Medi­zi­ni­sche Kom­pres­si­ons­strümp­fe: Rele­vanz von Kom­pres­si­ons­druck und Stiffness

M. Stücker
Die Bedeutung des Kompressionsdrucks in der Kompressionstherapie ist weithin akzeptiert. Ein wesentlicher Vorteil von Kompressionsstrümpfen im Vergleich zu Bandagen besteht darin, dass damit ein konstanter Kompressionsdruck gehalten wird und es nicht zu einem Abfall des Kompressionsdrucks während der Anwendung kommt. Weniger Berücksichtigung findet die Steifigkeit („Stiffness") des Kompressionsmaterials. Während der Kompressionsdruck in der Verordnung des Arztes durch die Angabe der Kompressionsklasse relativ einfach vorgegeben werden kann, gibt es für die Stiffness des Kompressionsmaterials keine einfache Möglichkeit einer präzisen Verordnung. Trotzdem sollte die Stiffness des Kompressionsmaterials stärkere Berücksichtigung finden. Insbesondere bei therapieresistenten Ödemen kann die Effektivität der Kompressionstherapie nämlich häufig allein dadurch gesteigert werden, dass bei konstantem Ruhedruck durch eine erhöhte Steifigkeit des Materials ein stärkerer Massageeffekt erreicht wird. Dieser Massageeffekt steigt mit zunehmender Differenz zwischen Ruhedruck und Arbeitsdruck bzw. mit zunehmender Steifigkeit des Materials. Dieser Artikel weist auf die Möglichkeiten der Therapieoptimierung durch die Auswahl geeigneter Kompressionsmaterialien hin.

Ein­lei­tung

Die moder­ne Kom­pres­si­ons­the­ra­pie umfasst meh­re­re Mög­lich­kei­ten: Zu nen­nen sind ins­be­son­de­re Kom­pres­si­ons-Wech­sel­ver­bän­de, Kom­pres­si­ons-Dau­er­ver­bän­de, Kom­pres­si­ons­strümp­fe und die inter­mit­tie­ren­de pneu­ma­ti­sche Kom­pres­si­on. Am bes­ten eva­lu­iert ist die Wir­kung der Kom­pres­si­ons­the­ra­pie in Bezug auf das Ulcus cru­ris. Bereits Ende der 80er Jah­re konn­te gezeigt wer­den, dass Mehr­kom­po­nen­ten­ver­bän­de wirk­sa­mer sind als Kom­pres­si­ons­ver­bän­de mit zwei Kurz­zug­bin­den 1. Wäh­rend der Kom­pres­si­ons­druck unter 4‑La­gen-Ver­bän­den bis zu einer Woche kon­stant den Aus­gangs­wert bei­be­hält, sinkt der Kom­pres­si­ons­druck unter Ver­bän­den allein mit Kurz­zug­bin­den von Wer­ten von über 35 mmHg auf 15 mmHg und weni­ger inner­halb von 8 Stun­den ab. Dies geht ein­her mit einer deut­li­chen Über­le­gen­heit der 4‑La­gen-Ver­bän­de gegen­über Ver­bän­den mit Kurz­zug­bin­den in der Behand­lung des Ulcus cru­ris. Ulzera unter 4‑La­gen-Ver­bän­den brau­chen 30 % weni­ger Zeit bis zur Abhei­lung als unter Kurz­zug­ver­bän­den 2.

Anzei­ge

Seit meh­re­ren Jah­ren ste­hen nun Kom­pres­si­ons­strümp­fe ver­schie­de­ner Her­stel­ler zur Ver­fü­gung, die spe­zi­ell für Pati­en­ten mit Ulcera crurum veno­sa kon­zi­piert sind. Das Grund­prin­zip bei die­sen Strümp­fen ist ähn­lich: Ein Unter­zieh­strumpf ver­hin­dert das Ver­rut­schen des Wund­ver­ban­des, schützt die Haut gegen­über zu viel Rei­bung beim Anzie­hen des Kom­pres­si­ons­strump­fes und dient fer­ner als Gleit­schie­ne für den eigent­li­chen Kom­pres­si­ons­strumpf. Der­ar­ti­ge Strümp­fe kön­nen den Kom­pres­si­ons­druck dau­er­haft kon­stant hal­ten 3. Ent­spre­chend die­sen kon­stan­ten Kom­pres­si­ons­drü­cken fin­den sich beim Ulcus cru­ris höhe­re Abheil­ra­ten unter Strümp­fen als unter Ban­da­gen. In einer Meta­ana­ly­se von Ams­ler et al. lag die Hei­lung unter Strümp­fen bei über 64 % inner­halb der Beob­ach­tungs­zeit, unter Ban­da­gen hin­ge­gen nur bei über 46 % 4. Auch die Abheil­zeit war unter Strümp­fen deut­lich kür­zer als unter Ban­da­gen – 14 gegen­über 11 Wochen 5.

Ver­tei­lung des Kom­pres­si­ons­drucks bei Kompressionsstrümpfen

Die Höhe des Kom­pres­si­ons­drucks bei der Kom­pres­si­ons­be­hand­lung rich­tet sich in Deutsch­land nach den Kom­pres­si­ons­klas­sen (sie­he Tab. 1). Der Kom­pres­si­ons­druck sinkt vom Knö­chel zur Leis­te hin kon­ti­nu­ier­lich ab. Im Bereich der Leis­te (G‑Maß) liegt er nur noch bei 20–60 % in Klas­se I, bei 20–50 % in Klas­se II und bei 20–40 % bei Kom­pres­si­ons­strümp­fen der Klas­sen III und IV. Prak­tisch bedeu­tet dies, dass bei einem Kom­pres­si­ons­strumpf der Klas­se II, der einen Kom­pres­si­ons­druck bei­spiels­wei­se von 25 mmHg im B‑Maß auf­weist, am Ober­schen­kel nur noch Druck­wer­te von 5 mmHg erreicht wer­den müs­sen. Der­ar­tig nied­ri­ge Kom­pres­si­ons­druck­wer­te lie­gen kaum höher als die im Bereich der Gum­mi­ab­schlüs­se bei nor­ma­len Feinstrümpfen.

Zu beach­ten ist bei der Druck­ver­tei­lung wei­ter­hin, dass der Druck im Bereich des Fußes nied­ri­ger ist als im Bereich des Knö­chels. Wäh­rend sonst ein soge­nann­ter degres­si­ver Druck­ver­lauf mit abneh­men­den Druck­wer­ten vom Knö­chel bis zum Ober­schen­kel vor­liegt, steigt der Kom­pres­si­ons­druck vom Fuß zum Knö­chel hin zunächst an. Bei einem Kom­pres­si­ons­strumpf der Klas­se II mit einem Knö­chel­druck von 25 mmHg kann dies bedeu­ten, dass im Bereich des Vor­fu­ßes Druck­wer­te von etwa 12 mmHg vor­lie­gen 6. Die­se nied­ri­gen Druck­wer­te gel­ten ins­be­son­de­re für den Fuß­rü­cken und für die Fuß­soh­le, wäh­rend an den Fuß­kan­ten ent­spre­chend dem Laplace-Gesetz bei gerin­gem Radi­us sehr hohe Druck­wer­te – durch­aus in einer Grö­ßen­ord­nung von 40 mmHg bei Klas­se-II-Strümp­fen – auf­tre­ten kön­nen. Dies kann zu Schmer­zen im Bereich der Fuß­kan­te füh­ren. Nicht sel­ten haben Pati­en­ten mit Lymph­öde­men druck­in­du­zier­te Schmer­zen im Bereich der media­len und late­ra­len Fuß­kan­te und gleich­zei­tig ein Fuß­rü­cken­ödem, bedingt durch die unter­schied­li­chen Druck­wer­te (hohe Druck­wer­te im Bereich der Fuß­kan­te, nied­ri­ge Druck­wer­te im Bereich des Fuß­rü­ckens). Fasst man die­se Druck­pro­ble­me der Kom­pres­si­ons­the­ra­pie zusam­men, fin­den sich fol­gen­de Phänomene:

  • ungleich­mä­ßi­ger Druck auf einer Höhe
  • am Bein ven­tral mehr als lateral
  • am Fuß an der Fuß­kan­te mehr als am Fußrücken
  • Druck­an­stieg statt Druck­ab­fall vom Fuß zum Knöchel
  • mini­ma­le Drü­cke am Fußrücken
  • nur gerin­ge Drü­cke am Oberschenkel

Zuneh­men­der Mas­sa­ge­ef­fekt bei zuneh­men­der Stiffness

Der Begriff „Stiff­ness”, deutsch „Stei­fig­keit”, beschreibt das Ver­hält­nis von Arbeits­druck zu Ruhe­druck von Kom­pres­si­ons­ma­te­ria­li­en. Je höher die Steifigkeit/Stiffness des Mate­ri­als, umso gerin­ger muss die Druck­än­de­rung pro cm Deh­nungs­än­de­rung sein. Was heißt das praktisch?

Bei nied­ri­ger Stiff­ness, also sehr elas­ti­schen Mate­ria­li­en, steigt der Druck unter dem Kom­pres­si­ons­ver­band oder dem Kom­pres­si­ons­strumpf nur gering an, wenn der Bein­um­fang steigt, z. B. wenn der Pati­ent von der lie­gen­den in die ste­hen­de Posi­ti­on wech­selt. Bei hoher Steifigkeit/Stiffness kommt es hin­ge­gen bei die­sen Posi­ti­ons­än­de­run­gen und den damit ein­her­ge­hen­den Umfangs­än­de­run­gen zu sehr star­ken Druck­an­stie­gen. Bei jedem Schritt, bei dem die Waden­mus­ku­la­tur sich anspannt und ent­spannt, kommt es zu stark wech­seln­den Drü­cken im Bereich der arbei­ten­den Mus­ku­la­tur 7. Durch die­se wech­seln­den Drü­cke ent­steht ein Mas­sa­ge­ef­fekt, der Öde­me beson­ders effek­tiv besei­ti­gen kann. Die Maß­ein­heit für Stiff­ness ist mmHg/cm, also die Druck­än­de­rung pro cm Deh­nungs­än­de­rung 8. Je höher die Dif­fe­renz zwi­schen Ruhe­druck und Arbeits­druck, des­to höher ist die Stiffness.

Ein gutes Maß für die Effek­ti­vi­tät einer Kom­pres­si­ons­the­ra­pie in Bezug auf die venö­se Funk­ti­on ist die soge­nann­te Ejek­ti­ons­frak­ti­on. Bei der Ejek­ti­ons­frak­ti­on wird gemes­sen, wie viel Pro­zent des maxi­mal mög­li­chen Venen­vo­lu­mens durch ein defi­nier­tes Bewe­gungs­pro­gramm abge­pumpt wer­den kön­nen. Prak­tisch erfolgt die Mes­sung so, dass zunächst beim ste­hen­den Probanden/Patienten das Bein­vo­lu­men bestimmt wird. Dann wird das Bein ele­viert und am hoch­ge­streck­ten Bein nach des­sen Aus­strei­chen das Bein­vo­lu­men bestimmt. Die Dif­fe­renz ergibt das aus­streich­ba­re Venen­vo­lu­men. Schließ­lich wird bestimmt, wie viel die­ses maxi­ma­len Volu­mens durch ein defi­nier­tes Bewe­gungs­pro­gramm abge­pumpt wer­den kann. Die­se Ejek­ti­ons­frak­ti­on liegt bei Gesun­den bei etwa 65 %, bei Pati­en­ten mit chro­ni­scher Venen­in­suf­fi­zi­enz dage­gen nur bei etwa 32,2 %. Durch das Tra­gen rela­tiv elas­ti­scher Kom­pres­si­ons­strümp­fe mit Kom­pres­si­ons­ru­he­drü­cken von etwa 20 mmHg kommt es zu kei­ner signi­fi­kan­ten Ver­bes­se­rung der Ejek­ti­ons­frak­ti­on. Wer­den jedoch Kom­pres­si­ons­ban­da­gen mit hoher Stiff­ness ange­legt, kommt es auch bei rela­tiv nied­ri­gen Ruhe­drü­cken von 20 mmHg zu einem signi­fi­kan­ten Anstieg der Ejek­ti­ons­frak­ti­on von etwa 37,75 auf etwa 61,5 % 9. Dies bedeu­tet aber, dass die Effek­ti­vi­tät der Kom­pres­si­ons­the­ra­pie nicht nur durch eine Stei­ge­rung des Kom­pres­si­ons­drucks, son­dern auch durch die Wahl eines stei­fe­ren Mate­ri­als erhöht wer­den kann.

Die Kom­pres­si­ons­trumpf-Her­stel­ler bie­ten hier­für unter­schied­li­che Qua­li­tä­ten an. Je nach Schwe­re des Krank­heits­bil­des und nach Inten­si­tät des Ödems kön­nen unter­schied­lich stei­fe Mate­ria­li­en gewählt wer­den. Strick­tech­nik­be­dingt haben Flachstrick-Strümp­fe in der Regel eine höhe­re Steifigkeit/Stiffness als Rundstrick-Strümpfe.

Die Eigen­schaft der Stei­fig­keit ist durch­aus auch wört­lich zu neh­men. Strümp­fe mit einer hohen Steifigkeit/Stiffness haben ein fes­te­res Mate­ri­al. Dies ist ins­be­son­de­re bei Beinfor­men mit aus­ge­präg­ter Haut­fal­ten­bil­dung ein wich­ti­ger Aspekt, da zu elas­ti­sche Kom­pres­si­ons­strümp­fe die Nei­gung haben, in die­sen Haut­fal­ten Abschnü­run­gen zu bil­den. Stei­fe­res Mate­ri­al hin­ge­gen neigt nicht so dazu, sich in Haut­fal­ten zusam­men­zu­zie­hen und dort zu Schnür­fur­chen zu füh­ren. Dies ist ein wich­ti­ger Aspekt, wes­halb gera­de bei Pati­en­ten mit Lymph­öde­men, die häu­fig Haut­fal­ten auf­wei­sen, stei­fe­res Mate­ri­al bei den Kom­pres­si­ons­strümp­fen zu wäh­len ist.

Prak­ti­sche Konsequenzen

Bei the­ra­pie­re­frak­tä­ren Öde­men ist es oft sinn­voll, zunächst die Stiff­ness zu stei­gern, bevor der Kom­pres­si­ons­druck bzw. die Kom­pres­si­ons­klas­se erhöht wird.

Bei ein­schnei­den­den Strümp­fen ist oft eine zu gerin­ge Stei­fig­keit des Mate­ri­als die Ursa­che. Abhil­fe kann häu­fig ein Mate­ri­al mit höhe­rer Stiff­ness brin­gen; nicht sel­ten kann die Wahl von Flach- statt Rund­strick­wa­re das Pro­blem des Ein­schnei­dens beseitigen.

Da bei Kom­pres­si­ons­strümp­fen am Fuß­rü­cken im Ver­gleich zur Fuß­kan­te oft­mals ein gerin­ger Druck herrscht, soll­te man am Fuß­rü­cken an das Auf­pols­tern den­ken und auch den Mas­sa­ge­ef­fekt bei erhöh­ter Stiff­ness nutzen.

Oft ver­ges­sen wird, dass Kom­pres­si­ons­strümp­fe im Bereich des Ober­schen­kels nur noch einen gerin­gen Rest­druck haben, der bei Klas­se-II-Strümp­fen oft nur bei etwa 5 mmHg liegt. Ins­be­son­de­re bei pro­xi­mal beton­ten Öde­men kann die­ser nied­ri­ge Kom­pres­si­ons­druck in gewis­sem Maße durch Strumpf­ver­sor­gung mit aus­rei­chend hoher Stiff­ness kom­pen­siert wer­den. Ande­rer­seits kann auf­grund der ohne­hin gerin­gen Drü­cke am Ober­schen­kel gleich auf einen Knie­strumpf zurück­ge­grif­fen wer­den, falls der Druck am Ober­schen­kel nicht so rele­vant für den The­ra­pie­er­folg ist.

Der Autor:
Prof. Dr. med. Mar­kus Stücker
Kli­nik für Der­ma­to­lo­gie der Ruhr-Uni­ver­si­tät Bochum
Venen­zen­trum der Der­ma­to­lo­gi­schen und Gefäß­chir­ur­gi­schen Kliniken/ Ruhr-Uni­ver­si­tät Bochum
Im St. Maria-Hilf-Krankenhaus
Hil­tro­per Land­wehr 11–13
44805 Bochum
m.stuecker@klinikum-bochum.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
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