Einleitung
Das vordere Kreuzband ist ein zentraler Pfeiler des Kniegelenkes. Die Ruptur der Kreuzbänder zählt zu den häufigsten traumatischen Bandverletzungen im Sport (Abb. 1). 70 % der Kreuzbandrupturen ereignen sich zwischen dem 15. und dem 45. Lebensjahr. Frauen haben ein 2,3- bis 9,7‑fach erhöhtes Risiko gegenüber Männern 1. Sportler in Sportarten mit Sprüngen und plötzlichen Richtungswechseln (Ballsportarten, Ski alpin etc.) sowie Kampfsportarten (Ringen, Judo etc.) sind besonders gefährdet.
Kreuzbandverletzungen erfordern nach der operativen Versorgung lange Rehabilitationszeiten. Die Ausfalldauer nach VKB-Ersatz beträgt 6 bis 9 Monate. Nur 60 bis 70 % der Sportler erreichen danach wieder ihr vorheriges Leistungsniveau. Zusätzliche Meniskusverletzungen, Knorpelschädigungen und eine chronische Instabilität (bei nichtoperativer Versorgung oder durch insuffiziente Versorgung) begünstigen die Arthroseentwicklung.
Verletzungsmechanismen
Plötzliche Drehbewegungen bei Körpertäuschungen im Ballsport und das einbeinige Landen in Valgusposition nach einem Sprung gelten als die häufigsten Verletzungsmechanismen 1. Die Landung bei flektiertem Kniegelenk im alpinen Skisport begünstigt über die Anspannung des M. quadriceps die Kreuzbandruptur. Die muskuläre Ermüdung und die Störung der Koordination durch Ablenkung erhöhen die Verletzungsgefahr. Die Kondylenform des Kniegelenkes als „gotische Notch“ gilt ebenso wie ein vermehrter Tibiaslope als prädisponierender Faktor für eine VKB-Ruptur. Das Risiko, eine vordere Kreuzbandruptur zu erleiden, steigt um das 10-Fache, wenn bereits eine frühere VKB-Verletzung vorgelegen hat.
Diagnostik
Für die Diagnostik von Kreuzbandverletzungen sind Anamnese, Inspektion, klinische Untersuchung sowie projektionsradiographische Darstellungen und Schnittbildgebungen als Zusammenschau wichtig. Akute sind von chronischen Verletzungen zu unterscheiden und verlangen modifizierte Vorgehensweisen. Bei schweren Verletzungen mit ausgeprägtem Hämarthros, Schwellung und Belastungsunfähigkeit sind klinische Tests aufgrund der starken Schmerzen häufig nicht möglich. Diese Patienten müssen direkt mittels Röntgen und MRT abgeklärt werden. Bei der Anamnese chronischer Instabilitäten beschreiben die Sportler ein subjektives Instabilitätsgefühl. Bei der Inspektion einer frischen Verletzung wird auf Schwellung, Hämatom und Prellmarken geachtet. Nach älteren Verletzungen richtet sich das Augenmerk neben der Schwellung (chronischer Erguss) eher auf Atrophien der Quadrizepsmuskulatur und die Stellung der Beinachsen.
Zur Überprüfung des vorderen Kreuzbandes gibt es zahlreiche Stabilitätstests. Beim Lachman-Test wird die anteriore tibiale Translation in 20 bis 30° Knieflexionsstellung getestet. Beim Schubladentest kann es bei muskulärer Anspannung der ischiocruralen Muskulatur zu einem falsch negativen Befund kommen. Der Pivot-Shift-Test zur Erfassung der Rotationsstabilität wird aufgrund der häufig schmerzhaften Abwehrspannung der Patienten meist nur vor der Operation in Narkose durchgeführt.
Bei der projektionsradiographischen Untersuchung des Kniegelenkes a. p. und seitlich können knöcherne Kreuzbandausrisse diagnostiziert werden. Um die Pathomorphologie der Kreuzbandverletzungen und Begleitverletzungen zu objektivieren, wird in der Regel eine MRT-Abklärung erfolgen.
Therapie
In der akuten Situation beim Sport wird die Kreuzbandverletzung nach dem PECH-Schema („Pause, Eis, Compression, Hochlagerung“) versorgt. Bei schmerzhaftem und ausgeprägtem Hämarthros sollte das Gelenk unter sterilen Kautelen punktiert werden. Danach erfolgt die weitere Abklärung. Die Kreuzbandverletzung kann prinzipiell konservativ oder operativ behandelt werden. Der individuelle Wunsch des Patienten und die Begleitpathologien beeinflussen die Therapieentscheidung 2 (Tab. 1 u. 2).
Bei zusätzlichen traumatischen Meniskusrupturen, die rekonstruierbar sind, sollten diese bei Sportlern refixiert werden. Die Refixation sollte mit der Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes verbunden werden. Die konservative Therapie der vorderen Kreuzbandverletzung erfolgt mit einem muskulären Kräftigungsprogramm und sensomotorischem Training. Das sportliche Aktivitätsniveau wird angepasst. Der Erfolg der Therapie muss regelmäßig überprüft werden. Bei „Givingway-Phänomen“ und hoher Aktivität wird zur Verhinderung von Meniskus- und Knorpelschäden bei chronischen Instabilitäten zur operativen Versorgung geraten. Wissenschaftliche Arbeiten haben gezeigt, dass nicht das Lebensalter, sondern die Aktivität Sekundärschäden bei Kreuzbandinstabilität begünstigt 1. Die Indikation zur operativen Versorgung besteht auch beim älteren Sportler, wenn er durch Giving-way-Phänomene im Sport oder im täglichen Leben beeinträchtigt ist. Eine bereits fortgeschrittene Kniearthrose stellt dagegen eine Kontraindikation für einen Bandersatz dar. Die vordere Kreuzbandrekonstruktion wird heute in arthroskopischer Versorgungstechnik durchgeführt. Frische Verletzungen können mit einer primären Ersatzplastik, einer transossären Re-Insertion bei gleichzeitiger Augmentation (bei femoralem Abriss) oder mit einer knöchernen Refixation bei knöchernem Eminentiaausriss versorgt werden. Im deutschsprachigen Raum werden als häufigste Transplantate die Semitendinosus-/Gracilissehne, das mittlere Drittel der Patellarsehne oder ein Quadrizepssehnenanteil verwendet (Abb. 2). Die Transplantatwahl richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen des Sportlers, der Sportart, dem Beruf und den körperlichen Gegebenheiten. Ziel ist eine möglichst anatomiegerechte Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes 3.
Für den Erfolg der Kreuzbandersatzplastik ist eine korrekte Tunnelplatzierung entscheidend. Auf eine impingementfreie Implantation des Bandes ist zu achten. Die Platzierung des femoralen Bohrkanals erfolgt über das anteromediale Zugangsportal bei Flexion des Kniegelenkes über 110°. Die Transplantatfixation erfolgt gelenknah mit bioresorbierbaren Interferenzschrauben oder gelenkfern mit Buttons (Abb. 3). Durch die Beschreibung des Aufbaus des vorderen Kreuzbandes mit seiner flachen/rechteckigen femoralen und flachen c‑förmigen tibialen Insertion durch Smigielski 4 entwickeln sich mit Hilfe spezieller Zielgeräte neue Operationstechniken.
Nachbehandlung
Für ein gutes Langzeitergebnis nach vorderer Kreuzbandersatzoperation sind aufwendige Rehabilitationsmaßnahmen erforderlich. Für die einzelnen Rehabilitationsphasen existieren entsprechende Hauptziele:
- Phase 1: Schwellungsreduktion
- Phase 2: Beweglichkeitssteigerung und Kräftigung
- Phase 3: Muskelkräftigung
- Phase 4: Wiedereingliederung in den Sport
In der Nachbehandlung von Kreuzbandersatzplastiken werden Orthesen eingesetzt, die das Einheilen der Transplantate sichern sollen. Bei der vorderen Kreuzbandersatzplastik beträgt die Mindestzeit der Orthesenversorgung 6 Wochen mit einer Flexionslimitierung von in der Regel 90°.
Prinzipiell muss das Transplantat in der Zeit seines Umbaus vor zu hoher Beanspruchung geschützt werden. Neben dem Erfüllen klinischer Basiskriterien entscheiden heute zusätzliche funktionelle Tests (z. B. einbeiniger Sprungtest, Kraftmessungen) über den Wiedereintritt in die sportartspezifische Belastung.
Prävention
Mit wissenschaftlichen Studien konnte in den letzten Jahren nachgewiesen werden, dass Verletzungen des Kniegelenkes durch geeignete Präventionsmaßnahmen deutlich reduziert werden können. Petersen 5 nennt als wichtigste Präventionsstrategien:
- Aufklärung über Verletzungsmechanismen und Modifikation gefährdender Bewegungsmuster
- Balancetraining
- neuromuskuläres Training zur Optimierung der inter- und intramuskulären Koordination
- Krafttraining mit stützenden ischiocruralen, hüft- und rumpfstabilisierenden Muskeln
- Laufübungen
Für die Autoren:
Prof. Dr. med. Martin Engelhardt
Klinikum Osnabrück
Am Finkenhügel 1
49076 Osnabrück
martin.engelhardt@klinikum-os.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Engelhardt M, Grim C. Die vordere Kreuzbandruptur – Diagnostik und Therapie. Orthopädie Technik, 2018; 69 (10): 12–14.
GOTS VKB Indikationswert | ||||
---|---|---|---|---|
3 Punkte | 2 Punkte | 1 Punkt | 0 Punkte | |
Initiale Begleitverletzung | Per se OP-Indikation | Per se keine OP-Indikation | Keine Begleitverletzung | |
Sportart (Innsbruck scale) | High risk pivot | Pivot | Low risk pivot | |
Zeit sportliche Aktivität/Woche (Valderrabano scale) | Hoch, Leistungssport, (>5 Std.) | Normal (1–5 Std.) | Gering (<1 Std.) | |
Subjektive Instabilität | ja | nein | ||
Objektive Instabilität | ja | nein | ||
Gelenkstatus: Beinachse, Degeneration, Bandlaxizität | Pathologien vorhanden | unauffällig | ||
Internistische Risikofaktoren | ja (BMI hoch) | Nein (BMI normal) | ||
Berufliche Aktivität | Kniebelastend | Nicht kniebelastend | ||
Compliance | ja | nein | ||
Punktewert | >9 Punkte OP-Indikation 6–8 Punkte Individuelle Gewichtung 0–5 Punkte Tendenz konservativ |
Indikatoren für frühe operative Intervention |
---|
Komplexe Bandläsion (hochgradige Seitenbandläsion) |
Dislozierte Menisken |
Neurovaskuläre Problematik |
Fragmentfrakturen |
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- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
- Belastungsprofile von knochenverankerten Oberschenkelimplantaten verbunden mit modernen Prothesenpassteilen — 5. November 2024
- Kohn D. Expertise Knie. Stuttgart: Thieme Verlag, 2016
- Bauer G et al. OP-Indikation. GOTS-Expertenmeeting Vorderes Kreuzband, 2010: 53–58. https://docortho.de/wp-content/uploads/2017/11/docortho_gots_expertenmeeting_2010_red.pdf (Zugriff am 23.08.2018)
- Herbort M et al. Aktuelle Techniken zur operativen Versorgung der Ruptur des vorderen Kreuzbandes. Sports Orthopaedics and Traumatology, 2017; 33 (4): 367–378
- Smigielski R et al. Variations of the Tibial Insertion of the Anterior Cruciate Ligament: An Anatomical Study. In: Siebold R, Dejour D, Zaffagnini S. (eds). Anterior Cruciate Ligament Reconstruction. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2014: 29–32
- Petersen W et al. Das instabile Kniegelenk: Diagnostik, Prävention und Therapie. Sports Orthop Traumatol, 2017; 33: 29–37