Einleitung
Die moderne Kompressionstherapie umfasst mehrere Möglichkeiten: Zu nennen sind insbesondere Kompressions-Wechselverbände, Kompressions-Dauerverbände, Kompressionsstrümpfe und die intermittierende pneumatische Kompression. Am besten evaluiert ist die Wirkung der Kompressionstherapie in Bezug auf das Ulcus cruris. Bereits Ende der 80er Jahre konnte gezeigt werden, dass Mehrkomponentenverbände wirksamer sind als Kompressionsverbände mit zwei Kurzzugbinden 1. Während der Kompressionsdruck unter 4‑Lagen-Verbänden bis zu einer Woche konstant den Ausgangswert beibehält, sinkt der Kompressionsdruck unter Verbänden allein mit Kurzzugbinden von Werten von über 35 mmHg auf 15 mmHg und weniger innerhalb von 8 Stunden ab. Dies geht einher mit einer deutlichen Überlegenheit der 4‑Lagen-Verbände gegenüber Verbänden mit Kurzzugbinden in der Behandlung des Ulcus cruris. Ulzera unter 4‑Lagen-Verbänden brauchen 30 % weniger Zeit bis zur Abheilung als unter Kurzzugverbänden 2.
Seit mehreren Jahren stehen nun Kompressionsstrümpfe verschiedener Hersteller zur Verfügung, die speziell für Patienten mit Ulcera crurum venosa konzipiert sind. Das Grundprinzip bei diesen Strümpfen ist ähnlich: Ein Unterziehstrumpf verhindert das Verrutschen des Wundverbandes, schützt die Haut gegenüber zu viel Reibung beim Anziehen des Kompressionsstrumpfes und dient ferner als Gleitschiene für den eigentlichen Kompressionsstrumpf. Derartige Strümpfe können den Kompressionsdruck dauerhaft konstant halten 3. Entsprechend diesen konstanten Kompressionsdrücken finden sich beim Ulcus cruris höhere Abheilraten unter Strümpfen als unter Bandagen. In einer Metaanalyse von Amsler et al. lag die Heilung unter Strümpfen bei über 64 % innerhalb der Beobachtungszeit, unter Bandagen hingegen nur bei über 46 % 4. Auch die Abheilzeit war unter Strümpfen deutlich kürzer als unter Bandagen – 14 gegenüber 11 Wochen 4.
Verteilung des Kompressionsdrucks bei Kompressionsstrümpfen
Die Höhe des Kompressionsdrucks bei der Kompressionsbehandlung richtet sich in Deutschland nach den Kompressionsklassen (siehe Tab. 1). Der Kompressionsdruck sinkt vom Knöchel zur Leiste hin kontinuierlich ab. Im Bereich der Leiste (G‑Maß) liegt er nur noch bei 20–60 % in Klasse I, bei 20–50 % in Klasse II und bei 20–40 % bei Kompressionsstrümpfen der Klassen III und IV. Praktisch bedeutet dies, dass bei einem Kompressionsstrumpf der Klasse II, der einen Kompressionsdruck beispielsweise von 25 mmHg im B‑Maß aufweist, am Oberschenkel nur noch Druckwerte von 5 mmHg erreicht werden müssen. Derartig niedrige Kompressionsdruckwerte liegen kaum höher als die im Bereich der Gummiabschlüsse bei normalen Feinstrümpfen.
Zu beachten ist bei der Druckverteilung weiterhin, dass der Druck im Bereich des Fußes niedriger ist als im Bereich des Knöchels. Während sonst ein sogenannter degressiver Druckverlauf mit abnehmenden Druckwerten vom Knöchel bis zum Oberschenkel vorliegt, steigt der Kompressionsdruck vom Fuß zum Knöchel hin zunächst an. Bei einem Kompressionsstrumpf der Klasse II mit einem Knöcheldruck von 25 mmHg kann dies bedeuten, dass im Bereich des Vorfußes Druckwerte von etwa 12 mmHg vorliegen 5. Diese niedrigen Druckwerte gelten insbesondere für den Fußrücken und für die Fußsohle, während an den Fußkanten entsprechend dem Laplace-Gesetz bei geringem Radius sehr hohe Druckwerte – durchaus in einer Größenordnung von 40 mmHg bei Klasse-II-Strümpfen – auftreten können. Dies kann zu Schmerzen im Bereich der Fußkante führen. Nicht selten haben Patienten mit Lymphödemen druckinduzierte Schmerzen im Bereich der medialen und lateralen Fußkante und gleichzeitig ein Fußrückenödem, bedingt durch die unterschiedlichen Druckwerte (hohe Druckwerte im Bereich der Fußkante, niedrige Druckwerte im Bereich des Fußrückens). Fasst man diese Druckprobleme der Kompressionstherapie zusammen, finden sich folgende Phänomene:
- ungleichmäßiger Druck auf einer Höhe
- am Bein ventral mehr als lateral
- am Fuß an der Fußkante mehr als am Fußrücken
- Druckanstieg statt Druckabfall vom Fuß zum Knöchel
- minimale Drücke am Fußrücken
- nur geringe Drücke am Oberschenkel
Zunehmender Massageeffekt bei zunehmender Stiffness
Der Begriff „Stiffness”, deutsch „Steifigkeit”, beschreibt das Verhältnis von Arbeitsdruck zu Ruhedruck von Kompressionsmaterialien. Je höher die Steifigkeit/Stiffness des Materials, umso geringer muss die Druckänderung pro cm Dehnungsänderung sein. Was heißt das praktisch?
Bei niedriger Stiffness, also sehr elastischen Materialien, steigt der Druck unter dem Kompressionsverband oder dem Kompressionsstrumpf nur gering an, wenn der Beinumfang steigt, z. B. wenn der Patient von der liegenden in die stehende Position wechselt. Bei hoher Steifigkeit/Stiffness kommt es hingegen bei diesen Positionsänderungen und den damit einhergehenden Umfangsänderungen zu sehr starken Druckanstiegen. Bei jedem Schritt, bei dem die Wadenmuskulatur sich anspannt und entspannt, kommt es zu stark wechselnden Drücken im Bereich der arbeitenden Muskulatur 6. Durch diese wechselnden Drücke entsteht ein Massageeffekt, der Ödeme besonders effektiv beseitigen kann. Die Maßeinheit für Stiffness ist mmHg/cm, also die Druckänderung pro cm Dehnungsänderung 7. Je höher die Differenz zwischen Ruhedruck und Arbeitsdruck, desto höher ist die Stiffness.
Ein gutes Maß für die Effektivität einer Kompressionstherapie in Bezug auf die venöse Funktion ist die sogenannte Ejektionsfraktion. Bei der Ejektionsfraktion wird gemessen, wie viel Prozent des maximal möglichen Venenvolumens durch ein definiertes Bewegungsprogramm abgepumpt werden können. Praktisch erfolgt die Messung so, dass zunächst beim stehenden Probanden/Patienten das Beinvolumen bestimmt wird. Dann wird das Bein eleviert und am hochgestreckten Bein nach dessen Ausstreichen das Beinvolumen bestimmt. Die Differenz ergibt das ausstreichbare Venenvolumen. Schließlich wird bestimmt, wie viel dieses maximalen Volumens durch ein definiertes Bewegungsprogramm abgepumpt werden kann. Diese Ejektionsfraktion liegt bei Gesunden bei etwa 65 %, bei Patienten mit chronischer Veneninsuffizienz dagegen nur bei etwa 32,2 %. Durch das Tragen relativ elastischer Kompressionsstrümpfe mit Kompressionsruhedrücken von etwa 20 mmHg kommt es zu keiner signifikanten Verbesserung der Ejektionsfraktion. Werden jedoch Kompressionsbandagen mit hoher Stiffness angelegt, kommt es auch bei relativ niedrigen Ruhedrücken von 20 mmHg zu einem signifikanten Anstieg der Ejektionsfraktion von etwa 37,75 auf etwa 61,5 % 8. Dies bedeutet aber, dass die Effektivität der Kompressionstherapie nicht nur durch eine Steigerung des Kompressionsdrucks, sondern auch durch die Wahl eines steiferen Materials erhöht werden kann.
Die Kompressionstrumpf-Hersteller bieten hierfür unterschiedliche Qualitäten an. Je nach Schwere des Krankheitsbildes und nach Intensität des Ödems können unterschiedlich steife Materialien gewählt werden. Stricktechnikbedingt haben Flachstrick-Strümpfe in der Regel eine höhere Steifigkeit/Stiffness als Rundstrick-Strümpfe.
Die Eigenschaft der Steifigkeit ist durchaus auch wörtlich zu nehmen. Strümpfe mit einer hohen Steifigkeit/Stiffness haben ein festeres Material. Dies ist insbesondere bei Beinformen mit ausgeprägter Hautfaltenbildung ein wichtiger Aspekt, da zu elastische Kompressionsstrümpfe die Neigung haben, in diesen Hautfalten Abschnürungen zu bilden. Steiferes Material hingegen neigt nicht so dazu, sich in Hautfalten zusammenzuziehen und dort zu Schnürfurchen zu führen. Dies ist ein wichtiger Aspekt, weshalb gerade bei Patienten mit Lymphödemen, die häufig Hautfalten aufweisen, steiferes Material bei den Kompressionsstrümpfen zu wählen ist.
Praktische Konsequenzen
Bei therapierefraktären Ödemen ist es oft sinnvoll, zunächst die Stiffness zu steigern, bevor der Kompressionsdruck bzw. die Kompressionsklasse erhöht wird.
Bei einschneidenden Strümpfen ist oft eine zu geringe Steifigkeit des Materials die Ursache. Abhilfe kann häufig ein Material mit höherer Stiffness bringen; nicht selten kann die Wahl von Flach- statt Rundstrickware das Problem des Einschneidens beseitigen.
Da bei Kompressionsstrümpfen am Fußrücken im Vergleich zur Fußkante oftmals ein geringer Druck herrscht, sollte man am Fußrücken an das Aufpolstern denken und auch den Massageeffekt bei erhöhter Stiffness nutzen.
Oft vergessen wird, dass Kompressionsstrümpfe im Bereich des Oberschenkels nur noch einen geringen Restdruck haben, der bei Klasse-II-Strümpfen oft nur bei etwa 5 mmHg liegt. Insbesondere bei proximal betonten Ödemen kann dieser niedrige Kompressionsdruck in gewissem Maße durch Strumpfversorgung mit ausreichend hoher Stiffness kompensiert werden. Andererseits kann aufgrund der ohnehin geringen Drücke am Oberschenkel gleich auf einen Kniestrumpf zurückgegriffen werden, falls der Druck am Oberschenkel nicht so relevant für den Therapieerfolg ist.
Der Autor:
Prof. Dr. med. Markus Stücker
Klinik für Dermatologie der Ruhr-Universität Bochum
Venenzentrum der Dermatologischen und Gefäßchirurgischen Kliniken/ Ruhr-Universität Bochum
Im St. Maria-Hilf-Krankenhaus
Hiltroper Landwehr 11–13
44805 Bochum
m.stuecker@klinikum-bochum.de
Begutachteter Beitrag/Reviewed paper
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