OTWorld: Prof. Clau­dio Cas­tel­li­ni ist Keynote-Speaker

Der erste Name steht fest: Prof. Claudio Castellini, Ph.D., Department Artificial Intelligence in Biomedical Engineering an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), wird als Keynote-Speaker auf der OTWorld 2024 in Leipzig zu sehen sein.

Als Lei­ter des „Assis­ti­ve Intel­li­gent Robotics“-Lab forscht er an der Schnitt­stel­le und Inter­ak­ti­on zwi­schen Mensch und Maschi­ne. Im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on erläu­tert er, was das bedeu­tet, und gibt ers­te Ein­bli­cke in die Inhal­te sei­ner Key­note in Leipzig.

OT: Herr Prof. Cas­tel­li­ni, die Key­note-Vor­trä­ge der OTWorld sind bekannt für ihren visio­nä­ren und inspi­rie­ren­den Cha­rak­ter. Wel­che Visi­on wol­len Sie dem Publi­kum präsentieren?

Clau­dio Cas­tel­li­ni: Künst­li­che Intel­li­genz ist heut­zu­ta­ge unglaub­lich popu­lär: Sie löst Pro­ble­me, für die wir in der Ver­gan­gen­heit kei­ne Lösung hat­ten, aber sie schei­tert auch hin und wie­der spek­ta­ku­lär. Gleich­zei­tig behält sie einen irgend­wie unmensch­li­chen Cha­rak­ter. Mei­ne Visi­on ist, dass KI eng an die mensch­li­che Intel­li­genz gekop­pelt sein muss – eine KI soll­te von Men­schen ler­nen, wäh­rend die­se ihre täg­li­chen Auf­ga­ben erle­di­gen, und sich an die Wün­sche und Bedürf­nis­se die­ser anpas­sen. In mei­nem Fach­gebiet, der assis­ti­ven Robo­tik, ist dies eine unumgäng­liche Vor­aus­set­zung, trotz­dem ist sie noch nicht so weit verbreitet.

OT: Im Gegen­satz zu Bein­pro­the­sen kom­men ­Arm­pro­the­sen häu­fig eher aus kos­me­ti­schen Grün­den zum Ein­satz und ­weni­ger, um Funk­tio­nen aus­zu­glei­chen. Wor­an liegt das?

Cas­tel­li­ni: Hier gibt es zwei Aspek­te: Die nied­ri­ge Akzep­tanz von Arm- und Hand­pro­the­sen und ihre Funktiona­lität. Einer­seits sind sie sehr teu­er, schwer, schwie­rig in der War­tung und ener­gie­in­ten­siv, ande­rer­seits bie­ten sie noch nicht genug Funk­tio­na­li­tät, um die­se zusätz­li­chen Kos­ten und Mühen zu recht­fer­ti­gen. Mei­ne For­schung konzen­triert sich auf die­sen zwei­ten Aspekt, denn das Hauptpro­blem für eine funk­tio­nel­le­re Arm-/Hand­pro­the­se ist immer noch das Steue­rungs­sys­tem, d. h. die Mensch-Maschine-Schnittstelle.

OT: Kön­nen Sie das genau­er erläutern?

Cas­tel­li­ni: Das Erler­nen des Umgangs mit Ihrer schi­cken, neu­en Arm­pro­the­se ist wie das Erler­nen des Umgangs mit einem Motor­rad, das Sie gera­de erst gekauft haben, und mit dem Sie noch kei­ne Erfah­rung haben. Zu die­sem Zweck muss Ihre Pro­the­se benut­zer­freund­lich und ein­fach in der Bedie­nung sein, und sie muss Tag für Tag von Ihnen ler­nen, was sie tun soll. Das ist das Wesent­li­che in einer Mensch-Maschi­ne-Inter­ak­ti­on, einer Inter­ak­ti­on, die sorg­fäl­tig stu­diert, geplant und ent­wor­fen wer­den muss, um dem Benut­zer die best­mög­li­che Erfah­rung und schließ­lich ein Gerät mit per­fek­ter Kon­trol­le zu bieten.

OT: Sie möch­ten her­aus­fin­den, wie Pro­the­sen der obe­ren Glied­ma­ßen bes­ser kon­trol­liert wer­den kön­nen. Eine zen­tra­le Rol­le spielt dabei die Absichts­er­ken­nung. Was ver­birgt sich dahinter?

Cas­tel­li­ni: Offen­sicht­lich kön­nen Ampu­tier­te ihre Gerä­te nicht auf die übli­che Art und Wei­se steu­ern, d. h. mit einem Joy­stick oder einem Touch­screen. Die ein­zi­ge, aber gleich­zei­tig auch die natür­lichs­te Mög­lich­keit besteht dar­in, Signa­le von ihren ver­blie­be­nen Mus­keln aus­zu­le­sen und die­se in Steue­rungs­be­feh­le für das Gerät umzu­wan­deln. Ein Bei­spiel: Jedes Mal, wenn der Benut­zer sei­ne Hand schlie­ßen will, muss die Pro­the­se die Hand schnell und mit der gewünsch­ten Kraft schlie­ßen, und zwar nur für die erfor­der­li­che Zeit­span­ne. Das ist dann, kurz gesagt, die Absichtserkennung.

OT: Wie sieht für Sie die (Arm)Prothetik der Zukunft aus?

Cas­tel­li­ni: Ich kann mir vor­stel­len, dass Pro­the­sen „mensch­li­cher“ wer­den, z. B. aus wei­chen, bio­kom­pa­ti­blen Mate­ria­li­en statt wie heu­te aus Kunst­stoff und Metall bestehen und eng mit ihrem Trä­ger ver­bun­den sind. Sie könn­ten damit zu neu­en Glied­ma­ßen wer­den, zu Beglei­tern fürs Leben. Die idea­le Pro­the­se ist wie eine Bril­le: Nach ein paar Tagen der Ein­ge­wöh­nung setzt man sie täg­lich mor­gens auf, benutzt sie, ohne zu mer­ken, dass man sie trägt, und nimmt sie abends ab. Abge­se­hen von einer gele­gent­li­chen War­tung funk­tio­niert sie auf die­se Art und Wei­se in den fol­gen­den Jahren.

OT: Die Aus­sa­ge Mensch und Maschi­ne ver­bin­den zu wol­len, berei­tet zuwei­len auch Unbe­ha­gen. Spielt das Phä­no­men ­„Uncan­ny Val­ley“ (im Fall einer sehr hohen Ähn­lich­keit mit dem mensch­li­chen Kör­per schlägt die Akzep­tanz einer Pro­these in ein Gefühl der Unheim­lich­keit um) eine Rol­le bei Ihrer Forschung?

Cas­tel­li­ni: Bis­lang nicht – die Gerä­te sind immer noch unbe­hol­fen, und die Steue­rung ist nicht gut genug. Ich wünsch­te, ich könn­te lan­ge genug leben, um zu erle­ben, dass das „Uncan­ny Val­ley“ tat­säch­lich zu einem Pro­blem in der Pro­the­tik wird!

OT: Chat GPT, Sprach­as­sis­tent, Gesichts­er­ken­nung, auto­no­mes Fah­ren: Künst­li­che Intel­li­genz nimmt in mehr und mehr Berei­chen an Fahrt auf – auch in der Ortho­pä­die-Tech­nik. Ein Segen oder ein Fluch?

Cas­tel­li­ni: Sicher­lich ein Segen, aber nur, wie ich anfangs sag­te, wenn sich die KI in enger Zusam­men­ar­beit mit der mensch­li­chen Intel­li­genz entwickelt.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

Zur Per­son
Clau­dio Cas­tel­li­ni forscht im Bereich der Medi­zin­ro­bo­tik mit den Schwer­punk­ten Reha­bi­li­ta­ti­ons- und Assis­tenz­ro­bo­tik, Mensch-Maschi­ne-Schnitt­stel­len und Inter­ak­ti­on sowie Ange­wand­tes maschi­nel­les Ler­nen. Der­zeit ist er Pro­fes­sor für Assis­tenz­ro­bo­tik an der Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg und Seni­or Rese­ar­cher am Insti­tut für Robo­tik und Mecha­tro­nik des Deut­schen Zen­trums für Luft- und Raum­fahrt (DLR). Bis­lang hat Clau­dio Cas­tel­li­ni knapp 150 wis­sen­schaft­li­che Arbei­ten (mit)verfasst und ist in meh­re­ren For­schungs­pro­jek­ten und Gre­mi­en tätig. 

 

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