Einleitung
Frühere Studien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 haben bereits die Effektivität von Rumpforthesen aufgezeigt; dennoch wird die Gesamtwirkung von Rumpforthesen bis heute unterschiedlich diskutiert 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20. Moderne Materialien und die Weiterentwicklung der Orthesentypen konnten die Funktionalität der Orthesen stetig verbessern. Ein modulares System mit therapeutischem Abschulungskonzept könnte der nächste entscheidende Schritt sein, sodass der Patient zu Beginn der Therapie so viel Unterstützung wie möglich bzw. wie erforderlich erhält 16 21 22. Dabei kann während des natürlichen Heilungsprozesses der Grad der Stabilisierung und der Immobilisierung sukzessive angepasst und die Orthese nach und nach abgebaut bzw. abgeschult werden.
Während der Therapie, z. B. einer Physiotherapie, sollte der Patient eine geeignete Orthese tragen, die sich seinem stetig zunehmenden Stabilisierungsgrad anpasst 15 21 22. Modulare Orthesensysteme sollten idealerweise über verschiedene Stufen abschulbar sein, um den Körper darin zu unterstützen, den eigenen Stützapparat wieder zunehmend zu nutzen. Folglich sollten Lumbalorthesen in der ersten Phase der Therapie nicht nur aus einer einzelnen stabilisierenden Komponente bestehen, sondern außerdem die Möglichkeit der Reduktion bieten, um den individuell betroffenen Bereichen der LWS Unterstützung während der therapeutisch korrekten Abschulung zu bieten 16 21 22.
Materialien und Methoden
Patienten und Studiendesign
Die hier vorgestellte Studie folgte einem prospektiven randomisierten experimentellen Design mit Patienten, die aufgrund chronischer oder persistierender Lumbalgie oder Lumboischialgie eine Orthese gemäß Indikationsrichtlinien für Wirbelsäulenorthesen nach Krämer et al. 23 verordnet bekamen. Nach der Diagnose durch einen orthopädischen Facharzt wurde eine der drei folgenden Orthesentypen der TIGGES-Zours GmbH verordnet und auf Wirksamkeit geprüft:
- TIGGES-Lumbalorthese (2‑Stufen-Therapie)
- Überbrückungsorthese T‑FLEX B (3‑Stufen-Therapie)
- Flexionsorthese T‑FLEX (4‑Stufen-Therapie)
Die TIGGES-Lumbalorthese verfügt über eine 6‑gliedrige Rückenpelotte, die in der zweiten Stufe zu einer 4‑gliedrigen abgebaut wird. Die beiden anderen Orthesen haben einen Rahmen, der zunächst mit starren Metallstäben – beim Modell T‑FLEX in der ersten Stufe zusätzlich mit Abdomenpelotte – versehen wird. In der zweiten Stufe werden die Metallstäbe durch flexible Stäbe ersetzt. Die T‑FLEX-Orthese kann in der dritten Stufe zu einem Kreuzstützmieder-Pendant abgebaut werden. In der jeweils letzten Stufe verbleibt sowohl bei der Überbrückungs- als auch bei der Flexionsorthese eine Lumbalbandage mit Pelotte und Unterstützungsgurt (Abb. 1a–c).
Für alle drei Orthesentypen wurden die Patienten prospektiv randomisiert und mit Hilfe der Zufallszahlentabelle in zwei Gruppen eingeteilt 19. Alle drei abschulbaren Orthesen wurden mit den entsprechenden Versionen ohne Abschulung verglichen. Somit bestand jede Orthesengruppe aus zwei Untergruppen. Die Randomisierung mündete dementsprechend in drei Gruppen mit jeweils zwei Untergruppen.
Die verschiedenen Gruppen unterschieden sich zum Zeitpunkt t0 nicht signifikant voneinander (erste Messung zum Zeitpunkt t0) (Tab. 1–3). Es ist also davon auszugehen, dass das Randomisierungsprinzip erfolgreich war. Für jeden Orthesentyp wurden stichprobenartig Patienten ausgewählt, eine Orthese 6 Wochen lang zu tragen und sie anschließend vollständig abzunehmen oder sie nach 3 Wochen sukzessive abzuschulen, je nach den Vorgaben des Wirbelsäulenspezialisten 16 21 22 23. Nach 6 Wochen (t1) wurde bei allen Patienten aller Gruppen die Orthese abgeschult. Da frühere Studien die Effektivität der Orthesen bereits aufgezeigt hatten, die in dieser Studie verwendet wurden 1 2 3 5 6 7 8 9 12 13 14 15 16 17 18 19 24 25, gab es keine randomisierte Gruppe ohne Orthese. Eine Kontrollgruppe ohne Orthese wurde als unethisch verworfen. Darüber hinaus galt der Nutzen des Placebo-Effekts als nicht plausibel in dieser Studie, weswegen ein doppelblindes Design nicht umgesetzt werden konnte.
Nach einer detaillierten Erklärung über den Typ und das Ziel der Studie wurden die Patienten im Anschluss an ihre Zustimmung in die Studie eingeschlossen. Für alle Auswertungen wurde die erste Messung (t0) zum Zeitpunkt der Diagnosestellung und vor der Versorgung mittels Lumbalorthese vorgenommen. Die zweite Messung zum Zeitpunkt t1 wurde nach 6 Wochen durchgeführt und alle Daten erneut mittels Fragebögen und klinischer Untersuchung durch Fachärzte erhoben. Die dritte und letzte Messung und Datenerhebung erfolgte in völlig identischer Weise zum Zeitpunkt t2 nach 12 Wochen.
Interventionen und Evaluationen
Alle drei Wirbelsäulenorthesentypen können therapeutisch korrekt über einen 2‑, 3- oder 4‑Stufen-Prozess abgeschult werden. Sie sind durch Hinzufügen oder Abbau von Elementen schrittweise umwandelbar. Die Lumbalorthese kann in einem 2‑Stufen-Prozess genutzt werden, indem die Pelotte (sechsgliedrig) im zweiten Schritt in eine flexible viergliedrige Pelotte zurückgebildet werden kann. Die Überbrückungsorthese ist mit einem dorsalen Überbrückungsrahmen ausgestattet. Im zweiten Schritt werden die starren Schienen gegen flexible Schienen ausgetauscht; im dritten Schritt wird statt des dorsalen Überbrückungsrahmens eine flexible viergliedrige Pelotte eingesetzt. Bei der Flexionsorthese gibt es als zusätzliches Element eine ventrale Abdomenpelotte. Bei dieser Orthese gehört das Entfernen der ventralen Abdomenpelotte ebenso wie der Austausch der starren durch flexible Schienen zum zweiten Schritt. Im dritten Schritt wird das dorsale Überbrückungselement gegen eine starre sechsgliedrige Pelotte ausgetauscht, die im letzten Schritt durch eine flexible viergliedrige Pelotte ausgewechselt wird.
Zum Zeitpunkt der Messungen (t0, t1, t2) beantwortete jeder Patient Fragen in Bezug auf folgende Aspekte in Form standardisierter Fragebögen:
- Schmerzintensität, basierend auf der Numerischen Rating-Skala (NRS),
- Funktionseinschränkungen im Alltag (Oswestry Low Back Pain Disability Questionnaire [ODQ]) 26,
- Nutzungshäufigkeit der Orthese,
- subjektive Wirksamkeit und
- subjektive Effektivität.
Ab dem Zeitpunkt t0 wurden die Patienten angewiesen, zu Hause ein Schmerztagebuch über die gesamte Dauer der Studie zu führen (Tab. 4), das regelmäßig kontrolliert wurde.
Statistische Analyse
Die Messergebnisse (Schmerzintensität, Funktionseinschränkungen im Alltag, Nutzungshäufigkeit der Orthese, subjektive Wirksamkeit, subjektive Effektivität) wurden auf signifikante Unterschiede zwischen den modularen (mit Abschulungsfunktion) und den nichtmodularen Orthesengruppen (ohne Abschulung) zu den Zeitpunkten t0, t1 und t2 für jeden Orthesentyp geprüft. Für die Analyse der intervall- und proportional skalierten Variablen wurde der t‑Test für unabhängige Stichproben eingesetzt, für nominalskalierte Variablen wurde der Chi-Quadrat-Test verwendet, während die ordinalskalierten Variablen mit Hilfe des Mann-Whitney-U-Tests analysiert wurden. Zum Nachweis statistischer Signifikanz wurde der t‑Test für unabhängige Stichproben für alle intervall- und proportional skalierten Variablen verwendet. Für ordinalskalierte Variablen wurde der Wilcoxon-Test genutzt. Resultate mit p ≤ 0,05 wurden als signifikant angesehen. Alle Datenerhebungen und Auswertungen erfolgten anonym mittels SPSS durch unabhängige Statistiker im Institut für Wirbelsäulenforschung Bochum.
Ergebnisse
Patienten
Insgesamt konnten die Ergebnisse von 230 Patienten vollständig und valide ausgewertet werden. Die Stichprobe der Gruppe mit Lumbalorthese bestand aus 59 Patienten, wovon 21 zur ersten Gruppe der nichtmodularen Orthesen ohne und 38 zur zweiten Gruppe mit modularen Orthesen mit Abschulungsfunktion gehörten. Die unterschiedliche Gruppengröße erklärt sich aus unterschiedlichen Abbruchraten, die aber als orthesentypunabhängig erfasst wurden, z. B. durch Umzug des Patienten, inkomplette Fragebögen oder andere Umstände, die zum Ausschluss aus der Studie führten. Die Geschlechterverteilung wurde mit Hilfe des Chi-Quadrat-Tests geprüft und unterschied sich nicht signifikant (Tab. 5). Das Durchschnittsalter betrug 53,29 Jahre (SD 13,83) in der ersten und 50,66 (SD 14,93) in der zweiten Gruppe, was laut t‑Test keine signifikante Differenz darstellt – die Gruppen unterschieden sich also zu Beginn der Studie in allen relevanten Merkmalen nicht signifikant.
Die gesamte Stichprobe der Patienten mit Überbrückungsorthesen bestand aus 69 Patienten, von denen 35 zur Gruppe ohne Abschulungsfunktion und 34 zur Gruppe mit Abschulungsfunktion zählten. Das Durchschnittsalter betrug 53,31 Jahre (SD 9,77) in der ersten und 48,29 (SD 13,28) in der zweiten Gruppe. Der Unterschied war auch hier nicht signifikant.
Die Gesamtstichprobe der Patienten mit Flexionsorthese bestand aus 102 Patienten; davon zählten 49 zur Orthesengruppe ohne und 53 zur Orthesengruppe mit Abschulungsfunktion. Das Durchschnittsalter betrug 52,71 Jahre (SD 13,19) in der ersten und 51,23 (SD 16,35) in der zweiten Gruppe. Der t‑Test für unabhängige Stichproben ergab keine signifikanten Differenzen. Nebenwirkungen oder unerwünschte Wirkungen während der Behandlung mit Orthesen traten zu keinem Zeitpunkt und in keiner Stichprobe auf.
Gesamtstichprobe mit Lumbalorthese
Über den beobachteten Behandlungszeitraum wurde bei beiden mit Lumbalorthesen therapierten Gruppen (mit und ohne Abschulungsfunktion) eine Verbesserung der Beschwerden dokumentiert. Im Oswestry Score (ODQ) reduzierten sich die Funktionsdefizite zwischen dem Beginn der Studie (t0) und nach sechs Wochen (t1) in beiden Gruppen. Die Differenz zwischen beiden Gruppen war signifikant zugunsten der Gruppe mit Abschulung (p <0,001); hier erfolgte eine deutlichere Reduktion der Funktionsdefizite im Alltag. Zwischen den Zeitpunkten t1 und t2 wurden keine weiteren signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen beobachtet.
Bei der Abschulungsgruppe stieg der Funktionsgrad zwischen t0 und t1 (p <0,001) sowie zwischen t1 und t2 (p <0,001) ebenfalls signifikant an. Dargestellt sind diese Ergebnisse in Abbildung 2. Insgesamt war die Schmerzreduktion für beide Gruppen signifikant; der p‑Wert (p <0,001) war für beide Gruppen zwischen t0 und t1 identisch. Die Schmerzreduktion in der Abschulungsgruppe war mit einem Wert von p <0,001 ebenfalls signifikant. Signifikanz bestand auch bei der Schmerzreduktion in der Gruppe ohne Abschulung, allerdings mit einem Wert von p <0,05 (Tab. 6). Die Schmerzintensität laut Numerischer Rating-Skala (NRS) und die Funktionseinschränkungen im Alltag (ODQ) unterschieden sich zwischen t1 und t2 in den beiden Gruppen nicht. Die Tragehäufigkeit (von „täglich“ bis „nie“) und die subjektive Wirksamkeit (von „sehr gut“ bis „keine“) waren zwischen den beiden Gruppen zum Zeitpunkt t1 zugunsten der Abschulungsgruppe signifikant verschieden (p <0,001), während das subjektive Befinden (von „beschwerdefrei“ bis „verschlechtert“) zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich war. Die Compliance (von „sehr gut“ bis „unbefriedigend“) war in beiden Gruppen „gut“ oder „sehr gut“. Zum Zeitpunkt t2 konnten keine weiteren signifikanten Unterschiede festgestellt werden.
Gesamtstichprobe mit Überbrückungsorthese
Bei Patienten, die eine Überbrückungsorthese trugen, zeigte sich ein signifikant positiver Effekt auf Schmerzintensität und Funktionseinschränkung. Funktionsdefizite konnten von t0 zu t1 und von t1 zu t2 (p <0,001) in der Gruppe ohne Abschulungsfunktion signifikant verringert werden. In der Abschulungsgruppe verringerten sich die Funktionsdefizite von t0 zu t1 (p <0,001) und von t1 zu t2 bei einem p‑Wert von p < 0,01 signifikant (Abb. 3). Der Vergleich der beiden Gruppen zeigt dieselben signifikanten Unterschiede (Tab. 7) In der achten, neunten und zehnten Woche berichteten die Patienten der Abschulungsgruppe über eine signifikant höhere Schmerzreduktion verglichen mit der anderen Gruppe (p <0,001).
Für diese Orthesen konnte ein signifikanter Unterschied bezüglich Nutzungshäufigkeit und subjektiver Wirksamkeit zwischen den beiden Gruppen beobachtet werden, und zwar bei einem p‑Wert von p <0,001 zum Zeitpunkt t1 – ähnlich wie bei der Gruppe mit Lumbalorthesen. Die Abschulungsgruppe zeigte größere positive Effekte. Für diese Orthese konnten zum Zeitpunkt t1 keine signifikanten Unterschiede bezüglich der subjektiven Effektivität zwischen den beiden Gruppen nachgewiesen werden.
Zum Zeitpunkt t2 bestand bei der Abschulungsgruppe eine signifikant bessere Wirksamkeit (p <0,001), verglichen mit der Gruppe ohne Abschulungsfunktion. Für alle anderen Variablen konnten keine weiteren signifikanten Unterschiede zum Zeitpunkt t2 nachgewiesen werden.
Gesamtstichprobe mit Flexionsorthese
Für den ODQ konnte in beiden Gruppen ein positiver Behandlungseffekt aufgezeigt werden (Signifikanz p <0,001). Während der Behandlung zeigte sich der positive Effekt sowohl von t0 zu t1 als auch von t1 zu t2 mit einer Signifikanz von p <0,001. Der positive Effekt konnte während des gesamten Beobachtungszeitraums ohne signifikante Unterschiede in den beiden Gruppen dokumentiert werden (Tab. 8).
Insgesamt konnte eine signifikante Schmerzreduktion für beide Gruppen aufgezeigt werden, allerdings bestand bei Patienten mit Flexionsorthese der Abschulungsgruppe bereits nach vier Wochen Behandlungszeit eine signifikante Schmerzreduktion auf einem Niveau von p <0,001, verglichen mit der Gruppe ohne Abschulung. In der fünften und sechsten Woche glichen sich diese Kriterien wieder an.
In den Wochen 7 bis 10 – den Wochen unmittelbar nach der vollständigen Entfernung der Orthesen – war der Schmerz, gemessen anhand der täglichen Schmerztagebücher, in der Abschulungsgruppe signifikant verringert (p <0,001). Während Woche 11 blieb die Schmerzlinderung mit einem p‑Wert von p <0,05 signifikant, bis sich beide Gruppen in Woche 12 wieder annäherten (Abb. 4).
Die anderen Messergebnisse bezüglich Nutzungshäufigkeit, subjektiver Wirksamkeit und subjektiver Effektivität waren zum Zeitpunkt t1 in der Abschulungsgruppe verglichen mit der nichtmodularen Gruppe signifikant besser (p = 0,01; p <0,001; p <0,05). ORTHOPÄDIE TECHNIK 01/20 Die Effekte hielten über den Behandlungszeitraum an, und es konnte eine statistisch signifikante Verbesserung auch zum Zeitpunkt t2 nachgewiesen werden. Hinsichtlich der anderen Variablen konnten keine weiteren signifikanten Unterschiede zwischen der Abschulungsgruppe und der Gruppe ohne Abschulung festgestellt werden.
Diskussion
Die Ergebnisse der Studie bestätigen die Effektivität von Lumbalorthesen bei Lumbalgie und Lumboischialgie und belegen eine Reduktion der Schmerzintensität sowie eine Verbesserung des Funktionsgrades im Alltag, wie auch schon in früheren Studien – z. B. Gutenbrunner 2001 6, Schott 2014 16, Schott et al. 2015 17 u. a. – gezeigt wurde. Patienten aus beiden Gruppen beurteilten die Effektivität der beschriebenen Orthesen als „gut“ bis „sehr gut“. Nebenwirkungen wurden nicht erwartet und traten auch nicht auf; diese Beobachtungen entsprechen denen aus der Literatur 10 11 27.
Die Lumbalorthesen der Abschulungsgruppe hatten einen signifikanten Vorteil bezüglich Nutzungshäufigkeit und subjektiver Wirksamkeit zum Zeitpunkt t1, also sechs Wochen nach Therapiestart. Für alle anderen Messergebnisse waren keine signifikanten Unterschiede messbar, was sich möglicherweise damit erklären lässt, dass nur minimale Veränderungen (minimale Reduktionen) während der Abschulung vorgenommen wurden 28 24. Auf den ersten Blick erscheinen die Zwei-Stufen-Orthesen zwar weniger effektiv als die Drei- und Vier-Stufen-Orthesen, allerdings darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass aufgrund der unterschiedlichen Indikationen für die verschiedenen Orthesentypen das Krankheitsbild bei den höherstufigen Orthesen in der Regel schwerer und das Genesungspotenzial im Vergleich höher ist – der therapeutische Vorteil der drei- und vierstufigen Abschulung zeigt sich hier deutlich. Die dreistufige Überbrückungsorthese hat einen zusätzlichen signifikanten Vorteil bezüglich Schmerzreduktion und Funktionsgrad. Der maximale Nutzen wurde mit der Verordnung der vierstufigen Flexionsorthese erzielt. Bei Patienten mit Flexionsorthese wurde die Schmerzintensität in 4 Wochen (eine Woche nach Beginn der Abschulung) signifikant reduziert, allerdings nur in der Abschulungsgruppe. In der 5. und 6. Woche gab es keinen signifikanten Unterschied mehr zwischen den beiden Gruppen. Dennoch erfolgte eine signifikante Schmerzreduktion innerhalb der jeweiligen Gruppen bezogen auf die Messzeitpunkte t0 und t2, wahrscheinlich durch den normalen Heilungsprozess während der 12 Wochen der Studie.
Die größte Differenz bei der Schmerzreduktion konnte zwischen den beiden Gruppen nach der Entfernung der Orthesen aufgezeigt werden: Hier stieg die Schmerzintensität in der Gruppe ohne Abschulung wieder signifikant an, um dann nach 12 Wochen (t2) erneut angeglichen zu sein. Diese Feststellung stützt die häufig geäußerte Kritik, dass gewöhnliche Orthesen ohne Abschulungsfunktion zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb der Therapie zu einer Überbehandlung führen können, indem sie weiterhin Funktionen des Stütz- und Bewegungsapparates übernehmen, auch wenn der natürliche Heilungsprozess schon deutlich fortgeschritten ist 15 16. Die plötzliche Entfernung der Orthese führt dann zu einer akuten Überbelastung des Stütz- und Bewegungsapparates, was zu einer kurzzeitigen Schmerzerhöhung führt 17.
Darüber hinaus zeigte sich bei den Patienten der Orthesengruppe mit Abschulungsfunktion eine höhere Patientenzufriedenheit und eine größere Nutzungshäufigkeit. Eine abschulbare Lumbalorthese führte zu einer stärkeren Verbesserung im Oswestry Score (ODQ) als die nicht abschulbaren Lumbalorthesen. Der für diese Differenz der Ergebnisse möglicherweise verantwortliche Mechanismus ist vermutlich die frühere Reduktion der Verspannung und der Immobilisation.
Obwohl die Teilnehmer in Bezug auf die Verwendung der Orthesen unterwiesen wurden und spezielle Anweisungen erhielten, wie sie zu tragen sind, war es nicht möglich zu überprüfen, ob die Orthesen tatsächlich wie angewiesen getragen wurden oder ob sie möglicherweise während bestimmter Aktivitäten verrutschten. Keiner der Teilnehmer berichtete von Unbehagen bezüglich der Orthesen; die hier gemessene Compliance-Rate von 62 bis 78 % ist vergleichbar mit der in der Literatur 1 2 3 4 5 8 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 24 29.
Es ist zukünftig wichtig, Langzeitergebnisse bezüglich der modularen Lumbalorthesennutzung zu erfassen, ebenso wie die Wirksamkeit zu Beginn einer Lumbalgie oder Lumboischialgie-Episode. Vermutlich können hieraus noch weitere Verbesserungen bezüglich der Konstruktion von Orthesen resultieren.
Fazit
Die Anwendung von Rumpforthesen ist effektiv, nebenwirkungsfrei und vorteilhaft für die Patienten. Die Ergebnisse der vorgestellten Studie bestätigen die Wirksamkeit der geprüften Lumbalorthesen – bezogen auf verschiedene Parameter wie Schmerzreduktion, Funktionsverbesserung und Compliance der Patienten mit Wirbelsäulenbeschwerden – und resultierten in einer signifikanten Verbesserung der Patientenzufriedenheit. Die Ergebnisse der Studie belegen, dass abschulbare im Vergleich zu nicht abschulbaren Orthesen die Schmerzen früher reduzieren und zu einer höheren Patientenzufriedenheit führen. Insgesamt hat sich dabei das fortschrittliche Konzept von Orthesen mit Abschulungsfunktion als überlegen erwiesen. In anderen Studien wurden vergleichbare Ergebnisse bezüglich modularer Wirbelsäulenorthesen erzielt.
Die Autorin:
Dr. med. Cordelia Schott
Orthopädische Privatpraxis Schott
Im Medizinischen Zentrum Essen
Hindenburgstraße 27
45127 Essen
info@dr-cordelia-schott.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Schott C. Überlegenheit modularer Lumbalorthesen mit Mobilisierungsfunktion bei Lumbalgie und Lumboischialgie gegenüber äquivalenten einstufigen Orthesen. Orthopädie Technik. 2020; 71 (1): 42–49
Gruppe | n | M | Standartabweichung | Signifikanzniveau | |
---|---|---|---|---|---|
Schmerzintensität (NRS) | ohne Abschulung | 21 | 8,10 | 1,29 | n. s. |
mit Abschulung | 38 | 7,97 | 1,00 | ||
Funktionen im Alltag (ODQ) | ohne Abschulung | 21 | 24,19 | 9,40 | n. s. |
mit Abschulung | 38 | 23,39 | 8,70 | ||
Dauer der Beschwerden vor dem Zeitpunkt t0 | ohne Abschulung | 21 | 24,19 | 9,40 | n. s. |
mit Abschulung | 38 | 23,39 | 8,70 |
Gruppe | n | M | Standartabweichung | Signifikanzniveau | |
---|---|---|---|---|---|
Schmerzintensität (NRS) | ohne Abschulung | 35 | 7,71 | 1,13 | n. s. |
mit Abschulung | 34 | 7,97 | 1,18 | ||
Funktionen im Alltag (ODQ) | ohne Abschulung | 35 | 27,31 | 7,97 | n. s. |
mit Abschulung | 34 | 26,59 | 8,20 | ||
Dauer der Beschwerden vor dem Zeitpunkt t0 | ohne Abschulung | 35 | 27,31 | 7,97 | n. s. |
mit Abschulung | 34 | 26,59 | 8,20 |
Gruppe | n | M | Standartabweichung | Signifikanzniveau | |
---|---|---|---|---|---|
Schmerzintensität (NRS) | ohne Abschulung | 49 | 7,63 | 0,64 | n. s. |
mit Abschulung | 53 | 7,72 | 0,99 | ||
Funktionen im Alltag (ODQ) | ohne Abschulung | 49 | 26,33 | 5,75 | n. s. |
mit Abschulung | 53 | 26,96 | 8,74 | ||
Dauer der Beschwerden vor dem Zeitpunkt t0 | ohne Abschulung | 49 | 26,33 | 5,75 | n. s. |
mit Abschulung | 53 | 26,96 | 8,74 |
Ablaufplan (Wochen) | Test | Kontrolle | Zeitpunkt | |
---|---|---|---|---|
1 | Orthesenanpassung | Fragebogen & ODQ & NRS | ja | t0 |
2 | NRS | |||
3 | NRS | |||
4 | NRS | |||
5 | NRS | |||
6 | Fragebogen & ODQ & NRS | ja | t1 | |
7 | NRS | |||
8 | NRS | |||
9 | NRS | |||
10 | NRS | |||
11 | NRS | |||
12 | Fragebogen & ODQ & NRS | ja | t2 |
Gruppe | Anzahl | Anzahl gemäß Geschlecht | Alter | |||
---|---|---|---|---|---|---|
Frauen | Männer | Durchschnitt | Standartabweichung | |||
Lumbalorthesen | ohne Abschulung | 21 | 53,29 | 13,83 | ||
mit Abschulung | 38 | 50,66 | 14,93 | |||
gesamt | 59 | 30 | 29 | 51,59 | 14,48 | |
Überbrückungsorthesen | ohne Abschulung | 35 | 53,31 | 9,77 | ||
mit Abschulung | 34 | 48,29 | 13,28 | |||
gesamt | 69 | 38 | 31 | 50,84 | 11,82 | |
Flexionsorthesen | ohne Abschulung | 49 | 52,71 | 13,19 | ||
mit Abschulung | 53 | 51,23 | 16,35 | |||
gesamt | 102 | 63 | 39 | 51,94 | 14,86 | |
insgesamt | ohne Abschulung | 105 | 53,10 | 12,26 | ||
mit Abschulung | 125 | 50,06 | 14,85 | |||
gesamt | 230 | 131 | 99 | 51,49 | 12,83 |
Gruppe | n | Durchschnitt | Standartabweichung | Signifikanzniveau | |
---|---|---|---|---|---|
Schmerzintensität (NRS) | ohne Abschulung | 20 | ordinalskaliert | ordinalskaliert | p 0,001 |
mit Abschulung | 38 | ||||
Funktionen im Alltag (ODQ) | ohne Abschulung | 19 | 10,84 | 9,23 | n. s. |
mit Abschulung | 37 | 14,76 | 8,47 | ||
subjektive Effektivität | ohne Abschulung | 21 | ordinalskaliert | ordinalskaliert | n. s. |
mit Abschulung | 38 | ||||
subjektive Wirksamkeit | ohne Abschulung | 20 | ordinalskaliert | ordinalskaliert | p 0,001 |
mit Abschulung | 38 |
Gruppe | n | Durchschnitt | Standartabweichung | Signifikanzniveau | |
---|---|---|---|---|---|
Schmerzintensität (NRS) | ohne Abschulung | 35 | ordinalskaliert | ordinalskaliert | p 0,001 |
mit Abschulung | 34 | ||||
Funktionen im Alltag (ODQ) | ohne Abschulung | 35 | 16,40 | 7,75 | n. s. |
mit Abschulung | 33 | 15,36 | 8,55 | ||
subjektive Effektivität | ohne Abschulung | 35 | ordinalskaliert | ordinalskaliert | n. s. |
mit Abschulung | 34 | ||||
subjektive Wirksamkeit | ohne Abschulung | 35 | ordinalskaliert | ordinalskaliert | p 0,001 |
mit Abschulung | 34 |
Gruppe | n | Durchschnitt | Standartabweichung | Signifikanzniveau | |
---|---|---|---|---|---|
Schmerzintensität (NRS) | ohne Abschulung | 49 | ordinalskaliert | ordinalskaliert | p 0,01 |
mit Abschulung | 53 | ||||
Funktionen im Alltag (ODQ) | ohne Abschulung | 48 | 16,00 | 6,72 | n. s. |
mit Abschulung | 53 | 18,32 | 10,21 | ||
subjektive Effektivität | ohne Abschulung | 49 | ordinalskaliert | ordinalskaliert | p 0,05 |
mit Abschulung | 53 | ||||
subjektive Wirksamkeit | ohne Abschulung | 49 | ordinalskaliert | ordinalskaliert | p 0,01 |
mit Abschulung | 53 |
- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
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