12. Dort­mun­der Sym­po­si­um Tech­ni­sche Ortho­pä­die: Der Fuß

Bereits zum 12. Mal trafen sich Expert:innen zum gemeinsamen Symposium der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (BUFA) und der Orthopädischen Klinik am Klinikum Dortmund. Erstmals nach zwölf Jahren wurde der Veranstalterkreis 2021 um ein drittes Mitglied ergänzt: Die Prosektur Akademie, Betriebseinheit der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU Münster), gestaltete zu dieser Premiere den einleitenden Anatomiekurs. Ebenfalls neu in diesem Jahr: Pandemiebedingt fand das Dortmunder Symposium zum ersten Mal als Online-Konferenz statt.

Wäh­rend Prof. Dr. Rein­hard Hil­de­brand von der Pro­sek­tur Aka­de­mie mit der funk­tio­nel­len Ana­to­mie des Fuß-/Sprung­ge­lenks­kom­ple­xes dem Ortho­pä­die­tech­ni­ker im Ana­to­mie­kurs noch halb­wegs ver­trau­tes Ter­rain vor­stell­te, ging es bei den wei­te­ren Vor­trä­gen sei­ner Aka­de­mie-Kol­le­gen im wahrs­ten Sin­ne ans Ein­ge­mach­te. Der Fokus bei Prof. Dr. Wolf­gang Kna­be lag dabei im Wesent­li­chen auf der Reiz­wei­ter­lei­tung, also der Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen zen­tra­lem Ner­ven­sys­tem und der Peri­phe­rie, wäh­rend Dr. Ste­fan Washau­sen die Reiz­ver­ar­bei­tung im Gehirn mit den poten­zi­el­len Stö­run­gen thematisierte.

Ana­to­mie, Patho­lo­gie und Diagnostik

Im ers­ten The­men­block des Sym­po­si­ums „Ana­to­mie, Patho­lo­gie und Dia­gnos­tik“ stell­ten Prof. Hil­de­brand, Dr. Tho­mas Böni, Lei­ter Tech­ni­sche Ortho­pä­die an der Uni­ver­si­täts­kli­nik Bal­grist in Zürich, PD Dr. Dari­usch Arbab und Prof. Dr. Chris­ti­an Lüring – bei­de vom Kli­ni­kum Dort­mund – den medi­zi­ni­schen Kon­text her, ohne des­sen Kennt­nis jede ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung zum Schei­tern ver­ur­teilt wäre. Nur wenn die phy­sio­lo­gi­sche Funk­ti­on des kom­ple­xen Sys­tems Fuß ver­stan­den wer­de und die funk­tio­nel­len Aus­wir­kun­gen von Fuß­de­for­mi­tä­ten ana­ly­siert wer­den kön­nen, lie­ßen sich auch adäqua­te Hilfs­mit­tel­kon­zep­te ver­wirk­li­chen, so die Fachärzte.

Bio­me­cha­nik und Sensomotorik

Im zwei­ten The­men­block „Bio­me­cha­nik und Sen­so­mo­to­rik“ wur­de der Fokus enger. Dr. Sebas­ti­an Senst von der Ham­bur­ger Schön Kli­nik sprach über Funk­ti­on und Dys­funk­ti­on des Fußes. Die nach­fol­gen­den Red­ner Mat­thi­as Schmitt (Opti­mus, Egels­bach) und Ger­hard Biber (AdVi­va, Hei­del­berg) gin­gen auf das Kon­zept sen­so­mo­to­ri­scher Ein­la­gen ein und dar­auf, wel­che Aus­wir­kun­gen Fuß- und Unter­schen­kel­or­the­sen auf den Gang von ICP-Patienten:innen haben. Sebas­ti­an Wen­del (Mediclin Fach­kli­nik Rhein/Ruhr, Essen) stell­te die the­ra­peu­ti­schen Grund­la­gen der Spi­ral­dy­na­mik vor. In der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on wur­de unter ande­rem erör­tert, wie sich tech­ni­sche und the­ra­peu­ti­sche Kon­zep­te ergän­zen können.

The­ra­pie und Rehabilitation

Dr. Mat­thi­as Manig vom Kli­ni­kum Dort­mund und Dr. Böni spann­ten den Bogen von den Fuß­de­for­mi­tä­ten des Kin­des­al­ters zu denen der Erwach­se­nen. So wie Kin­der kei­ne klei­nen Erwach­se­nen sind, so sei­en die Fuß­de­for­mi­tä­ten des Erwach­se­nen­al­ters kei­ne groß gewor­de­nen Kin­der­fü­ße. Pro­ble­me sowie Lösungs­an­sät­ze sei­en spe­zi­fisch zu sehen. Die Per­son, die Patho­lo­gie und die aktu­el­len Lebens­um­stän­de bestimm­ten das Gesche­hen, wie Böni deut­lich machen konn­te anhand eines ein­ar­mi­gen Gei­gen­spie­lers, der dank inten­si­ven Trai­nings sein Instru­ment mit den Füßen beherrsch­te. Mer­kur Ali­mus­aj vom Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Hei­del­berg the­ma­ti­sier­te in sei­nem Vor­trag den Schmerz, der viel­fach mit Patho­lo­gien des Fußes ein­her­ge­he und konn­te dar­stel­len, dass Ein­la­gen- und Orthe­sen­ver­sor­gun­gen an die­ser Stel­le einen wich­ti­gen Bei­trag zur Lin­de­rung von Beschwer­den lie­fern können.

Der gan­ze Mensch mit sei­nem Fuß

Die Über­schrift des abschlie­ßen­den The­men­blocks des Tages lau­te­te „Der gan­ze Mensch mit sei­nem Fuß“. Wich­tigs­te Bot­schaft der Referent:innen: dass alle Beschäf­ti­gung mit dem Fuß des Men­schen, mit Patho­lo­gien und Ver­sor­gungs­stra­te­gien den Blick nicht dar­auf ver­stel­len dür­fe, dass im Zen­trum des Inter­es­ses Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ste­hen soll­ten. Aus Betrof­fe­nen­per­spek­ti­ve berich­te­te der Duis­bur­ger Nor­bert Kus­ter. Kus­ter ist Vor­sit­zen­der im NRW-Ver­band der „Deut­schen Dia­be­tes-Hil­fe“ und ist selbst vom dia­be­ti­schen Fuß­syn­drom betrof­fen. Er mach­te deut­lich, wie schwie­rig eine früh­zei­ti­ge Selbst­wahr­neh­mung von begin­nen­den Fuß­pro­ble­men für Betrof­fe­ne sei und dass des­halb kon­se­quen­te und struk­tu­rier­te Kon­trol­len uner­läss­lich sei­en. Die Pfle­ge des Fußes bestimm­te auch den Bei­trag der Podo­lo­gin Sin­dy Burow aus Müh­len­beck. Burow griff die Aus­sa­gen von Kus­ter auf und führ­te die­se fort, wobei in der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on auch deut­lich wur­de, dass die Abgren­zung zwi­schen den Pro­fes­sio­nen „Wund­ma­nage­ment“ und „Podo­lo­gie“ schwie­rig ist. Außer­dem brach sie eine Lan­ze dafür, psy­cho­lo­gi­sche Aspek­te stär­ker in die Aus­bil­dung medi­zi­ni­scher Hilfs­be­ru­fe zu inte­grie­ren. Klaus Hap­pes (AdVi­va, Hei­del­berg) been­de­te den Sym­po­si­ums­tag mit einem opti­mis­ti­schen Vor­trag über Fuß und Sport. Hap­pes betreut Sportler:innen unter­schied­li­cher Dis­zi­pli­nen von ortho­pä­die­tech­ni­scher Sei­te und zeig­te an Bei­spie­len, dass Sportler:innen für den Erhalt und die Stei­ge­rung ihrer Leis­tungs­fä­hig­keit ganz selbst­ver­ständ­lich indi­vi­dua­li­sier­te Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung in Anspruch neh­men würden.

Ein­la­gen und Schuhversorgung

Der Sams­tag stand als abschlie­ßen­der Tag der Ver­an­stal­tung im Zei­chen fach­li­chen Aus­tau­sches über Ortho­pä­die-Tech­nik, Ver­sor­gungs­kon­zep­te, Fer­ti­gung und Ergeb­nis­se. Mat­thi­as Krebs (Ham­burg) fokus­sier­te sich in sei­nem Bei­trag auf die Bio­me­cha­nik des Wöl­bungs­sys­tems am Fuß. Er erin­ner­te die Teilnehmer:innen an die Grund­la­gen ihres Han­delns. Die digi­ta­le Pro­zess­ket­te in der Ein­la­gen­ver­sor­gung – von der Ver­sor­gungs­idee bis zum abga­be­fer­ti­gen Pro­dukt – stell­te Lenn­art Göp­fert (Klinz, Bern­burg) sehr anschau­lich dar. Mit der The­ra­pie und Ver­sor­gung bei Sichel- bezie­hungs­wei­se bei Klump­fü­ßen nahm Dr. Clau­dia Mül­ler-Gli­e­mann, Fach­ärz­tin für Ortho­pä­die aus Solin­gen, zwei kon­kre­te Indi­ka­tio­nen ins Visier und grenz­te Gemein­sam­kei­ten und Unter­schie­de in der The­ra­pie klar gegen­ein­an­der ab. Dass die Ver­sor­gung des Fußes immer im Gesamt­kon­text, also der Wech­sel­wir­kung zwi­schen Fuß, Bet­tung und Schuh betrach­tet wer­den muss, war die zen­tra­le Aus­sa­ge von Jochen Schi­ckert vom Mark­klee­ber­ger Unter­neh­men Ort­ho­vi­tal. Auch wenn Orthopädietechniker:innen und auch Orthopädieschuhmacher:innen am liebs­ten am und für den Pati­en­ten­fuß arbei­ten, müss­ten dabei doch umfang­rei­che recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen berück­sich­tigt wer­den. Die­se wur­den von Micha­el Möl­ler, Inha­ber der Möl­ler Ortho­pä­die-Schuh-Tech­nik in Müns­ter, unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung der seit Mai 2021 gel­ten­den Medi­cal Device Regu­la­ti­on (MDR) vorgestellt.

Der Fuß im sen­so­mo­to­ri­schen System

In dem The­men­block „Der Fuß im sen­so­mo­to­ri­schen Sys­tem“ stan­den kon­kre­te Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten am Fuß im Vor­der­grund. Den Start mach­te Cars­ten Kra­mer von der Tech­ni­schen Ortho­pä­die & Reha­tech­nik Kra­mer GmbH & Co. KG in Papen­burg mit den not­wen­di­gen Vor­über­le­gun­gen für unter­schied­li­che Fuß-/Un­ter­schen­kel­ver­sor­gun­gen. Erst eine genaue Ana­ly­se der indi­vi­du­el­len Pati­en­ten­si­tua­ti­on – am bes­ten im Team – erlau­be es, ein adäqua­tes Ver­sor­gungs­kon­zept zu erstel­len. Lothar Jahr­ling (Foot­power, Gie­ßen) steht seit Lan­gem für das The­ma Pro­prio­zep­ti­on und Sen­so­mo­to­rik in der Ein­la­gen­ver­sor­gung. Er erläu­ter­te in sei­nem Bei­trag die schwie­ri­gen kon­zep­tio­nel­len Zusam­men­hän­ge. Die Bewer­tung sen­so­mo­to­ri­scher Fuß­ver­sor­gun­gen stell­te Lukas Fischer (Fischer Fuss­fit, Burglen­gen­feld) in den Fokus. Er ver­deut­lich­te die Metho­dik und Ergeb­nis­se sei­ner Bache­lor­ar­beit zu die­sem The­ma. Dr. Mela­nie Horter vom Sozi­al­päd­ia­tri­schen Zen­trum (SPZ) West­müns­ter­land in Coes­feld berich­te­te aus ihrem Berufs­all­tag in der ope­ra­ti­ven und kon­ser­va­ti­ven Ver­sor­gung von Kin­dern mit Fuß­de­for­mi­tä­ten und setz­te dabei einen Schwer­punkt auf die Klumpfußbehandlung.

Fuß- und Unterschenkel-Orthetik

Im Block „Fuß- und Unter­schen­kel-Orthe­tik“ wur­de der Bogen von der Form­er­fas­sung bis zur 3D-Fer­ti­gung geschla­gen. Den Anfang mach­te Prof. Dr. Jor­is Pas­cal (Fach­hoch­schu­le Nord­west­schweiz, Mut­tenz) mit der Vor­stel­lung eines neu­ar­ti­gen sen­sor­be­stück­ten Mess­strump­fes, mit wel­chem über Magnet­fel­der die Erfas­sung der Kon­tur des Fuß-Sprung­ge­lenk­kom­ple­xes auch in manu­ell kor­ri­gier­ter Posi­ti­on mög­lich sei. Im Anschluss griff Cars­ten Kra­mer sei­ne Aus­füh­run­gen zur Kon­zept­erstel­lung aus dem vor­her­ge­hen­den The­men­block auf, um nun die Umset­zung in prak­ti­schen Ver­sor­gungs­bei­spie­len zu kon­kre­ti­sie­ren. Die­ses war auch der Schwer­punkt von Alfons Fuchs (Poh­lig, Hei­del­berg), der sowohl bewähr­te als auch inno­va­ti­ve Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten, immer ange­passt an die jewei­li­ge Indi­ka­ti­on, vor­stell­te und dabei auch auf das Zusam­men­spiel mit der Schuh­ver­sor­gung abhob. Eine kon­kre­te Ver­sor­gungs­mög­lich­keit, näm­lich die seit ca. 20 Jah­ren am Markt eta­blier­te DAFO, wur­de von Sebas­ti­an Küp­per (OT Sie­ben­eck, Müns­ter) inten­si­ver beleuch­tet. Abschlie­ßend stell­te Stef­fen Matyssek, Lei­tung For­schung und Ent­wick­lung, Tech­ni­sche Ortho­pä­die in Ulm, die erwei­ter­ten Mög­lich­kei­ten in der Pati­en­ten­ver­sor­gung durch moder­ne 3D-Druck­ver­fah­ren vor. Bei allen Vor­tei­len die­ser Tech­nik wur­den aber auch die häu­fig im Detail lau­ern­den Her­aus­for­de­run­gen der genann­ten Ver­fah­ren anschau­lich dargestellt.

Pro­the­tik

Den fina­len The­men­block des dies­jäh­ri­gen Dort­mun­der Sym­po­si­ums eröff­ne­te Prof. Dr. Sieg­mar Blu­men­tritt, der im Juni nach zehn Jah­ren an der Pri­va­ten Fach­hoch­schu­le Göt­tin­gen (PFH) in den Ruhe­stand ging. Er gab einen Ein­blick in die Bio­me­cha­nik des Fußes nach Bein­am­pu­ta­ti­on, indem er die unter­schied­li­chen Vor­aus­set­zun­gen von erhal­te­ner Sei­te und ampu­tier­ter Sei­te gegen­über­stell­te. Anschlie­ßend ver­deut­lich­te Ortho­pä­die­tech­ni­ker-Meis­ter Mar­tin Brehm vom Sani­täts­haus Klein aus Die­burg sehr anschau­lich ein­zel­ne Kon­struk­ti­ons­merk­ma­le und deren Funk­tio­na­li­tät bei Fuß­pro­the­sen. Für das bio­mime­ti­sche, hydrau­li­sche Knö­chel­ge­lenk beschrieb Tor­ben Hen­ne­ke (Blatch­ford, Raun­heim) den kli­ni­schen Anwen­der­nut­zen gegen­über kon­ven­tio­nel­len Car­bon­fe­der­fü­ßen ohne Gelenk. Dass die Zeit bei der Wei­ter­ent­wick­lung der Fuß­pass­tei­le jedoch nicht ste­hen bleibt, ver­an­schau­lich­te der Bei­trag von Ralf Som­mer­mann (Össur, Fre­chen) über die aktu­el­le Ent­wick­lung in der Kon­struk­ti­on von Fuß­pass­tei­len. Den abschlie­ßen­den Blick in die Zukunft der Pro­the­sen­fü­ße gab Mar­tin Pusch von Otto­bock (Duder­stadt), indem er kon­struk­ti­ve Ansät­ze und Gedan­ken­gän­ge auf­zeig­te, die heu­te noch nicht in ihrer Gesamt­heit umsetz­bar sei­en, aber viel­leicht schon in naher Zukunft die Mög­lich­kei­ten der Anwender:innen erwei­tern könnten.

Im abschlie­ßen­den Resü­mee blick­ten die Ver­an­stal­ter zufrie­den auf eine inhalt­lich und orga­ni­sa­to­risch gelun­ge­ne Ver­an­stal­tung zurück. „An die­ser Stel­le sei noch­mals allen Vor­tra­gen­den für ihre Unter­stüt­zung gedankt“, erklär­te Ste­fan Bier­in­ger im Namen der Ver­an­stal­ter. „Ein beson­de­rer Dank gilt auch den in der Orga­ni­sa­ti­on betei­lig­ten Schüler:innen des aktu­el­len Meis­ter­lehr­gangs, ohne deren tat­kräf­ti­ge Mit­wir­kung, in der Mode­ra­ti­on, der Chat­be­treu­ung und der Tech­nik, die Ver­an­stal­tung nicht so rei­bungs­los hät­te ablau­fen können.“

Das 13. Dort­mun­der Sym­po­si­um mit dem The­ma „Endo-/Exo-Pro­the­tik – Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung und Reha­bi­li­ta­ti­on“ ist für den 23. bis 25. Juni 2022 geplant.

Nor­bert Stock­mann, Lud­ger Last­ring, Ralph Bethmann

 

 

 

Tei­len Sie die­sen Inhalt