Brust­pro­the­ti­sche Ver­sor­gung in Deutsch­land – eine qua­li­ta­ti­ve Studie

R. Wiedemann
Hintergrund: Externe Brustprothesen sind in Deutschland als medizinisches Hilfsmittel zum Ausgleich nach Mastektomie bei Brustkrebs anerkannt und werden von den Krankenkassen finanziert. Trotzdem fehlen Erkenntnisse über die brustprothetische Versorgung in der stationären und ambulanten Versorgung vor dem Hintergrund des deutschen Gesundheitssystems. Die nachfolgend vorgestellte Studie nutzt die Methode der qualitativen Evaluationsforschung. Die Datenerhebung erfolgt anhand leitfadengestützter Interviews. Aufgenommen in das Sample wurden zwanzig Frauen, acht Pflegende, Sanitätshausfachangestellte aus acht Sanitätshäusern sowie Verantwortliche vier relevanter Prothesenfirmen. Ergebnisse: Im Zwei-Phasen-Modell beschreibt Phase 1 das Erleben von Schock und Krise und die daraus resultierenden Bedürfnisse in der Erstversorgung mit einer Brustprothese im Krankenhaus. Phase 2 beschreibt den Wunsch, mit der Brustprothese Normalität herzustellen. Eine erfolgreiche Prothesenauswahl für die Frauen erfolgt in erster Linie über die Sinneserfahrung. Gleichzeitig wird deutlich, dass häufig Sanitätshausfachangestellte aufgrund ihrer Erfahrung und Expertise über die Auswahl entscheiden. So erklärt sich das auch in Deutschland häufig auftretende Problem unzureichender Information und mangelnder Wahlmöglichkeiten von Frauen in der brustprothetischen Versorgung.

Ein­lei­tung

In Deutsch­land liegt die Brust­krebs­in­zi­denz bei rund 71.600 Fäl­len pro Jahr; somit ist Brust­krebs die mit Abstand häu­figs­te Krebs­er­kran­kung der Frau. Das mitt­le­re Erkran­kungs­al­ter liegt bei 64 Jah­ren. Trotz der gestie­ge­nen Erkran­kungs­zah­len ster­ben heu­te durch Fort­schrit­te in der The­ra­pie weni­ger Frau­en an Brust­krebs als noch vor zehn Jah­ren; die 5‑Jah­res-Über­le­bens­ra­te liegt bei 88 Pro­zent 1. Inzwi­schen kön­nen ca. 70 Pro­zent der an Brust­krebs erkrank­ten ope­rier­ten Frau­en brust­er­hal­tend behan­delt wer­den; bei etwa 30 Pro­zent wird die Brust ent­fernt (Mas­tek­to­mie, Abla­tio mam­mae) 2.

Von die­sen Frau­en las­sen sich wie­der­um 30 bis 40 Pro­zent die Brüs­te mit Eigen­ge­we­be oder mit Sili­kon­im­plan­ta­ten ope­ra­tiv auf­bau­en. Die ande­ren Betrof­fe­nen ent­schei­den sich aus onko­lo­gi­schen, tech­ni­schen oder per­sön­li­chen Grün­den nach der Brust­ent­fer­nung für eine exter­ne Brust­pro­the­se. Jähr­lich wer­den nach münd­li­chen Her­stel­ler­an­ga­ben in Deutsch­land zwi­schen 120.000 und 150.000 exter­ne Pro­the­sen ange­passt. Bei die­ser Zahl han­delt es sich um die Prä­va­lenz, das heißt, erfasst wer­den Frau­en in Deutsch­land, die mit einer Brust­pro­the­se leben und alle zwei Jah­re mit einer Pro­the­se ver­sorgt wer­den. Nach einer Mas­tek­to­mie die­nen exter­ne Brust­pro­the­sen als kos­me­ti­scher Ersatz für die ver­lo­re­ne Brust und viel­fäl­ti­gen Aus­sa­gen zufol­ge auch zum ortho­pä­di­schen Gewichts­aus­gleich. Hier­zu exis­tie­ren ver­schie­de­ne Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten (unter denen Frau­en theo­re­tisch wäh­len kön­nen), die als medi­zi­ni­sches Hilfs­mit­tel aner­kannt sind; aktu­ell sind 210 Pro­the­sen­ty­pen im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis 3 gelis­tet. Die Kos­ten wer­den von der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung über­nom­men 456. In Deutsch­land ist aus­schließ­lich der Sani­täts­fach­han­del ver­ant­wort­lich für die Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln und somit auch mit Brust­pro­the­sen. Etwa 3.000 Sani­täts­häu­ser bie­ten exter­ne Brust­pro­the­sen an.

Eine inter­na­tio­na­le Lite­ra­tur­re­cher­che zur brust­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung, in die 16 Publi­ka­tio­nen ein­ge­schlos­sen wer­den konn­ten, iden­ti­fi­zier­te sechs zen­tra­le The­men 7:

  1. Aus­wir­kun­gen des Brustverlustes
  2. Information/Wissen
  3. Pro­the­sen­ver­sor­gung und ‑anpas­sung
  4. Zufrie­den­heit mit der Prothese
  5. Pro­the­sen­ty­pen
  6. psy­cho­so­zia­ler Ein­fluss der Pro­the­se auf das Leben

Die Stu­di­en bele­gen eine rela­tiv hohe Gesamt­zu­frie­den­heit mit Pro­the­sen von ca. 70 % 8910 sowie eine höhe­re Zufrie­den­heit mit gewichts­re­du­zier­ten gegen­über nor­mal­ge­wich­ti­gen Pro­the­sen (94 vs. 62 %) 8. Defi­zi­te wer­den vor allem hin­sicht­lich der Infor­ma­tio­nen über den Zugang zur Ver­sor­gung, der Mit­ent­schei­dung bei der Pro­the­sen­wahl und der Wahl­mög­lich­kei­ten deut­lich 9111213. In einer Stu­die an der Uni­ver­si­tät Witten/Herdecke wur­de nun erst­mals für Deutsch­land die brust­pro­the­ti­sche Ver­sor­gung von Frau­en nach Mas­tek­to­mie unter den spe­zi­fi­schen Bedin­gun­gen des deut­schen Gesund­heits­sys­tems eva­lu­iert. Die­ser Arti­kel zeigt Teil­ergeb­nis­se der Stu­die mit dem Fokus auf der Per­spek­ti­ve der betrof­fe­nen Frau­en sowie der Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten. Daten und Ergeb­nis­se bezüg­lich der Pfle­gen­den und der Her­stel­ler wer­den hier nicht dargestellt.

Metho­de

Für die­se Unter­su­chung wur­den ins­ge­samt 40 Inter­views mit betrof­fe­nen Frau­en und Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten, Pfle­gen­den und Her­stel­lern geführt. Eine Zustim­mung der Ethik-Kom­mis­si­on der Uni­ver­si­tät Witten/ Her­de­cke liegt vor (81/2013). Die Daten­er­he­bung erfolg­te mit­tels leit­fa­den­ge­stütz­ter Inter­views. Hier­bei besteht für die Stu­di­en­teil­neh­me­rin­nen die Mög­lich­keit, im Inter­view mög­lichst frei zu berich­ten; gleich­zei­tig folgt der Inter­view­ver­lauf einem bestimm­ten vor­ge­ge­be­nen The­men­weg. Die The­men­blö­cke wur­den anhand der inter­na­tio­na­len Lite­ra­tur­re­cher­che fest­ge­legt (sie­he oben). Die Inter­views wur­den tran­skri­biert; für die sys­te­ma­ti­sche Aus­wer­tung wur­den alle Tran­skrip­te mit den Ton­band­auf­nah­men in die qua­li­ta­ti­ve Daten­ana­ly­se-Soft­ware MAXQDA 11 über­tra­gen und anschlie­ßend dar­in bear­bei­tet. In die­sem Arti­kel wer­den zitier­te Inter­view­aus­sa­gen aus Grün­den der bes­se­ren Ver­ständ­lich­keit in stan­dard­sprach­li­cher Form wiedergegeben.

Um die Erfah­run­gen und Per­spek­ti­ven der Frau­en und der „Stake­hol­der“, das heißt ein­zel­ner Akteu­re in der brust­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung, mit­ein­an­der in Bezie­hung set­zen zu kön­nen, wur­de der metho­di­sche Ansatz der qua­li­ta­ti­ven Eva­lua­ti­ons­for­schung gewählt. Deren Ziel ist es, Pro­zes­se zu unter­su­chen, die Ein­fluss auf die Out­co­mes haben, und sub­jek­ti­ve Sicht­wei­sen der Betei­lig­ten sicht­bar und somit trans­pa­ren­ter und nach­voll­zieh­ba­rer zu machen 13. Zunächst wur­den die Inter­views offen codiert, sodann wur­den Kate­go­rien her­aus­ge­ar­bei­tet, aus denen ein Pha­sen­mo­dell ent­wi­ckelt wur­de. Anschlie­ßend wur­den die Daten der Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten ana­ly­siert und in die­ses Modell integriert.

Stich­pro­be

Über Koope­ra­tio­nen mit vier zer­ti­fi­zier­ten Brust­zen­tren in unter­schied­li­chen Regio­nen Deutsch­lands wur­den 20 Frau­en mit Brust­krebs nach Brust­ent­fer­nung in die Stu­die ein­ge­schlos­sen. Das Durch­schnitts­al­ter der Frau­en betrug zum Zeit­punkt der Erhe­bung 63 Jah­re (48 bis 76 Jah­re), ca. die Hälf­te ist ver­hei­ra­tet. Die durch­schnitt­li­che Zeit seit der Brust­krebs­dia­gno­se betrug 1,8 Jah­re (10 Mona­te bis 4,6 Jah­re); die Inter­view­dau­er lag im Durch­schnitt bei 42 Minu­ten (17:17 Min. bis 1:29 Std.).

In der Grup­pe der Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten wur­den jeweils 8 Inter­views mit Pfle­gen­den und Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten geführt, zudem ergän­zend Inter­views mit ver­ant­wort­li­chen Per­so­nen der vier gro­ßen Her­stel­ler­fir­men im Bereich Brust­pro­the­tik. Die durch­schnitt­li­che Inter­view­dau­er bei den Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten betrug 1:12 Stun­de (54:04 Min. bis 1:57 Std.). Acht der zehn Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten haben an ein- bis mehr­tä­gi­gen Fort­bil­dun­gen teil­ge­nom­men, die von den Her­stel­ler­fir­men ange­bo­ten wer­den (Tab. 1).

Ergeb­nis­se

Die brust­pro­the­ti­sche Ver­sor­gung nach Mas­tek­to­mie steht für die Frau­en hin­ter der Brust­krebs­er­kran­kung und dem Brust­ver­lust zurück. Aus die­sem Grund wird das Erle­ben der Frau­en in zwei Pha­sen unter­teilt 14. Die hier dar­ge­stell­ten bei­den Pha­sen sind das Ergeb­nis der Ana­ly­se und der Inter­pre­ta­ti­on der Stu­di­en­ergeb­nis­se. Pha­se 1 („Erle­ben von Schock und Kri­se“) umfasst die Dia­gno­se und den damit ver­bun­de­nen Brust­ver­lust sowie die dar­aus resul­tie­ren­den Bedürf­nis­se in der Erst­ver­sor­gung mit einer Brust­pro­the­se. Pha­se 2 („Stre­ben nach Nor­ma­li­tät“) beschreibt das Leben mit der Krebs­er­kran­kung, dem Brust­ver­lust und den psy­cho­so­zia­len Ein­fluss der Pro­the­se auf das Leben der Frau­en. Dabei wird deut­lich, wie wich­tig die Auf­recht­erhal­tung von Kon­trol­le in sozia­len Situa­tio­nen bzw. die eige­ne Emp­fin­dung der Nor­ma­li­tät des äuße­ren Erschei­nungs­bil­des sind. In die­ser Pha­se wird der Pro­zess der brust­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung bedeut­sa­mer. Nach­fol­gend wird zunächst Pha­se 1 kurz dar­ge­stellt; der Schwer­punkt in die­sem Arti­kel liegt in der Dar­stel­lung von Pha­se 2.

Pha­se 1: „Erle­ben von Schock und Krise“

In der ers­ten Pha­se“ (Abb. 1) haben betrof­fe­ne Frau­en in der Kon­fron­ta­ti­on mit der exis­ten­zi­el­len Kri­se weder Erfah­rung noch Wis­sen über die Erst­ver­sor­gung mit einer Pro­the­se. Im Vor­der­grund ste­hen der Schock der Brust­krebs­dia­gno­se und die dar­aus resul­tie­ren­de exis­ten­zi­el­le Kri­se. Betrof­fe­ne Frau­en set­zen sich zwar mit der Krebs­dia­gno­se und dem Brust­ver­lust aus­ein­an­der – den Ablauf der Erst­ver­sor­gung mit einer exter­nen Pro­the­se beschrei­ben die­se Frau­en dage­gen als fast neben­bei statt­fin­dend bzw. unspek­ta­ku­lär. Die betrof­fe­nen Frau­en sind, wie eine der befrag­ten Pati­en­tin­nen angibt, in die­ser ‚Situa­ti­on „glück­lich und froh, dass es so etwas wie eine Pro­the­se gibt“, und fin­den es wich­tig, dass die Orga­ni­sa­ti­on durch das Brust­zen­trum sofort inner­halb des sta­tio­nä­ren Auf­ent­hal­tes ver­mit­telt wird und sie sich nicht selbst dar­um küm­mern müs­sen. Somit ist ihr ers­tes Bedürf­nis nach einem Aus­gleich gestillt. In die­ser Situa­ti­on haben sie weder eine Vor­stel­lung von den ent­spre­chen­den Pro­duk­ten oder Erwar­tun­gen an die Pro­the­se noch an die Situa­ti­on der Anpas­sung und geben sich zu Beginn zufrie­den mit dem, was ihnen ange­passt wird. Kurz­um: Sie neh­men die brust­pro­the­ti­sche Ver­sor­gung in die­sem Moment in der Regel unhin­ter­fragt an.

Pha­se 2: „Stre­ben nach Normalität“

Das lang­fris­ti­ge Erle­ben des Brust­ver­lus­tes bei den Befrag­ten ist abhän­gig davon, was „Frau­sein“ für sie bedeu­tet bzw. wie für sie geschlecht­li­che Iden­ti­tät defi­niert ist. Für die meis­ten der befrag­ten Frau­en bedeu­tet Nor­ma­li­tät, zwei Brüs­te zu haben: „Wenn man bei­de Brüs­te hat, ist man wie­der eine rich­ti­ge Frau.“ Das Erle­ben, „ein­sei­tig“, ungleich bzw. nicht sym­me­trisch zu sein, ist zen­tral. Als beson­ders belas­tend wird der Brust­ver­lust den Befrag­ten zufol­ge in Situa­tio­nen erlebt, in denen sie unbe­klei­det sind und Scham erle­ben, bei­spiels­wei­se in der Sau­na oder beim Schwim­men. Hier erle­ben sich die Frau­en als „ent­blößt“, „ohne Schutz“ und „ver­letz­lich“ (Abb. 2).

Frau­en nach Brust­ver­lust beschrei­ben ihre Bedürf­nis­se sel­ten direkt, son­dern eher über das Han­deln in All­tags­si­tua­tio­nen, in denen sie Pro­the­sen tra­gen, und über die damit ver­bun­de­nen Gefüh­le. Vor dem Hin­ter­grund der leib­li­chen und see­li­schen Ver­let­zun­gen der eige­nen Iden­ti­tät ist das Bedürf­nis nach Nor­ma­li­tät im All­tag von gro­ßer Bedeu­tung. Dabei ist es vor allem wich­tig, dass die Pro­the­se im Ver­hält­nis zur ver­blie­be­nen Brust „gleich ist“ und somit zu ihrem Kör­per passt und dass die Sym­me­trie wie­der­her­ge­stellt ist. Der Brust­ver­lust soll vor allem nicht nach außen, das heißt im öffent­li­chen Raum, deut­lich wer­den. Eine Pro­the­se hilft den Frau­en, hier Nor­ma­li­tät her­zu­stel­len. Allen Frau­en, die eine Pro­the­se nut­zen, ver­mit­telt die­se Sicher­heit im öffent­li­chen Raum und bedeu­tet somit Kon­trol­le über die Situa­ti­on, weil der Brust­ver­lust nicht gese­hen wird und nicht auf­fällt. Eine der befrag­ten Frau­en beschreibt die­se Situa­ti­on wie folgt: „Wenn ich drau­ßen bin damit [mit der Pro­the­se, d. Verf.], füh­le ich mich wohl damit. Und dann den­ke ich auch, das sieht kei­ner […], denn es fällt ja auch nicht auf; die Grö­ße ist genau die glei­che wie bei mei­ner ande­ren Brust, und damit füh­le ich mich dann schon sicher, wenn ich drau­ßen bin. Das ist gut.“

Die meis­ten befrag­ten Frau­en legen die Pro­the­se im pri­va­ten Raum ab, wenn sie z. B. allein zu Hau­se oder im pri­va­ten Umfeld und höchs­tens von ihrer (Kern-) Fami­lie umge­ben sind. Sie brau­chen die Pro­the­se nicht für „sich selbst“. Nur weni­ge befrag­te Frau­en in die­ser Stu­die tra­gen die Pro­the­se immer, das heißt sowohl im pri­va­ten Raum als auch in der Öffent­lich­keit. Die­se Frau­en tra­gen die Pro­the­se von mor­gens bis abends, wenn sie ins Bett gehen.

Eini­ge der befrag­ten Frau­en nut­zen die Pro­the­se vor­über­ge­hend als Über­brü­ckung bis zum Wie­der­auf­bau, qua­si als „Mit­tel zum Zweck“. Für die­se Frau­en bedeu­tet Nor­ma­li­tät, lang­fris­tig wie­der zwei Brüs­te zu haben. Häu­fig steht die­se Hal­tung bereits bei der Dia­gno­se fest und ver­än­dert sich auch nicht über die Zeit – unab­hän­gig davon, als wie posi­tiv die Pro­the­se emp­fun­den wird. Die­se Frau­en kön­nen die exter­ne Brust­pro­the­se nicht in ihr Kör­per­bild inte­grie­ren; eine Teil­neh­me­rin beschreibt die­se Ein­stel­lung wie folgt: „Ich weiß nicht, wie ich das erklä­ren soll, aber es [gemeint ist die Pro­the­se; d. Verf.] gehört nicht zu mei­nem Kör­per. Es ist im Grun­de genom­men ein Stütz­mit­tel, eine Über­gangs­lö­sung, und ich bin froh, wenn ich die OP habe, dass ich das auch wie­der los bin.“ Dem­ge­gen­über tra­gen zwei der befrag­ten Frau­en kei­ne Pro­the­se – sie ist für sie nicht (mehr) not­wen­dig; bei­de akzep­tie­ren ihren ver­än­der­ten Körper.

Brust­pro­the­ti­sche Versorgung

Die Daten zu den Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten zei­gen, dass die im Fol­gen­den beschrie­be­nen Merk­ma­le eines Sani­täts­hau­ses – die mit­ein­an­der in Bezie­hung ste­hen – Ein­fluss auf die Qua­li­tät der brust­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung haben. Es las­sen sich im Rah­men die­ser Stu­die zwei Grup­pen unter­schei­den, wobei die­se Dar­stel­lung ver­ein­facht ist; es gibt sicher auch Mischformen:

  1. In Sani­täts­häu­sern mit hoher Ver­sor­gungs­qua­li­tät tref­fen Unter­neh­mer die Ent­schei­dung für einen Schwer­punkt im Bereich Brust­pro­the­tik, erzie­len hohen Umsatz und Gewinn durch Pro­the­sen und BHs und hal­ten ein gro­ßes Waren­la­ger mit einem umfang­rei­chen Sor­ti­ment meh­re­rer Anbie­ter vor. Hier ver­fü­gen Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te über eine gro­ße Exper­ti­se durch viel Erfah­rung in der Ver­sor­gung sowie durch die Teil­nah­me an Kur­sen und haben einen per­sön­li­chen Gestal­tungs­spiel­raum in der brust­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung. Im Sani­täts­haus gibt es einen sepa­ra­ten, anspre­chen­den, nicht ein­seh­ba­ren eige­nen Ver­kaufs­be­reich mit Deko­ra­ti­on von Brust­pro­the­sen, BHs und Bade­an­zü­gen, Umklei­den bzw. Kabi­nen mit Ganz­kör­per­spie­gel, guter Beleuch­tung oder Tages­licht und Sitzgelegenheit.
  2. Dem­ge­gen­über haben Sani­täts­häu­ser mit gerin­ger Ver­sor­gungs­qua­li­tät die unter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung für einen ande­ren Ver­sor­gungs­schwer­punkt getrof­fen; die Brust­pro­the­sen­ver­sor­gung läuft ergän­zend neben­her. Umsatz und Gewinn durch Pro­the­sen und BHs sind nied­rig, es wird nur ein klei­nes Waren­la­ger mit einem spär­li­chen Sor­ti­ment, häu­fig von nur einem Anbie­ter, vor­ge­hal­ten. Hier haben Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te auf­grund gerin­ge­rer Erfah­rung in der Ver­sor­gung und sel­te­ne­rer Teil­nah­me an Kur­sen kaum Exper­ti­se und nur gering­fü­gi­gen per­sön­li­chen Gestal­tungs­spiel­raum. Die Ver­sor­gung fin­det in all­ge­mein genutz­ten, eher schmuck­lo­sen Umklei­den statt, die auf­grund der Mehr­fach­nut­zung häu­fig mit einer Lie­ge aus­ge­stat­tet sind

Für betrof­fe­ne Frau­en, die ein Sani­täts­haus auf­su­chen, ist anfangs weder ersicht­lich, dass es unter­schied­li­che Her­stel­ler gibt, noch, mit wel­chen Her­stel­lern das betref­fen­de Sani­täts­haus zusam­men­ar­bei­tet. Eben­so wenig wis­sen sie, wie vie­le Brust­pro­the­sen das Sani­täts­haus zur Aus­wahl vor­rä­tig hat oder wie es sich mit Bestell- bzw. Lie­fer­we­gen ver­hält. Gleich­zei­tig sind für die Mehr­heit der Frau­en weder Her­stel­ler noch Merk­mal ihrer Pro­the­se von Bedeu­tung; sie haben kein „for­ma­les Wis­sen“ dar­über, bei­des hat für sie kei­ne Priorität.

Infor­ma­tio­nen über gesetz­li­che Ansprü­che, die dabei ent­ste­hen­den Kos­ten und den Abrech­nungs­mo­dus im Rah­men der brust­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung erhal­ten alle Frau­en aus­schließ­lich münd­lich durch Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te. Hin­sicht­lich der Kos­ten und Zuzah­lun­gen für „beson­ders gute Pro­the­sen“ zeigt sich ein hete­ro­ge­nes Bild: Eini­ge Sani­täts­häu­ser ver­lan­gen Zuzah­lun­gen von 20 Euro und mehr – bis hin zu 320 Euro für eine Pro­the­se ohne Rezept; ande­re Sani­täts­häu­ser kom­men ohne Zuzah­lung aus, ihrer Mei­nung nach ist die Ver­sor­gung eine Mischkalkulation.

Die Ent­schei­dung dar­über, mit wel­cher Pro­the­se und wel­chem BH ver­sorgt wird – unab­hän­gig von der Erst- oder Fol­ge­ver­sor­gung –, tref­fen Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te häu­fig völ­lig eigen­ver­ant­wort­lich – abhän­gig vom Sor­ti­ment im Waren­la­ger des Sani­täts­fach­ge­schäf­tes sowie von ihrer Erfah­rung in der brust­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung. Sie tref­fen ihre – eher intui­ti­ve – Ent­schei­dung für eine bestimm­te Ver­sor­gung dabei jedoch nicht belie­big oder zufäl­lig, son­dern auf der Grund­la­ge von Über­le­gun­gen zum indi­vi­du­el­len Fall und zur Sil­hou­et­te bzw. zur Kon­tur des Kör­pers der jewei­li­gen Kun­din. Dabei grei­fen sie als Exper­tin­nen auf Wis­sen zurück, das sie in den Semi­na­ren der Her­stel­ler erwor­ben haben. Häu­fig besteht eine Affi­ni­tät zu einer bestimm­ten Her­stel­ler­fir­ma und einer „Lieb­lings­pro­the­se“ die­ser Fir­ma, die sie als Stan­dard­pro­the­se ein­set­zen. Von die­ser Pro­the­se sind sie per­sön­lich über­zeugt; sie haben damit selbst posi­ti­ve (Leib-)Erfahrungen gemacht. Eine befrag­te Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te äußer­te sich zu die­sem Aspekt wie folgt: „Ich gebe lie­ber das ab, wovon ich über­zeugt bin, was auch vom Anfas­sen her für mich per­sön­lich ange­nehm ist.“

Die­se Pro­the­sen sind uni­ver­sal in vie­len Situa­tio­nen fle­xi­bel ein­setz­bar; sie pas­sen vie­len Frau­en, das heißt, sie kön­nen am bes­ten abge­ge­ben wer­den und sind vom Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis für das Sani­täts­haus attrak­tiv. Aller­dings han­delt es sich je nach Inter­view­part­ne­rin und Sani­täts­haus dabei um ganz unter­schied­li­che Pro­duk­te, die jeweils als „Lieb­lings­pro­the­se“ ein­ge­setzt wer­den. Ledig­lich eine der befrag­ten Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten weist die Ver­sor­gung mit einer „Lieb­lings­pro­the­se“ von sich.

Da Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te auf­grund ihrer Exper­ti­se die Anpas­sung durch­füh­ren, fin­det sel­ten eine unab­hän­gi­ge und umfas­sen­de Infor­ma­ti­on und Bera­tung der Frau­en statt. Beson­ders deut­lich wird das Infor­ma­ti­ons­de­fi­zit betrof­fe­ner Frau­en, wenn es um unter­schied­li­che Eigen­schaf­ten von Brust­pro­the­sen geht: Kei­ne der betrof­fe­nen Frau­en kennt den Unter­schied zwi­schen nor­mal­ge­wich­ti­gen und Leicht­pro­the­sen und weiß, wel­chen Pro­the­sen­typ sie selbst trägt – obwohl wäh­rend der Inter­views durch Ansicht der Pro­the­sen klar wird, dass 15 der 19 Frau­en eine Leicht­pro­the­se tragen.

Ver­ständ­lich wer­den die­se Erfah­run­gen der Frau­en vor dem Hin­ter­grund der Aus­sa­gen der Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten. Die Ent­schei­dung, wel­che Pro­the­sen ange­bo­ten wer­den – hier in Bezug auf das Gewicht der Pro­the­sen –, trifft das Sani­täts­haus. Es gibt zwei Per­spek­ti­ven, die qua­si auf einem Exper­ten­streit beru­hen: Ortho­pä­den beto­nen den not­wen­di­gen Gewichts­aus­gleich, um einer Schief­stel­lung der Wir­bel­säu­le vor­zu­beu­gen; dem­ge­gen­über ver­tre­ten Lym­pho­lo­gen die Ansicht, dass Pro­the­sen mög­lichst leicht sein soll­ten, um einem Lymph­ödem vor­zu­beu­gen. Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te über­neh­men die eine oder ande­re Mei­nung und hal­ten dann Pro­the­sen ana­log zu ihrer Hal­tung vor. So gibt es im Rah­men die­ser Stu­die meh­re­re Sani­täts­häu­ser, die aus­schließ­lich Leicht­pro­the­sen anbie­ten. Für die betrof­fe­nen Frau­en bedeu­tet dies, grund­sätz­lich nicht zwi­schen nor­mal­ge­wich­ti­gen und Leicht­pro­the­sen wäh­len zu kön­nen. Gleich­zei­tig kommt dies den Wün­schen der betrof­fe­nen Frau­en näher, dass die Pro­the­se leich­ter sein soll.

Zufrie­den­heit und posi­ti­ves Leiberleben

Eine brust­pro­the­ti­sche Ver­sor­gung gelingt, so das Ergeb­nis die­ser qua­li­ta­ti­ven Stu­die, wenn Frau­en Infor­ma­tio­nen über Pro­the­sen, deren Mate­ri­al, unter­schied­li­che Model­le und Typen erhal­ten, ihnen somit Alter­na­ti­ven auf­ge­zeigt wer­den, unter denen sie wäh­len kön­nen. Eine als posi­tiv emp­fun­de­ne Infor­ma­ti­on und Bera­tung umfasst ver­schie­de­ne Gesichts­punk­te. Zu Beginn ist es bedeut­sam, einen Zugang zum The­ma zu fin­den. Den Frau­en ist wich­tig, dass die Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te eine Pro­the­se indi­vi­du­ell für sie aus­wählt und die Vor- und Nach­tei­le der unter­schied­li­chen Pro­the­sen erläu­tert. Eine Pati­en­tin berich­tet über ihre Erfah­rung im Sani­täts­haus das Fol­gen­de: „Sie [die Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te; d. Verf.] hat sich die Brust ange­guckt und sag­te: ‚Ja, das ist die und die Form, und da bräuch­ten wir den und den Auf­bau; es gibt ja unter­schied­li­che For­men.‘ Dem­entspre­chend hat sie mir dann drei [Pro­the­sen; d. Verf.] her­aus­ge­legt und mir die­se gezeigt und mir das Für und Wider erklärt.“

Eine erfolg­rei­che Aus­wahl, mit der Frau­en sich anschlie­ßend wohl­füh­len, erfolgt über das Anse­hen, Begrei­fen, Aus- und Anpro­bie­ren, das heißt, sie tref­fen ihre Ent­schei­dung auf­grund ihrer leib­li­chen Erfah­rung. Dabei sind die Frau­en mit ihrer Pro­the­se dann zufrie­den, wenn die­se mög­lichst natür­lich aus­sieht, sich „nor­mal“ anfühlt und im Ver­hält­nis zur ver­blie­be­nen Brust „gleich“ ist. Eine der Befrag­ten äußer­te sich zur Hap­tik ihrer Pro­the­se wie folgt: „Das ist eine, wo ich sage‚ die fühlt sich wie eine natür­li­che Brust an. Wenn man dar­auf fasst [fasst auf die Pro­the­se, d. Verf.], ist nicht viel Unter­schied zur nor­ma­len Brust.“

Ein sol­ches Vor­ge­hen fin­det sich bei eini­gen Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten wie­der: Sie über­las­sen den Frau­en die Aus­wahl der Pro­the­se, auch wenn sie selbst eine per­sön­li­che Hal­tung – zum Bei­spiel zum Gewicht einer Pro­the­se – haben und den Frau­en zu einem Gewichts­aus­gleich raten. Dazu ist es not­wen­dig, sowohl nor­mal­ge­wich­ti­ge als auch Leicht­pro­the­sen im Waren­la­ger vor­zu­hal­ten. Sie las­sen den Frau­en die Wahl, indem sie sie erspü­ren las­sen, wel­che Pro­the­se für sie ange­neh­mer ist. In allen Inter­views mit Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten wird deut­lich, dass die Mög­lich­keit zu wäh­len und vor Ort ver­schie­de­ne Model­le zu tes­ten, nur von Sani­täts­häu­sern ange­bo­ten wird, die als pri­va­tes Unter­neh­men einen Schwer­punkt auf den Bereich der Brust­pro­the­tik legen.

Unzu­frie­den­heit und ein­ge­schränk­tes, nega­ti­ves Leiberleben

Man­geln­de Infor­ma­ti­on ohne Wahl­mög­lich­keit führt dazu, dass Frau­en unzu­frie­den mit der Bera­tung und häu­fig auch mit ihrer Pro­the­se sind. Sie haben kei­ne Auto­no­mie, um selbst agie­ren und ent­schei­den zu kön­nen, und erle­ben sich häu­fig erneut – wie schon bei der Erst­ver­sor­gung im Kran­ken­haus – der Situa­ti­on aus­ge­lie­fert. Mehr als die Hälf­te der befrag­ten Frau­en sind ent­we­der unzu­frie­den mit ihrer Brust­pro­the­se, oder sie hat für sie – trotz schlech­ter Ver­sor­gung – kei­ne Bedeu­tung, weil sie ande­re Prio­ri­tä­ten in ihrem Leben setzen.

Typisch in die­sen Inter­views ist, dass betrof­fe­ne Frau­en auf Fra­gen über Pro­the­sen immer wie­der ant­wor­ten, kei­ne Ahnung zu haben – ihnen sei nichts gezeigt wor­den. Sie haben erlebt, dass ihnen ledig­lich ein oder zwei Pro­the­sen ange­passt wur­den. Auf die Fra­ge, ob man ihr unter­schied­li­che Pro­the­sen gezeigt habe, ant­wor­tet exem­pla­risch eine Inter­view­teil­neh­me­rin: „Nur von der Grö­ße her, nicht von der Qua­li­tät her, und das war auch wenig.“ Die Fra­ge, ob es sich um Pro­the­sen meh­re­rer Her­stel­ler gehan­delt habe, ver­neint die Teil­neh­me­rin: „Nur ver­schie­de­ne Grö­ßen, bis die dann gepasst hat.“

In Bezug auf wei­te­re Aspek­te wie Haft­pro­the­sen, unter­schied­li­che Pro­the­sen­for­men, kli­ma­re­gu­lie­ren­de Eigen­schaf­ten oder Sili­kon­ein­la­gen zum Schwim­men haben eben­falls die wenigs­ten Frau­en Infor­ma­tio­nen erhal­ten. Eine häu­fi­ge Ant­wort in die­sem Zusam­men­hang lau­te­te: „Nein, das habe ich noch nie gehört.“

Bedeu­tung der Pro­the­se tritt in den Hintergrund

Eini­ge Frau­en zei­gen sich trotz einer schlech­ten brust­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung nicht unzu­frie­den; sie arran­gie­ren sich mit der Pro­the­se, weil sie kei­ne gro­ße Bedeu­tung in ihrem Leben hat. Hin­ter­grund sind prä­gen­de Erfah­run­gen in ihren Bio­gra­fien. Eine Teil­neh­me­rin berich­tet bei­spiels­wei­se davon, dass vie­le ihrer Ver­wand­ten an Krebs erkrankt und gestor­ben seien.

Dis­kus­si­on

Anhand der Ergeb­nis­se wird sehr deut­lich, dass die betrof­fe­nen Frau­en das Sys­tem des Sani­täts­fach­han­dels und die dahin­ter­ste­hen­den Geschäfts­mo­del­le nicht ken­nen. Sie haben ein Rezept und ver­bin­den damit die Vor­stel­lung einer guten Ver­sor­gung, die sie nicht hin­ter­fra­gen. Sie wis­sen nicht um die „eigent­lich freie Wahl“ des Sani­täts­hau­ses und haben weder eine Idee davon, wel­che Kri­te­ri­en eine indi­vi­du­el­le Ver­sor­gung kenn­zeich­nen, noch, was ein Sani­täts­haus vor­hal­ten soll­te. Sie sind dem Sys­tem qua­si hilf­los aus­ge­lie­fert und kön­nen so auch even­tu­el­le Zuzah­lun­gen nicht ein­ord­nen. Da sie vor­her im Kran­ken­haus von den Pro­fes­sio­nel­len eher das Gefühl ver­mit­telt bekom­men haben, dass die brust­pro­the­ti­sche Ver­sor­gung nicht rele­vant sei, kön­nen sie nie­man­dem eine Rück­mel­dung über eine schlech­te Ver­sor­gung geben. Sie erle­ben kaum Auto­no­mie und Hand­lungs­fä­hig­keit. Gleich­zei­tig ver­fü­gen Frau­en in die­ser Pha­se der Krebs­er­kran­kung nur über weni­ge Mög­lich­kei­ten, sich selbst zu infor­mie­ren 15, und sind in die­ser Fra­ge weit­ge­hend abhän­gig von Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten. Das erklärt, war­um nur weni­ge Frau­en eige­ne Wege für eine bes­se­re Ver­sor­gung suchen: Sie kön­nen dies zu die­sem Zeit­punkt der Erkran­kung nicht und haben dies­be­züg­lich kei­ne Ressourcen.

Gleich­zei­tig steht die brust­pro­the­ti­sche Ver­sor­gung im Span­nungs­feld zwi­schen den defi­nier­ten Anfor­de­run­gen einer wirt­schaft­li­chen Ver­sor­gung und der Kos­ten­be­gren­zung durch den Gesetz­ge­ber einer­seits und den Erlö­sen des Sani­täts­hau­ses ande­rer­seits. „Bei­den Wel­ten“ gerecht zu wer­den birgt eine gewis­se Para­do­xie und bedeu­tet einen Kon­flikt in der direk­ten Ver­sor­gungs­si­tua­ti­on im Sani­täts­haus zwi­schen wirt­schaft­li­chen Erlö­sen und opti­ma­ler brust­pro­the­ti­scher Ver­sor­gung, bei der nicht immer die Frau im Vor­der­grund steht. Das Leis­tungs­spek­trum der Sani­täts­häu­ser umfasst unter­schied­li­che Seg­men­te, wobei sich der Sani­täts­haus­markt sehr hete­ro­gen dar­stellt, das heißt, er reicht von moder­nen Kom­plett­an­bie­tern bis hin zu klei­nen alt­ein­ge­ses­se­nen Betrie­ben mit begrenz­ten Sor­ti­men­ten 16. Sani­täts­häu­ser sind als Unter­neh­men wirt­schaft­lich aus­ge­rich­tet und defi­nie­ren ihr Ange­bot über Erlös­mo­del­le. Es zeigt sich, dass nur dann, wenn aus­rei­chend Brust­pro­the­sen abge­ge­ben wer­den, ein aus­rei­chend gro­ßes Waren­sor­ti­ment und anspre­chen­de Räu­me vor­ge­hal­ten werden.

Ver­gleicht man nun die Aus­sa­gen der Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten mit denen der befrag­ten Frau­en, wird der Unter­schied deut­lich: Wahr­neh­mun­gen, Erfah­run­gen, Bedeu­tungs­zu­mes­sun­gen und Erwar­tun­gen zu allen Aspek­ten in der brust­pro­the­ti­schen Ver­sor­gung stim­men häu­fig nicht über­ein. Häu­fig tref­fen Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te die Wahl, mit wel­cher Brust­pro­the­se ver­sorgt wird; hier neh­men theo­re­ti­sches Wis­sen und prak­ti­sche Erfah­rung Ein­fluss. Letzt­end­lich dür­fen Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te in der kon­kre­ten Ver­sor­gung exter­ner Brust­pro­the­sen abge­ben, was sie wol­len; sie sind dabei völ­lig frei – es gibt auf die­ser Ebe­ne kei­ner­lei Kon­trol­le oder Nach­wei­se. Zudem gibt es zum Teil kei­ne objek­ti­ven Kri­te­ri­en für eine Ver­sor­gung; in die­sem Zusam­men­hang sei noch ein­mal auf das The­ma „Gewichts­re­du­zie­rung von Pro­the­sen“ hin­ge­wie­sen – auch hier ent­schei­den Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te häu­fig „nach Gefühl“. Sind die Vor­ga­ben des Sani­täts­hau­ses sehr eng, befin­den sich Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­te in dem Dilem­ma, sich per­ma­nent zwi­schen Indi­vi­du­um und Insti­tu­ti­on ent­schei­den zu müs­sen. Auch das erklärt zumin­dest zum Teil die ein­ge­schränk­te Bera­tung und die feh­len­den Wahl­mög­lich­kei­ten. Eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung besteht in der Zusam­men­ar­beit zwi­schen Her­stel­lern und Sani­täts­häu­sern: Es ist dem Unter­neh­men über­las­sen, mit wie vie­len Her­stel­lern es zusam­men­ar­bei­tet. Schu­lun­gen wer­den fast aus­schließ­lich über Her­stel­ler von Brust­pro­the­sen ange­bo­ten, Außen­dienst­mit­ar­bei­ter stel­len eine Zusam­men­ar­beit über ein Bezie­hungs­ma­nage­ment sicher.

Fazit

Die Befra­gungs­er­geb­nis­se wei­sen deut­lich auf die Kluft zwi­schen den Bedürf­nis­sen brust­am­pu­tier­ter Frau­en und der Ver­sor­gung im Sani­täts­haus hin. Da die betrof­fe­nen Frau­en ihre Wahl­mög­lich­kei­ten häu­fig nicht ken­nen, neh­men sie die ihnen dar­ge­bo­te­nen Pro­the­sen teils unhin­ter­fragt an – selbst wenn sich mög­li­cher­wei­se eine bes­se­re Lösung für sie fin­den lie­ße. Auch wenn es sich um eine qua­li­ta­ti­ve Stu­die han­delt und die Ergeb­nis­se nicht ver­all­ge­mei­nert wer­den kön­nen, ist erkenn­bar, dass sowohl auf Sei­ten der Sani­täts­häu­ser als auch auf Sei­ten der Kli­ni­ken Hand­lungs­be­darf besteht, um Frau­en in der belas­ten­den Situa­ti­on nach einer Brust­am­pu­ta­ti­on bes­ser über ihre Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten zu informieren.

Die Autorin:
Dr. Regi­na Wiedemann
Pflegewissenschaftlerin
Uni­ver­si­tät Witten/Herdecke
Depart­ment für Pflegewissenschaft
Sto­cku­mer Stras­se 12,
58453 Witten
regina.wiedemann@uni-wh.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

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