­keit sowie eine Moti­va­ti­on zur Reha­bi­li­ta­ti­on vor­han­den ist;
  • gemin­der­te Erwerbs­fä­hig­keit bereits ver­bes­sert, wie­der­her­ge­stellt oder eine wesent­li­che Ver­schlech­te­rung abge­wen­det wer­den kann oder wenn bei teil­wei­se gemin­der­ter Erwerbs­fä­hig­keit ohne Aus­sicht auf wesent­li­che Bes­se­rung ein Arbeits­platz erhal­ten wer­den kann;
  • eine Pfle­ge­be­dürf­tig­keit abge­wen­det wer­den kann oder eine Pfle­ge­be­dürf­tig­keit der Stu­fe 1 gehal­ten wird und sich durch die tech­nisch-ortho­pä­di­sche Frührehabilitation eine Ver­schlech­te­rung abwen­den lässt.

Nach dem kom­bi­nier­ten akut- und reha­bi­li­ta­ti­ons­me­di­zi­ni­schen Ansatz wird für die Indi­ka­ti­ons­stel­lung ein inter­dis­zi­pli­när auf­ge­stell­tes Reha­bi­li­ta­ti­ons­team benö­tigt. Die­ses besteht aus:

  • einem oder meh­re­ren behand­lungs­lei­ten­den tech­nisch-ortho­pä­di­schen Ärzten,
  • the­ra­peu­ti­schen Berufs­grup­pen ein­schließ­lich der akti­vie­rend-the­ra­peu­ti­schen Pfle­ge sowie
  • Psy­cho­lo­gen, Sozi­al­ar­bei­tern und Seelsorgern.

Durch die­se Erwei­te­rung des Reha­bi­li­ta­ti­ons­teams sind die Anfor­de­run­gen der DRV als Kos­ten­trä­ger der Reha­bi­li­ta­ti­on im Hin­blick auf Struk­tur und Pro­zess­qua­li­tät und auf den “bio­psycho-sozia­len Zusam­men­hang” erfüllt. Die Indi­ka­ti­ons­stel­lung erfolgt auf der Grund­la­ge einer inter­dis­zi­pli­nä­ren Visi­te durch die lei­ten­den Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­ons­fach­ärz­te und des Nach­wei­ses der Reha­bi­li­ta­ti­ons­fä­hig­keit durch fest­ge­leg­te Assess­ments, die von den The­ra­peu­ten erstellt wer­den. Die Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­ons-Assess­ments wer­den nach fach­ärzt­li­cher Indi­ka­ti­ons­stel­lung auf der The­ra­peu­ten­kon­fe­renz von den erstel­len­den The­ra­peu­ten vor­ge­stellt und dis­ku­tiert. Durch die Fest­le­gung von Assess­ments wer­den fol­gen­de Aspek­te in Bezug auf den Pati­en­ten zu Beginn der Behand­lung erhoben:

  • Bewusst­seins­la­ge,
  • Kom­mu­ni­ka­ti­on,
  • Kogni­ti­on,
  • Mobi­li­tät,
  • Selbst­hil­fe­fä­hig­keit sowie
  • Ver­hal­ten und Emotion.

Tabel­le 1 ver­mit­telt einen Über­blick über die Mög­lich­kei­ten einer Bewer­tungs­grund­la­ge für die Indi­ka­ti­on. Sind Reha­bi­li­ta­ti­ons­vor­aus­set­zun­gen und Indi­ka­ti­on gege­ben, beginnt das Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­ons­pro­gramm nach der Therapeutenkonferenz.

Das Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­ons­pro­gramm

Bereits in den Jah­ren 2014/2015 wur­den in der Kli­nik für Tech­ni­sche Ortho­pä­die in Rhei­ne ins­ge­samt 158 Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten im Rah­men der Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­on behan­delt. Ein Groß­teil der Pati­en­ten mit DFS litt an einer dia­be­ti­schen Osteo­ar­th­ro­pa­thie (“Char­cot-Fuß”). Eine dia­be­ti­sche Neu­ro­pa­thie bestand bei allen Pati­en­ten. Das Durch­schnitts­ge­wicht betrug 81 kg bei einer durch­schnitt­li­chen Grö­ße von 1,73 m. Dar­aus ergibt sich ein durch­schnitt­li­cher Body Mass Index (BMI) von 27,1 kg/m². Ein BMI von ≥ 30 kg/m² ist defi­niert als Adi­po­si­tas. Die durch­schnitt­li­che Dau­er der Dia­be­tes­er­kran­kung betrug 12,5 Jah­re. Ledig­lich zwei Pati­en­ten wur­den mit ora­len Anti­dia­be­ti­ka behan­delt; bei allen ande­ren Pati­en­ten wur­de eine inten­si­vier­te Insu­lin­the­ra­pie durch­ge­führt. Die Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­on erfolg­te nach der Indi­ka­ti­ons­stel­lung wäh­rend der wöchent­li­chen Reha­bi­li­ta­ti­ons­vi­si­te und durch den Abgleich der Reha­bi­li­ta­ti­ons­fä­hig­keit per Assess­ments in Zusam­men­ar­beit mit den The­ra­peu­ten. Die Reha­bi­li­ta­ti­ons­zie­le wur­den jeweils anhand der vor­han­de­nen Gesund­heits­stö­run­gen sowie der rele­van­ten Beein­träch­ti­gun­gen von Kör­per­funk­tio­nen und Struk­tu­ren, Akti­vi­tä­ten und Par­ti­zi­pa­ti­on gemäß ICF erstellt und modi­fi­ziert. Ein­ge­schlos­sen wur­den dabei Pati­en­ten mit einem DFS bzw. einem Char­cot-Fuß nach Ope­ra­ti­on mit Reha­bi­li­ta­ti­ons­be­darf sowie der ent­spre­chen­den Moti­va­ti­on und den ent­spre­chen­den Fähig­kei­ten, wie es die Leit­li­ni­en der DRV vor­se­hen. Aus­ge­schlos­sen wur­den pal­lia­ti­ve Pati­en­ten, bei denen eine Pfle­ge­be­dürf­tig­keit nicht mehr ver­hin­dert wer­den konn­te. Die Kos­ten wur­den im Rah­men der vor­han­de­nen Dia­gno­sis Rela­ted Group (DRG) von den Kran­ken­kas­sen getra­gen, eben­so eine sich anschlie­ßen­de Maß­nah­me zur Anschluss­heil­be­hand­lung (AHB) bei vor­han­de­ner Beren­tung und dem Ziel der Ver­hin­de­rung der Pfle­ge­be­dürf­tig­keit. In nur fünf Fäl­len gelang die Fort­füh­rung der AHB zur Ver­hin­de­rung der Erwerbs­un­fä­hig­keit, güns­tigs­ten­falls mit Maß­nah­men zur Teil­ha­be am Arbeits­le­ben. Die reha­bi­li­ta­ti­ve All­tags­ar­beit wird oft­mals durch die pro­ble­ma­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den Kos­ten­trä­gern erschwert, was vie­le Fach­kol­le­gin­nen und ‑kol­le­gen bekla­gen. Beson­ders dras­tisch zeigt sich dies bei der Zusam­men­ar­beit mit der DRV, die durch Tele­fon­war­te­schlei­fen, undurch­sich­ti­ge For­mu­lar­ge­stal­tung und unkla­re Zustän­dig­kei­ten der Ent­schei­dungs­trä­ger reha­bi­li­ta­ti­ve Wege im All­tag blo­ckiert, so die Erfah­rung der Autoren bei den oben genann­ten Fällen.

Jeder Pati­ent hat laut Sozi­al­ge­setz­buch wäh­rend des sta­tio­nä­ren Kran­ken­haus­auf­ent­halts jedoch den frü­hest­mög­li­chen Anspruch auf Reha­bi­li­ta­ti­on zur Ver­hin­de­rung von Pfle­ge­be­dürf­tig­keit und Erwerbs­un­fä­hig­keit. Die Kos­ten dafür wer­den grund­sätz­lich von der Kran­ken­kas­se getra­gen – die Kos­ten einer AHB, die sich im güns­tigs­ten Fall anschließt, hin­ge­gen von der Kran­ken­kas­se oder der Deut­schen Rentenversicherung.

Wäh­rend der Reha­bi­li­ta­ti­on wur­de im Rah­men der Behand­lung die Wund­ver­sor­gung nach den Stan­dards der ICW (Initia­ti­ve Chro­ni­sche Wun­den) fort­ge­führt. Bar­rie­re­freie Mobi­li­tät war im Rah­men des Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­ons­pro­gram­mes im Hos­pi­tal gewährt. Die maxi­ma­le Behand­lungs­zeit betrug 54 Tage, im Durch­schnitt dau­er­te sie ca. 2 Wochen. Nach Abschluss der Reha­bi­li­ta­ti­on wur­de der Pati­ent vom Reha­bi­li­ta­ti­ons­arzt im güns­tigs­ten Fall alle 6 Mona­te zur Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung in der KV-Ambu­lanz begut­ach­tet. Im Fol­gen­den wird der typi­sche Ver­lauf des Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­ons­pro­gramms in Rhei­ne geschil­dert. Dabei wird auf die Ergeb­nis­se bezüg­lich der genann­ten Pati­en­ten­ko­hor­te aus den Jah­ren 2014/2015 zurückgegriffen.

Reha­bi­li­ta­ti­ons­ver­lauf

Ein­mal wöchent­lich fin­det eine Team­be­spre­chung mit wochen­be­zo­ge­ner Doku­men­ta­ti­on der Reha­bi­li­ta­ti­ons­zie­le, der Behand­lungs­er­geb­nis­se und der dar­aus resul­tie­ren­den wei­te­ren Behand­lungs­zie­le statt. Jeder Pati­ent erhält einen ver­bind­li­chen indi­vi­du­el­len The­ra­pie­plan mit min­des­tens drei der fol­gen­den Therapiebereiche:

  • Physiotherapie/Krankengymnastik
  • Phy­si­ka­li­sche Therapie
  • Ergo­the­ra­pie
  • Psy­cho­the­ra­pie
  • Logo­pä­die/­Fa­zio-Ora­le Therapie/ Sprachtherapie
  • künst­le­ri­sche The­ra­pie (Kunst- und Musiktherapie)

Die The­ra­pien wer­den in Ein­zel-oder Grup­pen­the­ra­pie durch­ge­führt (Abb. 1). Pro Arbeits­tag fin­den zwei indi­vi­du­el­le Ein­hei­ten in Form von Ein­zel- oder Grup­pen­the­ra­pie statt; nach Mög­lich­keit bestehen die­se aus jeweils einer phy­sio­the­ra­peu­ti­schen und einer phy­si­ka­li­schen The­ra­pie­ein­heit. Der The­ra­pie­schwer­punkt liegt im All­ge­mei­nen auf dem Mus­kel­auf­bau, der Erar­bei­tung phy­sio­lo­gi­scher Bewe­gungs­ab­läu­fe und der Aus­dau­er- und Belast­bar­keits­stei­ge­rung. Ziel ist es, den Pati­en­ten aus der Ein­zel­the­ra­pie her­aus in die Grup­pen­the­ra­pie mit Eigen­übun­gen zu lei­ten, um Eigen­ver­ant­wort­lich­keit und Eigen­mo­ti­va­ti­on für Bewe­gung zu schaf­fen. Zudem wer­den ent­spre­chen­de Hilfs­mit­tel ver­ord­net, die aus der Dia­gno­se abge­lei­tet wer­den, um die Funk­ti­ons­ein­schrän­kun­gen im Hin­blick auf Teil­ha­be und Mobi­li­tät zu eli­mi­nie­ren bzw. abzuschwächen.

Um die The­ra­pie im Sin­ne einer hohen Pro­zess- und Struk­tur­qua­li­tät sinn­voll zu ergän­zen, wer­den die Pati­en­ten von Psy­cho­lo­gen, Sozi­al­ar­bei­tern, Ernäh­rungs­be­ra­tern und Seel­sor­gern beglei­tet. Dar­über hin­aus wer­den bei Bedarf natur­heil­kund­li­che The­ra­pien und rei­ki­the­ra­peu­ti­sche Kom­pe­tenz im The­ra­pie­pro­gramm ange­bo­ten. Exem­pla­ri­scher Therapieplan:

  • 10 Ein­hei­ten à 30 Minu­ten Physiotherapie/Physikalische Therapie
  • 5 Ein­hei­ten à 30 Minu­ten Ergotherapie

Die Ergo­the­ra­pie in der Ein­zel­the­ra­pie­form bezieht sich auf fol­gen­de Aspekte:

  • Trans­fer­trai­ning,
  • Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung und ‑trai­ning wie z. B. Roll­stuhl­trai­ning oder Trai­ning im Umgang mit der Orthe­se (Abb. 2),
  • Trai­ning von Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens (ADL).

Die Ergo­the­ra­pie in Grup­pen­the­ra­pie­form dage­gen dient der Beant­wor­tung der Fra­ge: Wie pas­se ich mich mit Han­di­cap mei­ner Umwelt an? Ziel ist es, Ant­wor­ten auf die­se Fra­ge zu fin­den, um den All­tag mit Han­di­cap zu bewäl­ti­gen und größt­mög­li­che Selbst­stän­dig­keit im All­tag zu errei­chen. Der über­wie­gen­de Anteil der Pati­en­ten der hier im Mit­tel­punkt ste­hen­den Kohor­te ver­weil­te 14 Tage in der Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­on (60 %). Im Maxi­mum konn­te der reha­bi­li­ta­ti­ve Pro­zess bis zu 54 Tagen fort­ge­setzt wer­den. Ledig­lich 20 % der Pati­en­ten ver­weil­ten nur eine Woche. Eine Früh-Reha-Bespre­chung zwi­schen The­ra­peu­ten und Ärz­ten fin­det ein­mal wöchent­lich statt. Die Früh-Reha-Bespre­chung dient der Doku­men­ta­ti­on des Behand­lungs­ver­laufs und der Ziel­fest­le­gung des inter­dis­zi­pli­nä­ren Teams. Die Doku­men­ta­ti­on des Ver­laufs der Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­on erfolgt sys­tem­in­tern im soge­nann­ten Früh-Reha-Bogen. Fol­gen­de Gerä­te der Medi­ko­me­cha­nik nach Kon­rad Bie­sal­ski wer­den im Rah­men der Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­on eingesetzt:

  • Uni­ver­sal­zug­ap­pa­rat,
  • Funk­ti­ons­stem­me,
  • Stütz­stem­me,
  • Ver­ti­kal­zug,
  • Lauf­band,
  • Geh­bar­ren (fest instal­liert im Boden, mit Per­so­nen­waa­ge im Bar­ren auf dem Boden und Gewichts­an­zei­ge auf Augenhöhe)
  • gro­ßer Spiegel,
  • Ergo­me­ter mit Puls- und Blutdruckkontrolle,
  • Ober­kör­per­ergo­me­ter (mit ver­schie­de­nen Pro­gram­men) oder Reckbike,
  • Lie­gend­fahr­rad,
  • Rumpf-Exten­si­ons­he­ber,
  • Rumpfro­ta­ti­on,
  • Pos­tur­o­med,
  • Pez­zi­bäl­le sowie
  • klei­ne Hilfs­mit­tel wie Han­teln (2,5 kg und 5 kg).

Rehabilitationsabschluss/Entlassmanagement

Bei den wöchent­li­chen the­ra­peu­ti­schen Kon­fe­ren­zen wird eine Ent­las­sungs­per­spek­ti­ve nach Errei­chen des vor­läu­fi­gen Reha­bi­li­ta­ti­ons­zie­les fest­ge­legt. In Zusam­men­ar­beit mit den Sozi­al­ar­bei­tern wird sodann ein Ent­las­sungs­kon­zept erar­bei­tet. Im güns­tigs­ten Fal­le kann eine Wei­ter­lei­tung in eine Reha­bi­li­ta­ti­ons­kli­nik zur Anschluss­heil­be­hand­lung – ent­we­der zu Las­ten der DRV oder zu Las­ten der Kran­ken­kas­se – bean­tragt wer­den. Bei von Erwerbs­un­fä­hig­keit bedroh­ten Pati­en­ten kann zu die­sem Zeit­punkt auch schon ein Antrag zur Teil­ha­be am Arbeits­le­ben gestellt werden.

Die Ergeb­nis­se der Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­on wer­den dem inter­dis­zi­pli­nä­ren Ent­las­sungs­brief in einem stan­dar­di­sier­ten Text­ab­satz ange­fügt. Bei Pati­en­ten, die von Erwerbs­un­fä­hig­keit bedroht sind, kann ein sozi­al­me­di­zi­ni­scher Befund nach den Sta­tu­ten der DRV ange­fügt wer­den. Ein Ent­las­sungs­bo­gen mit Dar­stel­lung der sub­jek­ti­ven Pro­zess­qua­li­tät been­det den sta­tio­nä­ren Auf­ent­halt und wird ausgewertet.

Das Reha­bi­li­ta­ti­ons­ziel bei Pati­en­ten mit DNOAP

Beson­ders bei Pati­en­ten mit einer Dia­be­ti­schen Neu­ro­pa­thi­schen Osteo­ar­th­ro­pa­thie (kurz DNOAP), all­ge­mein auch als “Char­cot-Fuß” bekannt, ist es ein prio­ri­sier­tes Ziel, die Pati­en­ten aktiv zu mobi­li­sie­ren. Es gilt zu gewähr­leis­ten, dass sich die Pati­en­tin bzw. der Pati­ent selbst­stän­dig fort­be­we­gen kann und nicht zwin­gend auf einen Roll­stuhl ange­wie­sen ist. Die Mobi­li­sie­rung erfolgt unter Berück­sich­ti­gung lei­dens­ge­rech­ter Aspek­te (Schwe­re­grad der Krank­heit, kör­per­li­che Ver­fas­sung usw.) und ist bei DNOAP-Erkran­kun­gen beson­ders wich­tig. Denn das Ziel der Mobi­li­sie­rung steht bei Pati­en­ten mit einer sol­chen Erkran­kung vor­erst in einem Kon­flikt, da die Füße nicht sel­ten star­ke Defor­mi­tä­ten und Ent­zün­dun­gen auf­wei­sen. Als Kon­se­quenz ist ein selbst­stän­di­ges Gehen ohne Unter­stüt­zung nicht ziel­füh­rend und hin­sicht­lich des Krank­heits­ver­laufs kon­tra­pro­duk­tiv. Für den Fall, dass Defor­mi­tä­ten oder Fuß­fehl­stel­lun­gen zu stark aus­ge­prägt sind, ist ein ope­ra­ti­ver Ein­griff mit dem Ziel einer bio­me­cha­nisch kor­rek­ten Repo­si­ti­on vor­ab zwin­gend erfor­der­lich. In jedem Fall besteht die Not­wen­dig­keit, ein medi­zi­nisch-tech­ni­sches Hilfs­mit­tel zur Mobi­li­sie­rung mit ein­zu­be­zie­hen, um lang­fris­tig den Erhalt bzw. die Wie­der­her­stel­lung der Erwerbs­fä­hig­keit und eine Sen­kung der Pfle­ge­be­dürf­tig­keit zu errei­chen. In die­sem Zusam­men­hang hat sich bis­lang der Ein­satz einer pati­en­ten­spe­zi­fi­schen Unter­schen­kel­ent­las­tungs­or­the­se aus car­bon­fa­ser­ver­stärk­tem Kunst­stoff im Ver­sor­gungs­all­tag bewährt (Abb. 3), die von einem Ortho­pä­die­tech­ni­ker her­ge­stellt wird.

Ins­ge­samt kann ein ope­ra­ti­ves Behand­lungs­er­geb­nis nur dann zum Erfolg füh­ren, wenn eine suf­fi­zi­en­te Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung statt­ge­fun­den hat, die vom Pati­en­ten selbst­stän­dig moti­viert bedient wer­den kann. Der Umgang mit Orthe­sen, mit dem Roll­stuhl und auch mit Pro­the­sen, die Hilfs­mit­tel­an­pas­sung bzw. ‑ver­sor­gung, eine Wahr­neh­mungs­för­de­rung sowie Aus­dau­er- und Belas­tungs­stei­ge­run­gen haben des­halb einen hohen früh­re­ha­bi­li­ta­ti­ven Stel­len­wert, um Rezi­di­ve zu ver­mei­den und Kos­ten zu reduzieren.

Ergeb­nis

In Abbil­dung 4 ist exem­pla­risch dar­ge­stellt, wel­che Ver­bes­se­run­gen hin­sicht­lich des All­ge­mein­zu­stan­des oder der Mobi­li­tät bei den 158 behan­del­ten Pati­en­ten aus den Jah­ren 2014/2015 durch den vor­ge­stell­ten kom­bi­nier­ten Ansatz erlangt wer­den konn­ten. Durch eine lei­dens­ge­rech­te Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung wie die vor­ge­stell­te Orthe­sen­ver­sor­gung konn­te der Tinet­ti-Test von durch­schnitt­lich 3 auf 14 Punk­te ver­bes­sert wer­den, der Timed up-and-go-Test sogar von 3 auf 18 Punk­te. Bezüg­lich der Bewer­tung anhand des Bart­hel-Index zur Fähig­keit einer Selbst­ver­sor­gung konn­te mit einer Ver­bes­se­rung von durch­schnitt­lich 78,02 auf 82,4 Punk­te die 80-Punk­te-Gren­ze über­schrit­ten wer­den. Der Weg einer Ver­bes­se­rung von einer spür­ba­ren Ein­schrän­kung der Fähig­keit zur Selbst­ver­sor­gung hin zu vol­ler Selbst­stän­dig­keit ist somit geeb­net wor­den. Das best­mög­lich anzu­stre­ben­de Ergeb­nis nach Abschluss des vor­ge­stell­ten Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­ons­pro­gramms ist eine Anschluss­heil­be­hand­lung zur Ver­hin­de­rung einer Pfle­ge­be­dürf­tig­keit, einer Erwerbs­un­fä­hig­keit und die Umset­zung von Teil­ha­be am Arbeitsleben.

Fazit

Die tech­nisch-ortho­pä­di­sche Frührehabilitation ist die frü­hest­mög­lich ein­set­zen­de kom­bi­nier­te akut­me­di­zi­ni­sche und reha­bi­li­ta­ti­ons­me­di­zi­ni­sche Behand­lung von Pati­en­ten mit DFS und ver­bes­sert Mobi­li­tät und Teil­ha­be. Sie ist somit ein wich­ti­ges Ele­ment in der Ver­hin­de­rung von Pfle­ge­be­dürf­tig­keit und Erwerbs­un­fä­hig­keit. Nach der Behand­lung funk­tio­nel­ler und struk­tu­rel­ler Defor­mi­tä­ten beim DFS und beim Char­cot-Fuß kann vor allem die Orthe­sen­ver­sor­gung im reha­bi­li­ta­ti­ven Pro­zess den Bart­hel-Index sowie die Ergeb­nis­se von Tinet­ti-Test und Timed-up-and-go-Test signi­fi­kant verbessern.

Für die Autoren:
Dr. med. Dirk Theo­dor Schraeder
Fach­arzt für Chir­ur­gie, Ortho­pä­die und Unfall­chir­ur­gie, Phy­si­ka­li­sche und Reha­bi­li­ta­ti­ve Medi­zin, Physikalische
The­ra­pie und Bal­neo­lo­gie, Sozialmedizin
Chef­arzt der Abtei­lung für Tech­ni­sche Orthopädie
Hos­pi­tal zum Hl. Geist Geseke
Bach­stra­ße 76
59590 Gese­ke
dirk.schraeder@krankenhaus-geseke.de

Begut­ach­te­ter Artikel/reviewed paper

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Schrae­der DT, Schaf­ran T, Gei­sen B., Rub­bert L: Ein inter­dis­zi­pli­nä­rer und akut­me­di­zi­ni­scher Ansatz zur frü­hest­mög­li­chen Inter­ven­ti­on bei Pati­en­ten mit Dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom. Ortho­pä­die Tech­nik, 2020; 71 (9): 32–37

 

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