Nur einheitliche Qualitätsstandards würden – so der Konsens – die enge Abstimmung zwischen Politik, Krankenkassen, Hilfsmittelherstellern sowie Ärzten und Orthopädie(schuh)technikern ermöglichen, um Unsicherheiten bei Behandelnden und Kostenträgern sowie kostenträchtigen Reibungsverlusten vorzubeugen. „Dieses Festlegen von Behandlungspfaden in der Hilfsmittelversorgung ist überfällig, wird aber erfreulicherweise über die in der DGIHV vereinten, verschiedenen Interessensgruppen aus Medizin, Handwerk und Herstellern aktuell mit großem Schwung bearbeitet“, erläuterte Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier, erster Vorsitzender der DGIHV.
Besondere Aktualität erhält die Frage nach Qualitätsstandards durch die schwelende Debatte über die Online-Einlagenversorgung. Daher rückten unter den Berichten aus den DGIHV-Sektionen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe (AG) Fuß und Schuh in den Gesprächsfokus. Dessen technischer Chair, Michael Möller, kritisierte: „Digitalisierung wird ad absurdum geführt, wenn Patientinnen und Patienten ein Versorgungskonzept für Fußfehlstellungen aus dem 19. Jahrhundert als digitale Innovation verkauft wird. Die Trennschärfe zwischen Chancen und Irrwegen der Digitalisierung geht verloren, so dass wir hier auch als Fachgesellschaft einen deutlichen Auftrag haben. Digitale Versorgungskonzepte müssen sich in geltende Qualitätsstandards einfügen und diese durch neue innovative Konzepte weiterentwickeln. Bei der Unterschreitung gesetzlicher Mindeststandards, wie etwa der Hilfsmittelrichtlinie oder Medical Device Regulation (MDR) wird eine rote Linie überschritten.“ Möller schlug vor, für wirklich innovative Konzepte ein DGIHV-Gütesiegel zu erarbeiten.
Neu im Reigen der DGIHV-Sektoren ist die jüngst gegründete AG Elektrostimulierende Hilfsmittel unter den Chairs Prof. Dr. Timo Kirschstein und Lutz Klasen. Besonders anspruchsvoll seien die Entwicklung und Erfassung von Indikations‑, Therapie- und Qualitätsstandards in Neuroorthopädie, Sensomotorik, Neuroorthetik und Neurorehabilitation, wie Klasen bei der Vorstellung der AG, Teil der Sektion „Versorgungspfade/Leitlinien“, erklärte.
Wie die Telekommunikation in der Hilfsmittelversorgung, insbesondere in ländlichen Regionen, eingesetzt werden kann, legte Prof. Dr. Neeltje van den Berg in ihrem Fachvortrag „Nutzung von Telemedizin und eHealth bei der Implementation regionaler, sektorübergreifender Versorgungspfade“ dar. Die Bereichsleiterin des Greifswalder Institutes für Community Medicine für innovative Konzepte und regionale Versorgung präsentierte Ergebnisse einer Studie zu neuen Wegen beim telemedizinischen Triage-Verfahren bei Kindern, das heißt, der Notfall-Beurteilung über Telekommunikation. „Die telemedizinische Kontaktaufnahme bietet insbesondere für ländliche Regionen viele Chancen. Es ist aber noch ein mühsamer Weg: Wir müssen uns weiter der technischen und organisatorischen Implementation sowie rechtlichen Fragen widmen“, resümiert van den Berg in ihrer Evaluation. „Die Technik muss einheitlich gestaltet und einfach sein.“
Die Frage nach dem Weg der „Europäisierung in der Hilfsmittelversorgung“ beantwortete Xavier Berteele, Vorsitzender des Verwaltungsrates der Belgischen Berufsvereinigung für Orthopädietechnik (BBTO∙UPBTO). Er kritisierte in seinem Vortrag sprachliche Unzugänglichkeiten der MDR und beschrieb die große Sorge belgischer Betriebe vor dem zusätzlichen Arbeitsaufwand und den Mehrkosten, die in den Versorgungsalltag integriert werden müssen. Anstatt zu resignieren, habe der BBTO als positiven Effekt der MDR seine europäische Zusammenarbeit intensiviert – unter anderem mit der DGIHV. Berteele unterstützt die Bestrebungen der Fachgesellschaft zur Einführung von Standardverfahren in der Hilfsmittelversorgung und fordert europäische Qualitätsstandards, transparente Preiskalkulationen sowie evidenzbasierte Studien. Aufwand und entsprechende Mehrkosten durch die neuen MDR-Regelungen seien laut Berteele für die Betriebe bisher keineswegs abgedeckt.
In der abschließenden Diskussion wurde deutlich, wie wichtig in der Hilfsmittelversorgung als unverzichtbarer Säule des Gesundheitssystems Abstimmungsprozesse, interdisziplinäre Zusammenarbeit und zielgerichtete Implementierung neuer digitaler Technologien sind.
„Wir haben heute erneut erfahren, wie wichtig es in der gesamten Hilfsmittelversorgung ist, unsere Fachgruppen für eine gemeinsame Gestaltung von Behandlungszielen und ‑methoden zu bündeln. Digitalisierung wird dabei in Herstellung, Kommunikation und Qualitätssicherung eine zunehmende Rolle spielen müssen“, schloss Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier.
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