Einleitung
Die Gonarthrose ist eine primär degenerative Erkrankung des Kniegelenkes, die mit Schmerzen und Bewegungseinschränkung zu einem wachsenden Funktionsverlust des Gelenkes führt. Die Degeneration ist multifaktoriell bedingt und führt zur Zerstörung des Knorpels sowie aller Gelenkanteile. Die Erkrankung verläuft individuell unterschiedlich, aber immer chronisch progredient mit entzündlichen Schüben, die klinisch als „aktivierte Arthrose“ mit Überwärmung und Schwellung imponieren. Die typischen Risikofaktoren sind höheres Alter, weibliches Geschlecht, genetische und biomechanische Faktoren (Übergewicht, Fehlstellungen, Verletzungen) sowie primär entzündliche Gelenkerkrankungen 1 2. Die Arthrose ist eine Volkskrankheit mit einer Gesamtprävalenz von 23,8 %. In einer Befragungsuntersuchung gaben 20,2 % aller Befragten zwischen 18 und 79 Jahren an, jemals eine ärztlich diagnostizierte Arthrose gehabt zu haben (Frauen 22,3 %, Männer 18,1 %) 3. In der Gruppe der 50- bis 54-Jährigen zeigten 15 bis 16 % radiologische Zeichen einer Gonarthrose; in der Altersgruppe der 70- bis 74-Jährigen lag dieser Anteil bereits bei 36 bis 40 %. In der Bevölkerungsgruppe der über 70-Jährigen wird die Rate der jährlichen Neuerkrankungen auf etwa 1 % geschätzt, wobei Frauen häufiger als Männer betroffen sind 4. Nur 20 bis 30 % der Patienten mit radiologisch nachweisbaren Arthrosen haben Beschwerden, während bei den anderen eine sogenannte stumme oder latente Arthrose vorliegt. Sogar bei endgradiger Arthrose (Grad 4 nach Kellgren und Lawrence) haben bis zu 31 % der Betroffenen keine Schmerzen 5. Es wird angenommen, dass die Arthrose die vergleichsweise größten Einschränkungen und Behinderungen im Alter hervorruft und zu einer deutlichen Verminderung der Lebensqualität führt. Daher hat sie eine hohe sozialmedizinische Bedeutung.
Klinische und apparative Diagnose
In der Anamnese sollen nicht nur die körperlichen Beschwerden und die Funktionsfähigkeit des Kniegelenkes analysiert, sondern auch nichtkörperliche Beschwerden und Ursachen erhoben werden. Auf der Grundlage von Patienteninformationen und Beratungsgesprächen ist die psychosoziale Lebenswelt des Patienten einzubeziehen (sogenanntes biopsychosoziales Modell), das heißt die Arbeitswelt, die Freizeitgestaltung, psychologische Belastungen sowie sonstige körperliche und psychosoziale Risikofaktoren. Der klinische Zustand des Gelenkes wird mit einer Schmerzanamnese, einer Untersuchung der Funktion bzw. der Steifigkeit, einer Prüfung der Bandstabilität und einer Erhebung eines möglichen Ergusses beurteilt. Damit lässt sich gut beurteilen, in welchem Aktivierungszustand sich das Kniegelenk befindet und ob eine eventuelle Reizung durch eine Degeneration von Knorpel und Menisken und/oder durch eine Instabilität hervorgerufen wird. Die weitere Lokalisierung der Veränderungen erfolgt anhand von Röntgenaufnahmen, die unter Belastung durchgeführt werden sollten. Schnittbildverfahren (MRT, CT) spielen bei der Diagnostik der Gonarthrose nur für spezielle Fragestellungen eine Rolle. Mit einer Beinganzaufnahme wird eine Achsabweichung dokumentiert. Mit sogenannten Valgus-/Varus-Stressaufnahmen kann der Bandhalt überprüft werden.
Therapie
Aufklärung und Beratung
Die Aufklärung, Information und Beratung von Patienten ist ein wesentlicher Baustein der Therapie. Das Verständnis für den wechselhaften chronischen Verlauf kann sich positiv auf das Schmerzempfinden auswirken. Insbesondere kann damit erreicht werden, dass Übungen in Eigenregie konsequenter durchgeführt werden. Durch eine Motivierung der Patienten sollen sie sich an der Behandlung beteiligen und Behandlungsverantwortung mit übernehmen 6. Lebensqualität und Mobilität können durch allgemeine Maßnahmen bereits verbessert werden. Zur präventiven Information und zur motivationalen Beratung gehört eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung. Selbstmanagement, Eigenverantwortung und Copingstrategien des Patienten zur Bewältigung biopsychosozialer (Stress-)Faktoren sollen gefördert werden. Dadurch sollen auch Ängste und ein Vermeidungsverhalten abgebaut werden. Die Behandlungserwartungen müssen gemeinsam besprochen werden: Die Patienten sollen das Krankheitsbild „Arthrose“ beziehungsweise die Symptome verstehen und richtig einordnen; Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen von Therapien sollen erklärt und vor nutzlosen, überflüssigen und schädlichen Maßnahmen gewarnt werden. Unphysiologische, gelenkbelastende Aktivitäten in Alltag und Beruf sollen vermieden werden. Sinnvolle Sportarten sollen aktiv besprochen werden. In verschiedenen Studien konnte der Einfluss des Gewichts auf den Verlauf einer Kniearthrose gezeigt werden 7. Übergewicht führt zu einem 2,5‑fach höheren Risiko, eine Osteoarthrose (OA) zu erleiden, und ist ein wichtiger Faktor bei der Progredienz. Bereits eine Gewichtsreduktion von 5 kg führt zu einer klinischen Besserung, wobei langfristig ein BMI von < 25 kg/m2 angestrebt werden sollte.
Übungstherapie und physikalische Anwendungen
Konservative Maßnahmen mit einem hohen Empfehlungsgrad sind Bewegungstherapien als Kraft‑, Ausdauer- und Beweglichkeitstraining. Sie werden daher auch als „Basistherapien“ bezeichnet 8. Stoßbelastungen sollen dabei vermieden werden, denn sie können zu einer entzündlichen Aktivierung des erkrankten Gelenkes führen. In zahlreichen RCTs konnte eine hohe Evidenz in Bezug auf Schmerz und Verbesserung der Funktion nachgewiesen werden 9 10. So kann ein sportliches Trainingsprogramm mit gleichzeitiger Reduktion des Übergewichts bei Patienten mit leichten bis mittelgradigen Kniearthrosen nicht nur schmerzlindernd und funktionsverbessernd wirken, sondern auch eine Einsparung bzw. Dosisreduktion z. B. eines NSAR erzielen 11. Weiterhin wird die Motivation erhöht und eine Verbesserung bei Depression erreicht. Die Bewegungstherapie ist dabei so sowohl im Wasser als auch zu Land sinnvoll. Der beste Effekt der Bewegungstherapie wird durch eine professionelle und wiederholte Anleitung erzielt. Der Arzt bzw. Therapeut braucht dazu Zeit, um auf den Patienten einzugehen, und der Patient braucht Selbstdisziplin. Erst durch die Aufklärung verlieren Patienten die Angst vor einer schädigenden Wirkung von Übungen 12. Es konnte gezeigt werden, dass ein Übungsprogramm mit 12 supervidierten Terminen (2 × pro Woche über 6 Wochen) mit 35 bis 40 Minuten Bewegungsprogramm und 15 bis 20 Minuten Informationsprogramm zu einer Verbesserung von Schmerz, Funktion, Steifigkeit, Lebensqualität und Gesundheitsempfinden führen kann. Mit einer Kombination aus visueller Demonstration, Informationsmaterial und einer physiotherapeutischen Beübung erzielt man die besten Ergebnisse. Die Überprüfung der Übungen und deren Auffrischung alle 6 Monate ist dabei ebenso wichtig. Häufig wird das Potenzial der Physiotherapie auf Seiten der Therapeuten und Patienten nicht vollständig ausgenutzt, da die Übungen nicht ausdauernd und konsequent genug über Monate durchgeführt werden. Weitere physikalische Behandlungsmöglichkeiten sind Kälte- und Wärmetherapie, Elektrotherapie sowie Ultraschallbehandlungen 13 14. Obwohl diese Therapiemodalitäten weit verbreitet sind und im individuellen Fall auch gute Ergebnisse erzielen können, liegen keine ausreichenden Studien vor, um in der Leitlinie „Gonarthrose“ eine Empfehlung auf hohem Evidenzniveau abgeben zu können. Im Rahmen der akuten Arthrose und akuter Entzündungszustände sowie Begleitbursitiden und ‑tendinitiden dient die Kryotherapie als lokales Analgetikum. Wärme hingegen wird zumeist im nicht-akuten Stadium zur Hyperämisierung und zur Muskelrelaxation eingesetzt. Des Weiteren wird eine Viskositätsabnahme der Synovia diskutiert. Eine Schmerzreduktion wird neurophysiologisch ähnlich wie bei Kälteapplikation über eine Hemmung nozizeptiver Afferenzen erreicht. Die Datenlage zur Beurteilung der Wirksamkeit von Balneotherapie ist insgesamt heterogen. Die Anwendung kann daher bei Patienten mit Co-Morbiditäten, bei denen andere Maßnahmen nicht durchgeführt werden sollten, erwogen werden.
Medikamentöse Therapie
Führen die physikalischen Maßnahmen nicht zu einer ausreichenden Symptomkontrolle, ist die Anwendung oraler und topischer Analgetika sinnvoll. Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR und selektive COX-2-Hemmer [Coxibe]) wirken nicht nur analgetisch, sondern auch antiphlogistisch 15 16. Sie werden daher häufig bei der aktivierten Arthrose eingesetzt. Jedoch sind bei der oralen Applikation von NSAR gastrointestinale, kardiovaskuläre und renale Risiken zu beachten, die umso relevanter werden, da Arthrosepatienten häufig zusätzliche Co-Morbiditäten aufweisen. Grundsätzlich ist eine Langzeitanwendung über mehrere Wochen nicht sinnvoll. Eine Risikominimierung lässt sich durch die topische Anwendung von NSAR aufgrund erheblich geringerer Blutplasmakonzentrationen als bei oraler Anwendung erreichen. So konnte in verschiedenen Studien eine gute Wirksamkeit bei gleichzeitiger Reduktion von systemischen Nebenwirkungen nachgewiesen werden 17 18 19. Als Nebenwirkungen werden vor allem lokale Hautreaktionen beschrieben 20. Die topische Applikation eines NSAR ist nicht nur für ältere Patienten sinnvoll, sondern auch für alle übrigen Patienten, insbesondere für solche mit einem erhöhten Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen. Führt die topische Anwendung nicht zur Symptomkontrolle, kann die orale Gabe von NSAR erfolgen 21. Vor der Gabe sind die Co-Morbiditäten detailliert zu klären, und es müssen Arzneimittelinteraktionen beachtet werden. Zur Reduktion gastrointestinaler NW können Protonenpumpenhemmer verabreicht werden, wobei COX-2-Hemmer insgesamt eine etwas bessere gastrointestinale Verträglichkeit als klassische NSAR zeigen 22 23 24 25 26. Bei Patienten, bei denen NSAR kontraindiziert sind, kann ein Versuch mit Glucosamin erfolgen (1500 mg/d), der jedoch bei Nichtansprechen nach spätestens 3 Monaten beendet werden sollte 27 28. Für eine immer wieder diskutierte chondroprotektive Wirksamkeit von Glucosamin oder auch Chondroitinsulfat gibt es keine Evidenz 29 30 31. Für Paracetamol besteht keine Indikation bei der Therapie der Gonarthrose 32 33. Der längerfristige Einsatz von Opioiden kommt nicht in Betracht; sie dienen nur als letzte Option vor einer anstehenden Operation oder bei nicht operationsfähigen Patienten 34 35 36 37.
Intraartikuläre Injektionen
Intraartikulär applizierte Kortikoide kommen bei einer aktivierten Arthrose mit einem starken Entzündungsschmerz mit Schwellung und Ergussbildung zum Einsatz 38. Da Glukokortikoide jedoch auch eine schädigende Wirkung auf den Knorpel haben, sollten sie in einer möglichst niedrigen, aber wirksamen Dosierung angewendet werden 39. Weiterhin sollten sie nicht häufiger als 3- bis 4‑mal pro Jahr eingesetzt werden. Hyaluronsäureinjektionen werden seit mehreren Jahrzehnten bei der symptomatischen Behandlung von Arthrosen der großen und kleinen Gelenke eingesetzt 40 41 42 43 44. Neben den tribologischen Eigenschaften der Hyaluronsäure werden weitere modulierende Effekte auf Entzündungsmediatoren und nozizeptive Vorgänge im Rahmen der Osteoarthritis diskutiert. So konnte eine signifikante Senkung der dauerhaften und bewegungsinduzierten Stimulationsfrequenz von Schmerzrezeptoren nachgewiesen werden. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Hyaluronsäure die Prostaglandin- und Bradykininsynthese hemmt und Einfluss auf den Substanz-P-Stoffwechsel hat. Obwohl viele Studien eine gewisse Wirksamkeit zeigen konnten, bleibt diese Therapie umstritten. Das liegt vor allem daran, dass die Effektstärke nicht groß ist und der Therapeut dem individuellen Patienten nicht vorhersagen kann, ob er davon profitieren wird. Die deutsche Leitlinie stuft entsprechend die intraartikuläre Injektion von Hyaluronsäure als alternative Therapie für Patienten ein, die nicht ausreichend von den allgemeinen und physikalischen Maßnahmen profitiert haben und bei denen Kontraindikationen gegen den Einsatz von NSAR bestehen. In den letzten Jahren wird auch die intraartikuläre Therapie mit plättchenreichem Plasma (PRP) in der Behandlung der Arthrose angewendet 45 46 47. Aus zuvor gewonnenem autologem Patientenvollblut wird dabei durch Zentrifugation thrombozytenreiches Blutplasma gewonnen, das dem Patienten nach entsprechender Aufarbeitung bzw. Konditionierung wieder intraartikulär zugeführt wird. Die bisherige Studienlage zur intraartikulären PRP-Injektion ist wegen der verschiedenen Herstellungstechniken sowie intransparenten Angaben zu Inhaltsstoffen und Konzentrationen nicht sicher beurteilbar. Die Methode wird daher weder in der Leitlinie der AWMF noch in anderen internationalen Leitlinien empfohlen.
Orthopädietechnische Maßnahmen
Orthopädietechnische Maßnahmen zur Schmerzreduktion und zur Funktionsverbesserung bei Gonarthrose 48 49 werden insbesondere bei Co-Morbiditäten empfohlen. Das abgestufte Vorgehen gliedert sich in Kniebandagen, denen eine eher propriozeptive, tonuserhöhende Wirkung zugesprochen wird, und eher biomechanisch wirkende Versorgungen wie Randerhöhungen (an Einlage oder Schuh), Sprunggelenkorthesen und Knieorthesen. Wie und über welchen Mechanismus diese Hilfsmittel wirken, ist jedoch nicht abschließend geklärt. Weitere Studien sowohl zur Wirksamkeit als auch zu den Wirkmechanismen werden benötigt.
Kniebandagen
Bei Kniebandagen gehen derzeitige Erklärungsmodelle davon aus, dass durch die zirkuläre Kompression die Eigenwahrnehmung verbessert und damit auch die muskuläre Kontrolle stimuliert wird. Gleichzeitig kann die Kompression Ergussbildung und Schwellneigung beispielsweise auch bei Baker-Zysten reduzieren. Die Evidenz für diese Wirkungsweise muss jedoch als schwach bezeichnet werden.
Außen- oder Innenranderhöhungen
Die Datenlage hinsichtlich der Effekte von Außen- oder Innenranderhöhungen zur symptomatischen Therapie der Gonarthrose ist uneinheitlich 50. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2015 beschreibt vor allem bei leichten Arthrosen und geringen Fehlstellungen einen biomechanischen und klinischen Effekt. Dabei ist der Effekt unter der Schuhsohle wegen des verbesserten Hebelarms durch die Hinterkappe größer als unter der Einlage 51.
Sprunggelenkorthesen
Betrachtet man die medialseitige Gonarthrose, kann als wesentlicher belastender Faktor das erhöhte Adduktionsmoment im Kniegelenk angesehen werden. Bei einer Varusstellung besteht natürlicherweise eine erhöhte Belastung, die durch den medialen Teil des Gelenkes geleitet wird. Durch Anwendung einer abduzierenden Kraft mit Änderung der wirkenden Vektoren und durch Veränderung der Gelenkstellung in der Frontalebene soll das Gelenk entlastet werden. In Belastungsmessungen kann gezeigt werden, dass mit Versorgung der Kraftvektor mehr durch das Zentrum des Gelenkes verläuft. Das entlastende Abduktionsmoment lässt sich sowohl durch Unterschenkelorthesen mit kniegelenknaher Anlagefläche als auch über Knieorthesen erzielen. Für die Kombination aus Unterschenkelorthese und Außenranderhöhung konnte dieser Effekt nachgewiesen werden 52.
Knieorthesen
Entlastungsorthesen am Kniegelenk sollen über ein valgisierendes 3‑Punkt-Prinzip das Knieadduktionsmoment reduzieren. Diese Reduktion kann nach Lindenfeld et al. bis zu 32 % betragen. In einer randomisierten klinischen und ganganalytischen Studie mit einer valgisierenden Entlastungsorthese einerseits und einer Kniebandage andererseits konnte gezeigt werden, dass Orthesen im Vergleich mit einer unbehandelten Kontrollgruppe eine signifikante Reduktion des Knieadduktionsmomentes und eine Verbesserung der Schmerzen und der funktionellen Kniescores bewirken konnten. Dabei zeigte die rigidere Orthese in den untersuchten Scores bessere Werte als die elastische Bandage 53. Briggs et al. Konnten eine deutliche Verbesserung von Teilhabeaspekten durch valgisierende Orthesen nachweisen 54. Der Effekt von Knieorthesen ist deutlich höher zu bewerten als der Effekt von Randerhöhungen 55. Schlussfolgernd kann eine limitierte Evidenz für die Wirksamkeit valgisierender Orthesen bescheinigt werden.
Gehstützen oder Gehhilfen
Gehstützen oder Gehhilfen sind geeignet, die betroffene Extremität zu entlasten und so zu einer Schmerzreduktion zu führen. Obwohl nur wenige Studien einen Effekt nachweisen, kann dieser Mechanismus für die Gonarthrosen angenommen werden.
Akupunktur
Die Akupunktur ist eine weitere Therapieoption, die bei Nichtansprechen der Basismaßnahmen angeboten werden kann. In verschiedenen Studien konnte ein signifikanter Effekt auf die Schmerzintensität gezeigt werden 56 57. Eine Vielzahl weiterer Verfahren wird aktuell zur Therapie eingesetzt. Die aktuelle AWMF-Leitlinie „Gonarthrose“ gibt darüber einen Überblick mit Empfehlungsgrad 58.
Operative Therapie
Die Indikation zur Operation ist eine individuelle Entscheidung, die gemeinsam mit dem Patienten unter Berücksichtigung aller Faktoren getroffen werden muss. Diese müssen dem Patienten in einer für ihn verständlichen Art und Weise dargelegt werden, um ihm eine informierte Entscheidung zu ermöglichen. In Abhängigkeit vom Stadium der Erkrankung und vom Leidensdruck des Patienten sollte eine Operation erst dann erwogen werden, wenn die konservative Therapie Schmerzfreiheit und Beweglichkeit nicht ausreichend wiederherstellen kann 59. Gelenkerhaltende Operationen kommen bei symptomatischen Meniskusrissen oder bei Gelenkblockaden in Betracht. Bei Achsfehlstellungen sind umstellende Osteotomien zu diskutieren. Bei einer fortgeschrittenen Gonarthrose sind gelenkersetzende Teil- oder Vollprothesen indiziert. Die Indikation zum Gelenkersatz sollte weder zu früh – bei noch nicht konsequent durchgeführter konservativer Therapie – noch zu spät – bei nicht mehr wirksamer Therapie bei bereits endgradiger Arthrose – gestellt werden. Denn die Lebensqualität kann durch die Implantation einer Endoprothese durch Schmerzreduktion und Funktionssteigerung weitestgehend wiederhergestellt werden 60 61.
Diskussion
Die aktuelle AWMF-Leitlinie „Gonarthrose“ ist seit 2018 verfügbar und wurde komplett neu erstellt. Sie wurde im Vergleich zu vorherigen Versionen von einem S1-Niveau auf ein S2k-Niveau gehoben. Die Empfehlungen für eine Therapie bzw. deren Ablehnung folgen – bezogen auf die Bewertung – der Systematik der AWMF. Neben der Analyse der Literatur erfolgt in einem Expertenpanel eine konsentierte Abstimmung. Die Leitlinie richtet sich sowohl an Ärzte und Angehörige der Gesundheitsfachberufe als auch an Patienten. Die Therapieempfehlungen zielen auf Patienten mit einer klinischen Beschwerdesymptomatik und radiologischen Arthrosezeichen. Es werden in der Leitlinie Kernmaßnahmen mit einem „Soll“- und einem „Sollte“-Empfehlungsgrad sowie mögliche Begleitmaßnahmen mit einem „Kann“-Empfehlungsgrad beschrieben. Eine Vielzahl von Therapien, die bereits eine breite Anwendung finden, lassen sich aber aufgrund der Datenlage nicht einschätzen oder können nicht auf einem „Soll“- bzw. „Sollte“-Niveau empfohlen werden. Es fehlen methodisch hochwertige Studien, die eine Wirksamkeit vieler Interventionen bei Gonarthrose nachweisen. Einige Therapien lassen sich hingegen so gut beurteilen, dass sie abgelehnt werden können. Zu den Kernempfehlungen gehören die folgenden:
- Lebensqualität und Mobilität von Patienten mit Gonarthrose können bereits durch allgemeine Maßnahmen wie z. B. Aufklärung, Information und Beratung über sinnvolle Verhaltensmaßnahmen verbessert werden.
- Durch die Motivierung der Patienten sollen diese sich an der Behandlung beteiligen und Behandlungsverantwortung mit übernehmen. Die Therapieangebote sind daher individuell zu gestalten.
- Die Therapiemöglichkeiten müssen dem Patienten in einer für ihn verständlichen Art und Weise dargelegt werden, um ihm eine informierte Entscheidung zu ermöglichen.
- Als konservative Maßnahmen sollen Bewegungstherapien als Kraft‑, Ausdauer- und Beweglichkeitstraining durchgeführt werden. Die Bewegungstherapie ist dabei sowohl im Wasser als auch zu Land sinnvoll. Gleichzeitig muss der Patient motiviert werden, sein Gewicht zu kontrollieren. Dazu sind Ernährungsempfehlungen zu vermitteln, oder der Patient sollte an Ernährungsprogrammen teilnehmen.
Diese Kernempfehlungen werden übereinstimmend auch in anderen nationalen und internationalen Leitlinien genannt 62 63 64.
Falls diese Maßnahmen nicht ausreichend helfen und zusätzlich eine entzündliche Aktivierung der Arthrose vorliegt, können Medikamente eingesetzt werden. Entsprechend dem Therapie-Algorithmus der Leitlinie (Abb. 1) sollen nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) zunächst topisch und erst zweitrangig systemisch angewendet werden. NSAR haben zwar eine gute Effektstärke, dürfen aber aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils nur unter Beachtung der Co-Morbiditäten verabreicht werden. Die Gabe von NSAR soll keinesfalls dauerhaft erfolgen, sondern auf wenige Wochen beschränkt bleiben. Falls die Nebenwirkungen oder die Co-Morbiditäten eine generelle Gabe ausschließen, können alternative Medikamente wie Hyaluronsäure (HA) oder Glucosamine versucht werden. Andere Leitlinien empfehlen diese zuletzt genannten Medikamente nicht. Denn deren Effektstärke wird in den internationalen Leitlinien 65 66 als „gering“ bis „fraglich“ eingeschätzt. In der Tat lässt sich aufgrund der geringen Effektstärke von HA für den individuellen Patienten keine Voraussage für eine Wirkung treffen. Das Gleiche gilt für Glucosamin, sodass bei ausbleibender Wirkung die Gabe beendet werden soll.
In den nationalen und internationalen Leitlinien besteht Einigkeit darüber, dass mit Orthesen, Schuhzurichtungen und Einlagen eine Schmerzreduktion und eine funktionelle Verbesserung erzielt werden. Unter anderem wird dies durch eine Reduktion des Knieadduktionsmomentes erreicht. Kniebandagen zeigen ihre Wirkung über eine Kompression der Gelenkweichteile. Diese Versorgungen sind vergleichsweise günstige und von den Patienten gut akzeptierte Maßnahmen. Orthopädietechnische Maßnahmen können nicht nur von Patienten eingesetzt werden, die aufgrund von Co-Morbiditäten andere Therapien nicht nutzen können, sondern auch als begleitende Maßnahmen von allen Patienten ausprobiert werden.
Weitere Anwendungen (z. B. Balneotherapie, physikalische Therapie, Akupunktur) sind dann zu empfehlen, wenn aufgrund von Co-Morbiditäten andere Maßnahmen nicht durchgeführt werden können 67. Akupunktur wird dabei in den unterschiedlichen Leitlinien kontrovers beurteilt: Während in den nationalen Leitlinien die Literatur als ausreichend aussagekräftig für ein Statement gewertet wird, wird international von der Akupunktur abgeraten. Für einige wenige Therapien ist die Datenlage so klar, dass von einer Anwendung abgeraten wird (z. B. Vibrationstraining, Infrarottherapie, neuromuskuläre elektrische Stimulation, Gabe von Paracetamol, kein chondroprotektiver Effekt von Chondroitinsulfat oder Glucosamin) 68 69 70.
Die Indikation für eine gelenkerhaltende Operation ist bei einer Fehlstellung zu überprüfen und ggf. mit dem Patienten frühzeitig zu besprechen. Denn ein Gelenkerhalt ist in der Regel nur bei einer erst mittelgradig ausgeprägten Arthrose sinnvoll. Bei einem Blockadephänomen aufgrund einer Meniskuspathologie ist eine Arthroskopie indiziert. Die Arthroskopie bei einer Gonarthrose (Chondromalazie mit/ohne Meniskusdegeneration) ist nicht indiziert. Gelenkersetzende Operationen sind erst bei ausbleibendem konservativem Therapieerfolg zu diskutieren (siehe auch die Leitlinie „Indikation Knieendoprothese“).
Die Leitlinie gibt keine Empfehlung für Patienten mit chondralen Defekten oder einer fokalen Früharthrose ohne radiologische Arthrosezeichen. Die Therapieoptionen für diese Patienten unterscheiden sich grundlegend und sind Gegenstand von Untersuchungen zur Chondroplastik.
Fazit
Ziel der Leitlinie ist es, dass Patienten leitliniengerecht therapiert und über die Wirksamkeit der unterschiedlichen Maßnahmen informiert werden. Ärzte sowie Angehörige der Gesundheitsfachberufe sollen sich ebenso wie Patienten auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse informieren können. In jedem Fall ist die Therapie der Gonarthrose multimodal und muss – typisch für eine chronische Erkrankung – immer wieder individuell angepasst werden. Zu den Kernempfehlungen gehören Aufklärung, Information und Beratung. Als konservative Maßnahmen sollen Bewegungstherapien als Kraft‑, Ausdauer- und Beweglichkeitstraining durchgeführt werden. Der Patient muss zudem motiviert werden, sein Gewicht zu kontrollieren.
Für die Autoren:
Prof. Dr. med. Johannes Stöve
Chefarzt der Orthopädischen und
Unfallchirurgischen Klinik
St. Marienkrankenhaus (Akademisches
Lehrkrankenhaus der Medizinischen
Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg)
Salzburger Straße 15
67067 Ludwigshafen am Rhein
johannes.stoeve@st-marienkrankenhaus.de
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