Als Leiter des „Assistive Intelligent Robotics“-Lab forscht er an der Schnittstelle und Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Im Gespräch mit der OT-Redaktion erläutert er, was das bedeutet, und gibt erste Einblicke in die Inhalte seiner Keynote in Leipzig.
OT: Herr Prof. Castellini, die Keynote-Vorträge der OTWorld sind bekannt für ihren visionären und inspirierenden Charakter. Welche Vision wollen Sie dem Publikum präsentieren?
Claudio Castellini: Künstliche Intelligenz ist heutzutage unglaublich populär: Sie löst Probleme, für die wir in der Vergangenheit keine Lösung hatten, aber sie scheitert auch hin und wieder spektakulär. Gleichzeitig behält sie einen irgendwie unmenschlichen Charakter. Meine Vision ist, dass KI eng an die menschliche Intelligenz gekoppelt sein muss – eine KI sollte von Menschen lernen, während diese ihre täglichen Aufgaben erledigen, und sich an die Wünsche und Bedürfnisse dieser anpassen. In meinem Fachgebiet, der assistiven Robotik, ist dies eine unumgängliche Voraussetzung, trotzdem ist sie noch nicht so weit verbreitet.
OT: Im Gegensatz zu Beinprothesen kommen Armprothesen häufig eher aus kosmetischen Gründen zum Einsatz und weniger, um Funktionen auszugleichen. Woran liegt das?
Castellini: Hier gibt es zwei Aspekte: Die niedrige Akzeptanz von Arm- und Handprothesen und ihre Funktionalität. Einerseits sind sie sehr teuer, schwer, schwierig in der Wartung und energieintensiv, andererseits bieten sie noch nicht genug Funktionalität, um diese zusätzlichen Kosten und Mühen zu rechtfertigen. Meine Forschung konzentriert sich auf diesen zweiten Aspekt, denn das Hauptproblem für eine funktionellere Arm-/Handprothese ist immer noch das Steuerungssystem, d. h. die Mensch-Maschine-Schnittstelle.
OT: Können Sie das genauer erläutern?
Castellini: Das Erlernen des Umgangs mit Ihrer schicken, neuen Armprothese ist wie das Erlernen des Umgangs mit einem Motorrad, das Sie gerade erst gekauft haben, und mit dem Sie noch keine Erfahrung haben. Zu diesem Zweck muss Ihre Prothese benutzerfreundlich und einfach in der Bedienung sein, und sie muss Tag für Tag von Ihnen lernen, was sie tun soll. Das ist das Wesentliche in einer Mensch-Maschine-Interaktion, einer Interaktion, die sorgfältig studiert, geplant und entworfen werden muss, um dem Benutzer die bestmögliche Erfahrung und schließlich ein Gerät mit perfekter Kontrolle zu bieten.
OT: Sie möchten herausfinden, wie Prothesen der oberen Gliedmaßen besser kontrolliert werden können. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Absichtserkennung. Was verbirgt sich dahinter?
Castellini: Offensichtlich können Amputierte ihre Geräte nicht auf die übliche Art und Weise steuern, d. h. mit einem Joystick oder einem Touchscreen. Die einzige, aber gleichzeitig auch die natürlichste Möglichkeit besteht darin, Signale von ihren verbliebenen Muskeln auszulesen und diese in Steuerungsbefehle für das Gerät umzuwandeln. Ein Beispiel: Jedes Mal, wenn der Benutzer seine Hand schließen will, muss die Prothese die Hand schnell und mit der gewünschten Kraft schließen, und zwar nur für die erforderliche Zeitspanne. Das ist dann, kurz gesagt, die Absichtserkennung.
OT: Wie sieht für Sie die (Arm)Prothetik der Zukunft aus?
Castellini: Ich kann mir vorstellen, dass Prothesen „menschlicher“ werden, z. B. aus weichen, biokompatiblen Materialien statt wie heute aus Kunststoff und Metall bestehen und eng mit ihrem Träger verbunden sind. Sie könnten damit zu neuen Gliedmaßen werden, zu Begleitern fürs Leben. Die ideale Prothese ist wie eine Brille: Nach ein paar Tagen der Eingewöhnung setzt man sie täglich morgens auf, benutzt sie, ohne zu merken, dass man sie trägt, und nimmt sie abends ab. Abgesehen von einer gelegentlichen Wartung funktioniert sie auf diese Art und Weise in den folgenden Jahren.
OT: Die Aussage Mensch und Maschine verbinden zu wollen, bereitet zuweilen auch Unbehagen. Spielt das Phänomen „Uncanny Valley“ (im Fall einer sehr hohen Ähnlichkeit mit dem menschlichen Körper schlägt die Akzeptanz einer Prothese in ein Gefühl der Unheimlichkeit um) eine Rolle bei Ihrer Forschung?
Castellini: Bislang nicht – die Geräte sind immer noch unbeholfen, und die Steuerung ist nicht gut genug. Ich wünschte, ich könnte lange genug leben, um zu erleben, dass das „Uncanny Valley“ tatsächlich zu einem Problem in der Prothetik wird!
OT: Chat GPT, Sprachassistent, Gesichtserkennung, autonomes Fahren: Künstliche Intelligenz nimmt in mehr und mehr Bereichen an Fahrt auf – auch in der Orthopädie-Technik. Ein Segen oder ein Fluch?
Castellini: Sicherlich ein Segen, aber nur, wie ich anfangs sagte, wenn sich die KI in enger Zusammenarbeit mit der menschlichen Intelligenz entwickelt.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
Claudio Castellini forscht im Bereich der Medizinrobotik mit den Schwerpunkten Rehabilitations- und Assistenzrobotik, Mensch-Maschine-Schnittstellen und Interaktion sowie Angewandtes maschinelles Lernen. Derzeit ist er Professor für Assistenzrobotik an der Universität Erlangen-Nürnberg und Senior Researcher am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Bislang hat Claudio Castellini knapp 150 wissenschaftliche Arbeiten (mit)verfasst und ist in mehreren Forschungsprojekten und Gremien tätig.
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