Die kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie der neu­ro­ge­nen Sko­lio­se aus Sicht der Tech­ni­schen Orthopädie

B. Flügel, C. Weichold, M. Alimusaj
Aufgrund neuromuskulärer Grunderkrankungen und der damit einhergehenden muskulären Imbalance kommt es häufig auch zu Veränderungen des Haltungs- und Bewegungsapparates im Bereich des Rumpfes. In der nachfolgenden Korsettversorgung stehen dem Orthopädie-Techniker vielfältige Versorgungsmöglichkeiten offen, um den Veränderungen der Wirbelsäule zu begegnen. Die Auswahl wird neben der grundsätzlichen Indikation auch durch die am Versorgungsprozess beteiligten Personengruppen beeinflusst und stellt bei Patienten mit einer neuromuskulären Grunderkrankung eine besondere Herausforderung dar. Nur durch im Vorfeld klar definierte Ziele können am Ende die Effektivität und der Erfolg des Hilfsmittels sichergestellt werden. Zudem sind auch das regelmäßige Hinterfragen der Versorgung und gegebenenfalls entsprechende Anpassungen unabdingbare Komponenten einer erfolgreichen Versorgung, da es im Laufe der Zeit immer wieder zu Veränderungen intrinsischer und extrinsischer Natur kommen kann.

Ein­lei­tung

Um eine adäqua­te Ver­sor­gung des Rump­fes durch­füh­ren zu kön­nen, benö­tigt der ver­sor­gen­de Tech­ni­ker umfas­sen­de Kennt­nis­se in den Berei­chen Ana­to­mie, Patho­lo­gie, Bio­me­cha­nik, Mate­ri­al­kun­de und selbst­ver­ständ­lich im Kor­sett­bau selbst – das Ver­ständ­nis des Wesens der neu­ro­ge­nen Sko­lio­se legt den Grund­stein für eine funk­tio­nie­ren­de Ver­sor­gung. Ein­ge­bet­tet in ein sozia­les Gefü­ge stellt nicht nur der Pati­ent Anfor­de­run­gen an eine mög­li­che Behand­lung, son­dern auch die ihn umge­ben­den Per­so­nen­grup­pen wie zum Bei­spiel die Fami­lie, die jewei­li­gen Ein­rich­tun­gen und die The­ra­peu­ten. So kön­nen zum Bei­spiel aus der Sicht der Patho­lo­gie Ske­lett­ver­än­de­run­gen im Bereich der Hüft­ge­len­ke Ein­fluss auf die gesam­te Rücken­sta­tik und die Aus­prä­gung der Krüm­mung 1 neh­men. Bei­spiel­haft für die­se Pati­en­ten­grup­pen sei das Krank­heits­bild der Infan­ti­len Zere­bral­pa­re­se (ICP) genannt. Die in Koope­ra­ti­on der Ver­ei­ni­gung für Kin­der­or­tho­pä­die und des Netz­werks Cere­bral­pa­re­se e. V. ver­öf­fent­lich­te soge­nann­te Wir­bel­säu­len­am­pel 2 ver­an­schau­licht hier­bei, in wel­cher Abhän­gig­keit der Schwe­re­grad der ICP zum Sko­lio­se-Risi­ko steht. So wei­sen Pati­en­ten mit einem GMFCS 3 (das Kür­zel steht für „Gross Motor Func­tion Clas­si­fi­ca­ti­on Sys­tem“) ein erhöh­tes Sko­lio­se-Risi­ko auf, Betrof­fe­ne mit einem GMFCS 4 und 5 ein Sko­lio­se-Risi­ko von über 50 Pro­zent. Als wei­te­re Risi­ko­fak­to­ren sei­en soge­nann­te Ear­ly-Onset-Sko­lio­sen und prä­pu­ber­tär ent­wi­ckel­te Sko­lio­sen bei spas­ti­schen bila­te­ra­len ICP-Pati­en­ten genannt. Ab dem 3. Lebens­jahr kann die Wir­bel­säu­len­am­pel zum Ein­satz kom­men, um früh­zei­tig Auf­fäl­lig­kei­ten zu dia­gnos­ti­zie­ren und dann recht­zei­tig zu inter­ve­nie­ren. Die­ses Bei­spiel zeigt, dass für eine adäqua­te Ver­sor­gung ein „Gesamt­blick“ auf den Pati­en­ten erfor­der­lich ist. Die­se grund­sätz­li­che Anfor­de­rung gilt auch für den Techniker.

Funk­tio­nell betrach­tet hat die Sko­lio­se neben dem Ein­fluss auf die Sta­tik auch Aus­wir­kun­gen auf die Atmung: Bei hoch­gra­di­gen Krüm­mun­gen wird das Lun­gen­vo­lu­men redu­ziert, und ein erhöh­tes Infekt­ri­si­ko ent­steht; eine Häu­fung von Lun­gen­ent­zün­dun­gen ist zu beob­ach­ten. Die ver­än­der­te Kör­per­hal­tung kann zudem auch die Nah­rungs­auf­nah­me erschwe­ren, und die Wahr­neh­mung der Umwelt kann her­ab­ge­setzt sein. Ein unste­tes Umher­wan­dern der Pupil­len zeigt, dass es dem Betrof­fe­nen nur schwer mög­lich ist, das Gegen­über zu fixie­ren. So sind neben bio­me­cha­ni­schen Aspek­ten auch neu­ro­lo­gi­sche und nicht zuletzt psy­cho­so­zia­le Kom­po­nen­ten zu beden­ken. Schließ­lich geht es je nach Schwe­re­grad auch um Schmerz­pro­phy­la­xe und im schlimms­ten Fall um Schmerz­re­duk­ti­on. Die­se Art der pal­lia­ti­ven Ver­sor­gung soll­te jedoch bereits im Vor­feld ver­mie­den wer­den. Dies ist mög­lich durch eine enge Anbin­dung der Pati­en­ten an ent­spre­chend geschul­te Insti­tu­tio­nen, wie sie zum Bei­spiel in Sozi­al­päd­ia­tri­schen Zen­tren, Kin­der­or­tho­pä­di­schen Schwer­punkt­pra­xen oder Kran­ken­häu­sern zu fin­den sind. Eine Ver­sor­gung in die­sen Aus­prä­gungs­gra­den stellt daher noch­mals beson­de­re Anfor­de­run­gen, ver­gli­chen mit Pati­en­ten, die wenigs­tens noch eine Sitz­fä­hig­keit aufweisen.

Ursa­chen neu­ro­mus­ku­lä­rer Skoliosen

Die Ursa­chen für eine neu­ro­mus­ku­lä­re Erkran­kung sind viel­fäl­tig. So kann eine Stö­rung im Mus­kel selbst, eine Schä­di­gung der Ner­ven oder auch eine Schä­di­gung im Gehirn und/oder am Rücken­mark vor­lie­gen. Zur Grup­pe der neu­ro­mus­ku­lä­ren Grund­er­kran­kun­gen gehö­ren unter ande­rem die bereits genann­te Infan­ti­le Zere­bral­pa­re­se (ICP), Mus­kel­atro­phie/-dys­tro­phie, MMC/Spina bifi­da, diver­se Syn­dro­me wie zum Bei­spiel das Rett-Syn­drom, aber auch trau­ma­ti­sche Quer­schnit­te. Wir­bel­säu­len­ver­krüm­mun­gen, die in der Fol­ge auf­tre­ten, wer­den als „neu­ro­mus­ku­lä­re“ oder „neu­ro­ge­ne“ Sko­lio­sen bezeich­net. Die neu­ro­ge­ne Sko­lio­se unter­schei­det sich von der idio­pa­thi­schen Sko­lio­se durch ihre Ent­ste­hung, ihre Aus­prä­gung und ihr Erschei­nungs­bild. Aber auch die Rah­men­be­din­gun­gen, die die Pati­en­ten mit­brin­gen, sind ein wich­ti­ger Fak­tor: Neben einer hypo­to­nen Situa­ti­on bei einem Pati­en­ten mit einer spi­na­len Mus­kel­atro­phie (SMA), die mas­si­ve Anfor­de­run­gen an ein auf­rich­ten­des Moment des Kor­setts stellt, sind es bei der ICP nicht zuletzt die Pro­ble­me einer bestehen­den Spas­tik, die deut­li­chen Ein­fluss auf das Ver­sor­gungs­kon­zept und des­sen Umset­zung neh­men. Wei­te­re dyna­mi­sche und struk­tu­rel­le Defor­mi­tä­ten kön­nen beglei­tend hin­zu­kom­men und die Ver­sor­gung ent­schei­dend beeinflussen.

An die­se Gege­ben­hei­ten muss das ent­spre­chen­de Kon­zept ange­passt wer­den. Somit unter­schei­den sich die gewähl­ten Ver­sor­gungs- und Hilfs­mit­tel­kon­zep­te im Bereich der neu­ro­ge­nen Sko­lio­se zum Teil erheb­lich vom the­ra­peu­ti­schen Vor­ge­hen bei einer idio­pa­thi­schen Sko­lio­se, die typi­scher­wei­se neu­ro­lo­gisch gesun­de Pati­en­ten betrifft und kei­ne zusätz­li­chen Ein­schrän­kun­gen im phy­si­schen oder gar kogni­ti­ven Sin­ne mit sich bringt. So stellt die neu­ro­ge­ne Sko­lio­se kei­ne eigen­stän­di­ge Erkran­kung dar, son­dern ist viel­mehr die Fol­ge einer neu­ro­mus­ku­lä­ren Grund­er­kran­kung. Neu­ro­ge­ne Sko­lio­sen zei­gen eine aus­ge­präg­te Pro­gres­si­ons­ten­denz, die schon im frü­hen Lebens­al­ter ein­set­zen kann 3. Je frü­her eine neu­ro­mus­ku­lä­re Stö­rung Ein­fluss auf die Rumpf­ent­wick­lung nimmt, des­to höher ist das Sko­lio­se-Risi­ko im wei­te­ren Ver­lauf 4. Durch die Erkran­kung des Ner­ven- und Mus­kel­sys­tems, die auch nach Wachs­tums­ab­schluss bestehen bleibt, kann mit einem Pro­gre­di­enz­stopp auch nach Been­di­gung des Wachs­tums nicht gerech­net wer­den. Dies hat unmit­tel­ba­ren Ein­fluss auf den Ver­sor­gungs­ver­lauf, aber auch auf die Ver­sor­gungs­pla­nung, da die Per­spek­ti­ve stets den pro­gre­di­en­ten Ver­lauf zu berück­sich­ti­gen hat. Der ver­än­der­te Mus­kel­to­nus lässt sich sei­tens der Pati­en­ten kaum will­kür­lich beein­flus­sen und somit auch nicht aktiv im Sin­ne einer Kor­rek­tur­wir­kung beüben. Ver­schie­dent­lich bestehen­de kogni­ti­ve Ein­schrän­kun­gen erschwe­ren zusätz­lich die the­ra­peu­ti­schen Inter­ven­tio­nen und wir­ken sich nega­tiv auf die Com­pli­ance aus.

Als Fol­ge der moto­ri­schen Stö­run­gen, die teil­wei­se die gesam­te Kör­per­mus­ku­la­tur betref­fen, kann es wie ein­gangs beschrie­ben zu wei­ter­füh­ren­den struk­tu­rel­len Ske­lett­ver­än­de­run­gen kom­men. Eine enge Abwä­gung zwi­schen kon­ser­va­ti­ven, aber auch ope­ra­ti­ven Maß­nah­men ist somit uner­läss­lich und bedingt eine enge Koope­ra­ti­on zwi­schen ope­ra­ti­ven und kon­ser­va­ti­ven Akteu­ren des Ver­sor­gungs­teams. Auf­grund mus­ku­lä­rer Kraft- und Steue­rungs­de­fi­zi­te bei den Pati­en­ten ist kei­ne akti­ve Kor­rek­tur mög­lich. Neben der neu­ro­ge­nen Sko­lio­se als Fol­ge der neu­ro­mus­ku­lä­ren Grund­er­kran­kung kann die­se Pati­en­ten­grup­pe auch unter ande­ren Fol­ge­er­schei­nun­gen wie Hüft­lu­xa­ti­on, Reflux, aus­ge­präg­ter Spas­tik, Kon­trak­tu­ren, erhöh­ter Deku­bi­tus­ge­fahr, ver­kürz­ten Mus­kel­strän­gen und der Not­wen­dig­keit einer künst­li­chen Nah­rungs­zu­fuhr lei­den. Das kli­ni­sche Erschei­nungs­bild weist daher deut­li­che Unter­schie­de zur idio­pa­thi­schen Sko­lio­se auf und bedingt damit auch deut­li­che Anpas­sun­gen in der Korsetttherapie.

Kli­ni­sches Erscheinungsbild

Im Rah­men der kli­ni­schen Unter­su­chung fal­len typi­scher­wei­se zunächst die ver­rin­ger­te Rumpf­sta­bi­li­tät und Kopf­kon­trol­le auf. Beglei­tend sieht man häu­fig einen Becken­schief­stand im Sit­zen mit einem kor­re­spon­die­ren­den Rumpf­über­hang zur Sei­te der kra­nia­li­sier­ten Becken­hälf­te (Abb. 1). Eine ver­än­der­te Rumpf- und Kör­per­sta­tik lässt sich eben­so bei einer Hyper­lor­do­se oder einer kypho­sier­ten Hal­tung beob­ach­ten. In der Kon­se­quenz ist die Sitz­sta­bi­li­tät mas­siv beein­flusst, und die Pati­en­ten dro­hen sel­bi­ge bei ent­spre­chen­der Aus­prä­gung der Fehl­stel­lung sogar gänz­lich zu ver­lie­ren. Wei­te­re Hin­wei­se wie zum Bei­spiel das Ein­set­zen der Arme zum Abstüt­zen, das Able­gen des Kinns auf der Brust oder das Weg­kip­pen des Kop­fes nach hin­ten tre­ten eben­falls häu­fig beglei­tend auf. Als wei­te­res Cha­rak­te­ris­ti­kum zeigt sich in der Bild­ge­bung eine Sko­lio­se in zumeist C‑förmiger Aus­prä­gung mit einer Rota­ti­ons­kom­po­nen­te, die nicht auf ein kur­zes Seg­ment beschränkt ist, son­dern über die gan­ze Wir­bel­säu­le hin­weg ver­läuft 5.

Erfor­der­nis­se der Versorgung

Abge­lei­tet aus den obi­gen Erläu­te­run­gen müs­sen fol­gen­de Fra­gen bei der Ver­sor­gung des Rump­fes beant­wor­tet werden:

  • Wel­che Grund­er­kran­kung liegt vor?
  • Wel­che Begleit- oder Fol­ge­er­schei­nun­gen lie­gen neben der Sko­lio­se vor?
  • Wie ist das kli­ni­sche und radio­lo­gi­sche Erscheinungsbild?
  • Wel­che Auf­ga­be und Funk­ti­on soll das Hilfs­mit­tel erfüllen?
  • Sind schon ande­re Hilfs­mit­tel vor­han­den oder geplant?
  • Wie ist das Pati­en­ten­um­feld gestaltet?
  • Wie steht es um die kogni­ti­ven Fähig­kei­ten des Patienten?

Nach einer aus­führ­li­chen kli­ni­schen Unter­su­chung und der Ana­mne­se durch den Arzt soll­te gemein­sam im inter­dis­zi­pli­nä­ren Team ein Ver­sor­gungs­kon­zept fest­ge­legt wer­den. So soll­te unter ande­rem von ortho­pä­die­tech­ni­scher Sei­te geklärt wer­den, wel­che Hilfs­mit­tel bereits vor­han­den sind und inwie­weit das Kor­sett in das bestehen­de Kon­zept inte­griert wer­den kann – z. B. bei einem Roll­stuhl mit Sitz­scha­le, einer Ste­hor­the­se oder einem Steh­stän­der, einem The­ra­pie­stuhl etc.

Des Wei­te­ren muss gefragt wer­den, wel­che Anpas­sun­gen im Ver­sor­gungs­kon­zept vor­ge­nom­men wer­den müs­sen und inwie­fern sich die Kom­po­nen­ten gegen­sei­tig beein­flus­sen. Von fami­liä­rer Sei­te soll­te geklärt wer­den, wie es um die räum­li­che Situa­ti­on im häus­li­chen Umfeld oder in den regel­mä­ßig ein­ge­bun­de­nen Ein­rich­tun­gen bestellt ist, ob das An- und Aus­zie­hen des Kor­setts dort umge­setzt wer­den kann oder ob dort ande­re limi­tie­ren­de Gege­ben­hei­ten bestehen. Die behan­deln­den The­ra­peu­ten kön­nen die per­sön­li­chen Gren­zen der Betrof­fe­nen häu­fig bes­ser ein­schät­zen und soll­ten daher ein­ge­bun­den wer­den, wenn es um die Fra­ge nach dem Ent­wick­lungs­po­ten­zi­al des Pati­en­ten und mög­li­chen Ein­schrän­kun­gen geht. Nicht zuletzt soll­te auch die kli­ni­sche Per­spek­ti­ve beach­tet wer­den: Wie wird sich der Pati­ent wei­ter­ent­wi­ckeln? Dabei muss ursäch­lich die Grund­er­kran­kung im Vor­der­grund ste­hen. Das zu defi­nie­ren­de The­ra­pie­kon­zept steht in engem Zusam­men­hang mit den gewünsch­ten Ver­sor­gungs­zie­len und den betei­lig­ten Per­so­nen­grup­pen, die jeweils die sie betref­fen­den Aspek­te einbringen.

Einer der wich­tigs­ten Aspek­te in der Kor­sett­ver­sor­gung ist der Erhalt der Akti­vi­tä­ten, um den Pati­en­ten im All­tag auch zukünf­tig so wenig wie mög­lich ein­zu­schrän­ken – es han­delt sich ange­sichts des Pro­blems der nicht enden­den Pro­gre­di­enz um eine lang­fris­tig ange­leg­te Ver­sor­gungs­si­tua­ti­on. Unter Berück­sich­ti­gung der vor­han­de­nen Defor­mi­tä­ten und Fehl­stel­lun­gen müs­sen die Ver­sor­gungs­zie­le daher umso bes­ser spe­zi­fi­ziert wer­den. Es emp­fiehlt sich zudem, sie in eine hier­ar­chi­sche Rei­hen­fol­ge zu brin­gen, die im wei­te­ren Ver­lauf ange­mes­sen berück­sich­tigt wer­den muss. Tat­säch­lich kön­nen Kor­rek­tur und Hand­ling in hohem Maße kon­kur­rie­ren­de Grö­ßen sein, die ent­spre­chend den jewei­li­gen Mög­lich­kei­ten und der indi­vi­du­el­len Situa­ti­on in der Kor­sett­pla­nung zu prio­ri­sie­ren sind. Neben der Ver­bes­se­rung der Fehl­stel­lung kön­nen so auch Sitz­fä­hig­keit, Schmerz­re­duk­ti­on und Reduk­ti­on der Spas­tik zu einem über­ge­ord­ne­ten Ziel werden.

Eine Sta­bi­li­sie­rung durch das Kor­sett im Bereich des Rump­fes ermög­licht eine Ver­ti­ka­li­sie­rung, erhöht die Sitz­sta­bi­li­tät und ver­bes­sert die Hand­funk­ti­on, wenn die Hän­de auf­grund der vor­ge­nann­ten Aspek­te nicht mehr zur Abstüt­zung benö­tigt wer­den. Neben der Ver­bes­se­rung der Hand­funk­ti­on kommt es dadurch auch zu einer deut­lich bes­se­ren Kopf­kon­trol­le. Die Pati­en­ten errei­chen somit eine Auf­rich­tung der Hals­wir­bel­säu­le und kön­nen ihr Blick­feld auf die­se Wei­se deut­lich bes­ser im Raum aus­rich­ten – sicher ein Aspekt, der im Sin­ne der Teil­ha­be äußerst erstre­bens­wert ist. Es sei an die­ser Stel­le erwähnt, dass alt­her­ge­brach­te soge­nann­te Bauch­pres­sen, wie sie zum Bei­spiel beim Bos­ton Brace zum Ein­satz kom­men, heu­te kei­nen Platz in der Sko­lio­se­be­hand­lung mehr haben.

Es erfor­dert ein adäqua­tes bio­me­cha­ni­sches Grund­wis­sen, um mit der Ver­sor­gung eine ent­spre­chen­de Ver­bes­se­rung zu errei­chen. Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen der Kraft­ein­wir­kung der Orthe­se und der pati­en­ten­sei­ti­gen Reak­ti­on kom­men hin­zu. Neben der Ein­fluss­nah­me auf die Sta­tik kann mit einer Ver­sor­gung auch die Pro­prio­zep­ti­on und der Tonus regu­liert bzw. beein­flusst wer­den; auf die­se Wei­se wer­den schwa­che Mus­kel­grup­pen gestärkt und auf­tre­ten­de Spas­ti­ken mini­miert. Durch die Ver­bes­se­rung der bereits genann­ten Aspek­te kommt es zu einer Erhö­hung der Lebens­qua­li­tät und auch zu einer bes­se­ren Teil­ha­be. Zudem haben es Per­so­nen, die mit der Pfle­ge des Pati­en­ten betraut sind, dadurch mit­un­ter leich­ter bei der Kör­per­hy­gie­ne, da zum Bei­spiel durch das Auf­bie­gen der Ver­krüm­mung ein Impinge­ment von Rip­pen­bo­gen und Becken­kamm ver­hin­dert wird. Beim Auf­ein­an­der­tref­fen von Becken und Rip­pen ent­steht eine Haut­fal­te; die dort ent­ste­hen­den Ent­zün­dun­gen und Druck­stel­len soll­te man ver­mei­den. Muss der Pati­ent gewi­ckelt wer­den, so kann sich ein Kor­sett dabei als hin­der­lich erwei­sen, daher soll­te bei der Gestal­tung des Kor­setts dar­auf Rück­sicht genom­men wer­den. Ein Umla­gern von der sit­zen­den in die lie­gen­de Posi­ti­on kann aber nicht gänz­lich ver­mie­den wer­den. Dies stellt beson­ders bei erwach­se­nen Pati­en­ten eine Hür­de dar.

Somit ist dem The­ma „Hand­ling“ gera­de im Bereich der neu­ro­mus­ku­lä­ren Erkran­kun­gen ein beson­de­rer Stel­len­wert ein­zu­räu­men, da häu­fig meh­re­re, nicht immer geschul­te Per­so­nen in die Pfle­ge ein­ge­bun­den sein kön­nen. Die Rah­men­be­din­gun­gen der ver­schie­de­nen Ein­rich­tun­gen und deren per­so­nel­le Situa­ti­on müs­sen eben­falls eine deut­li­che Beach­tung fin­den. Schließ­lich ist fest­zu­hal­ten, dass auch das Alter und das Gewicht der Pati­en­ten maß­geb­li­chen Anteil am Hand­ling haben und dass eine Ide­al­vor­stel­lung im Sin­ne einer Maxi­mal­kor­rek­tur zuguns­ten der Umsetz­bar­keit im All­tag schon auf­grund der vor­ge­nann­ten Aspek­te bis­wei­len in den Hin­ter­grund rücken muss.

Bei der Ver­sor­gung der Wir­bel­säu­le kön­nen ver­schie­de­ne Funk­ti­ons­prin­zi­pi­en zum Ein­satz kom­men: Neben dem als klas­sisch bezeich­ne­ten Drei-Punkt-Kor­rek­tur­prin­zip zur Auf­rich­tung und Ent­las­tung der Krüm­mung der Wir­bel­säu­le in allen drei Ebe­nen (Exten­si­on, Dero­ta­ti­on und Fle­xi­on) kön­nen auch lor­do­sie­ren­de und ent­lor­do­sie­ren­de Ele­men­te in die Ver­sor­gung ein­ge­ar­bei­tet wer­den. Im Bereich der Brust­wir­bel­säu­le muss gege­be­nen­falls ein rekli­nie­ren­der oder kypho­sie­ren­der Aspekt berück­sich­tigt wer­den. Dabei kommt es auf die jewei­li­ge Aus­prä­gung und das indi­vi­du­el­le Erschei­nungs­bild an.

Eine Beson­der­heit stel­len die meist sehr gro­ßen Cobb-Win­kel bei neu­ro­ge­nen Sko­lio­sen dar. In einer Stu­die von White und Pan­ja­bi 6 wur­den die axia­len und trans­ver­sa­len Kor­rek­tur­kräf­te in Abhän­gig­keit zum Krüm­mungs­win­kel gebracht. Dabei zeig­te sich: Je grö­ßer der Cobb-Win­kel, des­to effek­ti­ver wir­ken die exten­die­ren­den Kor­rek­tur­kräf­te – also eine Trak­ti­on. In der Sko­lio­se­kor­rek­tur­or­the­se bei neu­ro­ge­nen Sko­lio­sen fin­det sich die­ser Aspekt in einer aus­ge­form­ten Tail­lie­rung wie­der, die als Basis dient. Durch eine flä­chi­ge Umfas­sung des Abdo­mens kommt es je nach Aus­prä­gung zu einer mehr oder weni­ger star­ken intra­ab­do­mi­na­len Druck­erhö­hung, die jedoch in Abhän­gig­keit von den oben genann­ten Rah­men­be­din­gun­gen nicht belie­big hoch sein kann. Wäh­rend des Ein­at­mens ent­fal­tet sich dadurch eine exten­die­ren­de Wir­kung auf den Kör­per. Es kommt zu einer nach kra­ni­al gerich­te­ten Aus­gleichs­be­we­gung. Bei einem Pati­en­ten mit einer stark aus­ge­präg­ten spi­na­len Mus­kel­atro­phie kann die­ser Effekt mit­un­ter nicht genutzt wer­den – die vor­han­de­ne Rest­mus­ku­la­tur reicht nur für eine funk­tio­nie­ren­de Atmung aus; ein zusätz­lich auf­ge­brach­ter Druck kann nicht bewerk­stel­ligt wer­den. Hier kann ein an einem Kunst­stoff­rü­cken­teil ange­brach­tes Stoff­ele­ment Abhil­fe schaf­fen, indem es den Druck auf den Abdo­mi­nal­be­reich mini­miert. Dies stellt eine Son­der­form im Kor­sett­bau dar und wird unten im ent­spre­chen­den Abschnitt näher beleuchtet.

Ver­sor­gungs­kon­zep­te

Sko­lio­se­kor­rek­tur­or­the­sen

Das Kor­sett stellt bei der Sko­lio­se­kor­rek­tur das Mit­tel der Wahl dar (Abb. 2a–d, 3 u. 4). Will man eine Sko­lio­se begra­di­gen oder je nach Fall den Aus­gangs­be­fund hal­ten, muss kör­per­nah gear­bei­tet wer­den. Um ein sol­ches Kor­sett her­stel­len zu kön­nen, müs­sen ver­schie­de­ne Arbeits­schrit­te durch­lau­fen wer­den. Nach der Fest­le­gung auf ein Ver­sor­gungs­kon­zept – hier das Kor­sett – führt der betreu­en­de Ortho­pä­die-Tech­ni­ker noch­mals eine kli­ni­sche Unter­su­chung durch. Beson­ders wich­tig ist hier­bei die Über­prü­fung der Fle­xi­bi­li­tät und Kor­ri­gier­bar­keit der Wir­bel­säu­le, aber auch die Reak­ti­on des Pati­en­ten – so kön­nen Kor­rek­tur­kräf­te bei Pati­en­ten mit einer ICP auch eine Spas­tik trig­gern, also ver­stär­ken oder das Ein­schie­ßen sogar erst her­vor­ru­fen. In sol­chen Fäl­len müs­sen der „Abgriff“ und die Kraft­an­griffs­punk­te im Kor­sett über­dacht wer­den: In wel­chem Aus­maß ist eine Kor­rek­tur durch­führ­bar? Wo bestehen dyna­mi­sche bzw. struk­tu­rell fixier­te Defor­mi­tä­ten und Kon­trak­tu­ren, mus­ku­lä­re Ver­kür­zun­gen und die bereits erwähn­ten aus­ge­präg­ten Spastiken?

Zur Kor­set­ther­stel­lung wird ein Modell benö­tigt. Die­ses wird ent­spre­chend der Kor­ri­gier­bar­keit und der knö­cher­nen Pro­mi­nen­zen bear­bei­tet. Das her­ge­stell­te Kor­sett soll­te durch eine akzen­tu­ier­te Tail­lie­rung zur Becken­füh­rung und Kon­trol­le gekenn­zeich­net sein, um somit einen even­tu­ell bestehen­den Becken­schief­stand bzw. eine Vor- oder Rück­la­ge zu kor­ri­gie­ren. Der Kor­rek­tur­druck soll­te flä­chig auf den Kör­per ein­wir­ken, da Druck­spit­zen, wie bereits ange­führt, Spas­ti­ken trig­gern kön­nen und so mög­li­cher­wei­se zu einer Kor­sett­ver­wei­ge­rung füh­ren. Bei hypo­to­nen Pati­en­ten besteht zudem eine hohe Gefahr der Druck­stel­len­bil­dung, da die­se förm­lich im Kor­sett „hän­gen“ kön­nen, wenn die neu­ro­lo­gi­sche Beein­träch­ti­gung eine akti­ve Betei­li­gung des Pati­en­ten an der Auf­rich­tung im Kor­sett unmög­lich macht.

Die Kor­rek­tur­punk­te sind ent­spre­chend dem Drei-Punkt-Prin­zip auf den Kör­per auf­zu­brin­gen. Hier­bei sind alle drei Ebe­nen zu berück­sich­ti­gen, da die Sko­lio­se eine drei­di­men­sio­na­le Fehl­bil­dung dar­stellt. Die Mate­ri­al­wahl rich­tet sich nach dem Kör­per­bau des Pati­en­ten. So kann bei dün­nen Pati­en­ten mit sehr knö­cher­nem Kör­per­bau auch ein voll­flä­chi­ges geschloss­enzel­li­ges Pols­ter ein­ge­ar­bei­tet wer­den und bei klei­nen Per­so­nen ein fle­xi­bler und wei­cher ther­mo­plas­ti­scher Kunst­stoff zum Ein­satz kom­men (Abb. 3). Je nach Weicht­eil­zu­stand und not­wen­di­gem Kor­rek­tur­druck sind zudem unter­schied­li­che For­men einer Rah­men­kon­struk­ti­on denk­bar, die den Druck­zo­nen eine zusätz­li­che Sta­bi­li­tät und Stei­fig­keit geben (Abb. 4). In die­sem Zusam­men­hang ist zu erwäh­nen, dass eine kom­bi­nier­te Rah­men­kon­struk­ti­on kein Rah­men­stütz­kor­sett bedingt; es bleibt auch hier eine Skoliosekorrekturorthese.

Mie­der

Ein Mie­der stellt eine Tex­til­kon­struk­ti­on aus einem Baum­woll­drell­ge­we­be dar (Abb. 5a u. b), in das par­ti­ell elas­ti­sche dyna­mi­sche Stof­fe ein­ge­ar­bei­tet wer­den kön­nen. Sie reicht in der Regel vom Becken bis zum 8. Brust­wir­bel. Je mehr star­re Kon­struk­ti­ons­merk­ma­le ein­ge­ar­bei­tet wer­den, des­to stär­ker kommt es zu einer Bewe­gungs­ein­schrän­kung und einer Sta­bi­li­sie­rung des Pati­en­ten. Die star­ren Ele­men­te kön­nen von zwei dor­sal auf­ge­brach­ten Ver­stär­kungs­stä­ben unter­schied­li­chen Här­te­gra­des bis hin zu einem auf­ge­setz­ten Rah­men aus Metall oder Kunst­stoff rei­chen 7. Gear­bei­tet wird wahl­wei­se nach Schnitt­mus­ter oder – im Fal­le einer stark asym­me­tri­schen Mor­pho­lo­gie – auch nach Modell; dabei wer­den die ein­zel­nen Ele­men­te zu einem den Kör­per umfas­sen­den Hilfs­mit­tel zusam­men­ge­fügt. Ohne aus­ge­präg­te Tail­lie­rung und Becken­um­grei­fung ist mit die­sem Pro­dukt kei­ne klas­si­sche Sko­lio­se­kor­rek­tur durch­führ­bar – viel­mehr kön­nen Pati­en­ten mit hypo­to­ner Rumpf­mus­ku­la­tur bzw. einer mus­ku­lä­ren Insuf­fi­zi­enz und damit ein­her­ge­hen­den mus­ku­lä­ren Dys­ba­lan­cen dadurch sta­bi­li­siert, unter­stützt und fixiert wer­den. Son­der­for­men bei aus­ge­spro­chen star­ken Defor­mi­tä­ten sind soge­nann­te Plas­ta­zo­te-Mie­der (Abb. 7a–c). Die­se eben­falls vor­nehm­lich bet­ten­den For­men erhal­ten innen einen Form­aus­gleich aus Plas­ta­zo­te, um die meist sehr gering weich­teil­ge­deck­ten Struk­tu­ren mög­lichst weich zu bet­ten und von außen teil­fle­xi­bel in Mie­der­form zu sta­bi­li­sie­ren. Die Indi­ka­ti­on besteht vor­nehm­lich in Fäl­len neu­ro­ge­ner Sko­lio­sen mit sehr aus­ge­präg­tem fixier­tem Cobb-Win­kel und einer deut­lich erhöh­ten Druck­stel­len­ge­fahr, die mit einem der oben genann­ten Korsett­typen nicht zu sta­bi­li­sie­ren ist.

Soft­or­the­sen

Im Gegen­satz zu den klas­si­schen kor­ri­gie­ren­den und bet­ten­den Ver­sor­gun­gen setzt die Soft­or­the­tik auf einen ande­ren The­ra­pie­an­satz: Die sen­so­ri­sche Inte­gra­ti­on sor­tiert, ord­net und ver­ein­heit­licht alle sinn­li­chen Ein­drü­cke und ver­hilft somit dem Men­schen im Ide­al­fall zu einer voll­stän­di­gen und umfas­sen­den Hirn­funk­ti­on 8. Kommt es zu krank­heits­be­ding­ten kor­ti­ka­len Stö­run­gen, kann sich dies auch auf die Wahr­neh­mung aus­wir­ken, und der Pati­ent nimmt sei­nen eige­nen Kör­per schlech­ter bzw. nur noch redu­ziert wahr. Durch die Ver­bes­se­rung der Pro­prio­zep­ti­on soll die moto­ri­sche Ent­wick­lung ange­regt und unter­stützt wer­den. Dies wird durch eine kör­per­um­grei­fen­de Orthe­se wahl­wei­se aus Neo­pren und/oder Lycra erreicht (Abb. 6a u. b). Durch eine zir­ku­lä­re, aber im Ver­gleich zu Kor­set­ten mil­de Kom­pres­si­on wer­den die für die Tie­fen­sen­si­bi­li­tät zustän­di­gen Rezep­to­ren ange­spro­chen und die Eigen­wahr­neh­mung offen­kun­dig ver­bes­sert. Neben dem Basis­ma­te­ri­al las­sen sich durch gezielt auf­ge­brach­te Zügel zusätz­li­che akti­ve Rei­ze, aber auch mecha­ni­sche Effek­te set­zen. Auch wenn der the­ra­peu­ti­sche Ansatz bei die­ser Ver­sor­gungs­tech­nik im Mit­tel­punkt steht, kann ihr eine bio­me­cha­ni­sche Sta­bi­li­sie­rung nicht abge­spro­chen werden.

Über­ra­schend hier­bei ist jedoch, dass die­se Art der Ver­sor­gung auch ohne fes­te Antei­le eine akti­ve Auf­rich­tung bei die­sen Pati­en­ten erreicht. Zudem ist anzu­füh­ren, dass es sich dabei nicht um Kor­rek­tur- oder Bet­tungs­or­the­sen im klas­si­schen Sin­ne han­delt. Die Wirk­prin­zi­pi­en erschei­nen in Erman­ge­lung semi­ri­gi­der Antei­le gänz­lich anders als in der kon­ven­tio­nel­len Orthe­tik. Die­se Art von Ver­sor­gun­gen sorgt beim Pati­en­ten für eine hohe Akzep­tanz, die bei den klas­si­schen Her­an­ge­hens­wei­sen pro­ble­ma­ti­scher sein kann. Das wei­che Mate­ri­al hat ein gerin­ges Eigen­ge­wicht und kann sehr unauf­fäl­lig unter der Stra­ßen­be­klei­dung getra­gen wer­den. Eben­so ist das Hand­ling leicht und unkom­pli­ziert. Durch das wei­che Mate­ri­al und die feh­len­de Becken­füh­rung kann ein sol­ches Pro­dukt jedoch nicht zur Kor­rek­tur des Rückens ein­ge­setzt wer­den; auch star­ke Fehl­stel­lun­gen kön­nen damit nicht beho­ben wer­den. Somit han­delt es sich hier­bei defi­ni­ti­ons­ge­mäß auch um kei­ne Sko­lio­se­kor­rek­tur­or­the­se. Trotz­dem unter­stützt sie die Akti­vi­tät des Pati­en­ten und för­dert sei­ne Ent­wick­lung im the­ra­peu­ti­schen Sinne.

Son­der­for­men

Eine Kom­bi­na­ti­on aus den oben vor­ge­stell­ten Kon­zep­ten stellt in der Regel eine Son­der­form dar. Bedingt durch kör­per­li­che Gege­ben­hei­ten, Ein­schrän­kun­gen im Hand­ling und Akzep­tanz­pro­ble­men müs­sen dabei Kom­pro­mis­se gefun­den wer­den. Häu­fig geht dies zu Las­ten der maxi­mal mög­li­chen Kor­rek­tur. Her­vor­ge­ru­fen wird die­ser Kor­rek­tur­ver­lust durch die Unter­bre­chung des zir­ku­lä­ren Form­schlus­ses, den Ver­lust der zir­ku­lä­ren Becken­füh­rung oder die Ver­wen­dung wei­che­rer Mate­ria­li­en wie Stoff bezie­hungs­wei­se eines Kunst­stof­fes mit hoher Fle­xi­bi­li­tät (Abb. 7a–c). Gebräuch­li­che Son­der­for­men hier­bei sind Kor­set­te in Zwei­scha­len­bau­wei­se, die aus einer ven­tra­len und einer dor­sa­len Kunst­stoff­scha­le bestehen und damit ein deut­lich ver­ein­fach­tes Hand­ling ermög­li­chen, oder Kunst­stoff­rü­cken­scha­len mit einem Leib­teil aus Drell (Abb. 8a u. b).

Schluss­fol­ge­run­gen

Die Qua­li­tät eines Hilfs­mit­tels muss unmit­tel­bar im Anschluss an die Ver­sor­gung hin­sicht­lich der Umset­zung der vor Beginn der Ver­sor­gung defi­nier­ten Zie­le über­prüft wer­den. Daher ist es wich­tig, die Zie­le im Vor­feld klar zu for­mu­lie­ren, um spä­ter ein objek­ti­ves Resü­mee zie­hen zu kön­nen. Bei einer kli­ni­schen Unter­su­chung kön­nen die erreich­ten Aspek­te Sitz­sta­bi­li­tät, Hand­funk­ti­on und Tonus beur­teilt wer­den. Die Posi­tio­nie­rung der Druck­be­rei­che kann anhand von Rötun­gen auf der Haut über­prüft und gege­be­nen­falls ange­passt wer­den. Eben­so lässt sich die Kor­rek­tur durch Mes­sen der Sitz­hö­he und mit­tels Rönt­gen eva­lu­ie­ren. Im All­tag kön­nen eine Ver­län­ge­rung der Sitz­fä­hig­keit, eine Ver­bes­se­rung der Auf­merk­sam­keits­span­ne und eine Redu­zie­rung von Infek­tio­nen der Atem­we­ge und der Lun­ge beob­ach­tet und doku­men­tiert wer­den. Bei lauf­fä­hi­gen Pati­en­ten soll­te dem Erhalt der Geh­fä­hig­keit ein beson­de­res Augen­merk gewid­met und eine Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren Hilfs­mit­teln ermög­licht werden.

Ein Groß­teil der genann­ten Aspek­te lässt sich direkt nach der Ver­sor­gung beur­tei­len. Man­ches kann aber erst im wei­te­ren Ver­lauf über­prüft wer­den, sodass regel­mä­ßi­ge Kon­trol­len durch­ge­führt und das Ver­sor­gungs­kon­zept in bestimm­ten Inter­val­len hin­ter­fragt wer­den soll­te. Um das jewei­li­ge Kon­zept im All­tag adäquat rea­li­sie­ren zu kön­nen, sind neben den kör­per­li­chen Gege­ben­hei­ten auch die maß­geb­li­chen Umwelt­fak­to­ren im Rah­men einer aus­führ­li­chen Sozi­al­ana­mne­se zu erhe­ben. Dabei wer­den häu­fig zusätz­li­che ein­fluss­neh­men­de Aspek­te ermit­telt, die kom­ple­xe Ver­sor­gungs­an­sät­ze häu­fig nicht zulassen.

Wer­den alle genann­ten Punk­te bei der Gestal­tung der Rumpf­ver­sor­gung berück­sich­tigt, ermög­licht man dem Pati­en­ten eine bes­se­re Teil­nah­me am sozia­len Leben, wirkt der Pro­gre­di­enz ent­ge­gen und kann mit­un­ter den Tonus redu­zie­ren. Der Gewinn, den der Pati­ent somit durch eine Ver­sor­gung erfährt, ist höher gegen­über den etwa­igen Erschwer­nis­sen im Bereich des Handlings.

Für die Autoren:
Bea­te Flü­gel (OTM)
Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Heidelberg
Kli­nik für Ortho­pä­die und Unfallchirurgie
Abtei­lung Tech­ni­sche Orthopädie
Schlier­ba­cher Land­stra­ße 200a
69118 Hei­del­berg
beate.fluegel@med.uni-heidelberg.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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