Einleitung
Rückenschmerzen sind eines der häufigsten Gesundheitsprobleme 1 2 3 4. Die konservative Therapie besteht meist aus Physiotherapie, die häufig in Kombination mit Rückenorthesen verordnet wird. Der Orthesennutzen wird jedoch derzeit kontrovers diskutiert. Einige Studien zeigten eine Verbesserung der Schmerzen und der Lebensqualität 5 6 7 8 9 sowie einen positiven Effekt auf Trainingsprogramme 6 8. Die Orthesen bewirkten eine bessere Schmerzreduktion und Mobilität als andere Therapien 9 10. Andere Studien konnten jedoch keinen positiven Effekt nachweisen 9 10. Diese Studie untersucht den Zusammenhang zwischen Orthesennutzung und Physiotherapie.
Material und Methoden
Patienten
Die Studie wurde unter Beachtung der aktuellen Fassung der Deklaration von Helsinki durchgeführt. Alle Patienten waren volljährig und hatten eine behandlungsbedürftige mittelschwere bis schwere Lumboischialgie, die mittels ausführlicher Anamnese und körperlicher Untersuchung diagnostiziert wurde. Sofern im Rahmen dieser Methoden keine eindeutige Diagnose erfolgen konnte, wurden zudem bildgebende Verfahren durchgeführt. Die Patienten konnten zusätzlich zu der Studientherapie mittels medikamentöser Schmerztherapie behandelt werden, sofern diese als Bedarfsmedikation eingesetzt wurde. Jeder Patient willigte vorab in die Studienteilnahme ein. Patienten wurden von der Teilnahme ausgeschlossen, wenn eine OP-Indikation gegeben war (z. B. Cauda-Syndrom, Paresen, starke therapieresistente Schmerzen). Zudem wurden nicht einwilligungsfähige Patienten sowie Stillende, Schwangere oder eine Schwangerschaft planende Patientinnen ausgeschlossen.
Therapiekonzept
Die Patienten wurden in 41 Orthopädiepraxen rekrutiert und erhielten eine konservative Behandlung. Die Therapie beinhaltete das Tragen einer Lumbalorthese (Donjoy® Lumboforce®, DJO Global). Darüber hinaus erhielt ein Teil der Patienten zusätzlich zur Rückenorthese individuell abgestimmte physiotherapeutische Behandlungen. Die Verordnungsdauer der Rückenorthese wurde patientenindividuell festgelegt, wobei die Mindestverordnung 4 Wochen betrug und die Orthese täglich mindestens 3 Stunden getragen werden sollte.
Parameter
Alle Parameter wurden sowohl vor Therapiebeginn als auch nach Ende der Therapie aufgenommen. Es wurden für jeden Patienten die zu den Untersuchungszeitpunkten bestehenden Schmerzen mittels Visueller Analogskala (VAS) erhoben. Darüber hinaus erfolgte bei beiden Untersuchungsterminen eine Beurteilung der bestehenden Einschränkung der Lebensqualität unter Verwendung des Oswestry Disability Index (ODI). Zudem wurde durch eine Patientenbefragung nach der Therapie ermittelt, ob die Patienten mit dem Tragekomfort der Rückenorthese unter alltäglichen Bedingungen zufrieden sind oder ob sie die Orthese als hinderlich empfinden. Die Patienten wurden des Weiteren gebeten, die durchschnittlich erfolgte tägliche Tragedauer der Rückenorthese anzugeben. Während der Studie aufgetretene unerwünschte Ereignisse, die mit der Rückenorthese in Verbindung stehen könnten, wurden dementsprechend dokumentiert.
Statistik
Für alle Daten wurde eine deskriptive Auswertung vorgenommen. Zur Ermittlung des Therapieerfolgs wurden die Werte vor Therapiebeginn mit den Werten der Abschlussuntersuchung mittels Wilcoxon-Test verglichen. Um einen möglichen Einfluss der Physiotherapie auf den Behandlungserfolg zu ermitteln, erfolgte die Analyse sowohl für die gesamte Patientenanzahl als auch separat für beide Behandlungsgruppen. Der Vergleich der Behandlungsgruppen wurde per t‑Test vorgenommen. Für alle statistischen Tests wurde ein 95-prozentiges Konfidenzintervall und demnach ein Signifikanzniveau von p ≤ 0,05 angenommen.
Ergebnisse
Von den eingeschlossenen Patienten waren sowohl in der Physiotherapiegruppe als auch in der Behandlungsgruppe ohne Physiotherapie die meisten Patienten zwischen 51 und 60 Jahre. Eine genaue Altersverteilung ist in Abbildung 1 dargestellt.
111 Patienten wurde lediglich die Rückenorthese verordnet, und 145 Patienten wurden zusätzlich zur Rückenorthese physiotherapeutisch behandelt. Die mittlere tägliche Tragezeit der Rückenorthese lag in beiden Gruppen zwischen 4 und 5 Stunden (Gruppe ohne Physiotherapie 4,6 Stunden, Gruppe mit Physiotherapie 4,4 Stunden). In der Behandlungsgruppe ohne Physiotherapie lag bei 5 % der Patienten die Mindesttragedauer unterhalb der empfohlenen 3 Stunden, in der Behandlungsgruppe mit zusätzlicher Physiotherapie betrug die Mindesttragedauer bei 15 % der Patienten weniger als 3 Stunden.
Insgesamt zeigte sich durch die Therapie eine signifikante Verbesserung des mittleren VAS von 5,7 ± 1,6 SD auf 3,4 ± 1,5 SD (p ≤ 0.001) (Abb. 2). Des Weiteren konnte auch eine Verbesserung der Lebensqualität erzielt werden: Der ODI verbesserte sich signifikant von 34,8 % ± 14,3 % SD auf 23,1 % ± 14,5 % SD (p ≤ 0.001) (siehe Abb. 2).
Die Auswertung der erhobenen Daten, unterteilt in zwei Behandlungsgruppen (Rückenorthese mit Physiotherapie, Rückenorthese ohne Physiotherapie), ergab, dass in den einzelnen Gruppen sowohl eine signifikante Reduktion des VAS als auch eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität erzielt werden konnte (Tab. 1, Abb. 3).
Die beiden Behandlungsgruppen zeigten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Schmerzreduktion und der Verbesserung der Lebensqualität. Eine separate vergleichende Betrachtung der beiden Behandlungsgruppen unterteilt nach Altersgruppen ergab in keiner der Altersgruppen auffällige Unterschiede der VAS-Änderung. Hinsichtlich der Änderung des ODI der einzelnen Altersgruppen zeigte die Physiotherapie-Gruppe bei Patienten zwischen 21 und 30 Jahren eine deutlichere ODI-Verbesserung im Vergleich zur gleichaltrigen Patientengruppe ohne Physiotherapie (Differenz der Änderung: 12.79). Gleiches ergab sich bei der Patientengruppe zwischen 41 und 50 Jahren (Differenz der Änderung: 14.62) und zwischen 61 und 70 Jahren (Differenz der Änderung: 9.43).
Bei keinem der Patienten kam es während der Studienteilnahme zu möglicherweise mit der Orthesennutzung in Verbindung stehenden unerwünschten Ereignissen. Insgesamt zeigten die Patienten eine gute Akzeptanz der Donjoy®-Lumboforce®Rückenorthese. Lediglich 1,2 % der Patienten (3 Patienten) waren unzufrieden, da die Orthese nicht toleriert werden konnte, unbequem war oder drückte.
Diskussion
Insgesamt konnten durch die Behandlung von Lumboischialgie-Patienten mit der Rückenorthese Donjoy® Lumboforce® signifikante Verbesserungen der Schmerzintensität und der Lebensqualität der Patienten erzielt werden. Die Verbesserungen zeigten sich unabhängig davon, ob die Patienten zusätzlich zu der Rückenorthese physiotherapeutisch behandelt wurden. Sowohl die Behandlung mit alleiniger Rückenorthese als auch die Behandlung mit zusätzlicher Physiotherapie führten zu signifikanten Verbesserungen des VAS und des ODI. Dabei zeigten sich vergleichbare Veränderungen zwischen den beiden Behandlungsgruppen. Darüber hinaus erwies sich die Orthesenanwendung als sicher und durch den Patienten tolerierbar.
Der klinische Nutzen von Rückenorthesen wurde bereits vielfach untersucht, wobei jedoch viele der durchgeführten Studien unterschiedlich ausgeprägte methodische Schwächen aufweisen 9 10. Vergleichende Studien über den Therapieerfolg von Rückenorthesen ergaben, dass sich durch diese im Vergleich zu keiner Behandlung und anderen Behandlungen bessere Therapieerfolge erzielen lassen 7 8 9 10. Andere Studien wiederum konnten keinen positiven Effekt bei der Anwendung von Rückenorthesen im Vergleich zu anderen Behandlungskonzepten feststellen 9 10 11. Allerdings waren mit der Orthesennutzung auch keine negativen Auswirkungen verbunden.
Vielfach wird die Orthesenanwendung als Unterstützung bei Muskelkräftigungsübungen empfohlen 8 9 10. Die stützende und entlastende Funktion von Rückenorthesen wurde bereits mehrfach belegt 12 13 14 15. Die Kombination dieser Unterstützung mit muskelkräftigenden Übungen bietet besonders für Patienten mit bestehenden Instabilitäten eine gute Möglichkeit zur Stärkung der Rückenmuskulatur. Dalichau zeigte, dass die Anwendung von Rückenorthesen in Verbindung mit gezieltem Training zu einem verbesserten muskulären Zustand der Patienten gegenüber alleinigem Training ohne Orthese führte 8.
Da die Muskelfunktion in der durchgeführten Studie nicht gesondert untersucht wurde, können diesbezüglich keine Aussagen über mögliche Unterschiede der Behandlungsgruppen getroffen werden. Es zeigte sich allerdings, dass hinsichtlich ODI und VAS kein Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen bestand. Dies lässt darauf schließen, dass durch die stützende und entlastende Wirkung der Orthese gute Therapieerfolge bei Patienten mit Lumboischialgien erreicht werden können. Zumindest für die Schmerzreduktion (VAS) und den ODI scheint eine zusätzliche physiotherapeutische Behandlung nicht zwingend notwendig zu sein.
Diese Ergebnisse bestätigen die von Thomas et al. 2013 veröffentlichten Ergebnisse einer prospektiv randomisierten Studie an 70 Patienten 16. Dort zeigte sich eine bessere Schmerzreduktion durch die Orthesennutzung im Vergleich zu Patienten, die ledigliche Krankengymnastik erhielten. Zudem erwiesen sich auch in dieser Studie vergleichbare Schmerzverläufe als unabhängig davon, ob die behandelten Patienten lediglich die Orthese nutzten oder zusätzliche Krankengymnastik erhielten.
Bei der Auswahl der Therapie sollten jedoch mögliche altersabhängige Effekte der Rückenorthese und Physiotherapie bedacht werden. Die erhaltenen Daten zeigen, dass der Effekt der Behandlungsmethode (Orthese mit zusätzlicher Physiotherapie bzw. Orthese ohne zusätzliche Physiotherapie) hinsichtlich der Schmerzreduktion kaum Unterschiede ergibt, wobei die Einnahme von Bedarfsschmerzmedikation nicht vernachlässigt werden darf. Hinsichtlich des ODI zeigt sich jedoch, dass unter Berücksichtigung des Patientenalters der Effekt der Orthese und der Physiotherapie unterschiedlich ist.
Einschränkend muss festgestellt werden, dass es sich bei dieser Studie zunächst um eine Studie ohne Randomisierung und ohne genaue Festlegung der verwendeten Physiotherapiemethoden handelt. Daher sind weitere Studien notwendig, um die erhaltenen Ergebnisse zu belegen und diese um altersspezifische und aktivitätsspezifische Aspekte zu ergänzen.
Fazit
Häufig erfolgt die Verordnung von Rückenorthesen in Verbindung mit Physiotherapie. Es lassen sich jedoch auch ohne zusätzliche physiotherapeutische Behandlung vergleichbare Behandlungserfolge hinsichtlich der Schmerzreduktion und der Verbesserung der Lebensqualität erzielen. Dadurch ergibt sich der Vorteil für den Patienten, dass dieser die Therapie besser in seinen Alltag integrieren kann. Terminliche Schwierigkeiten lassen sich reduzieren, und die Rückenorthesen könnten ggf. sogar bei der Arbeit getragen werden, wodurch eine Verringerung der Ausfallzeiten denkbar wäre. Dennoch ist es, insbesondere bei Patienten mit Muskelschwächen, sinnvoll, die Therapie durch Physiotherapie zu ergänzen. Das Therapiekonzept sollte hinsichtlich des Patientenbefindens festgelegt werden.
Interessenkonflikt
Johannes Schröter und Kirsten Sander geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Jinpa Niemeyer ist bei DJO Global als Market Manager tätig.
Für die Autoren:
Dr. Johannes Schröter
Klaus-Miehlke-Klinik
Leibnizstraße 23
65191 Wiesbaden
schroeter@rhm-kliniken.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
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