3D-Druck in der Tech­ni­schen Ortho­pä­die – Stand und Perspektiven

D. Hochmann
Der Beitrag beschreibt den momentanen Stand und die Entwicklungsperspektiven additiver Fertigungsverfahren in der Technischen Orthopädie.

Dabei wird neben den beson­de­ren Vor­tei­len auf die noch bestehen­den tech­no­lo­gi­schen, mate­ri­al­tech­ni­schen und regu­la­to­ri­schen Risi­ken ein­ge­gan­gen und die Visi­on einer kom­plett digi­ta­len Pro­zess­ket­te vorgestellt.

Anzei­ge

Ein­lei­tung

Addi­ti­ve Fer­ti­gungs­ver­fah­ren („Addi­ti­ve Manu­fac­tu­ring“, AM), häu­fig auch als „3D-Druck“ bezeich­net, gel­ten mitt­ler­wei­le als die nächs­te indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on. Auch im Bereich der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung gewinnt die Visi­on, hoch­kom­ple­xe und indi­vi­dua­li­sier­te Pro­duk­te mit hoher Genau­ig­keit qua­si per Knopf­druck her­stel­len zu kön­nen, immer mehr Anhän­ger. Gleich­zei­tig sind vie­le kon­ven­tio­nell arbei­ten­de Ortho­pä­die-Tech­ni­ker beun­ru­higt und befürch­ten, von der rasan­ten tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lung über­holt zu wer­den. Ande­re bezeich­nen den 3D-Druck als den nächs­ten „Hype“ und ver­wei­sen auf die ver­meint­lich revo­lu­tio­nä­ren Ent­wick­lun­gen aus der jüngs­ten Ver­gan­gen­heit, die die hohen Erwar­tun­gen gar nicht – wie die Osseo­in­te­gra­ti­on – oder nur zum Teil – wie die indus­tri­el­le Ser­vice­fer­ti­gung – erfüllt haben.

Die Ziel­set­zung die­ses Bei­trags besteht dar­in, die beson­de­ren Vor­tei­le von AM für die Tech­ni­sche Ortho­pä­die auf­zu­zei­gen und gleich­zei­tig auf die tech­no­lo­gi­schen, mate­ri­al­tech­ni­schen und regu­la­to­ri­schen Risi­ken hin­zu­wei­sen, die den Erfolg des 3D-Drucks letzt­end­lich gefähr­den kön­nen. Es wird zudem ein Ver­such unter­nommen, eine zukünf­ti­ge kom­plett digi­ta­le Ver­sor­gungs­ket­te zu skiz­zie­ren. Dabei soll es nicht um den Ein­satz von AM als eine mög­li­che Fer­ti­gungs­tech­nik unter vie­len gehen, son­dern um ihre Rol­le als essen­ti­el­ler Bestand­teil einer wei­test­ge­hend digi­ta­len Ver­sor­gungs­ket­te. Wenn eine OT-Werk­statt ihre Gips­ab­drü­cke ein­scannt und bei Bedarf „3D-druckt“, dann löst das viel­leicht die Lage­rungs­pro­ble­ma­tik der Werk­statt, ver­än­dert aber die Pati­en­ten­ver­sor­gung nicht grund­le­gend. Ent­spre­chend ist es in der Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik letzt­end­lich egal, ob die Leis­ten kon­ven­tio­nell oder addi­tiv pro­du­ziert wer­den, wenn es bei den her­kömm­li­chen Ver­fah­ren der Schuh­her­stel­lung bleibt.

Die durch AM-Ver­fah­ren her­vor­ge­ru­fe­nen Ver­än­de­run­gen kön­nen schnel­ler erfol­gen, als vie­le ver­mu­ten. Man kann hier bereits auf die Erfah­run­gen aus ande­ren Berei­chen der Medi­zin­tech­nik ver­wei­sen. So hat der 3D-Druck im Bereich der Ver­sor­gung mit Hör­hil­fen bereits zu einer Revo­lu­ti­on geführt: Über 90 % aller Gerä­te wer­den heu­te ange­passt an die Form des Ohres des Pati­en­ten ange­bo­ten. Das zeigt, dass die mas­sen­haf­te gene­ra­ti­ve Fer­ti­gung von Medi­zin­pro­duk­ten bereits heu­te ren­ta­bel sein kann und im Ergeb­nis zu einer Ver­drän­gung der kon­ven­tio­nell arbei­ten­den Unter­neh­men vom Markt führt.

Addi­ti­ve Fertigungsverfahren

Der Begriff „3D-Druck“ wird häu­fig stell­ver­tre­tend für alle Fer­ti­gungs­me­tho­den ver­wen­det, bei denen drei­di­men­sio­na­le Objek­te aus einem CAD-Modell durch das schicht­wei­se Auf­tra­gen eines Mate­ri­als gene­riert wer­den. Die­se Ver­all­ge­mei­ne­rung ist aller­dings nicht ganz kor­rekt, da sich die ver­schie­de­nen addi­ti­ven Ver­fah­ren hin­sicht­lich ihrer phy­si­ka­li­schen Prin­zi­pi­en, der bestehen­den tech­no­lo­gi­schen Her­aus­for­de­run­gen und mög­li­cher Defek­te des End­pro­dukts stark unter­schei­den. Eine Klas­si­fi­zie­rung von AM-Ver­fah­ren ist anhand fol­gen­der Cha­rak­te­ris­ti­ka möglich:

  • Art (Metall, Poly­mer) und Form (Draht, Pul­ver, Pas­te, Flüs­sig­keit etc.) des Ausgangsmaterials,
  • Ver­fes­ti­gungs­me­cha­nis­mus (Poly­me­ri­sie­ren, Abschei­den, Ver­kle­ben, che­mi­sche Reak­ti­on etc.),
  • Ener­gie-Art (Wär­me, Laser­strahl, Elek­tro­nen­strahl etc.).

Exem­pla­risch sei hier das Selektive­ Laser­sin­tern (SLS) genannt, da es bis­lang in der Tech­ni­schen Orthopädie­ beson­ders häu­fig Anwen­dung gefun­den hat. Es han­delt sich dabei um ein ther­mi­sches Ver­fah­ren, bei dem ein Kunst­stoff­pul­ver mit einem Laser­strahl lokal und par­ti­ell auf­ge­schmol­zen wird, um eine Ver­bin­dung zwi­schen den Par­ti­keln zu gewähr­leis­ten. Der Vor­gang wird schicht­wei­se wie­der­holt, bis das gewünsch­te 3D-Objekt ent­stan­den ist. Ver­ar­bei­tet wer­den vor allem ther­mo­plas­ti­sche Kunst­stof­fe – sowohl kris­tal­li­ne (Nylon, Poly­amid PA11 und PA12) als auch amor­phe (Poly­sty­rol, Poly­car­bo­nat). Wei­te­re Ver­fah­ren, die der­zeit zur Anwen­dung kom­men, sind Fused Depo­si­ti­on Model­ling (FDM) und Mul­ti Jet Fusi­on (MJF).

Bedingt durch die schicht­wei­se Fer­ti­gung grenzt sich AM deut­lich von sub­trak­ti­ven Ver­fah­ren, die das Abtra­gen von Mate­ri­al umfas­sen, und von for­ma­ti­ven Fer­ti­gungs­ver­fah­ren ab, bei denen ein form­ge­ben­des Volu­men die gewünsch­te Geo­me­trie defi­niert. AM kommt ohne pro­dukt­spe­zi­fi­sche Werk­zeu­ge aus; die werk­zeug­be­ding­ten Restrik­tio­nen ent­fal­len. Die Fer­ti­gung der Bau­tei­le kann zudem in jeder belie­bi­gen Ori­en­tie­rung erfol­gen. Der im Bereich Medi­zin­tech­nik ent­schei­den­de Vor­teil ist jedoch die Ent­kopp­lung der Stück­kos­ten von der Bau­teil­kom­ple­xi­tät und vom Individualisierungsgrad.

Dadurch erhält man die Mög­lich­keit, inner­halb kür­zes­ter Zeit kun­den­spe­zi­fi­sche, an die indi­vi­du­el­len ana­to­mi­schen Gege­ben­hei­ten ange­pass­te Medi­zin­pro­duk­te her­zu­stel­len – nach Bedarf und direkt vor Ort. Gleich­zei­tig kommt der Kon­struk­teur in den Genuss bis­her unge­kann­ter Gestal­tungs­frei­hei­ten, da kom­ple­xe Geo­me­trien mit einem hohen Maß an Funk­ti­ons­in­te­gra­ti­on bei hoch­ef­fi­zi­en­ter Mate­ri­al­aus­nut­zung in einem ein­zi­gen Her­stel­lungs­schritt pro­du­ziert wer­den kön­nen. Eini­ge Nachteile­ von AM wie das begrenz­te Bau­vo­lu­men und der rela­tiv hohe Zeit­be­darf pro Stück spie­len zudem in der Medi­zin­tech­nik nur eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le. Ande­re Nach­tei­le dage­gen wie die (noch) über­schau­ba­re Anzahl ver­füg­ba­rer addi­ti­ver Mate­ria­li­en mit beschei­de­nen mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten sowie die schwie­ri­ge Qua­li­täts- und Pro­zess­kon­trol­le wie­gen in einem stark regu­lier­ten Medi­zin­pro­duk­te­markt umso schwe­rer. Es ist daher zu ver­mu­ten, dass AM-Ver­fah­ren sich vor­ran­gig in den­je­ni­gen Berei­chen der Medi­zin­tech­nik durch­set­zen wer­den, in denen ihre Vor­tei­le einen ent­schei­den­den Vor­sprung gegen­über dem jet­zi­gen Zustand erge­ben und in denen die Nach­tei­le ver­nach­läs­sigt oder über­wun­den wer­den können.

3D-Druck ist kein Selbstzweck

Das Inter­es­se der Ortho­pä­die- bzw. der Sani­täts­häu­ser an addi­ti­ven Tech­no­lo­gien ist sehr groß. Wie man auf der ­OTWorld 2018 in Leip­zig gut sehen konn­te, haben vie­le Betrie­be bereits ers­te Erfah­run­gen mit der neu­en Tech­nik gesam­melt. Es wird aber auch auf­fal­lend häu­fig von Ent­täu­schun­gen berich­tet. Die Ursa­chen dafür lie­gen nicht nur in den sehr hohen Erwar­tun­gen, son­dern zum Teil auch in einer fal­schen Herangehensweise.

Wenn man die auf Mes­sen, Kon­gres­sen und im Inter­net vor­ge­stell­ten Pro­duk­te anschaut, fal­len zwei Extre­me auf: Auf der einen Sei­te sind futu­ris­ti­sche, form­schö­ne Ent­wür­fe von Indus­trie­de­si­gnern zu fin­den, die aller­dings aus bio­me­cha­ni­scher Sicht hin­sicht­lich Kraft­ein­lei­tung, Achs­inkongruenzen, Druck­stel­len etc. häu­fig zu hin­ter­fra­gen sind. Auf der ande­ren Seite­ wer­den von Ortho­pä­die-­Tech­ni­kern die alten, für die kon­ven­tio­nel­le Fer­ti­gung bestimm­ten Pro­dukt­de­signs addi­tiv nach­ge­baut; anschlie­ßend wird bemän­gelt, dass die funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten sich ver­schlech­tert hätten.

Bei­de Wege füh­ren nicht zum Erfolg: Das schöns­te Design ist nutz­los, wenn die Anfor­de­run­gen an Funk­tio­na­li­tät, Pass­ge­nau­ig­keit und Tra­ge­kom­fort nicht erfüllt wer­den. Da die (der­zeit) ver­füg­ba­ren addi­ti­ven Mate­ria­li­en mit klas­si­schen Werk­stof­fen hin­sicht­lich der mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten noch nicht kon­kur­rie­ren kön­nen, ist auch das Nach­bau­en alter Designs wenig ergie­big: Man ver­zich­tet dabei auf die Chan­ce, die­sen Nach­teil durch den Ein­satz geeig­ne­ter – z. B. nume­risch opti­mier­ter oder bio­nisch inspi­rier­ter – Struk­tu­ren zu kom­pen­sie­ren. Das zeigt zudem auch, dass das Ver­ständ­nis, wie die Form und die funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten mit der bio­me­cha­ni­schen Wir­kung der Orthe­sen zusam­men­hän­gen, häu­fig nicht in wün­schens­wer­tem Umfang vorliegt.

Das Gesag­te macht deut­lich, dass addi­tiv zu fer­ti­gen­de Hilfs­mit­tel von Grund auf neu kon­zi­piert wer­den müs­sen. Die Mög­lich­kei­ten der Her­stel­lung kom­ple­xer Struk­tu­ren, die erst durch die addi­ti­ve Fer­ti­gung eröff­net wer­den, müs­sen bereits bei der Kon­struk­ti­on der Hilfs­mit­tel berück­sich­tigt wer­den. Auch ein grund­legendes Ver­ständ­nis der bio­me­cha­ni­schen Wirk­me­cha­nis­men und der funk­tio­nel­len Para­me­ter der Hilfs­mit­tel ist für den Kon­struk­teur unab­ding­bar. Ortho­pä­die­tech­ni­sche Hilfs­mittel wer­den nicht per se bes­ser, güns­ti­ger und schnel­ler ver­füg­bar, nur weil sie addi­tiv gefer­tigt werden.

Addi­ti­ve Fertigungs­verfahren in der Tech­ni­schen Orthopädie

Auf der ande­ren Sei­te konn­te AM in der Tech­ni­schen Ortho­pä­die mitt­ler­wei­le ers­te Erfol­ge fei­ern: Durch geziel­te Form­ge­stal­tung las­sen sich bereits heu­te opti­mier­te Gebrauchs­ei­gen­schaf­ten erzie­len, z. B. ­­eine ver­bes­ser­te Atmungs­aktivität dank per­fo­rier­ter Ober­flä­che, die mit einer Gewichts­reduktion ein­her­geht (Abb. 1).

Ein wei­te­rer sehr wert­vol­ler ­Aspekt ist die Mög­lich­keit einer kos­me­ti­schen Anpas­sung nach dem Geschmack des Pati­en­ten. Bei einer idio­pa­thi­schen Sko­lio­se, die – bezo­gen auf weib­li­che Pati­en­ten – in der Regel­ im Mäd­chen­al­ter kor­ri­giert wer­den muss, hängt der Behand­lungs­er­folg direkt mit der Akzep­tanz der Ver­sor­gung zusam­men. Hier gibt es ers­te wis­sen­schaft­li­che Unter­su­chun­gen, die zei­gen, dass eine moder­ne Form der Orthe­se und die Betei­li­gung des Pati­en­ten an deren Gestal­tung die Akzep­tanz nach­hal­tig beein­flus­sen kön­nen1. Die­se Erkennt­nis ist auf ande­re Orthe­sen­ar­ten über­trag­bar. ­Exem­pla­risch dafür kann die „WHO-Spi­ral-Print­or­the­se®“ der Fir­ma Poh­lig (Abb. 2) genannt wer­den, für die ein brei­tes Spek­trum an unter­schied­li­chen Mus­tern und Far­ben ange­bo­ten wird, die auch indi­vi­du­ell mit­ein­an­der kom­bi­niert ­wer­den kön­nen 2.

Prin­zi­pi­ell las­sen sich in der Tech­ni­schen Ortho­pä­die drei Ein­satz­ge­bie­te defi­nie­ren, die von den poten­zi­el­len Vor­tei­len der addi­ti­ven ­Fer­ti­gung pro­fi­tie­ren können:

  • addi­ti­ve Fer­ti­gung bis­her indi­vi­du­ell gefer­tig­ter Hilfs­mit­tel (AFO, KAFO, Schäf­te, Liner etc.),
  • indi­vi­dua­li­sier­te addi­ti­ve Fer­ti­gung als Ersatz für die soge­nann­te Schach­tel­or­tho­pä­die, also Ver­sor­gun­gen, die bis­her vor­kon­fek­tio­niert nach
    einem Grö­ßen­sys­tem abge­ge­ben wur­den (Lage­rungs­schie­nen, Zer­vi­kal­or­the­sen etc.),
  •  indi­vi­dua­li­sier­te addi­ti­ve Fer­ti­gung von bis­her indus­tri­ell gefer­tig­ten Sys­tem­kom­po­nen­ten (Pro­the­sen­fü­ße, Pro­the­sen­hän­de, Orthe­sen­ge­len­ke etc.).

Die­se Ein­satz­be­rei­che unter­schei­den sich stark hin­sicht­lich der betei­lig­ten Akteu­re, der bis­her genutz­ten Her­stel­lungs­tech­ni­ken sowie der gül­ti­gen regu­la­to­ri­schen und kli­ni­schen Anforderungen.

Das ers­te genann­te Gebiet pro­fi­tiert von den Indi­vi­dua­li­sie­rungs­mög­lich­kei­ten der AM-Ver­fah­ren nicht, da die Hilfs­mit­tel bereits heu­te indi­vi­du­ell gefer­tigt wer­den. Gleich­zei­tig müs­sen die­se Pro­duk­te die schärfs­ten Anfor­de­run­gen hin­sicht­lich Pass­form und Funk­tio­na­li­tät erfül­len, sodass die Vor­tei­le des AM der­zeit eher in der Kos­ten­ein­spa­rung und in der Ver­kür­zung der Her­stel­lungs­zeit lie­gen. Baga­ria et al. kom­men in ihrem Review der bis­he­ri­gen Unter­su­chun­gen zu der Schluss­fol­ge­rung, dass 3D-­ge­druck­te Hilfs­mit­tel aus die­ser Grup­pe bereits heu­te gene­rell mit kon­ven­tio­nell gefer­tig­ten Pro­duk­ten ver­gleich­bar sei­en 3. Aller­dings wider­spricht die­se Ein­schät­zung den bis­he­ri­gen prak­ti­schen Erfah­run­gen in Deutschland.

Die Ursa­che dafür liegt in den unter­such­ten Pro­duk­ten und in den Ver­gleichs­pa­ra­me­tern der Stu­di­en: Es wur­den haupt­säch­lich tief­ge­zo­ge­ne „Drop-Foot“-Orthesen aus Poly­pro­py­len zum Ver­gleich her­an­ge­zo­gen und zudem nur gro­be Zeit-Distanz-Para­me­ter wie Schritt­län­ge und Gang­geschwindigkeit ver­gli­chen. Es gibt aber bereits ers­te Unter­su­chun­gen, die zei­gen, dass addi­tiv gefer­tig­te Hilfs­mit­tel bio­me­cha­nisch gleich­wer­tig sein kön­nen, wenn ihre funk­tio­nel­len Para­me­ter mit kon­ven­tio­nel­len Orthe­sen ver­gleich­bar sind. In einer Unter­su­chung von Har­per et al. waren addi­tiv gefer­tig­te AFOs den kon­ven­tio­nel­len dyna­mi­schen AFOs aus Car­bon-­Pre­preg in der Gang­ana­ly­se eben­bür­tig, wenn sie die glei­che Gelenk­stei­fig­keit besa­ßen 4. Auf­grund der Mate­ri­al­un­ter­schie­de sind addi­tiv gefer­tig­te AFOs der­zeit aber noch schwe­rer, sper­ri­ger und optisch auf­fäl­li­ger als eine konventionelle­ Ver­sor­gung.

Eine gro­ße Her­aus­for­de­rung beim Ein­satz von AM in der Pro­the­tik ist die Tat­sa­che, dass opti­sche 3D-Scan­ver­fah­ren trotz der enor­men Ver­bes­se­run­gen der letz­ten Jah­re momen­tan noch kei­nen adäqua­ten Ersatz für das klas­si­sche Gip­sen dar­stel­len, bei dem der Tech­ni­ker gezielt Druck auf das Gewe­be aus­übt, auf die­se Wei­se die Gewe­be-Eigen­schaf­ten abschätzt und das Gewe­be gege­be­nen­falls kom­pri­miert, um eine für die Kraft­über­tra­gung opti­ma­le Form zu erzie­len. Im Bereich der Liner kann die gerin­ge­re Genau­ig­keit der Form­er­fas­sung zum Teil durch elas­ti­sche Eigen­schaf­ten des Liners aus­ge­gli­chen wer­den. In die­sem Zusam­men­hang wird bereits über die ers­ten rou­ti­ne­mä­ßi­gen Ein­sät­ze berich­tet 5. Die addi­ti­ve Fer­ti­gung von Pro­the­sen­schäf­ten bleibt der­zeit trotz eini­ger viel­ver­spre­chen­der Ansät­ze wie der Mög­lich­keit der geziel­ten Ther­mo­re­gu­la­ti­on 6 und der Ver­bes­se­rung der Pass­form durch Nut­zung von CT- und MRT-Daten 7noch ein Gegen­stand der Forschung.

Als Ersatz für die soge­nann­te Schach­tel­or­tho­pä­die bie­ten addi­tiv gefer­tig­te Hilfs­mit­tel durch die Mög­lich­keit der Indi­vi­dua­li­sie­rung den Vor­teil einer bes­se­ren Anpas­sung an die indi­vi­du­el­le Pati­en­ten­ana­to­mie und dadurch die Mög­lich­keit einer Opti­mie­rung der Kraft­über­tra­gung, einer Ver­rin­ge­rung von Druck­stel­len und einer Ver­bes­se­rung des Trage­komforts. Exem­pla­risch kann hier eine 3D-gedruck­te post­ope­ra­ti­ve Zer­vi­kal­or­the­se (Abb. 3) ange­führt wer­den, bei der eine gute Pati­en­ten-­Com­pli­ance bei ver­bes­ser­ter Ruhig­stel­lung zu erwar­ten ist. Als nach­tei­lig sind momen­tan jedoch die höhe­ren Kos­ten und die län­ge­re Ver­sor­gungs­dau­er anzusehen.

Hier müs­sen kli­ni­sche Stu­di­en erfol­gen, um die Grö­ße der erwar­te­ten posi­ti­ven Effek­te quan­ti­fi­zie­ren zu kön­nen – ohne über­zeu­gen­de ­Kos­ten-Nut­zen-Ana­ly­se wird es schwie­rig sein, eine Erstat­tung durch die Kos­ten­trä­ger zu errei­chen. Aller­dings sind kli­ni­sche Stu­di­en wie­der­um mit Kos­ten und Auf­wand ver­bun­den; zudem sind im Zuge der anste­hen­den Ein­füh­rung der EU-Medi­zin­pro­duk­te­ver­ord­nung (MDR) kaum noch ent­spre­chen­de Fach­leu­te ver­füg­bar. Es kann sich den­noch für Her­stel­ler loh­nen, die­sen Weg zu beschrei­ten. So wur­de kürz­lich die ers­te ran­do­mi­sier­te kon­trol­lier­te Stu­die ver­öf­fent­licht, die die Vor­tei­le einer indi­vi­dua­li­sier­ten Ver­sor­gung bei Plant­ar­fas­zii­tis, ver­gli­chen mit vor­kon­fek­tio­nier­ten Pro­duk­ten, belegt 8.

Die indi­vi­dua­li­sier­te addi­ti­ve Fer­ti­gung von Sys­tem­kom­po­nen­ten wie z. B. Pro­the­sen­fü­ßen hat den Vor­teil einer geziel­ten stu­fen­lo­sen Anpas­sung ihrer funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten an Pati­en­ten­be­dürf­nis­se und ‑akti­vi­tä­ten. Gleich­zei­tig lässt sich durch die Ver­wen­dung hoch­kom­ple­xer last- und gewichts­op­ti­mier­ter Struk­tu­ren, die in die­ser Form kon­ven­tio­nell nicht her­stell­bar sind, eine Gewichts­re­duk­ti­on errei­chen. Gera­de in der Kin­der­ver­sor­gung haben die­se Vor­tei­le einen beson­de­ren Stel­len­wert. Aller­dings rei­chen auch hier die Eigen­schaf­ten der der­zeit ver­wend­ba­ren Mate­ria­li­en noch nicht aus, um die bio­me­cha­ni­schen Funk­tio­nen einer aus­rei­chen­den Ener­gie­spei­che­rung oder Dämp­fung allein anhand der Form und der Struk­tur zu rea­li­sie­ren, sodass zusätz­li­che Ele­men­te wie Federn oder Dämp­fer ange­wen­det wer­den müs­sen. Ein wei­te­rer Bereich der bevor­zug­ten Anwen­dung von AM sind was­ser­fes­te Pro­the­sen: Die ers­ten 3D-gedruck­ten Pro­the­sen­fü­ße sind bereits auf dem Markt ver­füg­bar und haben die vor­ge­schrie­be­ne Prü­fung nach ISO 10328 bestan­den 9 (Abb. 4).

Die addi­ti­ve Fer­ti­gung von Hand­pro­the­sen steht in Deutsch­land bis­lang noch nicht im Fokus. Inter­na­tio­nal wird dage­gen viel über ent­spre­chen­de Ansät­ze berich­tet, wobei der Schwer­punkt nicht auf der Ver­bes­se­rung der Gebrauchs­ei­gen­schaf­ten, son­dern pri­mär auf der Sen­kung der Kos­ten und der Gewähr­leis­tung einer flä­chen­de­cken­den Ver­sor­gung liegt. Die Geschich­te des damals 17-jäh­ri­gen US-ame­ri­ka­ni­schen Gym­na­si­as­ten Eas­ton LaCh­ap­pel­le, der im Jahr 2012 eine 3D-gedruck­te und mit­tels Elek­tro­en­ze­pha­logra­phie gesteu­er­te Pro­the­se ent­wi­ckel­te und unter einer Open-Source-Lizenz ver­öf­fent­lich­te,­ ging welt­weit durch alle Medi­en. Meh­re­re Start-ups arbei­ten dar­an, preis­wer­te 3D-gedruck­te Pro­the­sen für Opfer von Land­mi­nen in Asi­en und Afri­ka zu ent­wi­ckeln [10]10.

Im Bereich orthe­ti­scher Kom­po­nen­ten wie Gelen­ken oder Schie­nen sind bis­lang kei­ne ein­satz­fä­hi­gen Pro­duk­te bekannt. Zwar wer­den hin und wie­der Design­stu­di­en von KAFOs vor­ge­stellt, bei denen die Gelen­ke „mit­ge­druckt“ wer­den. Ob die­se Produkte­ den extre­men Anfor­de­run­gen hin­sicht­lich Bruch- und Ver­schleiß­fes­tig­keit stand­hal­ten, darf aller­dings bezwei­felt wer­den. Auf­grund der hohen Pati­en­ten­va­ria­bi­li­tät und klei­ner Stück­zah­len ist eine sol­che Heran­gehensweise wirt­schaft­lich zudem nur bedingt sinn­voll, sodass hier kei­ne kurz­fris­ti­ge Ent­wick­lung zu erwar­ten ist. Auch der Bereich der Bade­orthesen ist wirt­schaft­lich nicht attrak­tiv, da bereits seit eini­gen Jah­ren was­ser­fes­te car­bon­fa­ser­ver­stärk­te Gelen­ke auf dem Markt sind.

Anhand die­ser Über­sicht wird deut­lich, dass AM-Ver­fah­ren der­zeit vor ­allem dann ein­ge­setzt wer­den, wenn es durch die Indi­vi­dua­li­sie­rung zu nach­weis­ba­ren Vor­tei­len für den ­Pati­en­ten kommt oder wenn dadurch Kos­ten­ein­spa­run­gen, eine Ver­kür­zung der Her­stel­lungs­zeit oder eine Ver­bes­se­rung der Her­stel­lungs­pro­zes­se zu erzie­len sind.

Addi­ti­ve Fer­ti­gungs­ver­fah­ren in der Orthopädie-Schuhtechnik

Die Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik zeich­net sich – ver­gli­chen mit der Ortho­pä­die-Tech­nik im All­ge­mei­nen – durch eine gerin­ge­re Brei­te der Produkt­palette aus. Trotz der hohen ana­to­mi­schen und funk­tio­nel­len Komplexität­ des mensch­li­chen Fußes ist die Anzahl der zu ver­sor­gen­den Indi­ka­tio­nen gerin­ger, und die Rand­be­din­gun­gen sind zum Teil bes­ser bekannt. Zudem hat der Ein­satz von Mess­tech­nik wie der plantaren Fuß­druck­mes­sung in der Bran­che seit Jah­ren einen fes­ten Stel­len­wert. Das sind mög­li­che Erklä­run­gen, war­um die Ent­wick­lung der addi­ti­ven Fer­ti­gung in der Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik schnel­ler voranschreitet.

Ging es bis vor eini­gen Jah­ren nur dar­um, AM als bes­se­re Alter­na­ti­ve bei der Fer­ti­gung von Leis­ten und Ein­la­gen zu eta­blie­ren, sind heu­te mehrere­ Anbie­ter auf dem Markt, die einen kom­plett digi­ta­len Fer­ti­gungs­pro­zess für die Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik anbie­ten – von der digi­ta­len Ver­mes­sung mit­tels 3D-Scan über CAD-Leis­ten­kon­struk­ti­on und Stel­lungs­kor­rek­tur bis zur addi­ti­ven Fer­ti­gung. Die Anzahl der ange­mel­de­ten Paten­te für ­digi­ta­le Ver­fah­ren in der Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik steigt eben­falls rasant.

Aller­dings ist die Ent­wick­lung auf dem Markt für konventionelle­ Schuhe­ noch schnel­ler: Meh­re­re Schuh­her­stel­ler inte­grie­ren der­zeit 3D-gedruck­te Soh­len und Schnür­sen­kel in ihre Pro­dukt­pa­let­ten. Für das Jahr 2019 haben meh­re­re Unter­neh­men erste­ Seri­en­pro­duk­te ange­kün­digt, die kom­plett mit­tels 3D-Druck pro­du­ziert wer­den sol­len. Es wur­den kom­ple­xe mess­tech­nik­ba­sier­te Hard- und Soft­ware­platt­for­men ent­wi­ckelt, die eine indi­vi­dua­li­sier­te Her­stel­lung maß­ge­schnei­der­ter Schu­he ermög­li­chen 11. Exem­pla­risch sei hier das mobi­le Mess­sys­tem der Fir­ma Ecco genannt, das eine Kom­bi­na­ti­on aus Iner­ti­al- und Mikro­kli­ma-Sen­so­rik zur Ana­ly­se der indi­vi­du­el­len Pati­en­ten­be­dürf­nis­se ein­setzt. Die bio­me­cha­ni­schen Mess­da­ten wer­den von der Soft­ware in Geo­me­trien für den 3D-Druck umge­wan­delt; die ent­stan­de­nen Designs wer­den sodann durch FEM-Simu­la­tio­nen vali­diert. Noch bekann­ter ist die „Fit­Sta­ti­on“ – eine Fuß­mess­sta­ti­on der Fir­ma Hew­lett-Packard, die 2018 vor­ge­stellt und mit dem „Pro­duct of the Year Award“ der ISPO aus­ge­zeich­net wur­de. Das Sys­tem setzt im Bereich Sen­so­rik auf eine Kom­bi­na­ti­on aus 3D-Scan und dyna­mi­schen Fuß­druck­mes­sun­gen. Nach der Ver­mes­sung und Opti­mie­rung ent­steht ein indi­vi­du­el­les 3D-Modell; das Pro­dukt wird anschlie­ßend per Mul­ti-Jet-Fusi­on-Ver­fah­ren gefer­tigt. Dass es nicht bei Sport­schu­hen blei­ben wird, war spä­tes­tens nach dem Erhalt der Zulas­sung als Medi­zin­pro­dukt durch die U. S. Food & Drug ­Admi­nis­tra­ti­on (FDA) klar. Mitt­ler­wei­le ist Hew­lett-Packard verschiedene­ stra­te­gi­sche Part­ner­schaf­ten ein­ge­gan­gen, dar­un­ter mit der Fir­ma Super­feet für Schuh­ein­la­gen und mit der­ ­Fir­ma Go 4‑D für ortho­pä­di­sche Schu­he und Fußorthesen.

Die­se und ande­re Bei­spie­le zei­gen, dass mitt­ler­wei­le auch gro­ße Unter­neh­men die digi­ta­le Fer­ti­gung in der Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik für sich ent­deckt haben und sehr aktiv die Tech­no­lo­gie vor­an­trei­ben. Es ist daher nicht ganz aus­zu­schlie­ßen, dass es in der momen­tan durch klei­ne Unter­neh­men gepräg­ten Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik zukünf­tig zu gro­ßen Ver­än­de­run­gen kom­men wird.

Regu­la­to­ri­sche Herausforderungen

Nicht die bereits ange­spro­che­nen ­Her­aus­for­de­run­gen tech­no­lo­gi­scher Art, son­dern die regu­la­to­ri­schen Aspek­te sind momen­tan als die ent­schei­den­de Hür­de für den Sie­ges­zug von AM in der Medi­zin­tech­nik anzu­se­hen. Streng genom­men stellt jede indi­vi­du­el­le Anpas­sung eine Kon­struktionsänderung dar, deren Sicher­heit durch ent­spre­chen­de Risi­ko­­ma­nage­ment-Maß­nah­men bis hin zu einer erneu­ten Pro­dukt­prü­fung bestä­tigt wer­den muss. Dass die­ser Weg auf­grund der hohen Kos­ten und der ent­ste­hen­den Zeit­ver­zö­ge­rung nicht prak­ti­ka­bel ist, ist unstrit­tig. Regu­la­to­ri­sche Vor­ga­ben, die einen prak­ti­ka­blen Weg zur Sicher­stel­lung der Sicher­heit indi­vi­du­ell gefer­tig­ter 3D-­ge­druck­ter Medi­zin­pro­duk­te auf­zei­gen, feh­len jedoch der­zeit noch 12.

Der Begriff der Son­der­an­fer­ti­gung spielt bei der momen­ta­nen regu­la­to­ri­schen Betrach­tung von 3D-gedruck­ten Medi­zin­pro­duk­ten eine zentrale­ Rol­le, da eine Son­der­an­fer­ti­gung ein ver­ein­fach­tes Kon­for­mi­täts­be­wer­tungs­ver­fah­ren ohne Ein­be­zie­hung einer benann­ten Stel­le und ohne CE-Kenn­zeich­nung ermög­licht. Es ist jedoch frag­lich, inwie­weit die in der MDR geän­der­te Defi­ni­ti­on der Son­der­an­fer­ti­gung für addi­tiv gefer­tig­te Medi­zin­pro­duk­te über­haupt noch gilt – in den USA geht die zustän­di­ge FDA im Fal­le einer Pro­duk­ti­on von mehr als fünf Son­der­an­fer­ti­gun­gen eines Typs pro Jahr von einer industri­ellen Fer­ti­gung mit allen regu­la­to­ri­schen Fol­gen aus.

Für die Zukunft sind daher geeig­ne­te Metho­den der Sicher­heits­be­wer­tung indi­vi­dua­li­sier­ter 3D-gedruck­ter Hilfs­mit­tel gefragt, die einer­seits alle neu­ar­ti­gen ­Aspek­te des 3D-Drucks und exis­tie­ren­de relevante­ Vor­ga­ben wie die FDA-Leit­li­nie berück­sich­ti­gen und ande­rer­seits prak­ti­ka­bel sind – gera­de für klei­ne­re und mitt­le­re Ortho­pä­die-Häu­ser. An sol­chen Lösun­gen wird der­zeit unter ande­rem an der Fach­hoch­schu­le Müns­ter inten­siv geforscht 13. Die addi­ti­ven Fer­ti­gungs­ver­fah­ren ermög­li­chen zudem gera­de im medi­zi­ni­schen Bereich ver­stärkt neue Geschäfts­mo­del­le, die ver­gli­chen mit den bis­he­ri­gen eine ver­än­der­te Rol­len- und Ver­ant­wor­tungs­ver­tei­lung zwi­schen den Akteu­ren auf­wei­sen und zu wei­te­ren offe­nen Fra­gen und Unsi­cher­hei­ten führen.

Eine zusätz­li­che Her­aus­for­de­rung stellt die Tren­nung zwi­schen Ent­wick­lung und Fer­ti­gung dar: Gera­de klei­ne­re Start-ups, die nach neu­en Anwen­dun­gen für den 3D-Druck for­schen, sind auf­grund der noch hohen Kos­ten für die Gerä­te­an­schaf­fung auf die Zusam­men­ar­beit mit exter­nen Dienst­leis­tern ange­wie­sen. Die­se sind auf­grund der gerin­gen Stück­zah­len aber nur sel­ten bereit, sich einer umfas­sen­den Pro­zess­va­li­die­rung zu stel­len. Eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung stellt die Soft­ware zur Steue­rung der addi­ti­ven Fer­ti­gungs­pro­zes­se selbst dar: Da die­se Soft­ware viel mehr Auf­ga­ben als im klas­si­schen Fer­ti­gungs­pro­zess über­nimmt, kann sie je nach Zweck­be­stim­mung und Funk­tio­na­li­tät Merk­ma­le auf­wei­sen, die im Ein­zel­fall zur Ein­stu­fung der Soft­ware als Medi­zin­pro­dukt füh­ren und ent­spre­chen­de regu­la­to­ri­sche Vor­ga­ben nach sich ziehen.

Digi­ta­le Prozesskette

AM ist nur ein Bestand­teil einer voll­stän­dig digi­ta­len Pro­zess­ket­te, die ihre Vor­tei­le erst in Kom­bi­na­ti­on mit digi­ta­len Formerfassungs‑, Kon­struk­ti­ons- und Simu­la­ti­ons­ver­fah­ren aus­spie­len kann. Eini­ge Betrie­be set­zen zwar bereits heu­te bei unter­schied­li­chen Pro­zess­schrit­ten – vor allem bei der Form­er­fas­sung und der Kon­struk­ti­on der Hilfs­mit­tel – digi­ta­le Lösun­gen ein, ein voll­stän­dig digi­ta­li­sier­ter Pro­zess exis­tiert jedoch noch nicht.

Eine digi­ta­le Pro­zess­ket­te wie in Abbil­dung 5 dar­ge­stellt muss einer­seits alle neu­ar­ti­gen Aspek­te des 3D-Drucks und exis­tie­ren­de rele­van­te Vor­ga­ben wie z. B. die FDA-Leit­li­nie [13]14 berück­sich­ti­gen, erlaubt es aber auch, im Rah­men einer Soft­ware­platt­form regu­la­to­risch anspruchsvolle­ Pro­zess­schrit­te zu inte­grie­ren, mit deren Umset­zung ein­zel­ne Sani­täts­häu­ser über­for­dert wären. Dazu gehö­ren unter ande­rem die auto­ma­ti­sche para­me­tri­sche Opti­mie­rung der Pro­dukt­de­signs auf Basis der Pati­en­ten­da­ten und die im Hin­ter­grund ablau­fen­de Simu­la­ti­on und Belas­tungs­prü­fung der ent­wor­fe­nen Hilfs­mit­tel in Form eines „vir­tu­el­len Crashtests“.

Den Kern­punkt des „vir­tu­el­len Crash­tests“ bil­det eine in Bezug auf die vor­ge­schrie­be­ne Norm­prü­fung mit mess­tech­ni­schen Metho­den vali­dier­te nume­ri­sche Simu­la­ti­on, die in die Soft­ware inte­griert ist. Durch den Abgleich der ent­stan­de­nen Simu­la­ti­ons­er­geb­nis­se z. B. mit den Vor­ga­ben einer exis­tie­ren­den Norm wird über die Zuläs­sig­keit der Modi­fi­ka­ti­on ent­schie­den und so die Struk­tur­fes­tig­keit des indi­vi­dua­li­sier­ten Pro­dukts sicher­ge­stellt. Dadurch gelingt es, die Anzahl der zeit- und kos­ten­auf­wen­di­gen phy­si­ka­li­schen Prü­fun­gen zu minimieren.

Eine Norm­prü­fung ist dann nur an einem „Worst-Case“-Prüfkörper durch­zu­füh­ren, der anhand von kri­ti­schen Abmes­sun­gen, Kon­struk­ti­ons­merk­ma­len und 3D-Druck-Para­me­tern wie der Bau­teil­aus­rich­tung defi­niert wird. Da der Platt­form­be­trei­ber für die­se Schrit­te die Ver­ant­wor­tung über­nimmt, müs­sen sich ein­zel­ne Nut­zer der Platt­form nicht damit aus­ein­an­der­set­zen. Die grund­sätz­li­che Umsetz­bar­keit die­ser Her­an­ge­hens­wei­se konn­te bereits in klei­ne­ren Pro­jek­ten nach­ge­wie­sen wer­den. Ein gro­ßes For­schungs­vor­ha­ben, das die Abbil­dung der gesam­ten digi­ta­len Ver­sor­gungs­ket­te zum Ziel hat, soll dem­nächst starten.

Fazit

Die zukünf­ti­gen Mei­len­stei­ne auf dem Weg zum Mas­sen­ein­satz addi­ti­ver Tech­no­lo­gien in der Tech­ni­schen Ortho­pä­die sind viel­fäl­tig. Dazu gehö­ren unter ande­rem die Erhö­hung der Anzahl der zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mate­ria­li­en, die Klä­rung und Anpas­sung regu­la­to­ri­scher Vor­ga­ben, die Fest­le­gung ein­heit­li­cher Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen und der Aufbau­ digi­ta­ler Pro­zess­ket­ten. Ange­sichts der dar­ge­stell­ten Vor­tei­le ist es aber kaum vor­stell­bar, dass die addi­ti­ven Ver­fah­ren in der Tech­ni­schen Ortho­pä­die in Zukunft kei­nen fes­ten Stel­len­wert besit­zen werden.

Der Autor:
Prof. Dr.-Ing. David Hochmann
Fach­hoch­schu­le Münster
Fach­ge­biet Bio­me­cha­tro­nik und ­medi­zi­ni­sche Messtechnik
Ste­ger­wald­stra­ße 39, 48565 Steinfurt,
david.hochmann@fh-muenster.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

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