Die orthe­ti­sche Behand­lung erwach­se­ner Sko­lio­se­pa­ti­en­ten mit chro­ni­schen Rückenschmerzen

D. Gallo
Die orthetische Versorgung von Patienten mit degenerativen Wirbelsäulendeformitäten ist komplex. Besonders die damit einhergehende Schmerzsymptomatik wirksam zu reduzieren und die Mobilität wiederherzustellen oder zu erhalten sind große orthopädietechnische Herausforderungen. Aufgrund der Schwierigkeit der Versorgung und der schlechten Compliance wird in der Regel eine wirbelsäulenversteifende Operation angestrebt. Dieser Beitrag möchte anhand zweier Fallbeispiele aufzeigen, dass spezifizierte Rumpforthesen sinnvoll zur Schmerzbehandlung von Patienten mit degenerativen Erkrankungen und Störungen des sagittalen Profils angewendet werden können.

Ein­lei­tung

Die Behand­lung von Pati­en­ten mit dege­ne­ra­ti­ven Wir­bel­säu­len­er­kran­kun­gen und erwach­se­nen Sko­lio­se­pa­ti­en­ten mit chro­ni­schen Rücken­schmer­zen erweist sich in der Pra­xis als äußerst schwie­rig. Da die beglei­ten­de – in vie­len Fäl­len obli­ga­to­ri­sche – orthe­ti­sche Ver­sor­gung kom­pli­ziert und die Com­pli­ance schlecht ist, wird in der Regel eine wir­bel­säu­len­ver­stei­fen­de Ope­ra­ti­on angestrebt.

Dege­ne­ra­ti­ve Ver­än­de­run­gen der Wir­bel­säu­le bei erwach­se­nen Sko­lio­se­pa­ti­en­ten und die damit ein­her­ge­hen­den chro­ni­schen Rücken­schmer­zen wer­den zunächst the­ra­peu­tisch behan­delt, was in der Regel zu einer erhöh­ten Lebens­qua­li­tät der Betrof­fe­nen führt. Um eine nach­hal­ti­ge Ver­bes­se­rung für Betrof­fe­ne zu erzie­len, ist aller­dings häu­fig eine sta­tio­nä­re Inten­sivre­ha­bi­li­ta­ti­on notwendig.

Der Kreuz­schmerz bzw. die dege­ne­ra­ti­ven Ver­än­de­run­gen der Wir­bel­säu­le kön­nen jedoch auch dann immer noch so stark sein, dass eine Rumpfor­the­se indi­ziert ist. Tech­nisch und bio­me­cha­nisch funk­tio­nell adap­tier­te Orthe­sen schei­nen in der Lage zu sein, die Schmer­zen zu lin­dern oder sogar ganz zu besei­ti­gen. Sie unter­stüt­zen das Sagit­tal­pro­fil und tra­gen zur Opti­mie­rung der Kör­per­sta­tik bei. Sie wer­den zur Aus­übung von bestimm­ten Tätig­kei­ten im All­tag oder per­ma­nent getra­gen. Vie­le Orthe­sen wer­den ergän­zend zur The­ra­pie ein­ge­setzt. Wei­te­re Grün­de für ihren Ein­satz kön­nen die Ver­mei­dung einer Wir­bel­säu­len­ope­ra­ti­on oder deren Undurch­führ­bar­keit aus medi­zi­ni­schen Grün­den sein.

Fall­bei­spiel 1

Sym­pto­ma­tik und Indikation

Im dar­ge­stell­ten Fall han­delt es sich um eine sieb­zig­jäh­ri­ge Pati­en­tin, die die zur Wir­bel­säu­len­ver­stei­fung ein­ge­brach­ten Implan­ta­te nicht ver­trug. Sie muss­ten wie­der ent­fernt wer­den. Post­ope­ra­tiv stell­te sich nach dem Abhei­lungs­pro­zess wie­der die Ursprungs­si­tua­ti­on ein. Die Dia­gno­se lau­te­te auf dege­ne­ra­ti­ve Sko­lio­se und damit ein­her­ge­hen­de Kypho­se der Len­den­wir­bel­säu­le sowie lum­ba­le Spon­dy­lo­lis­the­sis zwi­schen L2 und L5.

Die Pati­en­tin (Abb. 1) litt auf­grund der mul­ti­plen dege­ne­ra­ti­ven Ver­än­de­run­gen an star­ken Schmer­zen (NRS 8–9). Selbst die Bewäl­ti­gung kleins­ter All­tags­si­tua­tio­nen war unmög­lich: Sie gab an, dass ihr die Schmer­zen das auf­rech­te Gehen und auch das Auto­fah­ren selbst über kur­ze Stre­cken uner­träg­lich mach­ten. Da auch mit spe­zi­fi­schen phy­sio­the­ra­peu­ti­schen Maß­nah­men kei­ne Lin­de­rung geschaf­fen wer­den konn­te, ent­schied sich die Pati­en­tin zu der zunächst erfolg­lo­sen Ope­ra­ti­on der lum­ba­len Wirbelsäule.

Ohne ein das lum­ba­le Seg­ment sta­bi­li­sie­ren­des und schmerz­re­du­zie­ren­des Hilfs­mit­tel war eine selbst­stän­di­ge Bewäl­ti­gung des All­tags unmög­lich. Die Pati­en­tin bewer­te­te ihre Lebens­qua­li­tät und ihr gesell­schaft­li­ches Leben in die­ser Pha­se auf einer Ska­la (Abb. 2) von 1 bis 10 mit einer 3.

Anfor­de­rung an die Rumpf­orthese, Design

Funk­tio­nell muss­te die Rumpfor­the­se in die­sem Fall eine Sta­bi­li­sie­rung der Wir­bel­säu­le im betrof­fe­nen lum­ba­len Seg­ment leis­ten kön­nen, um das Abglei­ten zu ver­hin­dern (die Ver­en­gung des Spi­nal­ka­nals auf­hal­ten bzw. redu­zie­ren). Zugleich muss­te sie in der Lage sein, den Rumpf in einer schmerz­frei­en Posi­ti­on zu hal­ten. Des Wei­te­ren waren eine Sta­tik­ver­än­de­rung und eine Nor­ma­li­sie­rung des Sagit­tal­pro­fils anzu­stre­ben. Die Funk­ti­on der tho­ra­ko­lum­bo­sa­kra­len Rumpfor­the­se muss­te im Ste­hen, im Lie­gen und im Sit­zen umge­setzt wer­den. Die Mobi­li­tät der umlie­gen­den Bewe­gungs­ach­sen soll­te mög­lichst unein­ge­schränkt mög­lich sein.

Die Pati­en­tin wur­de mit einem Rumpfor­the­sen­mo­dul sBrace L TLSO ver­sorgt (Abb. 3 u. 4). Das bio­me­cha­ni­sche Design des Orthe­sen-Moduls ist vom Her­stel­ler vor­ge­ge­ben oder kann bei der Bestel­lung je nach Indi­ka­ti­on ent­spre­chend ange­passt wer­den. Die Her­stel­lung der Rumpfor­the­se erfolg­te indi­vi­du­ell nach den Pati­en­ten­ma­ßen, der Schmerz­pa­ti­en­tin blieb zusätz­li­cher Stress durch einen Gips­ab­druck erspart.

Die anpro­be­fer­ti­ge Rumpfor­the­se wur­de ent­spre­chend ihrer Indi­ka­ti­on am Kör­per der Pati­en­tin ange­passt. Rand­ver­läu­fe wur­den defi­niert und Druck­zo­nen ent­spre­chend abge­pols­tert. Das Rumpfor­the­sen-Modul wur­de durch den indi­vi­du­el­len Zuschnitt zu einer leich­ten, stei­fen TLSO in Rah­men­kon­struk­ti­on. Die Beweg­lich­keit der Fron­tal­ebe­ne wird durch den Zuschnitt der Orthe­se defi­niert und blieb im dar­ge­stell­ten Fall fast unein­ge­schränkt erhalten.

Ergeb­nis

Das Sagit­tal­pro­fil der Pati­en­tin konn­te signi­fi­kant ver­bes­sert wer­den. Damit ein­her­ge­hend konn­ten die Schmer­zen deut­lich redu­ziert wer­den (NRS 3–4). Die Pati­en­tin konn­te die Orthe­se trotz der star­ken Fehl­stel­lung der Wir­bel­säu­le und Rumpf­de­for­mie­run­gen sowie der damit ein­her­ge­hen­den Kor­rek­tur­drü­cke inner­halb der TLSO gezielt für Akti­vi­tä­ten im All­tag und zur Schmerz­the­ra­pie ein­set­zen. Sie gab an, mit der Orthe­se ein nahe­zu nor­ma­les Leben füh­ren zu kön­nen, und stuf­te ihr gesell­schaft­li­ches Leben nun bei 8 ein. Nach einer wei­te­ren Ope­ra­ti­on konn­te schließ­lich auch auf die Orthe­se ver­zich­tet werden.

Fall­bei­spiel 2

Sym­pto­ma­tik und Indikation

Im zwei­ten Fall han­delt es sich um eine Pati­en­tin (Abb. 5 u. 6) mit dege­ne­ra­ti­ver Sko­lio­se und Spät­fol­gen durch trau­ma­tisch beding­te Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren zwi­schen L4 und Th8 sowie einer damit ein­her­ge­hen­den Spon­dy­lo­lis­the­sis zwi­schen L3 und L4. Die Fol­ge waren chro­ni­sche Schmer­zen (NRS 8), die die selbst­stän­di­ge Mobi­li­tät der Pati­en­tin im All­tag extrem ein­schränk­ten oder sogar unmög­lich mach­ten. Die Pati­en­tin berich­te­te von star­ken Schmer­zen beson­ders im Gehen und Lie­gen, wobei Letz­te­res durch die Belas­tung des Nacht­schla­fes zu wei­te­ren Beein­träch­ti­gun­gen führ­te. Auf­grund der Spon­dy­lo­lis­the­sis war eine Ope­ra­ti­on geplant. Die­se wur­de aber von der Pati­en­tin verweigert.

Anfor­de­rung an die Rumpfor­the­se, Design

Die Orthe­sen­kon­struk­ti­on muss­te in die­sem Fall­bei­spiel eine Sta­bi­li­sie­rung des lum­ba­len und tho­ra­ko­lum­ba­len Berei­ches der Wir­bel­säu­le leis­ten. Ange­strebt war eine Ver­än­de­rung der pathome­cha­ni­schen Sta­tik der Wir­bel­säu­le, um der Spon­dy­lo­lis­the­sis ent­ge­gen­zu­wir­ken und der Pati­en­tin eine schmerz­freie Kör­per­hal­tung zu ermöglichen.

Es wur­de die Basis­form eines sBraceL-Orthe­sen­mo­duls aus­ge­wählt. Die Her­stel­lung der Rumpfor­the­se erfolg­te nach Kör­per­ma­ßen und kli­ni­schen Bil­dern ohne Gips­ab­druck. Die Abwei­chung des Beckens in der Fron­tal­ebe­ne nach rechts wur­de in das CAD-Modell ein­ge­bracht. Das phy­sio­lo­gi­sche Sagit­tal­pro­fil des Basis­mo­duls wur­de ent­spre­chend kli­ni­schen Tests und der Mor­pho­lo­gie der Pati­en­tin ange­passt. Zudem wur­den die links tho­ra­ka­le, die rechts lum­ba­le sowie die lin­ke Glu­te­al­an­la­ge in das CAD-Modell ein­ge­ar­bei­tet, um das Drei­punkt-Prin­zip zur Sta­bi­li­sie­rung in der Fron­tal­ebe­ne sicher­zu­stel­len. Die Anla­ge­punk­te wur­den im CAD-Modell ent­spre­chend der Mor­pho­lo­gie der Pati­en­tin und der funk­tio­nel­len Anfor­de­rung angepasst.

Die auf einer bio­me­cha­nisch stan­dar­di­sier­ten Basis­form indi­vi­du­ell her­ge­stell­te Rumpfor­the­se wur­de durch den Zuschnitt des Rand­ver­lau­fes auf die funk­tio­nel­len Anfor­de­run­gen der Pati­en­tin abge­stimmt. Emp­find­li­che Druck­zo­nen wur­den mit Pads abgepolstert.

Ergeb­nis

Das Vor­an­schrei­ten der Spon­dy­lo­lis­the­sis konn­te mit der Rumpfor­the­se gestoppt wer­den. Ins­be­son­de­re wur­de eine Ope­ra­ti­on als Ulti­ma Ratio abge­wen­det. Die Schmer­zen konn­ten so weit redu­ziert wer­den (NRS 2), dass die Mobi­li­tät der Pati­en­tin zur Bewäl­ti­gung von All­tags­an­for­de­run­gen sicher­ge­stellt ist. Auch Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten wie leich­ter Sport wur­den durch die Orthe­se möglich.

Fazit

Die orthe­ti­sche Ver­sor­gung von Pati­en­ten mit dege­ne­ra­ti­ven Wir­bel­säu­len­de­for­mi­tä­ten ist kom­plex. Beson­ders die damit ein­her­ge­hen­de Schmerz­sym­pto­ma­tik wirk­sam zu redu­zie­ren oder gar zu besei­ti­gen ist eine gro­ße ortho­pä­die­tech­ni­sche Her­aus­for­de­rung – eben­so wie die Wie­der­her­stel­lung oder Erhal­tung der Mobi­li­tät der Pati­en­ten, um eigen­stän­dig den All­tag bewäl­ti­gen zu können.

Die Fall­bei­spie­le zei­gen auf, dass spe­zi­fi­zier­te Rumpfor­the­sen und deren Her­stel­lungs­wei­se sinn­voll zur Schmerz­be­hand­lung von Pati­en­ten mit dege­ne­ra­ti­ven Erkran­kun­gen und Stö­run­gen des sagit­ta­len Pro­fils ange­wen­det wer­den können.

Es ist mög­lich, die­se Pati­en­ten­grup­pe so wenig wie mög­lich inva­siv und den­noch mit der maxi­ma­len Funk­ti­on rumpfor­the­tisch zu ver­sor­gen. Zur Umset­zung des­sen sind fun­dier­te Kennt­nis­se und eine sys­te­ma­ti­sche Ver­sor­gungs­pla­nung von gro­ßer Wichtigkeit.

Der Autor:
Dino Gal­lo
Ortho­lu­ti­ons
Ing.-Anton-Kathrein-Straße 2
83101 Rohr­dorf-Than­sau
dino@ortholutions.de

Lite­ra­tur beim Autor.

Zita­ti­on
Gal­lo D. Die orthe­ti­sche Behand­lung erwach­se­ner Sko­lio­se­pa­ti­en­ten mit chro­ni­schen Rücken­schmer­zen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2014; 65 (4): 60–62
Tei­len Sie die­sen Inhalt